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Die Offenbarung der geschäftlichen Schieflage der Unternehmen des Fürsten
ОглавлениеHeute war die zweite therapeutische Sitzung mit Dr. Schayani. Anders als beim ersten Mal kam sie heute im Dirndl und brachte statt der zwei Katzen drei Jagdhunde mit. Obwohl ich wusste, dass ich auch diesen halben Tierpark in meinem Salon dulden würde, fragte ich sie, ob sie das nächste Mal mit vier Pferden zu erscheinen geruhe.
Sie aber entgegnete: „Ich werde doch keine Eulen nach Athen tragen! Wie ich weiß, sind in den Ställen Ihres Stammschlosses immer noch einige Rassepferde, sogar ehemalige Derbysieger zu finden. Es wäre ein wunderbarer Fortschritt Ihrer Gesundung, wenn wir in einiger Zukunft unser therapeutisches tête à tête auf dem Rücken der Pferde verbringen könnten!“
„Das wird wohl bis zum St. Nimmerleinstag dauern“, erwiderte ich, „denn im Verlauf der letzten Woche sind meine Herzbeschwerden eher schlimmer als besser geworden. Jedenfalls traue ich mir in meinem jetzigen Zustand nicht zu, überhaupt in den Sattel zu kommen, geschweige ein Pferd zu zügeln.“ „Das ist aber bedauerlich“, klagte sie voll Mitgefühl, „dann wird es Ihnen auch nicht möglich sein, einige Schritte mit mir in Ihrem ausgedehnten Schlosspark zu machen. Ich habe deswegen die Hunde mitgebracht, damit sie sich bei einem Spaziergang in einer natürlichen Umgebung etwas austoben könnten und wir sie bei unserem therapeutischen Gespräch beobachten und ihre Kapriolen uns erheitern könnten.“
„Trinken wir zunächst mal einen belebenden Schluck Kaffee und warten wir ab, wie ich mich dann fühle“, erklärte ich. „Für einen romantischen Spaziergang mit Ihnen bin ich bereit, fast jedes Risiko einzugehen!“ „Keine erotischen Anspielungen, wenn ich bitten darf!“, warf sie ein, „Meine eifersüchtigen Hunde werden jede Annäherung argwöhnisch beobachten und durch vehementes Eingreifen rechtzeitig zu verhindern wissen. Aber wodurch haben sich Ihre Herzgeschichten denn verschlimmert?“
„Das kann ich Ihnen genau sagen, aber setzen wir uns erst an den Kaffeetisch“, antwortete ich, „und entlassen wir die Hunde unter Aufsicht meines treuen Hubertus in den Schlosspark.“ „Keinen Einwand“, bemerkte sie, und so schellte ich nach Hubertus, der die Hunde an die Leine nahm und mit ihnen, wie ich wusste, seinen Spaß im Schlosspark haben würde.
Wir genossen also den frisch aufgeschütteten Kaffee und frisch gebackenen Streuselkuchen, den die Enkelin von Trine Jepsen mit viel Liebe und Fertigkeit für uns gebacken hatte, und ich erzählte Frau Schayani die Ereignisse der letzten Woche: „Ihr Besuch hatte mich gestärkt und ich wollte das Meine dazu beitragen, dass die Therapie Erfolg hätte und sich auch meine wirtschaftlichen Verhältnisse stabilisierten. Hubertus hatte mir geraten, durch Arbeit wieder ‚Sinn und Ordnung in mein verwurschteltes Leben’ zu bringen und mein halb bankrottes Unternehmen wieder ‚rentabel zu machen’. Also habe ich versucht seinem Rat zu folgen und meine Manager bestellt, um mir von ihnen Bericht über die wirtschaftliche Lage erstatten zu lassen. Natürlich bat ich sie auch, die Bilanzen der letzten Jahre ihrer Geschäftstätigkeit mitzubringen und mir vorzulegen.
Es wurde eine grauenvolle Zusammenkunft. Ich hatte aus Respekt vor dem Akademikertum, dessen Segnungen ich nicht genossen habe, und vor den Höhenflügen der Wissenschaften schon vor Jahren meinen alten, lang gedienten Prokuristen entlassen, der genau wie ich nur eine Banklehre durchlaufen hatte und der sich allein auf die Kerngeschäfte unseres Unternehmens, also Holzwirtschaft und Immobilienverwaltung konzentriert hatte (und in diesen Bereichen auch ziemlich ausgeglichene Bilanzen mit kleinen Überschüssen vorweisen konnte. Diese Überschüsse konnten die Verluste durch mein aufwendiges Leben zwar nicht decken, aber sie verhinderten, dass die Banken misstrauisch wurden und ihre Kredite bremsten und sie ermöglichten, dass meine Angestellten zuverlässig ihre Löhne ausgezahlt bekamen und letztlich die Verluste nicht bodenlos in den Keller rutschten) und hatte drei frisch mit summa cum laude promovierte Wirtschaftsakademiker, die mir einen Riesenaufschwung meiner Unternehmungen, mit ebenso Riesengewinnen in Aussicht stellten, an seine Stelle gesetzt.“
Meine Stimme war allein bei dieser relativ harmlosen Einleitung meines Berichtes bereits schrill und hektisch geworden und ich verhedderte mich in meinem Satzbau, wie es die obige Niederschrift beweist. Mein Herz schlug heftiger und die Spuren meiner Aufregung zeigten sich mit roten Flecken auf meiner Gesichtshaut!
