Читать книгу Royal Horses (2). Kronentraum - Jana Hoch - Страница 7
ОглавлениеLadies and Gentlemen, wir kommen nun zum Höhepunkt des Tages. Bei diesem Rennen treten ausschließlich die Spitzenpferde des Landes an. Als Favorit der Prüfung wird Crown Eagle gehandelt, im Sattel der aktuelle britische Champion Colan Shelley. Aber auch Casanova und Ghostwriter könnten heute gute Chancen auf einen Sieg haben.«
Ich sah zu Livy, die mit beiden Armen auf den Zaun gestützt neben mir stand und die Pferde auf der Bahn filmte. Sie bemerkte meinen Blick und grinste zu mir herüber.
»Ist vollkommen irre hier, oder? Wie in einer anderen Welt.«
Eine andere Welt. Das traf es wohl ziemlich gut. Inmitten der Vielfalt aus bunten Kleidern und extravaganten Kopfbedeckungen kam ich mir vor wie auf einer Faschingsparty für Erwachsene. Unter den Gästen gab es zwei Gruppen. Die einen hatten sich herausgeputzt wie für einen Empfang bei der Königin höchstpersönlich. Die Männer trugen Smoking und Zylinder, die Frauen schick aussehende Kleider und glitzernde Schuhe mit Pfennigabsätzen. Sie standen eng beieinander, hielten Champagnergläser in den Händen und unterhielten sich über Rennpferde und die aktuelle Lage im Parlament. Andere waren weniger dezent. Sie lachten und kicherten laut, tranken ihr Prickelwasser direkt aus der Flasche und schienen nur ein Ziel zu haben: um jeden Preis aufzufallen. Es wurde gekreischt, mit Fähnchen gewedelt und ein Selfie nach dem anderen gemacht. Dabei schien es besonders wichtig zu sein, die pompösen Hüte zur Schau zu stellen. Eine Frau im Minikleid trug tatsächlich einen autoreifengroßen Hut in Form einer Hochzeitstorte auf dem Kopf, eine andere sogar eine Eistüte.
Gerade als ich dachte, es würde nicht mehr schräger gehen, lief ein Mann an mir vorbei, die knallblauen Haare so sehr nach hinten geklatscht, als wolle er seine Stirn straffen. Auch die Augenbrauen hatte er blau gefärbt und neben den viel zu langen, künstlichen Wimpern schlängelte sich eine Reihe glitzernder Steine über sein Gesicht.
Willkommen in Panem, dachte ich, schüttelte ungläubig den Kopf und wandte mich wieder zu Livy. Heute Morgen hatte sie mir erklärt, dass ich zu diesem Pferderennen unmöglich in Jeans und Chucks gehen konnte, und ich hatte erwartet, dass sie maßlos übertrieb. Doch inzwischen war ich mir sicher, dass ich in meiner an den Knien aufgerissenen Lieblingshose und einem T-Shirt, auf dem groß und breit Save the earth, it’s the only planet with horses stand, niemals auch nur einen Fuß auf das Gelände bekommen hätte. Bereits am Eingang waren alle Zuschauer kritisch kontrolliert worden. Wer nicht angemessen gekleidet war oder gar vergessen hatte, einen Hut aufzusetzen, wurde aussortiert. Aber natürlich hatte Livy dafür gesorgt, dass wir perfekt zum Rest der Menge passten und ohne Probleme passieren konnten. Sie hatte mir eines ihrer Kleider geliehen, ein schlichtes blaues Etuikleid mit langen Ärmeln und dazu passende Ballerinas. Anschließend hatte sie mir die Haare geflochten und mir einen halb transparenten Fascinator angesteckt. Sie hatte mir versichert, dass ich fantastisch aussah, aber trotzdem kam ich mir vor, als trüge ich ein Vogelnest auf meinem Kopf spazieren. Wenigstens war es für Ende September ungewöhnlich warm und so mussten wir nicht frieren, nur um gut auszusehen. Livy hätte das unter Garantie in Kauf genommen.
