Читать книгу Royal Horses (2). Kronentraum - Jana Hoch - Страница 10

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Cinderella im Steampunk-Look? Das ist ja wohl nicht deren Ernst.« Livy schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn, stöhnte und ließ sich in die Sofakissen sinken. »Jeder Idiot erkennt ja wohl, dass das Rihanna sein soll.«

Ich sagte nichts, presste mir eines der perlmuttschimmernden Sofakissen an die Brust und starrte auf den Fernseher an der Wand, der so imposant war, dass man schon fast von einer Kinoleinwand sprechen konnte. Obwohl wir in dem riesigen Wohnzimmer von Livys Stadtvilla saßen, das sich über zwei Etagen öffnete und Ausblick in den Garten bot, kam ich mir erdrückt vor. In nicht einmal zwei Stunden hatten Livy und ich es auf sämtliche Fernsehsender des Landes geschafft. Überall wurde davon berichtet, wie Tristans vermeintliche Freundin sich durch ein Kellerfenster quetschte und in voller Verkleidung aus der Schule floh. Wäre es jemand anders gewesen, hätte ich die Szene vermutlich unheimlich lustig gefunden. Besonders den Teil, in dem sich der Mantel verhakte und Livy an mir zog, um mich zu befreien. So wie die Dinge jetzt standen, konnte ich jedoch nur das Kissen fester an mich drücken und mich darauf konzentrieren, nicht zu weinen.

»Bei der Freundin handelt es sich um niemand Geringeren als Olivia Campbell, Tochter des Politikers Lester Campbell«, sagte die Sprecherin gerade und die Kamera zoomte auf Livy. »Ob Tristan seine Prinzessin über diesen gemeinsamen Kontakt kennengelernt hat, ist noch unklar. Aber viele halten dies für äußerst wahrscheinlich.«

Livy schnaubte. »Nein, äußerst unwahrscheinlich. Wenn ich Tristan persönlich kennen würde, hätte ich ihn mir wohl schon längst selber geangelt.«

Sie sah zu mir herüber und grinste schief, ganz offenbar mit der Absicht, mich aufzumuntern. Ich versuchte, es nachzuahmen, aber meine Mundwinkel schafften es nicht, sich auch nur einen Millimeter anzuheben.

Livy wechselte den Sender. Einmal. Zweimal. Doch überall wurden die Aufnahmen der Drohne gezeigt. Wir blieben an einer aufgeregten Reporterin mit Schmetterlingsbrille hängen, die so schnell sprach, dass es schwer war, sie zu verstehen. »… ist es nicht auszuschließen, dass diese Beziehung schon über einen längeren Zeitraum besteht und auch der Grund dafür ist, dass Prinz Tristan sich der Öffentlichkeit entzogen hat. Die Theorien hierzu gehen sogar so weit, dass ein uneheliches Kind der beiden der Grund für das plötzliche Abtauchen des Prinzen sein könnte.«

Livy und ich wechselten einen schockierten Blick. Das konnten die unmöglich ernst meinen! Ich war erst sechzehn!

»Hat Prinz Tristan sich also seiner Rolle verweigert, um für seine Freundin da sein zu können? Bis jetzt handelt es sich lediglich um ein Gerücht. Sollte es jedoch stimmen, würde es den Skandalen um Prinz Tristan im wahrsten Sinne des Wortes die Krone aufsetzen.«

Ich schob mir das Kissen über den Kopf und schloss die Augen. Dennoch drangen die Worte der Sprecherin deutlich an mein Ohr. »Bis jetzt gibt es weder eine Stellungnahme von Greta Hayes …« Na großartig. Sie kannten sogar schon meinen Namen. »… noch vom Palast. Das bedeutet …«

Stille.