Frau Schayani, die mir am Tisch gegenübersaß und mich die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen hatte, bemerkte die Veränderung. „Keine Aufregung!“, befahl sie, „ich werde Ihren Bericht fortsetzen, denn ich habe mich, wie bei jedem meiner Patienten, über alle Ihre Lebensumstände, soweit sie in öffentlichen Medien, in Zeitschriften und Büchern zugänglich sind, informiert. Und ich habe genau wie Sie die Darstellung Ihrer wirtschaftlichen Situation in der ‚Geldwirtschaftswoche’ gelesen.“
Sie machte eine Pause, stand auf, kam zu mir, fasste mich am Arm, zog mich behutsam hoch und sagte: „Beginnen wir doch zunächst unsere therapeutische Sitzung auf die traditionelle Weise, also auf der Couch. Wenn Sie sich wieder beruhigt haben, so können wir vielleicht doch noch einen kleinen Spaziergang in Ihrem Park machen. Aber zuerst schließen Sie mal die Augen und atmen tief durch und nehmen eine Kapsel Nitroglyzerin.“
Nachdem ich dies getan hatte, geleitete sie mich zur Couch, legte mir wieder das zusammengerollte Kissen unter den Nacken, setzte sich auf einen Stuhl neben mich, hielt mir die Hand und wartete ab, bis ich mich beruhigt hatte. Darauf ahmte sie meine Sprechweise sehr dezent nach, übernahm damit praktisch meine Erzählerrolle und berichtete mir also, was ich schon wusste, was aber noch einmal zur Sprache gebracht werden musste, ohne dass ich mich dabei aufregte.
„Ich habe vergessen, Ihnen zu sagen, dass ich den Artikel in der ‚Geldwirtschaftswoche’ vor dieser Zusammenkunft mit meinen Managern gelesen hatte und dass mir bei dieser Lektüre fast das Herz stehen geblieben wäre. Denn in diesem Artikel zeigte sich der anonyme Verfasser bis in die kleinsten Verästelungen meines Unternehmens aufs Genaueste informiert und wusste auch über alle Bilanzen, Bankkredite und Flops meiner Geschäfte bis auf drei Stellen hinter dem Komma Bescheid.
Kurz: die Misere meiner wirtschaftlichen Situation war jetzt eine öffentliche Angelegenheit und alle meine Gläubigerbanken konnten sich an drei Fingern ausrechnen, ob sie noch Chancen hatten, wenigstens einen Teil ihrer Kredite zurückzubekommen. Das Ergebnis ihrer Berechnungen konnte nur das Fazit sein, dass ein Großteil ihrer Gelder verloren war und dass sie alle Kredite sofort sperren mussten, um nicht noch weitere Verluste einzufahren.
Das war die eine Hiobsbotschaft; aber es gab noch eine zweite Furchtbarkeit, die diesem Artikel zu entnehmen war. In unserem Unternehmen musste es einen Verräter geben, der die ‚Geldwirtschaftswoche’ mit allen diesen Informationen und Fotokopien, die die geheimsten Interna betrafen, beliefert hatte. Da das Wissen um diese Interna auf einen kleinen Kreis, also auf meine drei Manager begrenzt war, mussten einer oder zwei oder vielleicht alle drei diese Informationen der ‚Geldwirtschaftswoche’ zugespielt haben. Ich fühlte mich ruiniert, bloßgestellt und von allen verraten und betrogen.“
Bei dieser Darstellung der Professorin, die ganz exakt die Sachverhalte widerspiegelte, konnte ich mich tatsächlich nicht aufregen, weil ich aus der Verwunderung über ihren Informationsstand und ihr Einfühlungsvermögen nicht herauskam. Ich fragte sie denn auch sogleich, woher sie diese intime Kenntnis der hiesigen Vorgänge habe. Darauf antwortete sie: „Die Enkelin von Hubertus ist meine Schülerin!“
Einen Augenblick dachte ich, also auch Hubertus habe mich verraten. Frau Schayani ahnte meinen Gedanken. „Hubertus hat Sie nicht verraten“, sagte sie mit großer Entschiedenheit. „Seine Enkelin war zu dem Zeitpunkt der Zusammenkunft mit Ihrem Management unter dem Dienst tuenden Personal. Sie erinnern sich, dass Sie die Arbeitssitzung mit einem Essen verbunden hatten, und die Bedienung bekam natürlich die Hauptereignisse dieser historischen Sitzung mit. Es fühlte sich auch durch Ihre mehrfache, nicht gerade leise vorgetragene bittere Feststellung: ‚Meine Herren, wir sind bankrott und Sie haben sich die größten Verdienste darum erworben!’ persönlich betroffen, sahen ihre baldige Entlassung vor sich und mussten das Wissen um diese neue Situation und ihre Angst vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes miteinander teilen, wodurch natürlich auch Lisa von diesen Verhältnissen ‚Wind’ bekam. Den weiteren Informationsweg können Sie sich denken.“
„Sie wissen also auch den weiteren Verlauf der Ereignisse.“ „O, ja!“, antwortete sie. „Und ich muss Ihnen das Kompliment machen, dass Sie sich in dieser Situation wie ein äußerst fähiger und verantwortlicher Unternehmensführer verhalten haben und sehr wahrscheinlich Ihren Kernbesitz und ihre Kreditwürdigkeit gerettet haben.“
Bei diesen Worten nahm ich zum ersten Mal an diesem Tag ihren Busen wahr und sah, dass sie keinen Büstenhalter trug und die rosige Herrlichkeit fast bis zu den Brustwarzen in wonniger Fülle enthüllt war. „Noch sind die Experten der Banken mit der Registrierung und Schätzung meiner ‚Mobilien’ beschäftigt, doch die ersten vorsichtigen Signale gehen in die Richtung ‚Gegenwerte für Schulden vorhanden’ und ‚baldige Aussicht auf weitere Kredite’ und vor allem, bei den bevorstehenden Veräußerungen von Vermögenswerten müssen meine Liegenschaften, meine Immobilien nicht angetastet werden, informierte ich sie.“ „Ist das nicht eine erfreuliche, eine sehr erfreuliche Nachricht, die geeignet sein kann, auch Ihre Gesundheit zu fördern?“, bemerkte sie hierauf.
„Na ja,“ entgegnete ich, „die Geschichte geht mir schon an die Nieren und ich muss mich von Sachen trennen, die mir nicht nur teuer, sondern auch lieb geworden sind: meine Yacht ist weg, meine Oldtimer sind weg, meine Gemäldesammlung ist weg, unser Tafelsilber geht flöten, der ganze alte liebenswerte Tand, der sich wie in einem Antiquitätenmuseum bei meinen Vorfahren angesammelt hatte: eine silberne Tabakdose von Friedrich dem Großen, ein vergoldeter Samowar von Zar Alexander II., ein Tafelservice von der Königin Maria Theresia, eine Lampe im Empire-Stil von Kaiser Napoleon III.
