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Kur im Kloster
ОглавлениеJa, ich bin jetzt im Kloster! Ich Johannes, Friedrich, Felix, Georg, Maria von Frost und Zeul, ausgewiesener Playboy, Partylöwe, Weiberheld, Jetset-Pionier, High Society-Freak, Feinschmecker und Weinexperte sitze seit einer Woche als Bruder Anselmus in der Zelle, der Mönchszelle. Die Gefängniszelle wäre meinen alten Freunden wahrscheinlich noch verständlicher gewesen, denke ich an meine wilden Jahre: „Fotografen geohrfeigt“, „Geliebte mit dem Messer bedroht“, „Homosexuelle mit lauwarmem Pommes-frites-Fett überschüttet“, „Schlägerei mit zehn Paparazzis angezettelt“, „Mit dem Motorrad auf der Düsseldorfer Einkaufsmeile Rennen gefahren“, „In Kunstausstellung Statue von Nazibildhauer angepinkelt“ usw. usw.
So lauteten die Schlagzeilen der Boulevardpresse und jedes Mal fand ich einen milden Richter, der mich mit einer maßvollen Geldstrafe davonkommen ließ. Aber wenn schon die weltliche Justiz mich schonte, so konnte ich der Selbstjustiz meines Körpers und meiner Seele nicht entfliehen. Irgendwelche Rachegeister und Dämonen, die sich in meinem Inneren eingenistet haben, vollstrecken ihr Urteil und das lautet: „Stirb am Herzinfarkt oder tue Buße! Bete und arbeite, ändere dein Leben, tue Gutes denen, die dich hassen oder dich nicht verstehen, vergib deinen Schuldnern, denke positiv und selbständig und handle immer nach deinem besten Vermögen und deiner besten Einsicht!“
Als ich vor einer Woche hier, im Benediktinerkloster Schwepptal eintraf, hatte ich gedacht, lauter Heiligen zu begegnen. Ich hatte mich darauf eingestellt, mir eine Tonsur verpassen zu lassen, mich zu kasteien, mir Speisen und Getränke und Schlaf zu entziehen und mit ernster Miene und frommer Haltung, ein religiöses Buch in der Hand, meine meditativen Bahnen im Kreuzgang des Klosters zu ziehen. Aber als ich am 24 Juni 1970 am frühen Abend an der Klosterpforte schellte, kamen Pater Kallmann und Abt Ägidius persönlich mit einer Flasche Klosterlikör und einer Packung Schwepptaler Pralinen, um mich in ihrem Kloster willkommen zu heißen und mir diese Spezialitäten als Gastgeschenk zu überreichen.
Gleichzeitig gratulierten sie mir zu meinem Namenstag, Johannes, dessen ich mir gar nicht bewusst war, und luden mich zu einem Festessen mit anschließendem geselligen Zusammensein und Tanz in ihr Refektorium ein. Als ich diesen Rummel, der, wie ich glaubte, meiner Person galt, abwinken wollte und sagte: „Dieser Aufsehen erregende Aufwand für meine Person ist nicht nötig. Ich bin hergekommen, um als unscheinbarer Bruder Anselmus inkognito unter ihren Mitbrüdern zu weilen und als ihr geringster Knecht mich in Demut und Bescheidenheit zu üben. Meine Ankunft zum Anlass einer Festivität zu nehmen widerspricht allen Abmachungen und dem Zweck meines hiesigen Aufenthalts“, wurde mir von Abt Ägidius erklärt: „Unser Fest findet in keiner Weise Ihretwegen statt, sondern es setzt eine alte Tradition fort, die in unserem Kloster seit Anbeginn zu Ehren des heiligen Johannes, dem wir uns sehr verbunden fühlen, gepflegt wird. Ihre Ankunft und Ihre wahre Identität sind nur Pater Kallmann und mir bekannt. Für die anderen Klosterinsassen sind Sie, wie abgemacht, der unscheinbare Bruder Anselmus, der aus einem unserer Schwesterklöster zu uns gekommen ist, um die Folgen einer Gürtelroseerkrankung bei uns auszukurieren.
