Читать книгу In Erinnerung an dich - Jana Eckauer - Страница 4
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ОглавлениеAmelia war ein ganz besonderer Mensch gewesen. Sie hatte so viel Herzenswärme, die man spüren konnte, wenn man länger Zeit mit ihr verbrachte. Sie war stets höflich und zu jedem freundlich. Selbst unsympathischen Menschen, die sie nicht mochte, trat sich mit einem freundlichen Nicken oder Lächeln entgegen, bevor sie sich abwandte. Wenn man mit Amelia zusammen war, dann spürte man wie automatisch die positive Energie, die sie ausstrahlte. Das hatte zur Folge, dass jeder gern mit ihr zusammen sein wollte, sowohl Caitlyn als auch andere Leute.
Amelia hatte die glatten braunen Haare ihrer Mutter geerbt. Als Kind hatte sie ihre Haare immer sehr lang getragen, dann später abschneiden lassen, bis sie ihr gerade noch die Schultern bedeckten. Amelia hatte erzählt, dass sie sich mit kürzeren Haaren erwachsener fühlte. Das wollte sie sein und das war sie auch im Herzen: erwachsen und innerlich reif. Caityn mochte ihre Haare hingegen seither lieber etwas länger. Amelia und Caitlyn hatten beide in etwa dieselbe Haarfarbe, was ihrer Verbundenheit Ausdruck zu verleihen schien. Manchmal hielt man sie dadurch für Schwestern.
Amelia hatte dunkle Augen, deren Farbe irgendwo zwischen braun und dunkelgrün lag, eine seltene Mischung. Wenn sie sprach, trug sie stets ein Lächeln auf den Lippen, als wolle sie wie automatisch ihrem Gegenüber zu verstehen geben, dass sie ihm freundlich gesinnt war.
Auch wenn sie als Mädchen etwas Übergewicht gehabt hatte, war Amelia als Erwachsene schlank, aber nicht zu dünn. Sie hatte eine gute Figur. Sie konnte praktisch jede Hose und jedes T-shirt oder jeden Pullover tragen. Jede Kleidung schien optimal an ihr zu sitzen, unterstrich wie automatisch ihre natürliche Schönheit.
Egal ob Amelia Schminke trug oder früh am Morgen ungeschminkt nach dem Aufstehen und noch müde ins Badezimmer schlurfte, sie sah immer wunderschön aus. Caitlyn konnte sich nicht erinnern, Amelia einmal nicht als unattraktiv wahrgenommen zu haben und sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass es Menschen gab, die sie so gesehen hatten.
In ihrer Kindheit und Jugend war Amelia stets beliebt gewesen. Viele Mädchen warben um ihre Freundschaft, doch sie ließ die meisten nicht an sich heran. Nur drei Mädchen zählte Amelia als Kind zu ihrem engeren Freundeskreis und Caitlyn hatte damals das Glück, zu diesen auserwählen Freundinnen zu gehören. Später, als die anderen beiden aus unterschiedlichen Gründen wegzogen, wurde Caitlyn Amelias einzige enge Freundin. Obwohl Amelia und Caitlyn nicht in dieselbe Schulklasse gingen, war die Beziehung zwischen den beiden Mädchen so intensiv, dass es Amelia nicht viel ausmachte, als ihre anderen beiden Freundinnen fortgingen. Amelia bemühte sich seitdem auch kaum darum, neue Freundinnen dazuzugewinnen. Amelia und Caitlyn teilten als Kinder und Jugendliche ihrer Freizeit meist miteinander und reichten einander damit völlig aus. Sie unterstützten sich auch oft gegenseitig beim Lernen für das Abitur, obwohl Amelia eine Klasse über Caitlyn war.