Alle Geschenke, die meine Vorfahren für irgendwelche Dienste, die sie diesen Potentaten erwiesen haben, bekommen hatten und um die sich unglaubliche Anekdoten und wahre Familiengeschichten ranken, sind unwiederbringlich verloren. Und damit ist auch der schützende Kokon der Familiensaga verschwunden; und wir stehen nackt und platt und gewöhnlich wie diese smarten, cleveren, oberflächlichen neureichen Yuppies und Adepten des Neuen Marktes, die sich diese Raritäten als Trophäen ihres wirtschaftlichen Aufstiegs unter den Nagel reißen werden, auf dem Präsentierteller der aktuellen Banalitäten.
Hat ein Leben ohne die Aura von individueller Schicksalhaftigkeit, von familiärer und nationaler Identität, von Verwurzelung in Traditionen und kulturellen Entwicklungsphasen überhaupt noch einen höheren Wert, eine Bedeutung, die über das rein animalische Überleben und die Ansammlung von auswechselbarem materiellen Besitz wie Geld oder Aktien, Reihenhaus oder Volksempfänger hinausgeht? Alles, was ich weggebe, weggeben muss, sind unwiederholbare Einzelstücke. Sie haben ihre eigene Geschichte, ihr individuelles Schicksal und landen jetzt als materielle Sicherheiten, als austauschbare Vermögenswerte in irgendeinem Safe neben abgegriffenen Dollars und vergilbten Aktienbündeln.“
Die Professorin ging nicht auf meinen philosophischen Sermon ein, sondern betrachtete mich skeptisch. „Wovon wollen Sie mich mit diesem philosophischen Exkurs ablenken?“, fragte sie. „Sind Sie schon wieder unsolide gewesen und haben zu tief ins Glas geguckt?“ „Wie anders sollte ich den ganzen Ärger hinunterspülen?“, fragte ich dagegen und ich begann wieder, mich aufzuregen. „Das Schlimmste habe ich noch gar nicht gesagt. Meine drei Manager, die ich fristlos entlassen habe, weil aus allen drei Ressorts Dokumente in der ‚Geldwirtschaftswoche’ erschienen waren, haben mein Schloss als Multimillionäre verlassen, obwohl sie als Habenichtse gekommen waren.
Sie haben auf meine Kosten ihre Geschäfte gemacht und auf so raffinierte Weise, dass ich sie juristisch nicht einmal belangen kann. Der eine hat mit meinem Namen, an den er noch ein ‚first’ angehängt hatte, für andere Betriebe Werbung betrieben. Er hatte mir das Geschäft als einträglich schmackhaft gemacht, so dass ich ihm noch mein schriftliches Einverständnis dazu gegeben habe. Ich dachte, die Verdienste der Firma gingen in meine Tasche; stattdessen hatte er die Firma als seine eigene ins Handelsregister eintragen lassen und hat damit Millionen gemacht.
Der Andere hat ebenfalls eine eigene Firma gegründet, um meine Immobilien zu verwalten. Er hatte mir weisgemacht, das komme mich billiger als meine eigene Verwaltung. Er hat es dann als Immobilienverwalter des Fürsten nicht schwer gehabt, noch weitere Hausverwaltungen an sich zu ziehen. Er hat seine Firma mit Zahlungen aus meinem Vermögen reich gemacht und auch die anderen Hausgemeinschaften, deren Angelegenheiten er in meinen Diensten geregelt hat, haben kräftig zahlen müssen. Als er merkte, dass die Enkelin von Hubertus, die ein Praktikum in seiner Abteilung absolviert hat, ihm auf die Schliche zu kommen schien, hat er die Firma mit Millionengewinn verkauft, und ich muss jetzt sehen, wie ich bei der neuen Firma aus meinen Verträgen komme.
Der Dritte im Bunde schließlich hat alle Vorgänge über meine Privatbank finanziert und bei jedem Geschäftsabschluss sich selbst eine Prämie von 10 Prozent genehmigt, was nach den Regeln meiner Bank auch nicht rechtswidrig war, und hat auf diese Art und Weise auch ein Millionenvermögen gemacht. Meine Bank allerdings ist de facto bankrott und ich stehe schon in Verkaufsverhandlungen mit einem großen Versicherungskonzern, der meinen Kundenstamm und mein Netz von Niederlassungen übernehmen will. Allerdings muss ich vorher noch mit meinen Geldern die schiefen Bilanzen begradigen, die Gott sei Dank nicht allzu ‚schief’ sind.
Im Übrigen habe ich meinen uralten Prokuristen, Herrn Straub, wieder in seine Position eingesetzt, und er war tatsächlich so freundlich, mir den Gefallen zu tun und sich um die Abwicklung dieser Angelegenheiten zu kümmern. Danach will er sich wieder nur um unser Kerngeschäft kümmern, Holzwirtschaft und Immobilien, und versuchen, wie früher wieder kleine Überschüsse zu erwirtschaften, so dass wir den Kernbestand unserer alten Angestellten weiter beschäftigen können, aber das Gros der von den neuen Managern eingestellten Leute entlassen müssen.“
Frau Professor hatte mir aufmerksam zugehört und hatte nur darauf geachtet, dass ich mich nicht zu sehr aufregte, indem sie mir ab und zu eine Tasse Kamillentee reichte, den meine Köchin, die Enkelin von Trine Jepsen, zusätzlich zum Kaffee aufgeschüttet und auf den Tisch gestellt hatte.
Sie unterließ denn auch jede weitere Bemerkung wie die, dass ich mein Unglück selber schuld sei und dass man sich als Besitzer eines so großen Unternehmens, wie es das meinige sei, selber um die Geschäftsführung kümmern müsse oder zumindest nur Leute mit Führungsaufgaben betraue, deren Loyalität und Kompetenz man geprüft habe. Sie ging auch nicht auf meine philosophischen Bemerkungen ein, sondern forderte mich auf, mit ihr noch einige Schritte in den Park zu machen, um mich von den Strapazen der vorausgehenden Woche zu erholen und mich an der schönen Natur zu erfreuen, deren Anblick und Besitz mir durch mein geschicktes Verhalten nunmehr auch in Zukunft gesichert sei.
