Читать книгу In Erinnerung an dich - Jana Eckauer - Страница 3
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ОглавлениеCaitlyn saß auf dem Sofa und starrte vor sich hin. Ihre Augen waren auf unendlich gerichtet, fixierten keinen bestimmten Gegenstand, weil nichts ihr Interesse zu wecken vermochte. Der Fernseher, der vor ihr stand, war ausgeschaltet. Caitlyn konnte sich nicht dazu aufraffen, ihn anzumachen. Sie konnte sich zu nichts aufraffen, nicht einmal dazu, etwas zu essen. Es kam ihr vor, als hätte jemand all ihre Energie genommen, all ihre Freude und sie in der Dunkelheit zurückgelassen. Diese schien nun jede Zelle ihres Körpers zu beherrschen. Es war, als hätte jemand all das Licht genommen, das ihr jeden Tag den Weg geleuchtet hatte.
Das Telefon klingelte. Der schrille Ton wirkte störend in der Ruhe, die Caitlyn umgeben hatte. Sie wollte nicht herangehen, wollte nicht, dass jemand von dem Schmerz erfuhr, der sie heimgesucht hatte. Lieber wollte sie allein sein. Ihre Mailbox, die sie sich nicht hatte entschließen können, auszuschalten, nahm für Caitlyn den Anruf entgegen.
„Hallo Caitlyn. Hier ist Melissa. Ich versuche nun schon seit Tagen, dich zu erreichen, aber du gehst nie an Telefon. So langsam mache ich mir Sorgen. Ist alles in Ordnung bei dir? Bitte ruf mich doch zurück. Bis dann. Tschau.“
Ein Piepton verkündete das Ende der kurzen Nachricht und entließ Caitlyn wieder in die ihr vertraute Stille. Melissa war eine Freundin. Früher hatte Caitlyn öfter etwas zusammen mit ihr an ihren freien Wochenenden unternommen und Spaß mit ihr zusammen gehabt. Früher, das war vor jenem Ereignis vor ein paar Tagen, das ihr Leben in tausend Stücke hatte zerspringen lassen. Jetzt war es Caitlyn egal. Sie konnte sich nicht vorstellen, je wieder Spaß zu haben. Wenn sie in sich hineinhorchte, dann fiel es ihr sogar schwer, Mitleid mit ihrer Melissa zu haben, weil sie sich Sorgen machte. Es bedeutete ihr nichts mehr wie auch ihr Leben ihr nicht mehr zu bedeuten schien. Alles verschwamm in einem trüben Grau, wurde eingehüllt vom Nebel des Kummers, der sich schwer auf ihr Herz legte und daran zerrte. Wie sollte sie so weiterleben? Sie wusste es nicht und sie hatte keine Energie, um darüber nachzudenken. Draußen prasselte Regen gegen die Fensterscheiben, passend zu Caitlyns Stimmung. Während Caitlyn den Regen beobachtete, spürte sie, wie ihr selbst Tränen über die Wangen zu laufen begannen. Sie ließ sie einfach nach unten tropfen ohne sie wegzuwischen. Es hatte etwas Beruhigendes zuzusehen, wie die Tropfen auf die Oberfläche des Fensterglases fielen und daran herunterliefen. Früher hatte Caitlyn den Regen nie gemocht. Ihr war die Sonne viel lieber gewesen sowie den meisten Menschen. Doch nun war das anders. Im Regen schien sich das, was sie fühlte, widerzuspiegeln und das machte ihn für Caitlyn anziehend. Vielleicht gab der Regen ihr auch das Gefühl, als würde sie nicht allein um Amelia trauern, als wäre dort draußen die ganze Natur in Aufruhr, zusammen mit ihr selbst.
Schließlich putzte sich Caitlyn die Nase und schaute kurz zum Telefon. Es hatten sich viele Nachrichten angesammelt, der rote Knopf am Telefon blinkte, um Caitlyn das mitzuteilen. Aber sie ignorierte es weiterhin. Bisher hatte sie keine einzige der Nachrichten abgehört, einige davon hatte sie allerdings vernommen, weil sie neben dem Telefon gesessen hatte, als sie auf den Anrufbeantworter gesprochen worden waren. Sie konnte sich nicht vorstellen, mit jemandem zu sprechen, konnte sich nicht vorstellen, Worte herauszubringen in ihrer derzeitigen Verfassung oder sich gar darauf konzentrieren zu können, jemandem zuzuhören. All das schien ihr unmöglich. Ihr Hausarzt hatte sie für eine Woche krankgeschrieben. Bei ihm war sie gewesen. Auch wenn sie nur ein paar Sätze gesagt hatte, hatte dieser wohl sofort verstanden. Er musste es Caitlyn angesehen haben, dass es ihr schlecht ging. Vielleicht hatte etwas in ihrem Blick gelegen, dass ihren Kummer verraten hatte. Auf jeden Fall war sie froh, nun ihre Ruhe zu haben. Sie konnte sich überhaupt nicht vorstellen, wieder ihren Job anzutreten. Caitlyn arbeitete in einem Büro und musste sich bei ihrer Arbeit mit ihren Kollegen absprechen. Sie wollte sie jetzt nicht sehen, wollte niemanden sehen und mit niemandem sprechen. Sie hatte nicht die Kraft dafür und sie wollte nicht, dass sie jemand so niedergeschlagen sah, wie sie sich seit ein paar Tagen fühlte.