Gerade zwinkerte sie mir zu, schwenkte ihre Kamera in unsere Richtung und warf die langen dunkelbraunen Haare zurück. Mit den zartrosa geschminkten Lippen formte sie einen Kussmund. Ich zwang mich zu lächeln, auch wenn mir nicht danach war. Aber Livy sollte nicht merken, wie unwohl ich mich fühlte. Seit Wochen redete ich nur noch davon, wie sehr mir die Pferde von Caverley Green fehlten. Mit ihrer Idee, auf die Rennbahn zu gehen, hatte sie mir eine Freude machen wollen. Deshalb durfte ich ihr diesen Tag nicht verderben. Außerdem hatte ich mich lange genug zu Hause verkrochen, war in Jogginghosen und Jordans Pullovern herumgelaufen und in regelmäßigen Abständen zum Kühlschrank gepilgert. Damit war jetzt Schluss. Ich hatte Livy versprochen, endlich mal wieder Spaß zu haben, ein paar Stunden zu verbringen, in denen ich nicht an …
Nein, ich würde jetzt auf keinen Fall an ihn denken. Dieser Tag gehörte ausschließlich meiner besten Freundin.
»Das Video wird bestimmt ein Highlight auf deinem YouTube-Kanal«, sagte ich und Livys Lächeln wurde breiter.
»Ja, das denke ich auch. Nachher, bei der Preisverleihung, versuchen wir, auch ganz nach vorne zu kommen, ja?«
Ich grinste. Erste Reihe? Kein Problem. Für die Berichte auf Livys YouTube-Kanal hatten wir uns schon durch eine Umweltdemo und durch kreischende Fans bei einem Konzert von Shawn Mendes gekämpft. Was zählten da ein paar angetrunkene Hühner mit Obstschalen und riesigen Schmetterlingen auf den Köpfen?
»Die Pferde befinden sich nun auf dem Weg zum Start«, verkündete der Sprecher und sofort tippte Livy wieder auf ihrem Display herum. »Kannst du filmen?«, fragte sie und hielt mir das Handy hin. »Deine Videos sind besser als meine. Die bekommen immer mehr Klicks.«
Ich nickte, nahm Livys Handy entgegen und schwenkte es einmal von links nach rechts, um alles genau zu erfassen. Dann zoomte ich näher heran und richtete meine Aufmerksamkeit auf die einzelnen Pferde. Ein schlanker Fuchs trottete mit gesenktem Kopf an uns vorbei, während andere herumtrippelten, seitlich auswichen und mit den Schweifen schlugen. Mir gefiel ein dunkelbrauner Hengst mit roter Satteldecke und Abzeichen an den Beinen. Doch er wirkte gestresst, hielt den Kopf hoch erhoben und stieg auf die Hinterbeine, als er sich der Startbox näherte. Selbst auf die Entfernung konnte ich sehen, wie er den Hals verdrehte und die Augen aufriss.