Die beruhigende, wohltuende Zuwendung der Frau Professor, auch die Unterlassung weiterer Fragen und therapeutischer Gespräche hatten mich gestärkt und so wagte ich an ihrem Arm den Gang in den Park. Wir trafen dort auch bald Hubertus mit einer weiteren Enkelin und den drei Hunden. Der Opa und seine Enkelin spielten mit den Hunden an dem Kanal, der den Park in zwei Teile teilt und schließlich in mehreren rechteckigen Wasserbecken, in die sein Wasser unterirdisch geleitet wird, sein Ende findet. Hubertus und die etwa 13 Jahre alte Enkelin standen sich an beiden Seiten des Kanals gegenüber und warfen sich hölzerne Attrappen von jagdbaren Vögeln zu, die häufig ihr Ziel verfehlten und dann von den drei Jagdhunden apportiert wurden.
Dabei fiel mir sehr angenehm auf, wie anmutig und zugleich energisch die kleine Birgitta mit den Hunden umging, die sie eindeutig bevorzugten und ihr den Löwenanteil der gefassten hölzernen Vögel brachten. Ich erinnerte mich an Annette, meine dreizehnjährige Cousine, mit der zusammen ich die schönste Zeit meines Lebens verbracht hatte, und ich empfand tatsächlich ein Gefühl der Sehnsucht nach Annette, die mittlerweile mit einem österreichischen Adeligen und Politiker verheiratet ist und mehrere Kinder hat. Und diese Sehnsucht übertrug sich auf Birgitta, die ganz selbstvergessen und dabei für mein Casanova-Auge doch bereits sehr reizvoll und kokett mit den Hunden herumtollte.
Ich wandte mich an meine ebenfalls in den schönen Anblick versunkene Begleiterin und bemerkte: „So jung, so frisch, so unbefangen, so unbelastet von allen Problemen und Beschwerden des Alters möchte ich auch noch einmal sein. Schauen Sie sich nur die Geschmeidigkeit, die Kraft der Bewegungen an und wie die Atemlosigkeit des Spiels dieses junge Gesicht beseelt und vor Glück und Lebensfreude erstrahlen lässt!
Auch meine junge Mutter hatte in den Jahren meiner frühen Kindheit diesen Ausdruck ungebrochener Lebensfreude, wenn sie mit unseren Hunden spielte; und als ich größer wurde, habe ich sie deswegen abgöttisch geliebt, ohne dass sie aber diese Liebe erwidert hätte. Die Hunde waren ihr wichtiger.
Als sie meinen Vater und mich dann in meinem vierzehnten Lebensjahr verlassen hatte, suchte ich mir einen Ersatz in meiner dreizehnjährigen Cousine Annette. Und dieses Mal fand ich Gegenliebe und war zum ersten und einzigen Mal in meinem Leben richtig glücklich. Natürlich konnten wir unsere Liebe in den damaligen gesellschaftlichen Verhältnissen nicht öffentlich leben, sondern mussten sie geheim halten. Und an eine spätere Heirat war bei dem engen Grad unserer Verwandtschaft auch nicht zu denken, so dass wir uns, nachdem Annette das Internat verlassen hatte, trennen mussten. Aber das Glück, einmal mit ganzer Seele geliebt zu haben und wiedergeliebt worden zu sein, verlässt einen ein ganzes Leben nicht mehr.
Ich habe dann immer, wenn ich Lust auf ein Mädchen hatte, mir eines gesucht, das so aussah wie Annette. Ich war auf diesen Typ geprägt. Und wenn Sie sich die ziemlich umfangreiche Schar meiner Geliebten anschauen, dann werden Sie feststellen, dass sie alle dem gleichen Typ angehörten, dem Typ Annette. Und ich glaube, wenn es mir gelingt, doch wieder etwas gesünder zu werden und ich sogar in die Lage kommen sollte, meine dynastische Pflicht zu erfüllen und einen oder mehrere Stammhalter zu zeugen, so wird es bestimmt mit einem Frauentyp sein, der das Aussehen und das Wesen von Annette hat.“
Die Professorin sah mich darauf etwas enttäuscht an und dachte wahrscheinlich, dass sie es heute vergeblich versäumt habe, ihren Büstenhalter anzulegen. Vielleicht hatte sie auch den Gedanken, dass es von mir ziemlich pervers sei, als alter „Säckel“ noch ein begehrliches Auge auf solche Kinder wie Birgitta zu werfen.
Mir war ihre leise Verstimmung, die sich jetzt auch körperlich bemerkbar machte, indem sie mir den Arm entzog, aber nicht recht und so fügte ich schnell hinzu, dass es nur eine Ausnahme von Frauentypen gebe, die mich genau so erregten wie die Annette-Typen, das seien schielende Frauen mit einer großen Oberweite.
Mit dieser Bemerkung hatte ich aber einen neuralgischen Punkt getroffen. Denn Frau Schayani spuckte Gift und Galle und dieses umso mehr, als ich mich gar nicht darüber aufregte, sondern mich darüber amüsierte. Ich sei ja ein ganz perverser Liebhaber, der sich ausnahmslos für unreife Kinder interessiere und den nur abnorme körperliche Auffälligkeiten sexuell erregen könnten.
Diese meine Vorlieben seien in höchstem Maße nicht nur gemeingefährlich, sondern auch dekadent. Daran könne man deutlich bemerken, dass unser Geschlecht sich überlebt habe und keine positiven Gene mehr zu dem Fortleben der Menschheit beisteuern könne. Wenn ich auch nur noch einmal eine ähnliche Anspielung auf ihre körperlichen Auffälligkeiten mache, so schmeiße sie die ‚Brocken’ hin und überlasse mich meinem Schicksal. Die Behandlung könne ja dann ein Annette-Typ übernehmen.