Nach der Schule zogen Amelia und Caitlyn in verschiedene Städte zum Studieren. In dieser Zeit tauschten sie sich in langen Briefen miteinander aus, gelegentlich gab es auch das eine oder andere Telefonat. Dann führte das Schicksal sie wieder enger zusammen, denn Caitlyn zog mit ihrem damaligen Freund in dieselbe Stadt, in der Amelia mit ihrer Familie wohnte. Amelia hatte unterdessen einen Mann und eine Tochter. Caitlyns Umzug fand damals so spontan statt, dass sie es nicht geschafft hatte, Amelia per Brief oder am Telefon davon in Kenntnis zu setzen. So war es Zufall gewesen, als Caitlyn ihre Kindheitsfreundin im Supermarkt in der für sie neuen Stadt wiedergetroffen hatte. Sie hatten sich in den Armen gelegen und sich geschworen, die vergangenen Jahre, die sie nur wenig am Leben des anderen hatten teilhaben können, nachzuholen. Seitdem hatten sie sich regelmäßig gesehen. So viele schöne Momente hatten Caitlyn und Amelia zusammen verbracht. Sie waren beste Freundinnen gewesen, hatten sich manchmal gerne als Schwestern gesehen und hatten einander immer angehimmelt beinahe so wie Partnerinnen. Irgendwie kam es Caitlyn auch so vor, als ob Amelia und sie so etwas wie Partnerinnen gewesen wären, nur eben keine sexuellen. Ihre innige Verbindung zueinander war auf rein geistiger Ebene.
Caitlyn vergrub ihr Gesicht in ihrem Kopfkissen. Es war bereits abends und dunkel draußen und sie hatte beschlossen sich in Bett zu legen, um zu schlafen in der Hoffnung, der Schlaf würde ihr die Last der Realität abnehmen.
All die Erlebnisse mit Amelia sollten der Vergangenheit angehören. Nie wieder sollte sie ihre beste Freundin sehen, nie wieder ihre Stimme hören dürfen. Es erschien ihr zu viel zu sein, um es zu verkraften. Ihre Schultern fühlten sich nicht stark genug an, um den Verlust zu tragen. Sie drohte unter seinem Gewicht zusammenzubrechen wie das morsche Holz eines alten Stuhles, auf das sich jemand setzte, der zu schwer dafür war. Vielleicht war sie auch bereits zusammengebrochen und der Zustand, in dem sie sich befand, zeugte genau davon. Sie fühlte sich zu matt, um genauer darüber nachzudenken. Also schloss sie einfach die Augen. Der Schlaf hatte sie beinahe übermannt, als sie plötzlich aufschreckte, weil sie vor ihrem inneren Auge Amelias Gesicht sah. Es war einfach aufgetaucht wie aus dem Nichts, als wäre sie noch hier. Caitlyn setzte sich auf und schlug ihre Decke zurück. Sie blickte sich in ihrem Zimmer um, konnte in der Dunkelheit nur schemenhaft die Umrisse ihres Kleiderschrankes und des Bettes erkennen, in dem sie lag. Sie rieb sich die Augen und da war es wieder. Unter ihren geschlossenen Lidern zeichnete sich wie ein Foto ein Bild ihrer besten Freundin ab. Sie selbst war auch darauf zu sehen. Sie waren zusammen an einem See, den Amelia geliebt hatte. Sie waren in den letzten Jahren oft dorthin gefahren wenn das Wetter wärmer und sonniger war.
„Fang mich doch.“, rief Amelia und lief los in Richtung See, nachdem sie Caitlyn mit einem Grashalm am Arm gekitzelt hatte.
Caitlyn lachte, während ihre Füße durch den von der Sonne warmen Sand liefen, ihrer Freundin hinterher, bemüht, diese einzuholen. Sie sah wie Amelias Beine zuerst im Wasser ankamen, das umherspritzte, während ihre Füße immer wieder die Wasseroberfläche durchstießen und unter Wasser den Boden aufwühlten. Sie hatte es immer noch eilig. Dabei hatte sie doch schon längst gewonnen. Schließlich erreichte auch Caitlyn den See und drängelte sich im Wasser watend an den anderen Besuchern vorbei. Der See war meist gut besucht. Dann glitt Caitlyn ins Wasser und erreichte nach ein paar Schwimmzügen Amelia.
„Hab dich!“, sagte sich und erfasste die Schulter ihrer Freundin.
„Ich hab trotzdem gewonnen.“, erklärte Amelia stolz, „Du hättest mich noch an Land fangen sollen.“
Sie grinste siegessicher und glücklich und wieder lachte Caitlyn. Amelias Lachen war einfach ansteckend.
„Na gut. Aber ich habe fast gewonnen. Das zählt doch auch.“, erklärte Caitlyn.
„Na, und ob.“, meinte Amelia feixend.
Auch wenn sie beide über 30 waren, so benahmen sie sich, wenn sie zusammen waren, manchmal noch immer so wie als Kinder. Vielleicht lag das daran, dass sie sich die Erinnerung an die innige Freundschaft, die sie als Kinder gepflegt hatten, so tief eingeprägt hatten.