»Das ist Damon Dreams, die Nummer fünf«, wisperte Livy und warf einen prüfenden Blick in ihr Rennbahnprogramm. »Er sieht ziemlich wild aus, oder?«
Ich schüttelte den Kopf. Nein, er versuchte bloß, sich mitzuteilen, aber niemand hörte ihm zu. Er erinnerte mich an Mariscal, den silbernen Hengst, den ich auf Caverley Green kennengelernt hatte. Eigentlich hatte ich nicht zu ihm gedurft, weil Quinn, der Stallmeister, ihn für unberechenbar hielt, aber mit der Zeit hatten wir uns angefreundet. Er hatte mir viel beigebracht. Über Pferde, aber auch über mich selbst. Ich vermisste ihn. Genau wie die anderen Pferde: Tira, Lanciano und allen voran Sparky. Ich vermisste ihre Nähe, die Art und Weise, wie sie in mich hineinsahen und mich beruhigten. Ich vermisste die Momente der stillen Vertrautheit und auch jene, in denen sie mich zum Lachen gebracht hatten. Ich vermisste … einfach alles an ihnen. Aber das hier … Wieder sah ich zu dem Dunkelbraunen. Das war etwas vollkommen anderes, als ich mir von unserem Ausflug erhofft hatte. Nichts daran erinnerte an die tiefe Verbindung zwischen Pferd und Mensch, wie ich sie nun kannte. Edward hatte immer davon gesprochen, dass die Arbeit mit Pferden auf Vertrauen und gegenseitigem Respekt basierte. Es war ihm wichtig, jedem Pferd das Gefühl zu geben, etwas Besonderes zu sein und … Mist, jetzt hatte ich doch an ihn gedacht. Ich biss mir auf die Zunge und blinzelte mehrfach, um die Bilder aus meinem Kopf zu verdrängen. Edward, wie ich ihn kennengelernt hatte, gab es nicht mehr. Nur noch Tristan. Prinz Tristan, der seit Tagen Seite an Seite mit dem französischen Präsidenten über die Fernsehbildschirme lief und dabei so fremd wirkte, als hätten wir uns nie gekannt.
»Alles okay?«, fragte Livy von der Seite. »Du wirkst so abwesend.«
»Ich …« Ich musste bloß gerade wieder an diesen Idioten denken, obwohl ich mir geschworen habe, es nicht zu tun. »… war nur in Gedanken.«
Sie legte den Kopf schief und betrachtete mich lange. »In Gedanken an ihn?«
Sofort schoss mein Blick in ihre Richtung und ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen strömte. Woher …?
»Schon okay.« Livy legte ihre Hand über meine und drückte sie. »Das muss dir nicht peinlich sein. Im Gegenteil. Es zeigt doch nur, dass er dir noch etwas bedeutet.«
Ich will aber nicht, dass er mir noch etwas bedeutet.
»Er hat mich belogen«, sagte ich mit aufeinandergepressten Zähnen und starrte so intensiv auf die Bahn, als hätte das Rennen bereits begonnen. Er hat vorgegeben, jemand zu sein, der er nicht ist. Und stattdessen ist er der verdammte Prinz von England! Der Prinz! Schlimmer konnte es nicht sein.
Einen Moment lang standen wir schweigend nebeneinander und ich hatte den Eindruck, dass Livy gerne etwas sagen wollte, aber nicht genau wusste, wie ich darauf reagierte. Schließlich löste sie ihre Hand von meiner, wühlte in ihrer Handtasche und zauberte eine Tüte Fruchtgummikatzen hervor. Sie riss sie auf und hielt sie mir entgegen. Ich griff hinein, schob mir eine in den Mund und kaute geistesabwesend darauf herum.
»Denkst du noch viel an ihn?«, fragte Livy und ich spürte ein Stechen in meinem Bauch.
Nein, überhaupt nicht. Ich bin über ihn hinweg. Die Worte lagen mir bereits auf der Zunge, doch dann hielt ich inne und seufzte. Ich wollte Livy nicht belügen.
»Jeden Tag«, gestand ich leise, ohne sie anzusehen. »Aber das ändert …«
Gar nichts, hatte ich sagen wollen. Doch da erhob sich die Stimme des Rennbahnsprechers erneut. »Damon Dreams ist nach etwas Überredung nun auch bereit. Das Starterfeld ist somit komplett.« Eine Klingel ertönte. »Und da gehen die Boxen auf für das dritte Rennen des heutigen Tages!«
Spannung kam in das Publikum, Gemurmel wurde laut. Neben mir zückte eine Frau ihr Fernglas.
Das ändert gar nichts, sagte ich mir noch einmal. Rein. Gar. Nichts. Dann stützte ich die Unterarme auf den Zaun und beugte mich vor, um die Pferde besser sehen zu können. Gerade galoppierten sie auf den ersten Bogen zu, ganz vorne der Fuchs, der mir am Anfang aufgefallen war.
