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Kindheits- und Jugendstreiche des Fürsten

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Ich schwanke zwischen Zynismus, einem „Weiter so wie bisher!“ und dem Wunsch nach Änderung, nach Bekehrung. Aus dem Saulus will ein Paulus werden. Teilte ich das meinen diversen Freunden und Kumpanen mit – sie kämen aus dem Lachen nicht mehr heraus. So spiele ich für sie weiter den Lebemann. Aber ich versuche, es nicht mehr zu übertreiben. Ein neuer Begriff ist in mein Bewusstsein gedrungen: Maß halten. Aber es fällt mir noch verdammt schwer, das richtige Maß zu finden.

Ich bräuchte wirklich Hilfe. Eine Hilfe, die mich begleitete und mich darauf aufmerksam machte, dass ich das Maß verliere. Eine Hilfe, die mit so viel Autorität ausgestattet wäre, dass ich auf ihre Ratschläge hörte. Eine Hilfe, die so viel Lebenskompetenz hätte, dass sie mich unmerklich zu einem maßvollen Leben bewegen könnte. Eine Hilfe, der ich mich anvertrauen, unterordnen könnte, ohne meine Selbstachtung zu verlieren. Ein Mensch, der mir das Gefühl der Geborgenheit geben könnte, ja verdammt noch mal, ein Mensch, der mich echt liebte und mich in meiner mir verbleibenden Zeit dauernd betreute, für mich sorgte und mich in meiner Schwäche und Unsicherheit mit Maß und Vernunft auf einen soliden Kurs brächte.

Ich schaffe es nicht, mich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Das ist für mich eine bittere Einsicht. Ich bin es ein Leben lang gewohnt gewesen, meine Angelegenheiten selber in die Hand zu nehmen. Ich hatte keine fürsorgliche Mutter oder einen solidarischen Vater, die mich an die Hand genommen hätten und mich ins Leben eingeführt hätten.

Meine Mutter war noch ein Kind von 16 Jahren, als sie mich gebar. Mein Vater war vierzig Jahre älter und hatte das Mädchen nur geheiratet, weil es eine gute Mitgift mitbrachte: einen riesigen Waldbesitz, eine Brauerei, eine Bank und zwei Schlösser mit großen umliegenden Ländereien.

Der Vater meiner Mutter hatte diese Mitgift, die nach seinem Tod meiner Mutter und nach ihrem Tod ihren Kindern zufallen sollte, in einem Ehevertrag mit meinem Vater ausgehandelt. Er starb bald nach der Heirat meiner Eltern, und da er Witwer gewesen war, so erbte meine Mutter den ganzen „Rotz“. Sie verstand sich aber nicht mit meinem Vater und setzte ihm einen Verwalter vor die Nase, so dass mein Vater nur indirekt durch Bitten gegenüber meiner Mutter einige finanzielle Zuwendungen aus diesem Vermögen ergattern konnte.

Das bewegte ihn dennoch nicht, auf einige Seitensprünge zu verzichten, und so lebten sich die Ehegatten mehr und mehr auseinander, bis meine Mutter die Scheidung einreichte und mit ihrer nunmehr erwachseneren Menschlichkeit und den Erträgnissen ihrer Güter einen jüngeren französischen Adeligen beglückte und meinen früh vergreisten Vater und mich allein ließ.

Mich tangierte die ganze Geschichte wenig, denn ich war bereits mit 10 Jahren in ein Internat gekommen und fand dort bald als sexuell frühreifer Bengel, also mit dreizehn Jahren, eine willige Cousine im gleichen Alter und im gleichen Internat, mit der ich die Erfüllung aller emotionalen Bedürfnisse, die mir bisher vorenthalten worden war, nachholte.

Zudem erlaubte ich mir in dem Bewusstsein, der nächste Besitzer der Güter meiner Mutter und meines Vaters zu sein, jeden Luxus und ließ meine Eltern, die bald mehr Besuche von Gläubigern als von ihren adeligen Freunden hatten, meine Schulden bezahlen.