Es ist daher auch begrüßenswert, dass Sie sich nach Ihrer Aussage am Telefon bereit gefunden haben, ein graues Toupet zu tragen, um Ihr Äußeres so zu verändern, dass unsere Mitbrüder Sie nicht an Ihrer durch die Presse bekannten braunen Haartolle erkennen können.“ Damit zog er ein graues Toupet aus seiner Kutte und setzte es mir auf. Pater Kallmann holte darauf noch einen Rasierapparat aus der Hosentasche und bat mich, mir meinen ebenso bekannten Kaiser Wilhelm Schnäuzer abzurasieren, da auch dieser meine wahre Identität verraten könne.
Auf diese Begrüßungszeremonien war ich schon eher gefasst, und so verwandelte ich mich in dem Pförtnerraum tatsächlich in den unscheinbaren, alten und etwas hinfälligen Bruder Anselmus. Die Kutte, die ich tragen sollte, holte Pater Kallmann aus dem Aktenschrank der Pförtnerloge, in dem er sie offensichtlich schon vor einigen Tagen verstaut hatte, denn sie trug bereits unverkennbare Spuren von Aktenstaub, den Pater Kallmann aber mit einem kräftigen Wisch des Ärmels seiner Kutte hinwegscheuchte, wobei er bemerkte: „Eigentlich sollte man den Staub auf der Kutte lassen, dann wirkte Ihre Erscheinung glaubwürdiger. Und die Brüder nähmen es Ihnen eher ab, dass Sie den langen Weg von Ihrem zu unserem Kloster auf dem Fahrrad zurückgelegt hätten.
Denn wir haben die Mitbrüder dergestalt auf Ihren Besuch eingestimmt, um Ihnen ein Fahrrad zur Verfügung stellen zu können, dessen tägliche Benutzung, um damit unsere Post zum Briefkasten zu bringen, eine auch Ihrer Gesundheit zuträglichen kleinen Pflichten sein wird.“ Damit holte Pater Kallmann noch aus einem mit dem Pförtnerraum verbundenen Depot ein sichtbar häufig gebrauchtes Damenfahrrad mit einem großen Metallkorb, der unterhalb des Lenkers am Rahmen des Fahrrads festgemacht war, und erklärte: „Ich habe mir dieses Rad von meiner Nichte für die Dauer Ihres Aufenthaltes geliehen, weil es unseren Mitbrüdern natürlich aufgefallen wäre, wenn wir Ihnen eines unserer Klosterfahrräder gegeben hätten. Also fahren Sie vorsichtig damit, denn meine Nichte wird mir den Kopf abreißen, wenn es nicht mehr brauchbar sein sollte. Ich habe mir übrigens gedacht, dass Sie mit einem Damenfahrrad besser zurechtkommen, weil Sie Ihr rechtes Bein nicht über den Sattel schwingen müssen, wenn Sie auf das Rad aufsteigen. Das werde ich übrigens auch meinen Konfraters so erklären, was Ihre Camouflage erleichtert.“
Darauf führten mich beide Patres in meine Zelle. Es war ein relativ kleiner, weiß gekälkter Raum mit einer Nasszelle, einem Bett, einem Tisch, einem Stuhl, einem einfachen hölzernen Schrank und einem großen Fenster, das einen schönen Blick auf den Klostergarten frei gab. Der Raum war beheizbar, so dass für alle meine primären Bedürfnisse gesorgt war; und was meine Bedürfnisse nach Luxus, nach einem Kühlschrank für die Lagerung einiger Flaschen Champagner oder die Aufbewahrung einiger Dosen Kaviar betraf, hatte ich ja diesen Bedürfnissen für die Dauer meines Aufenthaltes zu entsagen.
Ich musste mich trotzdem überwinden, mich über diese spartanische Zelle erfreut zu zeigen, und bat die Patres, mich eine halbe Stunde allein zu lassen, damit ich mich einrichten und frisch machen könne. Danach sei ich in der Lage, an ihrer Feier zu Ehren des heiligen Johannes teilzunehmen. Die Patres räumten mir darauf eine ganze Stunde zur Eingewöhnung ein und versprachen mir, mich danach abzuholen und dem Klosterkonvent vorzustellen.