Ich bemerkte sehr wohl, dass diese Wut nur gespielt war, und versuchte ihr wahres Ego durch weitere Provokationen hervorzukitzeln. So sagte ich ihr, dass es bei vielen Zigeunerstämmen zur Gepflogenheit gehöre, dass bereits dreizehnjährige Mädchen durch Streicheln ihrer erogenen Zonen in Zustände des Verlangens und der Empfänglichkeit versetzt würden, so dass sie bereit seien, sich mit dem Clanchef zu paaren, und dass aus solchen Verbindungen immerhin so gesunde Kinder entstünden, dass diese Zigeunerstämme ihr Überleben trotz vieler Verfolgungen und oft armseliger Verhältnisse bis heute gesichert hätten.
Die Professorin fragte mich: „Ist Birgitta eine Zigeunerin? Diese Ururenkel Indiens haben ganz andere Reifezeiten und manchmal auch Verfallszeiten als unsere europäischen Mädchen; und daher ist es ein großer Unterschied, ob ein solches Mädchen in den Fortpflanzungsprozess eingespannt wird oder ein europäisches Mädchen. Im Übrigen halte ich es auch dort für zu frühzeitig.“
Mich stach aber in einem kurzfristigen Zustand körperlichen Wohlbehagens der Hafer und ich prahlte damit, wie ich Annette im Alter von dreizehn Jahren bei einem Gottesdienst unserer Internatsgemeinde, bei dem wir zwei als Mitglieder des Kirchenchors beteiligt waren, in der Sakristei verführt hatte und wie sich für Annette keinerlei Nachteile hieraus und aus unserem weiteren intensiven Geschlechtsleben ergeben hätten. Im Gegenteil, Annette führe eine sehr glückliche Ehe und sei als gute Mutter bekannt.
„Sucht sie denn noch den Kontakt zu Ihnen?“, fragte mich Frau Doktor. „Nein, seit Jahren nicht mehr. Seit ihrer Heirat ist sie wie verwandelt, blockt alle Kontaktversuche meinerseits ab und wirft mir bei gelegentlichen Telefongesprächen Egoismus, Verantwortungslosigkeit und eine schonungslose Härte vor, Worte, die in ihrem damaligen Wortschatz mir gegenüber tabu waren.“
„Nun, so wird sich ihre Beurteilung der damaligen Affäre geändert haben und werden sich gewisse Nachwehen zeigen wie vielleicht Schlaflosigkeit, Kommunikationsschwierigkeiten oder depressive Schübe, die sie auf irgendeine Weise mit dieser Affäre in Verbindung bringt.“
Ich war verblüfft. Denn es war tatsächlich so, wie Frau Schayani vermutet hatte. Annette litt unter all diesen Symptomen. Und sie hatte auch mehrfach am Telefon geäußert, dass ich sie in eine Partnerbeziehung manövriert hätte, die die Einbeziehung von Kindern ausgeschlossen habe. Und sie sei mit dieser Einstellung in ihre Ehe gegangen. Und das negative Ergebnis dieser Prägung ihrer Partnerschaftsbeziehung sei die verunglückte Erziehung ihres ältesten, hoch begabten Sohnes gewesen, der keine Ausbildung zu Ende gemacht habe und sich mit Gelegenheitsarbeiten sehr zu seinem Frust durchschlagen müsse. Er sei auch nicht zu einer dauerhaften Bindung an eine Frau fähig und verplempere seine Zeit mit wechselnden Beziehungen zu Frauen unter seinem Niveau, weil Mädchen aus gutem Hause mit so einem „unsicheren Kantonisten“ nichts zu tun haben wollten.
Erst zu ihrem zweiten Kind habe sie die richtige Einstellung gefunden, aber sie habe sich vorher in psychiatrische Behandlung begeben müssen und einen beständigen Kampf mit sich selbst führen müssen, um in die libidinöse Art von Mutterbeziehung nicht wieder zurückzufallen, die sie durch den Umgang mit mir verinnerlicht gehabt habe.
„Sehen Sie“, sagte darauf Frau Schayani, „alle Lebensvorgänge haben ihre Zeit. Und es ist ein Merkmal unseres perversen Zeitalters, dass keine Reifezeiten mehr respektiert werden und Kinder in sexuelle, berufliche und kriegerische Handlungen verwickelt werden, denen sie seelisch und auch körperlich noch gar nicht gewachsen sind und die sie vorzeitig körperlich und seelisch kaputt machen. Auch wenn sich das erst einige Jahre später zeigen sollte.“
Mir ging es mittlerweile wieder schlechter und ich hatte den üblichen Druck in der Brust, was meine Bereitschaft sehr förderte, der Frau Professor Recht zu geben und auch mein Verhalten in der Kindheit als ein Fehlverhalten zu analysieren, das durch ungeordnete und unangemessene Verhältnisse in der eigenen Familie verursacht worden war.
„So kann man es zurechtrücken. Sie arbeiten bereits mehr an Ihrer seelischen Gesundung, als Ihnen selbst bewusst ist. Also mache ich Sie hiermit darauf aufmerksam. Und diese Korrektur Ihrer sexuellen Orientierung wird es Ihnen auch versagen, der kleinen Birgitta weiterhin schöne Augen zu machen, sondern sie freundlich als ein Kind anzusprechen und sie die Anziehung, die sie auf Sie ausübt, nicht spüren zu lassen.“
„Das ist natürlich ein für mich ungewöhnliches Verhalten, das Sie da von mir verlangen, aber ich verstehe schon, dass ich ihr keine Komplimente über ihre schönen Augen, Zähne und Haare machen darf, sondern sie nach ihrer Zufriedenheit mit der Schule und ihrer Lieblingspuppe befragen sollte“, antwortete ich hierauf. „So ist es, Sie lernen schnell!“, lobte mich meine von mir in Gedanken so genannte „Gouvernante“. Und ich antwortete: „Was bleibt mir auch anders übrig, wenn man nur noch so wenig Zeit hat, um auf dieser Erde zu verweilen, wie ich! Aber Sie schmeicheln mir und tun so, als hätte ich Ihre Behandlung gar nicht nötig, weil ich mich selbst heilen und meine Irrtümer auch selbst einsehen und korrigieren könnte!