Nun war Caitlyn zum ersten Mal froh darüber, dass sie allein wohnte. Bis vor etwa einem Jahr noch hatte sie die Wohnung mit ihrem Freund geteilt. Er war ausgezogen, als sie sich getrennt hatten. Damals war es ihr schwer gefallen, allein zu sein und sie hatte ihn vermisst. Später dann, als der Liebeskummer abgeebbt war, war die Einsamkeit, die sie in ihrer Wohnung empfing, eher eine Notwenigkeit gewesen als etwas, das sie gern so haben wollte. Dennoch hatte Caitlyn sich ganz gut damit arrangiert, hatte Freundinnen zu sich nach Hause eingeladen oder sich mit einem guten Buch auf der Couch zurückgezogen, eine Tasse Tee, Kaffee oder Kakao vor sich stehend, aus der sie hin und wieder einen Schluck nahm, glücklich über einen entspannten besinnlichen Abend. Jetzt war Caitlyn alles andere als glücklich und die Leere ihrer Wohnung war ihr nur so willkommen, weil sie wie ein Spiegel der Leere war, die in ihrem Herzen herrschte. Wie eine Wohnung, in der es einen Brand gegeben hatte, der alle Gegenstände als Ruß und Asche zurück gelassen hatte, hatte es auch in Caitlyns Herzen gebrannt und die zerstörerischen Flammen, die darin gewütet hatten, hatten all ihre Hoffnung und ihr Glück verbrannt, ihre Zuversicht genommen und ihr Lachen. Ein Nachmittag hatte gereicht, um ihr Herz zu zerstören, es von innen auszuhöhlen. Würden die positiven Gefühle je dorthin zurückkehren können? Caitlyn konnte es sich nicht vorstellen.
Wieder traten ihr Tränen in die Augen und sie musste schluchzen. Leise erstickte Laute drangen aus ihrer Kehle und begleiteten den kleinen salzigen Wasserfall, der da aus ihren Augen rann. Sie musste sich mehrfach hintereinander die Nase putzen, während sie weinte. Ob ihr Nachbar ihre Schluchzer wohl hören konnte? Caitlyn wusste, dass die Wohnung sehr hellhörig war. Oft hörte sie, wenn der Nachbar Besuch hatte und sich mit diesem unterhielt und manchmal verstand sie von den Gesprächen sogar so gut wie jedes Wort. Sie hörte es immer, wenn der Fernseher oder das Radio in der Nachbarwohnung lief. Doch jetzt hörte sie nichts, außer ihrem eigenen Schluchzen. Vielleicht war nebenan ja niemand zu Hause. Sie hoffte es, denn sie kannte den Nachbarn gut und sie wollte nicht, dass er bei ihr klingelte und fragte, ob alles in Ordnung war. Wenn er es doch tun sollte, so war Caitlyn fest entschlossen, nicht aufzumachen. Sie würde niemandem in den nächsten Tagen die Tür aufmachen.
Ihr Magen knurrte, aber sie ignorierte ihn, füllte ihn lediglich mit ein paar Schlucken Mineralwasser aus dem Glas, das vor ihr auf dem kleinen Wohnzimmertisch stand. Dann starrte sie weiter in die Leere des Raumes. Sie hatte etwas Beruhigendes, brachte sie weg von ihren Tränen. Wenn Caitlyn versuchte, an gar nichts zu denken, dann konnte sie sich für einen Moment auch von dem Schmerz ablenken, der sie seit ein paar Tagen so quälte.
Einige Stunden saß Caitlyn wie erstarrt da und tat überhaupt nichts. Früher hätte sie das furchtbar langweilig gefunden. Jetzt war es ihre einzige Möglichkeit, die nächsten Stunden durchzustehen.
Draußen war der Regen vorbeigezogen und die Sonne kam zum Vorschein. Sie fiel durch das Fenster in Caitlyns Wohnzimmer, ein ungebetener Gast, den sie früher willkommen geheißen hätte. Sicher hätte sie sich früher sogar extra in die Sonne gesetzt. Nun stand Caitlyn auf, um die Gardinen vorzuziehen. Als sie vor dem Fenster stand, erblickte sie einen Vogel, der rasch davonflog. Eilig verdunkelte sie ihr Zimmer. Sie wollte doch niemanden hören und niemanden sehen.