Amelia und Caitlyn schwammen ein paar Runden nebeneinander her, während die Sonne ihnen ins Gesicht schien und ein Reiher in der Ferne über dem Wasser seine Kreise zog.
Es war Amelia, die Caitlyn auf den großen majestätischen Vogel aufmerksam machte und sie freuten sich zusammen über den Anblick, der sich ihnen bot.
Später, als sie sich abgetrocknet und ihre nassen Badesachen gegen ihre trockene Kleidung getauscht hatten, holten sie sich ein Eis in der Eisdiele, die es in der Nähe des Sees gab. Sie ließen sich damit auf der Wiese nieder, die an den See angrenzte.
„Ich liebe diesen See.“, erklärte Amelia, „Da kann kein Schwimmbad mithalten. Es ist einfach viel schöner, in der Natur schwimmen zu gehen als in einem sterilen Becken.“
Caitlyn warf ein, dass manche Menschen die Algen abschreckten, die es im See gab und einige Verunreinigungen, die ihn im Vergleich zum Wasser in Schwimmbad trüb erscheinen ließen. Amelia machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Ach, das ist doch halb so schlimm. Das gehört für mich dazu. So ist eben die Natur.“
Sie leckte an ihrem Eis, das in der Sonne bereits zu schmelzen begann.
Caitlyn dachte daran, das ihr der Geruch ihres eigenen Handtuchs manchmal abstoßend vorkam, wenn sie es nach einem Besuch an dem See zu Hause in die Wäsche warf. Es war der Geruch nach Algen, den sie ein wenig eklig fand und diesen Geruch gab es im Schwimmbad nicht. Dort roch alles nach Chlor. Dennoch bewunderte sie Amelia für ihre Naturverbundenheit, die sie den See so lieben ließ. Caitlyn blickte auf das Wasser, das ich kleinen Wellen ans Ufer schlug. Diesen Anblick liebte auch sie wirklich, genau wie Amelia.
„Ich bewundere diese Einstellung von dir.“, sagte Caitlyn und blickte die junge Frau an, die ihr so viel bedeutete und die sie fast ihr ganzes Leben lang kannte.
Amelia lachte und nickte dabei.
„Das Eis ist echt gut.“, sagte sie, dann ließ sie Caitlyn von den Sorten probieren, die sie sich ausgesucht hatte.
Caitlyn lächelte und nickte.
„Oh, da hast du Recht. Beim nächsten Mal muss ich auch unbedingt das Himbeereis nehmen. Willst du auch bei mir probieren?“
Caitlyn hatte zwar eine Kugel bereit aufgegessen, aber zwei Sorten waren noch da und sie ließ Amelia bereitwillig davon kosten. Sie teilten gern ihr Essen, das hatten sie schon als Kinder getan, als sie ihre Pausenbrote heimlich miteinander getauscht hatten.
„Dann fahren wir also bald wieder her?“, fragte Amelia und sah Caitlyn erwartungsvoll an.
„Bestimmt.“, erklärte Caitlyn und konnte in den Augen ihrer Freundin Freude aufleuchten sehen.
Caitlyn blickte sich wieder um. Der Menge an Menschen nach zu urteilen, die am See saßen oder in ihm badeten, fanden es viele hier schön.
„Es ist ein wundervoller Ort.“, sagte sie dann.
„Und du bist eine wundervolle Freundin.“, ergänzte Amelia.
„Du auch.“
Nachdem sie das Eis aufgegessen hatten, gingen sie noch ein paar Schritte um den See. Zwar gab es hier keinen offiziellen Wanderweg, aber die Menschen, die den See gern erkunden wollten, hatten einen kleinen Trampelpfad getreten, der durch das Gras führte. Diesen gingen Caitlyn und Amelia entlang. Sie mussten hintereinander gehen, da der Weg nicht breit genug war. Im Gras blühten einige Gänseblümchen und andere Blumen, die sie allerdings von weitem nicht genauer identifizieren konnten. Sie wirkten wie kleine Farbtupfer in der überwiegend grünen Landschaft. Kleine Schwärme von Fliegen standen in der Luft über ihnen, vom warmen Wetter aus ihren Verstecken gelockt oder vielleicht auch erst geschlüpft und zum Leben erwacht. Caitlyn und Amelia duckten sich, um die Insekten in ihrem Treiben nicht zu stören, während sie unter dem Schwarm entlanggingen.
Als sie einige Meter gegangen waren, kamen sie zu einem Steg, der ins Wasser führte.