Dem ist aber nicht so, und es hat bisher zu meinen selbstverständlichen Gepflogenheiten gehört, mit geschlechtsreifen minderjährigen Mädchen Sex zu haben, wenn diese jungen Aphroditen es denn auch selber wollten. Ohne Ihre Hinweise, dass sich aus verfrühtem Sex eventuelle negative Spätfolgen ergeben könnten, wäre ich selber nie auf den Gedanken gekommen, dass ein körperlich geschlechtsreifes menschliches Weibchen unter Umständen noch nicht die seelische Reife und die Persönlichkeitsstruktur haben könnte, um ohne Risiken eine sexuelle Partnerschaft einzugehen. Aber durch Ihre Reaktionen habe ich eingesehen, dass der Mensch sich vielleicht doch in der einen oder anderen Hinsicht vom Tier unterscheidet. Ich bemerke auch, dass die meisten Menschen dieses Kindersextabu kennen und beachten und dass die Minderheit, die es nicht tut, irgendwie nicht normal ist. Und ich frage mich, wie kommt man dazu, wie bin ich dazu gekommen, den Sex mit Kindern zu mögen?“
Meine Lehrerin antwortete darauf: „Vielleicht vermeiden wir doch den Kontakt mit Birgitta und ihrem Großvater, denn ich sehe, das feine Näschen des Kindes hat bereits Wind von Ihrer Vorliebe bekommen, sonst würde es sich nicht so kokett aufführen. Wir wollen bei ihm diese instinktive Ahnung als eine Fehlinformation darstellen, indem wir das Kind nicht beachten und grußlos unserer Wege gehen! Aber es kann schon eine Prägung auf Ihren Typ passiert sein und vielleicht erleben Sie es, dass dieses Mädchen einen Bürgerlichen oder Adligen heiratet, der genauso aussieht wie Sie. Vielleicht erwischt es sogar einen Ihrer unehelichen Söhne!“
„Aber wie kann das denn geschehen? Jetzt sehen Sie bestimmt Gespenster!“, wehrte ich mich gegen eine solche Unterstellung. „Das geschieht unter Umständen ganz schnell, wenn das Weibchen merkt, dass es ein sexuelles Interesse bei einem Männchen weckt. Und wenn das Männchen noch ein Aussehen und eine Aura hat, die seinen geheimen Sehnsüchten völlig entsprechen, so kann es in irgendeiner Region seines Unterbewusstseins oder gar Bewusstseins klick machen und der Typ ist als Prototyp ihrer Partnersuche gespeichert. Wenn dann das Pioniermodell nicht für es erreichbar ist, so wird es ein Nachbau sein. So ist nun mal des Weibchens Psyche strukturiert.“
„Sie machen mir Angst. Bei dieser Struktur kann man sich ja schuldig machen, wenn man ohne Tarnkappe bloß nach draußen geht!“, bemerkte ich. „So schlimm ist es auch wieder nicht mit dieser Prägung. Das menschliche Bewusstsein hat durchaus mehrere Speicherplätze, in denen auch mehrere Prototypen oder bestimmte prototypische Eigenschaften gespeichert werden können, auf deren Vorhandensein bei einem interessanten Kandidaten dann im Entscheidungsfall meistens unbewusst geachtet wird. Die ersten Prototypen sind für die geschlechtliche Partnerwahl übrigens der anders geschlechtliche Elternteil.“
Mir ging in diesem Zusammenhang ein Licht auf. „Dann ist nach Ihrer Meinung für mich auch meine Mutter mein libidinöser Prototyp gewesen. Und weil sie nach Aussehen und Wesen noch ein Kind war, rührt meine Vorliebe für minderjährige Mädchen daher?“, fragte ich. „Kann sein!“, antwortete Frau Schayani. „Aber so einfach ist die Sache nicht. Denn es gibt genug Männer, deren Mütter noch Kinder waren, als sie geboren wurden, und dennoch hatten diese Männer nicht das geringste Interesse an Sex mit minderjährigen Mädchen.
Bei Ihnen kommt noch ein wesentlicher Faktor dazu. Ihre Mutter hat Sie nicht hundertprozentig als ihr Wunschkind angenommen. Das geht aus Ihrer Schilderung bei der letzten Sitzung hervor. Sie waren ihr zu widerspenstig und lieber hätte sie auch ein Mädchen gehabt. Sie fühlten sich also von ihr ungeliebt. Sie wollten aber von ihr geliebt werden. Jedes Kind will von seiner Mutter geliebt werden. Und weil Sie nicht vorbehaltlos von ihr geliebt worden sind, so wollten Sie sich diese Liebe entweder ertrotzen oder mit irgendwelchen besonderen Leistungen verdienen oder sie mit erotischen Mitteln erobern. Vielleicht denken Sie einmal darüber nach, ob Sie sich an solche Verhaltensweisen aus Ihrer Kindheit und Jugend erinnern können?“
„Diese Analyse erscheint mir sehr plausibel“, antwortete ich, „mein trotziges Verhalten meinen Eltern gegenüber ist bereits erwiesen, aber auch meine Bemühungen, etwas Besonderes zu leisten, sind sehr zahlreich gewesen. Ich habe schon als Zehnjähriger mit meinen Pferden an Jagdrennen und Springturnieren teilgenommen und ich habe mich tollkühn über die Hindernisse geworfen, so dass ich zweimal aus dem Sattel geschleudert wurde und wie ein Vogel über das Hindernis flog, während mein Pferd auf der anderen Seite stehenblieb, dann aber gemächlich um das Hindernis herumging und sich einige Meter von mir entfernt aufstellte, während ich mich mühselig aufrappelte, zu ihm hinhumpelte, wieder aufsaß, zurückritt und das Hindernis beim zweiten Versuch gemeinsam mit meinem Pferd überwand. Meine tollkühne Reitweise war bald bekannt, und es kamen zu unseren ländlichen Turnieren nicht wenige Zuschauer, nur um mich zu sehen.