Ich hob das Kissen von meinem Gesicht, sah auf den schwarzen Bildschirm und dann zu Livy, die die Fernbedienung wieder auf den Couchtisch legte. Sie kaute auf ihrer Unterlippe, rutschte näher zu mir heran und drückte meine Hand. »Das kommt alles wieder in Ordnung. Versprochen. Zusammen schaffen wir das … Irgendwie.«

Es gelang mir zu nicken, auch wenn ich nicht wusste, wie mein Leben jemals wieder in Ordnung kommen sollte. Ich hatte eher das Gefühl, dass es von Minute zu Minute schlimmer wurde. Sogar Jordan war seine Unruhe anzumerken gewesen, als ich vorhin mit ihm telefoniert hatte. Er hatte angeboten, sofort von der Arbeit zu kommen und mich abzuholen, Mum und Dad anzurufen, ja sogar mit mir wegzufahren. Ich konnte mich nicht erinnern, ihn schon einmal so überfordert erlebt zu haben. Seine Stimme hatte sich regelrecht überschlagen und er hatte immer und immer wieder versichert, dass ich mir keine Sorgen machen müsste, weil er schon alles für mich regeln würde. Ich liebte ihn umso mehr dafür, auch wenn ich ganz genau wusste, dass er es nur so oft wiederholte, um selbst nicht die Fassung zu verlieren. Nicht vor mir zumindest.

Nach einem fast einstündigen Telefonat hatten wir uns geeinigt, dass es vorerst das Beste war, wenn ich bei Livy blieb. Mr Campbell hatte eingewilligt und Jordan versprochen, dass er alle Termine für den Nachmittag absagen und von zu Hause arbeiten würde.

»Kann ich irgendetwas für dich tun? Vielleicht Pizza bestellen? Oder Cookie-Eiscreme?«, fragte Livy zaghaft und sah mich dabei so hoffnungsvoll an, dass ich es nicht über mich brachte, den Kopf zu schütteln.

»Pizza klingt gut«, murmelte ich und dieses Mal schaffte ich es sogar zu lächeln. Sie wirkte erleichtert und sprang auf. »Wird sofort in Auftrag gegeben. Ich frage nur kurz Dad, ob er auch etwas möchte.« Damit flitzte sie auf ihren rosafarbenen Katzensocken über den Marmorboden und die Bogentreppe hinauf zu Mr Campbells Arbeitszimmer. Ich durfte Livys Vater zwar Lester nennen, aber es fiel mir noch schwer. Er war immer freundlich und riss sogar Witze, wenn ich bei Livy zum Abendessen blieb. Trotzdem hatte er etwas Erhabenes an sich, das er nie ablegte. Vielleicht lag es daran, dass er stets einen Anzug trug, selbst wenn er einen Tag freihatte oder sich abends die Fußballberichte im Fernsehen ansah. Livy hatte mir einmal verraten, dass es das höchste der Gefühle war, dass er in den eigenen vier Wänden seine Krawatte ablegte.

Was er wohl insgeheim darüber dachte, dass seine einzige Tochter und ich auf so abgrundtief peinliche Weise im Fernsehen gelandet waren? Bis jetzt hatte er sich nichts anmerken lassen und lediglich davon gesprochen, dass er ein paar Dinge in die Wege leiten und seine Anwälte kontaktieren würde. Auch zu der Sache mit Ethan und dem Autounfall hatte er in meiner Gegenwart nie ein Wort verloren. Er behandelte mich genauso freundlich wie früher. Trotzdem schämte ich mich dafür und konnte ihm manchmal kaum in die Augen sehen.

Mit einem Seufzen ließ ich mich weiter in die Kissen sinken und streckte die Beine aus, jedoch ohne die Füße auf die schneeweißen Polster zu legen. Auch wenn ich keine Schuhe trug – das hatte ich mich noch nie getraut.

Neben mir vibrierte mein Handy. Mum und Dad, schoss es mir in den Kopf. Shit! Ich hatte immer noch keine Idee, wie ich ihnen die ganze Sache erklären sollte, ohne dass sie glaubten, ich wäre endgültig verrückt geworden. Was, wenn sie forderten, dass ich zurück nach Deutschland kam?

Das war alles bloß ein großes Missverständnis, würde wohl kaum noch ziehen. Andererseits konnte ich sie auch nicht ignorieren. Das würde bloß dazu führen, dass sie sich noch mehr Sorgen machten, Jordan mit Anrufen überhäuften und sich in den nächsten Flieger setzten. Ohne hinzusehen, tastete ich nach meinem Handy und wollte den Anruf bereits annehmen, als ich den Namen auf dem Display las. Vor Schreck rutschte es mir aus der Hand und landete auf dem Teppich.