Ich verstauchte also meine Siebensachen in dem Schrank, machte mich frisch und übte vor dem Spiegel in der Nasszelle, meinem Gesicht einen würdigen und vergeistigten Ausdruck zu geben. Das gelang mir zwar nicht zu meiner Zufriedenheit, aber als die beiden Patres mich abholten, attestierten sie mir, dass ich bereits etwas von dem Spiritus Loci, von dem Geist des Ortes infiziert sei und ich bereits von dem Hauch einer mönchischen Aura umgeben werde.
Die Patres hatten mir verabredungsgemäß zwei Paar einfache Sandalen mitgebracht, ein Paar ohne Verschluss als Pantoffeln für Drinnen und ein Paar mit Verschluss für Draußen, und da ich diejenigen ohne Verschluss für Drinnen anziehen musste, so hatte ich ein Problem. Denn sie drohten mir dauernd von den Füßen zu rutschen oder mit meiner Kutte in Kontakt zu kommen, und so passierte es, dass sich die Sandalen für Drinnen beim Betreten des Refektoriums so mit meiner Kutte verhedderten, dass ich der Länge nach hinfiel und die Pantoffeln in den Raum geschleudert wurden.
Sie landeten ausgerechnet vor dem Platz einer Dame, die allerdings keine Schwierigkeit hatte, sie aufzuheben und mit ihnen zu mir zu kommen, um sie mir, den die zwei Patres wieder in die Höhe gezogen hatten, mit natürlicher Selbstverständlichkeit anzuziehen.
Der Abt stellte die Dame sofort vor und sagte: „Das ist Frau Hermes, unsere Schulsekretärin, die gute Seele des Klosters. Sie lebt uns etwas kontaktsperrigen und in menschlichen Verhältnissen unbedarften Hagestolzen eine kompetente, hilfsbereite und dienstfertige Menschlichkeit vor, die in der Nachfolge Jesu eigentlich eher unsere Sache zu sein hätte.“ Darauf stellte er mich als einen mehrwöchigen Gast und Konfrater vor, der gerade von einer schweren Krankheit genesen sei und ab und zu noch solche Schwächezustände erleide, dass er sich nicht aufrecht halten könne, und bat die ganze Versammlung, die an mehreren blank gescheuerten hölzernen Tischen Platz genommen hatte, mir bei solchen Vorfällen beizustehen und die von Christen erwünschten Samariterdienste nicht nur Frau Hermes zu überlassen. Er nannte dann noch meinen Namen, Pater Anselmus, und setzte mich neben Frau Hermes, neben der noch ein Platz frei war.
Ich wunderte mich, dass außer Frau Hermes noch andere Frauen an den Tischen saßen, und sagte ihr das. Darauf informierte mich Frau Hermes darüber, dass dem Kloster ein Gymnasium angeschlossen sei und dass zur Feier des Tages das Kollegium mit zu der Feier eingeladen worden sei. Einige der Frauen seien also Lehrkräfte der Schule, und andere seien die Ehefrauen von Lehrern, die diese, dank der Großzügigkeit der Patres, hätten zu der Feier mitbringen dürfen.
Der ehrwürdige Pater mit langem, grauem Bart, der neben mir saß und unser Gespräch mit angehört hatte, sagte zu mir: „Sie sehen, Konfrater Anselmus, in unserem Kloster werden die Frauen nicht als der minderwertigere Teil der Menschheit betrachtet, sondern als derjenige mit den größeren Vorzügen, wenn Sie mir diese etwas laxe Ausdrucksweise erlauben!
Ich bin sechsundsiebzig Jahre alt und war Missionar im Amazonasgebiet, Jugendseelsorger in Manaus und Pfarrer in Rio de Janeiro. Ich weiß, wovon ich rede. Die Indianer im Amazonasgebiet haben mir sogar eine ihrer jungen Frauen nackt in meine Hütte gelegt, als ich sie aus Missionsgründen besucht habe, wobei ich große Mühe hatte, sie wieder aus der Hütte hinauszukomplimentieren.