Ich ritt aber nur für meine Mutter, die es aber meistens vorzog, zu Hause zu bleiben und mit ihren Hunden und Puppen zu spielen. Immerhin nahm sie es mit einem gewissen Stolz zur Kenntnis, wenn ich ein Rennen gewann und in der lokalen Presse bereits als der neue Alexander gefeiert wurde, der ja auch mit seinem Pferd Bucephalos reiterische und militärische Großtaten vollbracht hat. Es waren übrigens nicht wenige Siege, die ich als kindlicher Jockey nach Hause ritt. Dabei profitierte ich ebenso sehr von meinem Mut wie auch von meinen guten Pferden und meinem geringen Gewicht. Trotz meiner Erfolge und meiner zunehmenden lokalen Bekanntheit konnte ich meine Mutter nicht als meinen Fan gewinnen, und so versandete mein Interesse an diesem Sport, als ich in das Internat kam und mich dort mit gelegentlichen Ausritten und den bekannten Kutschfahrten begnügte.
Einen verzweifelten Versuch wollte ich aber dennoch machen, um die Bewunderung und Angst meiner Mutter zu erregen. Ich kündigte an, mit meinem Pferd von der Neckarbrücke in Heidelberg in den Fluss zu springen. Mein Vater machte zwar einen lahmen Versuch, mich davon abzuhalten, aber meine Mutter äußerte sich gar nicht zu dieser selbstmörderischen Heldentat. Wahrscheinlich war ihr das Risiko, das ich damit in Kauf nahm, nicht im Geringsten bewusst, und auch mein alternder und unsportlicher Vater konnte sich kein klares Urteil über das Risiko dieses Vorhabens bilden. Immerhin hörte er auf die Ratschläge seiner urteilsfähigeren Freunde und riet mir von dem Unternehmen ab. Aber auch er ergriff keine Maßnahme, indem er den Pferdestall abgeschlossen hätte, um mich von meinem Vorhaben abzubringen.
Also machte ich meine Ankündigung wahr und sprang vor Tausenden von Zuschauern, die die Gelegenheit wahrnahmen, auf das Gelingen oder Scheitern des Unternehmens Wetten abzuschließen, von der Brücke und kam selber unverletzt und auch mit unverletztem Pferd wieder an Land.
Es wurde übrigens von jetzt an eine Struktur meines Handelns, übertriebene Risiken in Kauf zu nehmen und mit fortschreitenden Jahren auf Jahrmärkten und Messeveranstaltungen in unseren Landkreisen gegen körperlich weit überlegene Seeleute und Maurer zu boxen und nicht wenige von ihnen dank meiner Schnelligkeit und daraus folgenden Schnellkraft auf die Bretter zu befördern, deren Härte ich allerdings durch die überlegene Strategie und Technik einiger inkognito auftretenden Boxsportler ebenso schmerzlich zu spüren bekam wie sie.
Durch diese Verhaltensweisen wurde ich zu einem Lieblingsobjekt der Skandalmedien, so dass auch meine Mutter im fernen Frankreich dauernd über meine Eskapaden auf dem Laufenden blieb. Glauben Sie, dass ich die nach meinen Begriffen fahnenflüchtige Mutter mit meinen Aktionen erreichen wollte, sie gleichsam zurückerobern wollte?“ „Das kann gut sein. Wenn ich richtig über Ihr Leben informiert bin, so war die erste mehrjährige Geliebte in Ihrer Sammlung eine Frau, eine Witwe im Alter Ihrer Mutter!“
„Sie meinen Christina von Schmedeshusen?“ „Richtig, so war ihr Name.“ „Ja, ihre Vermutung ist richtig.“ „Ich hatte sie kennen gelernt, weil eine ihrer minderjährigen Töchter ebenfalls unser Internat besuchte und ich eigentlich diese Tochter als Nachfolgerin von Annette ausersehen hatte. Ich besuchte mit dieser Tochter Christine auf ihrem Hof und blieb einige Wochen dort, um ihr dabei zu helfen, ihre wenig einträgliche Landwirtschaft in einen Reiterhof umzuwandeln. Die Tochter, die zwei Klassen unter mir war, musste nach einigen Tagen wieder ins Internat zurück, und somit gab es, wie sich bald zeigte, in der Person der Mutter für mich eine viel attraktivere Alternative zur Tochter.
Es entwickelte sich wirklich eine Beziehung, in der wir beide uns alle Freiheiten gaben, die aber in ihrer Grundsubstanz nie in Frage gestellt wurde. Es war eine vertrauensvolle solidarische Freundschaft. Wir konnten uns beide unsere Probleme in aller Offenheit mitteilen und fanden jedes Mal in dem jeweiligen Partner einen guten Ratgeber und engagierten Helfer. Das Sexuelle spielte gar nicht so eine große Rolle in dieser Beziehung. Es war wirklich so eine Beziehung, wie sie zwischen einer guten Mutter und ihrem Sohn der Normalfall sein sollte. Ich habe das damals gar nicht erkannt und dachte, diese Beziehung sei eine Art Fortsetzung der Ehe, die ich bisher mit Annette geführt hatte. Leider ist Christine wenige Jahre, nachdem ich sie kennen gelernt hatte, nach einem Reitunfall gestorben.“
„Haben Sie in dieser Zeit die Beziehung zu Ihrer Mutter abgebrochen?“, fragte mich hierauf Frau Schayani. „Ich habe die Beziehung zu meiner Mutter nie aufgegeben, eher schon meine Mutter. Ich habe ihr selbst in dieser Zeit glühende Liebesbriefe geschrieben und sie hat sogar hierauf reagiert und wurde erotisch durch diese Briefe berührt. Sie hat mir tatsächlich zwar gemäßigter, aber doch deutlich spürbar in derselben Art geantwortet. Ja, wir trafen uns nach dem Tod meines Vaters auf dem nunmehr in meinen Besitz übergegangenen Schlösschen meines Vaters. Sie war allein gekommen und sie zeigte sich mir tatsächlich eines Abends, als wir wieder die aus meiner Kinderzeit herrührende Aufteilung unserer Schlafzimmer übernahmen, nackt. Ich wurde durch diesen Anblick aber nicht sexuell erregt, sondern war eher peinlich berührt und traurig, weil ich mich auf der fürsorglichen Schiene, die Mutter und Sohn verbinden sollte, nicht mit ihr treffen konnte.