»Willst du nicht rangehen?«

Entgeistert fuhr ich herum. Ich hatte Livy gar nicht kommen gehört. Sie umrundete das Sofa, hob das Handy auf und hielt es mir fragend entgegen. Ich schüttelte den Kopf. Livy warf einen Blick auf das Display und zog vielsagend die Augenbrauen hoch. »Vielleicht solltest du …«

In diesem Moment wurde der Bildschirm dunkel und zeigte einen verpassten Anruf. Schnell griff ich nach dem Handy und ließ meinen Finger über die Anzeige wischen, damit er verschwand. Dann verbannte ich das Telefon ans andere Ende des Tisches und wartete, dass mein Herzschlag sich normalisierte. Livy hatte recht: Früher oder später würde ich mit Edward reden müssen. Aber jetzt gerade war ich noch nicht bereit dazu.

Wir verbrachten den restlichen Abend in Livys Zimmer – einem Designertraum in Weiß, mit rosafarbenen Akzenten – aßen Pizza und sahen Fernsehen. In der Sendung ging es um einen Ermittler, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, rätselhafte Fälle aufzuklären, die an Vampirangriffe erinnerten. Das Ganze erschien mir ziemlich verstörend, aber gerade waren mir blutrünstige Vampire allemal lieber als jene, die sich aus einem viel zu schmalen Kellerfenster zwängten. Allein wenn ich daran dachte, zog sich alles in meinem Bauch zusammen.

Es wurde bereits dunkel, als es klingelte und ich Jordan in die Arme lief. Er sah blass aus und wenn man die tiefen Sorgenfalten um seine Augen genauer betrachtete, konnte man denken, dass er seit heute Morgen um einige Jahre gealtert war. Ohne ein Wort zu sagen, drückte er mich an sich und streichelte mir über den Kopf.

»Alles okay, Krümel. Wir biegen das wieder hin«, flüsterte er und klang dabei wieder so ruhig und selbstsicher, wie ich ihn kannte. Wie mein großer Bruder. Mein sicherer Fels. Mein Ritter, der mich vor allen Gefahren des Lebens verteidigte. Damals, als ich wirklich noch ein Krümel gewesen war, genauso wie heute.

Ob er einen Plan hatte?

Ich kam nicht dazu, ihn zu fragen, denn Jordan löste sich von mir, begrüßte Livy und wechselte ein paar Worte mit Mr Campbell. Nein, natürlich Lester. Sie zogen sich in die offene Küche zurück, die mindestens so groß war wie unsere gesamte Wohnung. Während ich meine Jacke anzog und mir die Schuhe zuband, glaubte ich zu hören, dass Lester Jordan riet, mich vorerst aus der Schule zu nehmen, und ihm die Namen einiger spezieller Anwälte gab. Nur würden mein Bruder und ich uns diese wohl kaum leisten können. Mit seiner Anstellung in einem kleinen Londoner Architekturbüro verdiente Jordan zwar genug, dass wir beide davon leben konnten, aber dennoch nicht übermäßig viel. Für einen kostspieligen Rechtsstreit würde es nicht reichen.

Auch der Name Tristan fiel mehrfach und ich hoffte inständig, dass Lester nicht versuchte, meinen Bruder davon zu überzeugen, den Palast um Hilfe zu bitten. Das war das Letzte, was ich wollte.

Es dauerte nicht lange, bis die beiden zurückkamen. Lester schüttelte mir die Hand zum Abschied und Livy umarmte mich lange. »Du kannst mich immer anrufen, wenn etwas ist«, versicherte sie. »Auch nachts.«

Ich lächelte sie dankbar an, dann folgte ich Jordan zu seinem Auto, einem gebrauchten VW Polo. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite entdeckte ich Reporterteams mit Mikrofonen und Kameras auf den Schultern. Auch vereinzelte Fotografen standen auf dem Bürgersteig und machten sich bereit. Mir wurde übel. Woher …? Ach ja, Livy war im Fernsehen erkannt worden. Es war wohl naiv gewesen zu glauben, dass man uns nicht verfolgte.

Zum Glück hatte Lester vorgesorgt und so wurden wir von zwei Securitys zum Wagen eskortiert. Keiner der Journalisten traute sich, uns anzusprechen. Wir stiegen ein und Jordan schlängelte sich durch den abendlichen Stadtverkehr. Ich lehnte mich im Sitz zurück, seufzte und schloss die Augen.