Aber man wird auf diese Weise natürlich von dem Wert der Frauen überzeugt. Denn als die Indianerin gegangen war, habe ich mich in meiner Hütte viel weniger wohl gefühlt. Aber ich konnte mich nicht mit einer Frau einlassen, weil ich eine Art Indianergewerkschaft gegründet habe, die das Land, den Urwald, die Heimat der Indianer gegen das Vordringen der Land nehmenden Großgrundbesitzer und der großen Holzgesellschaften verteidigt, was gelegentlich auch zu bewaffneten Auseinandersetzungen geführt hat, bei denen auch zwei von meinen Konfraters zu Tode gekommen sind, obwohl sie nicht zur Waffe gegriffen hatten.
Wenn man in solchen Gefahren lebt, hat das Zölibat schon seinen Sinn. Denn was wird aus einer Familie, wenn der Mann nicht mehr lebt? Aber hier, in diesen gesicherten Verhältnissen, sollte es der Papst der eigenen Entscheidung der Patres überlassen, ob sie zölibatär leben wollen oder mit Weib und Kind. Vielleicht kommt in einigen Jahren auch solch eine Entscheidung, denn sonst könnte unser Beruf aussterben. Aber leider werde ich diese Zeit nicht mehr erleben.“
Der Pater mit seinem wettergegerbten Lederhautgesicht war mir auf Anhieb sympathisch und so versuchte ich das Gespräch mit ihm in die Länge zu ziehen und erzählte ihm, dass ich auch in Brasilien als Jugendseelsorger gewirkt hätte und mich dort vor allem um Kinder von Prostituierten gekümmert hätte und natürlich um Straßenkinder.
Ich hätte z.B. dafür gesorgt, dass Elvira, das Kind einer Prostituierten, aus ihrer Familie herausgeholt worden sei und nunmehr in einem Internat der Dominikaner lebe und ausgebildet werde. Außerdem hätte ich viele ältere Ehepaare im Ruhestand, die in sehr wohl situierten Verhältnissen lebten, dafür gewinnen können, Straßenkinder bei sich aufzunehmen, wodurch tausend Straßenkinder wieder in geordnete Verhältnisse gekommen seien und eine gute Versorgung und Ausbildung genössen.
Der Pater fragte mich, wann ich diese Initiativen denn ergriffen hätte, sie seien ihm gar nicht bekannt. Er sei doch über fast alle Initiativen der Kirche für Straßenkinder zu seiner Zeit informiert gewesen. Ich antwortete ihm, dass ich vor sechs Jahren in Brasilien gewesen sei und damals diese Projekte betrieben hätte. Dann sei es allerdings verständlich, dass er nichts davon wisse, sagte er, denn er sei vor acht Jahren aus Brasilien zurückgekommen und habe seitdem die Ereignisse dort nicht weiter verfolgt.
Darauf verwickelte er mich nun seinerseits in ein Gespräch über Methoden der Resozialisierung von Kindern und Jugendlichen. Er war davon überzeugt, dass staatliche Heime nicht viele Erfolge bei dieser schwierigen Arbeit hätten. Schon eher könnten Kinderdörfer, zumindest wenn die Kinder noch klein seien und in die Hände einer guten Hausmutter kämen, gute Ergebnisse erzielen. Auch die kombinierten Wohn- und Ausbildungsstätten bei den Salesianern könnten gute Ergebnisse vorweisen. Meistens sei der Resozialisierungserfolg von dem Einsatz einer akzeptierten Bezugsperson abhängig, wie es die Hausmütter in den Kinderdörfern seien oder die Ausbilder in den Salesianer-Werkstätten.
Aber auch die Einrichtungen, in denen sich Kinder und Jugendliche unter Anleitung eines engagierten geistlichen oder weltlichen Sozialarbeiters selbst verwalteten, hätten gute Chancen. Die kontinuierliche Betreuung durch dieselbe engagierte und kompetente Bezugsperson sei wohl in jedem Falle der Schlüssel des Erfolges. In den staatlichen Einrichtungen wechselten die Betreuer und Betreuerinnen zu häufig, so dass kein echtes Zusammenleben zwischen Betreuern und Betreuten entstehen könne, und so sei der Resozialisierungseffekt sehr gering.