„Lass uns darauf gehen.“, meinte Caitlyn und deutete auf den Steg. Dann zog sie ihre Freundin mit sich.
Amelia folgte ihr gern. Vom Steg aus konnten sie Rallen und Enten sehen, die neben ihnen im Wasser schwammen.
„Oh, wie schön.“, rief Amelia begeistert aus und betrachtete die Wasservögel.
Caitlyn lächelte. Auch ihr gefiel der Anblick. Anders als auf der überfüllten Wiese, war es hier ruhig. Niemand war hier außer ihnen beiden und der Natur, die sie umgab. Caitlyn blickte zu Amelia, betrachtete ihre Freundin von der Seite, wie sie gespannt den Enten zusah. Zu Hause wartete ihre Tochter auf Amelia, die sie ebenfalls immer mit diesem bewundernden Blick ansah. Amelia liebte diesen Blick. Doch nun war Beste-Freundinnen Zeit und Amelias Mann kümmerte sich um die Tochter. Caitlyn war ihm dankbar, dass er ihnen die gemeinsame Zeit ermöglichte. Sie wusste von vielen ehemaligen Studienkollegen, dass bei diesen die Freundschaften aufgrund der Familie zurückstehen mussten. Das konnte sie sich für Amelia und sich nicht vorstellen. Sie waren unzertrennlich und sollten es auch bleiben dürfen.
Die Enten schnatterten munter durcheinander und ließen sich von den beiden Frauen nicht stören, die auf dem Steg standen und ihnen zusahen. Der Wind zeichnete zusätzlich zu den Enten ein paar Wellen auf die ansonsten ruhige Wasseroberfläche. Er blies ihnen auch ins Gesicht und wehte ihre Haare durcheinander. Sie lachten.
„Komm.“, sagte Amelia schließlich, nachdem sie auf die Uhr geblickt hatte und streckte ihre Hand nach Caitlyn aus.
Diese ergriff die Hand ihrer Freundin und ging neben ihr auf dem Steg zurück zum Ufer. Dann machten sie sich zusammen auf den Heimweg. Zuerst liefen sie zu der Stelle zurück, an der die vielen Menschen noch immer lagen. Dann bogen sie links ab. Dort stand Amelias Auto, mit dem sie hergefahren waren. Mit diesem nahm Amelia sie beide wieder mit zurück. Sie setzte Caitlyn zuerst bei sich zu Hause ab, bevor sie selbst heimfuhr. Als Amelia den Wagen vor Caitlyns Haustür hielt, warf Amelia ihrer Freundin eine Kusshand zu.
„Danke für den tollen Ausflug.“, sagte sie und winkte eifrig, während Caitlin zurückwinkte, nachdem sie aus dem Wagen geklettert war.
„Es war großartig. Wie immer. Bis bald, meine Liebe. Ich rufe dich an.“
„Ist gut. Bis demnächst.“
Als Amelias Wagen davon fuhr, blickte Caitlyn ihm mit einem Lächeln nach, bevor sie in ihre Wohnung ging.
Als Caitlyn nun ihre Augen öffnete, standen Tränen darin. So schön die Stunden waren, an die sie sich erinnert hatte, so schmerzhaft war nun die Erkenntnis, dass sie für immer vergangen waren. Diese Tatsache trieb sie in die Verzweiflung, zog sie in einen Abgrund, aus diesem sie sich nicht vorstellen konnte, jemals wieder zu entkommen. Hier war es dunkel und kalt. Hier konnte man nicht existieren, weil alles Leben zu Eis gefror oder von der Dunkelheit verschluckt wurde. Sie schüttelte den Kopf und legte sich wieder hin, zog ihre Decke höher, obwohl es im Zimmer nicht wirklich kalt war. Caitlyn presste ihre Augen zusammen und ihre Lippen aufeinander, um dem Impuls entgegenzuwirken weiter zu weinen. Sie war fest entschlossen, in einen traumlosen Schlaf abzutauchen und möglichst nicht so schnell wieder zu erwachen. Wenn sie Glück hatte, würde sie bis Mittag durchschlafen können. Das tat sie manchmal, wenn sie sehr müde war. Nun hatte sie so viel geweint, dass sich sehr erschöpft fühlte. Es sollte also funktionieren. Sie hatte sich keinen Wecker gestellt und die Gardinen fest geschlossen. Es gab also auch nichts, dass sie beim Schlafen stören sollte.