»Du solltest Mum und Dad anrufen«, sagte Jordan, nachdem wir minutenlang geschwiegen hatten. »Ich habe schon mit ihnen gesprochen und sie etwas beruhigt. Aber ich denke, es wäre gut, wenn sie die Geschichte noch einmal von dir hören.«

Ich nickte, auch wenn mir bereits vor dem Gespräch grauste. Ich konnte mir Mums besorgte Stimme lebhaft vorstellen: Engelchen, glaubst du nicht auch, es wäre gut, wenn du wieder nach Hause kommst? Ich habe das mit England ja von vorneherein für keine gute Idee gehalten und die jüngsten Ereignisse beweisen nur, dass ich mit meinem Bauchgefühl richtiggelegen habe. Bitte, Schatz, sei doch vernünftig.

Mit einem Kopfschütteln versuchte ich, den Gedanken zu verdrängen. Es würde alles gut werden. Bestimmt. Jordan würde mir helfen, so wie er es immer tat. Wahrscheinlich mussten wir nur warten, bis die Medien aufhörten, sich gegenseitig anzustacheln, und dann würde mein Leben wieder ganz von alleine in die gewohnten Bahnen finden. Zurück zur Normalität. In ein paar Wochen würde sich niemand mehr an mich erinnern. Hoffentlich.

Die Fahrt dauerte knapp zwanzig Minuten. Wir überquerten die Chelsea Bridge, fuhren am Battersea Park entlang und über Bahngleise hinweg. Geschäfte flogen an mir vorbei, Obsthändler, Restaurants und Krimskramläden, und ich schaltete ab, bis ich merkte, dass Jordan in unsere Straße einbog. Kleine zweistöckige Häuser reihten sich aneinander, jedes mit einem Erker und rotbraunem Klinker an der Fassade. Die Gebäude sahen annähernd identisch aus. Lediglich die Vorgärten mit ihren Buchsbaumhecken Zäunen und Mauern, und die Farbe der Haustüren unterschieden sich. Unsere war blau, aber die Farbe blätterte bereits ab. Jordan erzählte seit Monaten, dass er sie neu streichen wollte, nur bis jetzt war er nicht dazu gekommen. Zuerst hatte er viel Stress auf der Arbeit gehabt und dann hatte ich ihn mit meinen Problemen, zuerst Ethan und nun die Sache mit Edward, mächtig auf Trab gehalten.

Das Auto wurde langsamer und ich glaubte, dass Jordan einen Parkplatz suchte. Doch dann hörte ich ihn leise fluchen und er bremste so ruckartig, dass ich in meinem Sitz nach vorne kippte.

»Was ist …?« Ich brauchte die Frage nicht zu beenden, denn jetzt sah ich es auch. Schräg gegenüber von unserem Haus parkte ein Bus. Ringsherum standen Leute, die etwas besprachen, und direkt neben dem Tor zu unserem Hauseingang entdeckte ich eine blonde Frau im weißen Tweed-Blazer. Vor ihr zwei Männer – einer mit einem Mikrofon, der andere mit einer Kamera auf der Schulter. Nein!

»Wie zur Hölle haben die herausgefunden, wo wir wohnen?«, knurrte Jordan und legte den Rückwärtsgang ein. Schlagartig wurde mir kalt. Zuerst die Fingerspitzen, dann meine Beine und schließlich mein ganzer Körper. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein! Jordans ehemalige Studenten-WG, die er nun seit Anfang des Jahres mit mir teilte, war für mich stets ein besonderer Ort gewesen. Sie war mein ganz persönlicher Lieblingsplatz, eine Insel der Ruhe inmitten der lauten Stadt. Und jetzt?

Ich hielt die Luft an. Meine Hände begannen zu schwitzen. Jordan manövrierte seinen Wagen ganz am Ende der Straße in eine Parklücke und sah mich an. Ein völlig ungewohnter Ausdruck von Hilflosigkeit stand in seinen Augen.

»Es tut mir so leid«, sagte ich und senkte den Blick. »Wäre ich bloß nie zu diesem blöden Pferderennen gegangen. Mum hat recht. Seit ich hier bin, mache ich dir bloß Ärger.«

Sofort legte sich Jordans Hand auf meine.