Am allergrößten sei der Heilungsprozess natürlich da, wo zwei Bezugspersonen, eine männliche und eine weibliche mit zudem viel Lebenserfahrung, wie meine alten, im Ruhestand lebenden Ehepaare, sich solcher Kinder kontinuierlich annähmen. Sicherlich hätten diese Ersatzeltern besonders hohe Erfolgsbilanzen vorzuweisen.
Ich gab ihm die vorsichtige Auskunft, dass in den sechs Jahren, in denen diese Projekte liefen, sich etwa ein fünfzigprozentiger Erfolg eingestellt habe, die Schäden der Kinder und Jugendlichen aber in vielen Fällen so groß gewesen seien, dass alle Mühe vergeblich gewesen sei, ihnen eine kombinierte schulische und handwerkliche Ausbildung zu geben. In vielen Fällen, so begann ich – durch die detaillierten Kenntnisse des Paters verunsichert –, mich aus der heiklen Situation zurückzuziehen, hätten sich die alten Ehepaare von den Problemen der Kinder auch überfordert gefühlt und die Verantwortung für die Betreuung der Kinder wieder den staatlichen oder kirchlichen Instanzen zurückgegeben.
„Wie bedauerlich“, sagte der alte Pater, „aber auch verständlich. Ich habe selbst für einige Jahre eine geistliche Einrichtung mit Internat, Schule und handwerklicher Ausbildung geleitet, aber häufig vor den vielen Schäden der Kinder wie Retardierung, Hospitalismus, Jactatio Capitis, Hypermotorik, Einkoten und Einnässen, vor Kleptomanie, Drogensucht, notorischem Münchhausensyndrom, vor unmotivierter Aggressivität, vor Antriebslosigkeit, vor schwersten Verhaltensstörungen, vor Rachitis, Haareraufen, Nägelkauen, massiven Selbstverletzungen kapitulieren müssen. Und mit allen diesen seelischen und körperlichen Erkrankungen ist die Liste der Schäden dieser Kinder noch lange nicht abgeschlossen! Sie wissen das ja besser als ich, obwohl ich gerade ein Buch über Straßenkinder in Brasilien schreibe!“
Mir wurde die Situation allmählich mulmig. Mit einigen Ausdrücken wie Retardierung, wie Hospitalismus, wie Jactatio Capitis, wie Münchhausensyndrom konnte ich nichts anfangen. Außerdem fehlten mir auch alle Kenntnisse über die verschiedenen Einrichtungen und Methoden der Resozialisierung von Kindern und Jugendlichen. Mein Straßenkinderprojekt war ja eine plumpe Lüge und musste sich als solche entlarven, wenn der Pater nach Adressen und Berichten der beteiligten Ehepaare fragen würde.
Zwar konnte ich auf die Kumpanei und Solidarität meiner Freunde bauen, falls der Pater sie anrufen wollte, um ihre Erfahrungen mit den Straßenkindern für sein Buch nutzbar zu machen; aber zu diesem Zwecke hätte ich sie in vielen Telefonaten von meiner Verlegenheit in Kenntnis setzen müssen und ihnen auch rudimentäre Kenntnisse über die Schäden und Therapieformen dieser Schäden bei Straßenkindern vermitteln müssen. Ein solches Unterfangen war in meiner gegenwärtigen Situation illusorisch und so zog ich mich aus der Affäre, indem ich dem Pater mitteilte, dass ich dieses Straßenkinderprojekt auf Wunsch meiner Ordensoberen einem befreundeten Salesianer Pater übertragen hätte und jetzt für konkrete landwirtschaftliche Hilfsprojekte für agrarisch unterentwickelte Gebiete in der Dritten Welt zuständig sei. Dieses Projekt sei allerdings erst im Entstehen und ich sei noch dabei, mich über Finanzierungsmöglichkeiten und Einsatzgegenden zu informieren, könne aber bei der Vorläufigkeit meiner Dispositionen noch keine Auskünfte hierzu geben.