Ich bemühte mich, solange meine Mutter lebte, um ihre Solidarität, aber so sehr sie mir in materieller Hinsicht geholfen hat, indem sie zwar mit Murren, aber ohne Verzug meine Schulden bezahlte, so sehr hat sie mir ihren seelischen Beistand, ihre mütterliche Zärtlichkeit, ihre teilnahmsvolle Begleitung an meinem Leben versagt.“
„Ihre Mutter hat wahrscheinlich zeitlebens nicht begriffen, dass alle Ihre Aktionen, die auf sie gerichtet waren, nur einen Sinn hatten, von ihr als Kind angenommen zu werden. Damit müssen Sie wohl oder übel leben und sterben, aber offensichtlich hat Ihre Christine alle diese Funktionen übernommen und Sie können sich nicht darüber beklagen ohne Mutterliebe geblieben zu sein. Offensichtlich hat Ihnen Trine Jepsen ja auch in Ihren jüngeren Jahren die Mutter ersetzt, und somit sind Sie auch in dieser Hinsicht voll auf Ihre Kosten gekommen und haben keinen Grund, dem Leben, der Welt, den Müttern dafür böse zu sein, dass sie Ihren legitimen Ansprüchen nicht Genüge getan hätten. Wenn Sie das bis heute nicht begriffen haben, so ist es sehr wichtig, sich diesen Sachverhalt ab heute jederzeit klar zu machen, denn der heimliche Kummer darüber, von Ihrer Mutter nicht angenommen worden zu sein, hat Ihre Partnerbeziehungen verunstaltet.
Sie sind gleichsam von den Mutterbrüsten abgeschreckt worden und pflegen daher diesen Busenfetischismus, dem ich ja auch schon stattgegeben habe, und buhlen um die Zuneigung jeder Frau, der Sie begegnen, obwohl Sie ja nichts weiteres im Sinn haben, als von ihr wie ein geliebtes Kind angenommen zu werden. Daher kommt ja auch Ihre Unersättlichkeit in Beziehung zu dem anderen Geschlecht. Sie misstrauen jeder Frau, was die Unbedingtheit ihrer Liebe betrifft, und müssen weiter zur nächsten. Und auch von dieser fühlen Sie sich nicht hundertprozentig akzeptiert und bedingungslos geliebt, und so schwirren Sie schon wieder ab zu einer anderen. So geht es in einem unaufhörlichen Reigen weiter. Sie suchen nichts weiter als Liebe, aber Sie können nicht daran glauben, dass es wahre Liebe gibt, und so machen Sie es sich selbst unmöglich, eine echte Liebe zu erkennen, zu respektieren und sich ihr auszusetzen.
Natürlich fehlt Ihnen, da Sie es von Ihrer Mutter nicht gelernt haben, die Kenntnis der Signale, die eine positiv Liebende aussendet, die Kenntnis der Körpersprache der Liebe, da Sie diese im Umgang mit Ihrer Mutter in der Zeit, da das Verständnis dafür geprägt wird, nie erfahren haben. Und so kann es kommen, dass Sie erstens solche Signale gar nicht bemerken und zweitens, wenn Sie sie bemerken, sie vielleicht sogar als abstoßend, ablehnend verstehen. Ihr ganzer Begriff von Liebe ist verkorkst, ihre kommunikativen Fähigkeiten für die Sprache der Liebe sind nicht ausgebildet, das ganze Arsenal liebevoller Verhaltensweisen ist Ihnen unbekannt. Und daher leugnen Sie das Vorhandensein einer über das Sexuelle hinausgehenden Liebe, möchten diese aber dennoch erleben und können als Gegenleistung infolge Ihrer Liebesverkrüppelung nur Geld oder materielle Entschädigungen bieten.“
„Es ist nicht ganz so, wie Sie denken“, erwiderte ich. „Zu minderjährigen Mädchen kann ich durchaus eine Liebe entwickeln, die über das Sexuelle hinausgeht. Ich denke, dass mich Annette in dieser Hinsicht nicht unbelehrt gelassen hat. Ich habe diese Erfahrung aber auch mit anderen minderjährigen Mädchen gemacht.
Eines dieser Mädchen wäre auch meine große Liebe gewesen oder ist es eigentlich immer noch. Es hat mich übrigens verlassen, weil es eine große Pianistin werden wollte, und es ist auch eine große Pianistin geworden, eine der größten unserer Zeit. In diesem Falle habe ich mir tatsächlich eine sexuelle Beziehung versagt, obwohl diese Kindfrau sie unbedingt mit mir wollte. Vielleicht hat sie mich auch deswegen verlassen.“
In diesem Augenblick kam Birgitta mit zwei Sträußchen Wiesenblumen, die sie für uns gepflückt hatte. Sie reichte Frau Schayani einen und wollte mir den zweiten geben. Ich aber besann mich auf den Beginn unseres Gesprächs und bat Birgitta, auch den zweiten Strauß der Frau Professor zu schenken, da ich ja noch genug Blumen in meinem Park hätte und mir jederzeit einen Strauß pflücken könne, wohingegen die Frau Professor in der Stadt wohne, in dieser Wüste aus Beton und Stein und dort keine Gelegenheit habe, Wiesenblumen zu sehen, geschweige zu pflücken.
Birgitta tat, wie ihr gesagt worden war, und übergab auch die gut trainierten Hunde der Professorin, die mir noch einmal versicherte, dass der heutige Tag sie sehr hoffnungsfroh gestimmt habe, was meine Heilungschancen angehe, und dass sie sich schon auf das nächste Zusammentreffen in einer Woche freue.
Dann wolle sie aber die Geschichte von meiner großen Liebe in aller Ausführlichkeit erzählt haben. Bis dahin solle ich in meinen Erinnerungen kramen und - das setzte sie sehr bestimmt und auch ein wenig gefühlvoll hinzu -, ich solle mir stets bewusst sein, dass ich sehr geliebt worden sei und immer noch sehr, sehr geliebt werde; worauf Birgitta, die neben uns stehen geblieben war, über und über rot wurde und dann ganz schnell hinweg lief und ihren Großvater, der noch am Kanal stand, stürmisch umarmte und herzte.
Hierauf verabschiedete sich Frau Schayani mit einem sehr viel sagenden Blick, und ich ging nachdenklich ins Haus und gab mich meinen Erinnerungen an Carlotta hin.