»Das ist Blödsinn, Krümel«, sagte er sanft. »Du bist jung, da passieren … Fehler. Gut, deine scheinen immer weitreichende Auswirkungen zu haben.« Er nickte zu den Reportern. »Aber das bedeutet nicht, dass ich dich nicht mehr bei mir haben möchte. Okay?« Ein Lächeln umspielte seine Lippen. »Nur beim nächsten Mal kannst du dir vielleicht etwas Harmloseres ausdenken. So etwas, was andere Mädchen in deinem Alter tun. Heimlich Alkohol trinken, nachts bei irgendwelchen Typen schlafen, die … Nein, vergiss das wieder. Keine Jungs! Und Alkohol ist auch echt nicht gut für dich!«

Ich versuchte zu lachen, aber es wollte mir nicht richtig gelingen. Jordan löste unsere Abschnallgurte und zog mich in eine Umarmung. »Nur, dass du es weißt, kleine Schwester. Ich will auf keinen Fall, dass du wieder ausziehst. Oder erinnerst du dich etwa nicht mehr an unser Versprechen?«

Wie könnte ich das jemals vergessen? Die Worte, die wir uns bereits als Kinder geschworen hatten, als wir so häufig umziehen mussten und es schwer gewesen war, neue Freunde zu finden, waren schon so oft ein Hoffnungsschimmer für mich gewesen.

»Jordan und Greta gegen den Rest der Welt«, flüsterte ich und Jordan nickte und lächelte.

»Ganz genau. Und deshalb werden wir uns von ein paar Reportern nicht einschüchtern lassen, ja? Wir gehen jetzt einfach da vorbei und … ganz wichtig: Wir sprechen nicht mit denen.«

»Okay.« Ich atmete tief durch. Jordan stieg aus, lief um das Auto herum und öffnete mir die Tür.

Wir sagten kein Wort. Nicht, als Jordan die Schultern zurücknahm, den Arm um mich legte und mit entschlossenen Schritten auf unser Haus zulief. Nicht, als das Fernsehteam uns bemerkte, uns mit Fragen bombardierte und die Reporterin mir ihr Mikrofon direkt ins Gesicht hielt. Und auch nicht, als sie uns bis in den Vorgarten verfolgte und rief: »Nur eine einzige Frage: Stimmt es, dass bereits eine heimliche Verlobung stattgefunden hat?«

Erst nachdem Jordan die Haustür hinter uns geschlossen hatte, atmeten wir beide gleichzeitig auf.

»Gut gemacht«, sagte er, legte mir die Hand auf den Rücken und schob mich die Treppe nach oben in den ersten Stock. Er schloss die Wohnungstür auf und ließ mich zuerst eintreten. Während ich meine Chucks von den Füßen streifte und meine Jacke an die Garderobe hängte, lief Jordan durch jedes Zimmer und zog die Vorhänge zu. Wieder zurück auf dem Flur, schenkte er mir ein aufmunterndes Lächeln.

»Was hältst du von Erdbeer-Fudge und einem Film deiner Wahl?«

»Klingt gut. Aber erst rufe ich Mum und Dad an.«

Alles in mir sträubte sich dagegen, die Geschehnisse des heutigen Tages noch einmal zusammenzufassen. Aber gleichzeitig wusste ich, dass Jordan recht hatte. Wenn ich mich nicht bei meinen Eltern meldete und ihnen die ganze Sache erklärte, würden sie unter Garantie noch vor Sonnenaufgang bei uns vor der Tür stehen. Missmutig zog ich mein Handy aus der Tasche und wählte. Bei Dad ging sofort die Mailbox ran und Mum nahm nicht ab. Also tippte ich eine SMS, in der ich ihr versicherte, dass es mir gut ging und dass ich mich morgen früh noch einmal melden würde. Anschließend tauschte ich meine Schuluniform gegen eine Leggins und einen viel zu großen Pullover, schleppte mich in Jordans Zimmer und ließ mich neben seiner Katze auf das abgenutzte braune Ledersofa fallen. Spuren von Krallen verteilten sich quer über die Sitzfläche und auch jetzt ließ Cylia sie aufblitzen und fauchte empört. Ich hatte es gewagt, mich auf ihr Sofa zu setzen.