Ich fügte diesen Zusatz bewusst hinzu, weil ich befürchtete, dass der agile Pater auch über diesen Gegenstand ein Buch schreiben wollte und mich als Informationsquelle anzapfen würde. Die nächsten Worte des Paters bestätigten dann auch meine schlimmsten Befürchtungen.
„O, das ist aber schade, dass Sie nicht mehr federführend für dieses Projekt sind. Ich hätte mir gerne von Ihnen die Bekanntschaft mit den involvierten Pflegeeltern vermitteln lassen, um mein Buch noch durch einige Erfahrungsberichte aus erster Hand zu komplettieren, aber vielleicht können Sie mir den Namen und die Adresse Ihres befreundeten Salesianer Paters geben. Dann kann er mir sicher zu den nötigen Informationen über Ihr ehemaliges Projekt verhelfen“, bohrte er weiter.
Darauf antwortete ich: „Leider habe ich wegen meiner Krankheit alle meine Unterlagen in einem Safe des Schweizer Krankenhauses, in dem ich behandelt worden bin, verstaut und infolge der vorzeitigen Entlassung und überraschenden Abholung durch einen jüngeren Verwandten dort liegen lassen. Die Schweizer können leider nicht an den Safe, da ich den Schlüssel versehentlich mitgenommen habe, aber ich hoffe, nach meiner endgültigen Genesung auf schnellstem Wege in die Schweiz zu reisen und wieder in den Besitz meines Adressbüchleins und meiner anderen wichtigen Papiere zu gelangen. Dann werde ich Ihnen selbstverständlich sofort alle gewünschten Daten geben.“
Fürs Erste war damit die Wissbegier des sympathischen Paters gestillt. Aber es kam so, wie ich es erwartet hatte. Jetzt interessierte er sich für mein „neues Projekt“. „Dass Sie im Falle Ihrer neuen Tätigkeit einem schwebenden Verfahren nicht vorgreifen können, kann ich sehr verstehen, aber es wird Ihnen hoffentlich nichts ausmachen, mir etwas über die Voraussetzungen mitzuteilen, die Sie in den Augen Ihrer Oberen zur Organisation einer solch globalen Sache geeignet erscheinen lassen“, fragte er.
„Es sind vor allem meine profunden forst- und landwirtschaftlichen Kenntnisse“, antwortete ich, „die ich mir auf dem Bauernhof meiner Eltern erworben habe.“ „Aha, dann verstehen Sie also etwas von Gartenarbeit“, folgerte er. „Ich kann mir wohl schmeicheln, einen Bauerngarten nach allen Regeln der Kunst korrekt anzulegen und natürlich auch zu pflegen, damit er die gewünschten Erträge bringt“, antwortete ich. „Verstehen Sie auch etwas von Bewässerung?“ fragte er mich weiter. „Selbstverständlich“, antwortete ich, „verschaffen Sie mir das passende Gerät. Dann bohre ich Ihnen einen Brunnen; wenn das Grundwasser nicht zu tief ist, schließe eine mir von Ihnen zu liefernde Pumpe an und bewässere Ihnen mit ebenfalls vom Kloster zu stellenden Schläuchen und Bewässerungsanschlüssen Ihren Klostergarten zu jeder Jahres- und Tageszeit!“ „Das ist ein Wort“, rief er fast begeistert. „Gestatten Sie, ich bin Pater Plazidus, Gartenmeister des Klosters, und ich suche schon seit langem nach einem kompetenten Fachmann, der mir eine Bewässerungsanlage in unserem Garten bauen kann. Ich werde Ihnen die benötigten Utensilien besorgen. Dann können Sie morgen mit dem Bau der Anlage beginnen. Ich werde Ihnen selbstverständlich zur Hand gehen.“
Damit hatte ich bereits meine zweite Aufgabe gefunden und die Muße und Beschaulichkeit, die ich mir erträumt hatte, hatte sich in Luft aufgelöst. Allerdings fühlte ich mich beiden Aufgaben, dem Post- und dem Gartendienst, gewachsen und hoffte somit ein brauchbares, nützliches Klostermitglied für die Zeit meines Aufenthaltes sein zu können.