Ich hielt mir in den Stallungen des Internats, das in einem alten Schloss untergebracht war, vier Pferde und zwei Hunde. Dazu hatte ich mir eine alte Kutsche gekauft und fuhr des Sonntags mit meinen Kameraden vierspännig zu Ausflügen in die Umgebung der idyllischen Kreisstadt, in der das Internat lag. Wir kehrten dann gewöhnlich in einem schön gelegenen Ausflugslokal ein und ich hielt meine Gesellschaft frei. Das machte mich natürlich sehr beliebt bei meinen Mitschülern und Mitschülerinnen. Und alle buhlten um meine Freundschaft, um wenigstens einmal an einer solchen sonntäglichen Kutschfahrt teilnehmen zu dürfen.

Um möglichst viele Freunde und Freundinnen mitnehmen zu können, kaufte ich mir bald noch eine zweite Kutsche, und wir fuhren dann mit zwei Kutschen zweispännig aufs Land. Als auch zwei Kutschen den Ansturm der Interessenten nicht mehr bewältigen konnten, kam ich auf die Idee, das Prinzip des Kettenantriebes auf vierrädrige Fahrzeuge anzuwenden, und gab bei einem findigen Schlosser der Kreisstadt ein lang gezogenes Doppelfahrrad, das also auf vier Rädern fußte, mit 10 Plätzen, Lenkern und Tretwerken in Auftrag, damit zehn weitere Mitschüler mitfahren konnten. Als auch das nicht genügte, musste noch ein Doppelrad für 12 Personen gebaut werden, womit dann allerdings die Kapazität dieser Konstruktion erschöpft war.

Durch diese von menschlicher Muskelkraft getriebenen Fahrzeuge kam noch eine sportliche Note in unsere sonntäglichen Ausflüge, denn jedes Gefährt, ob Kutsche, ob Wagenfahrrad wollte natürlich an der Spitze unserer fröhlichen Karawane fahren, und so gab es allerhand Wettfahrten, mutige Überholmanöver und fetzige Siegerehrungen für dasjenige Gefährt, das als erstes am Zielort unserer Lustbarkeiten angekommen war.

Die Kosten hatten meine Eltern zu tragen. Das war meine gar nicht subtile Rache für die entgangene elterliche Zuwendung, und bald entwickelte sich auch meine hedonistische Lebenseinstellung, wonach ich mir das Recht zusprach, mir alles zu erlauben, was meinem Vergnügen, meinem sexuellen Verlangen, meinem gesellschaftlichen Ehrgeiz diente. Mit dieser Lebenseinstellung ist es mir dann auch erfolgreich gelungen, als der „tolle Prinz“ in die Schlagzeilen der einschlägigen Boulevardpresse zu kommen, meine Gesundheit zu ruinieren und mein Vermögen zu verprassen.

Solange meine Mutter noch lebte, habe ich auf Pump gelebt. Als Erbe ihres weit reichenden Besitzes hatte ich überall Kredit. Zudem hatte ich von meinem Vater, der sich pünktlich zu meinem sechzehnten Geburtstag von seinen heruntergekommenen Besitzungen für immer verabschiedet hatte, immerhin noch eine solche „Konkursmasse“ geerbt, dass ich davon sorgenfrei leben konnte.

Seit sechs Jahren verfüge ich auch noch über die „Konkursmasse“ vom Erbe meiner Mutter, wodurch ich meinen Zeitgenossen als unvorstellbar reich erscheine. Ich lasse sie natürlich in diesem Glauben, ja ich gebe ihren diesbezüglichen Fantasien noch Zucker, indem ich eine hochseetüchtige Yacht mit kompletter Besatzung, einen defizitären Reitstall und einige Autos der Luxusklasse unterhalte. Die Letzteren, die kaum gefahren worden sind, einige Bugattis, Jaguars und Rolls Royce, sind mittlerweile Ehrfurcht gebietende Oldtimer und so unschätzbar im Wert gestiegen, dass ich, wenn ich mich von ihnen trennen wollte, fast alle meine Schulden bezahlen könnte.