»Sei still, Cy«, knurrte ich zurück. »Auch wenn du es wahrscheinlich nie kapierst. Das hier ist nicht deine Wohnung. Und du solltest besser dankbar sein, dass Jordan dich nicht ins Tierheim gesteckt hat, als seine blöde Ex dich hier rein zufällig vergessen hat.«

Cylia mauzte verärgert und verengte die goldgelben Augen, als wüsste sie genau, dass sie so noch unheimlicher wirkte. Seit ich bei Jordan eingezogen war, gerieten wir andauernd aneinander, weil sie nicht aufgeben wollte, mir zu erklären, was ich in Jordans Wohnung – nein, in ihrem Hoheitsgebiet – zu tun und zu lassen hatte. Nicht mit mir! Ich griff nach einem Kissen, um mich vor Cys Krallen zu schützen, und schob sie nachdrücklich vom Sofa. Die Katze rettete sich auf den Holzboden, warf mir einen vernichtenden Blick zu und wollte gerade wieder zum Sprung ansetzen, als die Tür geöffnet wurde. Jordan kam herein, in den Händen ein Tablett mit Eistee und einem Teller voll mit rosafarbenen Karamellstücken, meinem Lieblingsfudge. Sofort schoss Cylia auf ihn zu und strich an seinen Beinen entlang. Scheinheiliges Mistvieh!

Jordan stellte das Tablett vor uns auf den Tisch und Cylia wollte schon daraufspringen, aber ein einziger Blick meines Bruders genügte und sie ließ es bleiben. Wie machte er das nur? Hätte ich ihr gesagt, sie solle gefälligst von meinem Essen wegbleiben, hätte sie es vermutlich aus Prinzip angeleckt, nur damit ich es nicht mehr haben wollte.

»Und was wollen wir schauen?«, fragte Jordan und öffnete die Videobibliothek.

»Frozen«, antwortete ich sofort. Wenn etwas den Tag noch einigermaßen retten konnte, dann dieser Film. Und das Beste dabei: Es kam keine Katze darin vor.

Jordan verdrehte die Augen. »Gut, dann Frozen. Zum hundertsten Mal. Aber nur, weil du einen echt heftigen Tag hattest.«

Er startete den Film, setzte sich zu mir aufs Sofa und hielt mir den Teller mit dem Fudge entgegen. Ich brach mir ein Stück ab und lehnte mich an seine Schulter. Bereits nach wenigen Minuten merkte ich, dass es mir schwerfiel, mich zu konzentrieren. Ich ließ den Blick durch Jordans Zimmer schweifen, über die tannengrünen Wände und die Seemannstaue an der Decke, an deren Enden einzelne Glühbirnen herabhingen. Etwas war anders als sonst. Gut, vielleicht war es nicht meine beste Idee gewesen, ausgerechnet einen Film sehen zu wollen, in dem es um Prinzessinnen und eine Liebesgeschichte ging. Aber Frozen half immer! Selbst Cylia, die sich auf Jordans Bettdecke niedergelassen hatte, zuckte angeregt mit dem Schwanz, wenn eine Szene wechselte.

Es wird alles gut, sagte ich mir selbst. Ganz bestimmt. Morgen schon.

Und zumindest für den Moment konnte mir überhaupt nichts passieren. Ich war bei meinem Bruder. Zu Hause. Warum also schlug mir mein Herz immer noch bis zum Hals?

Gedankenverloren betrachtete ich die Schwarz-Weiß-Fotografien, die über Jordans Bett hingen und fast die ganze Wand einnahmen. Er hatte die meisten der Aufnahmen selbst gemacht und manche stammten auch von mir. Bilder aus der Stadt, von gemeinsamen Fototouren. Eines zeigte mich, wie ich zum ersten Mal über die Tower Bridge gelaufen war, ein anderes unsere Hände mit Eistüten. In der Mitte zwischen all den Fotografien hing der größte Rahmen. Er enthielt kein Foto, sondern lediglich einen Spruch. If you weren’t an optimist, it would be impossible to be an architectNorman Foster.

Ich seufzte. Schon immer hatte ich mir gewünscht, irgendwann einmal sein zu können wie Jordan. Jemand, der seine Berufung gefunden hatte und das, was er tat, aus vollem Herzen liebte. Stattdessen hatte ich immer noch keine Ahnung, was ich einmal werden wollte, und mein Schulabschluss rückte immer näher. Aber wahrscheinlich konnte ich nach allem, was passiert war, nicht einmal einen Berufsinformationstag besuchen, ohne komisch angeguckt zu werden.

Beruhig dich, ermahnte ich mich. So muss es nicht kommen. Doch mein Blick glitt wie von selbst zu den schweren grauen Vorhängen, die Jordan vor das Fenster gezogen hatte. Draußen waren Stimmen zu hören und während ich mich noch fragte, ob die Reporter wohl die ganze Nacht ausharren wollten, klingelte es plötzlich an der Haustür. Ich fuhr zusammen und Jordan stieß einen leisen Fluch aus. »Keine Sorge, ich regle das«, versprach er und verließ den Raum.

Ich griff nach der Decke, die über der Sofalehne lag, breitete sie über meinen Beinen aus und lauschte angestrengt. Jordan drehte den Schlüssel herum und das Türschloss knackte. Dann hörte ich Stimmen. Die meines Bruders und eine andere. Tiefer als Jordans. War das etwa ein Lachen? Auf dem Flur erklangen Schritte und mein Herz schlug schneller. Wer konnte das sein? Gerade wollte ich aufstehen und nachsehen, doch da kam bereits ein wandelnder Muskelberg im Türrahmen zu Vorschein. Wie immer war er ganz in Schwarz gekleidet und trug ein warmes Grinsen auf den Lippen.

»Sixton!« Der unerwartete Anblick erleichterte mich so sehr, dass ich aufsprang und ihm in die Arme fiel. Er lachte und drückte mich an sich.

Dann brummte er, hielt mich an den Schultern zurück und sah mich ernst an. »Dir ist hoffentlich klar, dass du mich gerade um meinen wohlverdienten Feierabend bringst. Eigentlich wollte ich jetzt ein kühles Bier trinken und mir die nächste Folge Suits reinziehen.«

Aus seinem Mund klang das wie ein furchtbarer Verrat und ich musterte ihn, um zu erkennen, wie ernst es ihm wirklich war. Sixton hielt sein Pokerface noch einen Moment aufrecht, dann wuschelte er mir so wild durch die Haare, dass sie zu allen Seiten abstehen mussten. »Mann, musst du dich andauernd in Schwierigkeiten bringen?« Mit einem Seufzen fuhr er sich über den ordentlich gestylten Vollbart. »Die kleine Elfe macht sich Sorgen um dich, auch weil du nicht ans Telefon gehst. Also schickt er mich.«

»Die kleine Elfe? Meinst du … Edward?«

»Ja, wen denn sonst? Du weißt doch, wie sehr ich es mag, ihn aufzuziehen. Und da ich der Einzige bin, der sich das bei ihm rausnehmen darf, muss ich es nutzen.« Sixton ließ sich auf Jordans Sofa fallen und brach sich wie selbstverständlich ein Stück Fudge ab. Er steckte es sich in den Mund, kaute genüsslich darauf herum und schmatzte: »Dafür, dass du mir den Abend versaut hast, esse ich jetzt deinen Süßkram.«

Ich beobachtete, wie er ein weiteres Stück aß, und musste mich zwingen, ihn nicht zu schütteln, weil er nicht weitersprach. Edward hatte ihn zu mir geschickt? Weil er wissen wollte, wie es mir ging? Oder gab es womöglich Probleme im Palast, weil seine vermeintliche Freundin so ganz und gar nicht damenhaft aus der Schule getürmt war?

»Um es kurz zu machen …«, sagte Sixton und stoppte, als Cylia auf ihn zugelaufen kam und mit einem Satz auf seinem Schoß landete. Sie schmiegte sich an ihn und begann sogleich zu schnurren. Sixton kraulte ihr den Kopf und war von einer Sekunde auf die nächste wie in einer anderen Welt. Ich räusperte mich, um seine Aufmerksamkeit zu mir zurückzuholen. »Ja, richtig. Deswegen bin ich ja nicht hier.« Sixton sah mich an. »Edward wollte, dass ich herkomme und dir etwas von ihm gebe.« Er öffnete seine Jacke, zog einen Brief aus der Innentasche und legte ihn vor mir auf den Tisch. »Und darüber hinaus will er dir ein Angebot machen. Möchtest du es hören?«

Royal Horses (2). Kronentraum

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