Das Gleiche gilt für einige hundert Gemälde, die ich aus Liebhaberei einigen modernen Malern wie Roy Lichtenstein, Andy Warhol oder Niki de Saint Phalle abgekauft habe, als sie noch nicht in der ganzen Welt bekannt waren. Aber erstens würden meine Banken sehr hellhörig, wenn ich diese Waren auf dem Markt anböte, zweitens kann ich mich schlecht davon trennen und drittens habe ich überhaupt nicht mehr die Energie, die ein Geschäftsmann braucht, um einen guten Handel zu machen.

Fast könnte ich wie ein Buddhist sagen: der Besitz, die Geschäftemacherei bedeuten mir nichts mehr. Wenn das Klima hier besser wäre, könnte ich mich in ein orangefarbenes Mönchsgewand werfen, eine Schale zum Betteln unter den Arm klemmen, irgendwelche ausgelatschten Sandalen an die nackten Füße schnüren und mich von mitleidigen Seelen ernähren lassen.

Ich bin mein ganzes Leben lang ein Parasit gewesen und habe von den Verdiensten anderer Menschen, von meinen Vorfahren und der Arbeit meiner Angestellten gelebt und erschien in der Öffentlichkeit dennoch als der gewiefte Geschäftsmann, der gerissene Unternehmer, dem alle Projekte Gewinn brachten. Ein Auftritt als Bettelmönch würde meiner gesellschaftlichen Rolle viel eher entsprechen, aber man würde mir einen solchen Auftritt nicht abnehmen und es noch als interessante Show verstehen. Die Medien würden einen sensationellen Rummel um meine Auftritte machen und ich könnte davon finanziell so sehr profitieren, dass meine Bettelexistenz ad absurdum geführt würde.

Die Welt will betrogen werden, und darum habe ich mich dreißig Jahre lang redlich zur Zufriedenheit der großen Öffentlichkeit bemüht. Jetzt will ich nicht mehr, weil man, indem man die Anderen betrügt, sich selbst um sein Leben bringt. Und das in jedem Sinne: Man hat keine Identität mit sich selbst, sondern ist nur so eine Charge, ein Schauspieler auf der Bühne des Lebens; und die mangelnde Rückbindung des Rollenverhaltens an die eigene Natur lässt einen maßlos und selbstzerstörerisch mit dem eigenen Körper und mit der eigenen Seele herumhasardieren.

Die Folgen dieser Überspanntheit spüre ich jetzt in jeder Stunde, in jeder Minute, in jeder Sekunde und sie sind verdammt unangenehm. Ich habe mit meinem treuen Hubertus über die ganze Angelegenheit gesprochen. Er sagte, wenn es in seiner Macht stünde, würde er mir gerne helfen, aber ich bräuchte für meine vielen Leiden einen Psychotherapeuten, einen Drogenexperten, einen Herz- und Leberspezialisten, einen Fitnesstrainer, einen Wirtschaftsexperten und eine bedingungslos liebende Frau, die mir Mutter, Vater, Geliebte und Wunderheilerin in einer Person sei. Außerdem müsse ich mir eine vernünftige Arbeit suchen, um selber Sinn und Ordnung in mein „verwurschteltes“ Leben zu bringen. Ich könnte mich z.B. auch selber um meine geschäftlichen Angelegenheiten kümmern, um meinen verlotterten Besitz wieder rentabel zu machen.

Ja, wenn ich noch gesund wäre! Aber ich bin fast zu krank, um mir überhaupt noch einen Menschen suchen zu können, der mir hülfe. Und, wenn ich es recht betrachte, so ist mir nicht mehr zu helfen. Meine Situation ist unumkehrbar – in jeder Hinsicht.

Ich habe dem Hubertus das gesagt.

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