Wieder meldete sich der Kommentator zu Wort: »In diesem Rennen laufen die Pferde über 2.400 Meter. Falcon Legend führt das Feld an, dahinter Ghostwriter vor Casanova. Jetzt kommt Ghostwriter nach vorne. Ghostwriter, vor Falcon Legend. Casanova, dann Crown Eagle mit der Acht.«
Ich beobachtete, wie die Reiter die Bahn umrundeten. Je weiter sie kamen, desto aufgeregter wurden die Zuschauer.
»Komm schon, Crown Eagle!«, rief ein Mann schräg hinter uns und klatschte wild in die Hände. »Zeig’s ihnen!«
»Und da kommen sie auf die Zielgerade! Ghostwriter vor Falcon Legend. Casanova, Crown Eagle, Damon Dreams. Dann Santo, Easy Fly und Calico.« Die Stimme des Rennbahnsprechers überschlug sich. Die Zuschauer drängten zusammen, reckten die Köpfe und applaudierten. Auch Livy hüpfte begeistert auf und ab. Wie von selbst suchten meine Augen nach dem dunkelbraunen Hengst mit der roten Satteldecke. Ich entdeckte ihn am Rand der Gruppe und sah, wie er mit riesigen Galoppsprüngen aufholte, an dem Feld vorbeizog und sich an die Spitze setzte.
»Und da kommt er nach vorne!«, rief der Sprecher ungläubig. »Damon Dreams, der Außenseiter! Er setzt sich an die Spitze, dicht gefolgt von Ghostwriter. Damon Dreams. Ghostwriter. Damon Dreams! Damon Dreams gewinnt das Rennen vor Ghostwriter, Ladies and Gentleman. Was für ein Finish! Auf dem dritten Platz Crown Eagle, dann …«
Neben mir kreischte eine Frau so laut, dass ich mir am liebsten die Ohren zuhalten wollte. Sie hielt ihren Wettschein in die Luft und fiel ihrem Mann in die Arme. Auch hinter mir hörte ich Menschen johlen. Andere fluchten.
Über den Handybildschirm verfolgte ich, wie die Pferde ausgaloppierten, und dachte erneut an die gemeinsame Zeit mit Mariscal. Stille Momente, in denen wir dennoch gewusst hatten, was der andere gerade dachte. Das war es, was mich immer an ihm fasziniert hatte.
Um mich herum ebbte der Applaus ab, Gemurmel wurde laut und ich hörte vereinzeltes Lachen. Ich seufzte und trat vom Zaun zurück. Zwischen all diesen bunt gekleideten Menschen, von denen die meisten, so glaubte ich, die Pferde nicht verstanden und sie nicht wahrnahmen wie ich, fühlte ich mich so einsam wie schon lange nicht mehr.
Damon Dreams wurde in den Siegerring gebracht. Er tänzelte immer noch, doch sein Jockey blieb gelassen und führte ihn am Zaun entlang, ehe er neben dem Pavillon in der Mitte der Fläche zum Stehen kam. Livy lächelte in die Kamera. Ich zeigte ihr den hochgestreckten Daumen und sie fasste das Rennen für die YouTube-Zuschauer noch einmal zusammen. Dabei betonte sie, wie sehr sie sich für die Besitzer des Pferdes über den unerwarteten Sieg freute. »Und das zeigt wieder einmal, dass wir nie den Glauben an uns selbst verlieren dürfen, egal was andere von uns denken«, beendete sie ihre Rede und bedeutete mir mit einem Handzeichen, dass ich nun zur Bühne heranzoomen sollte. Ich nickte, um ihr zu zeigen, dass ich verstanden hatte. Zeitgleich betrat der Moderator die Bühne. Er lobte Damon Dreams überschwänglich, gratulierte den Besitzern und legte dabei so viel Dramatik in seine Stimme, dass er mir bald auf die Nerven ging.
Spitzenpferd des Jahres … verdienter Sieg … Bla, bla, bla … Spitzenpferd, ach ja? Vor wenigen Minuten war er noch der Außenseiter gewesen. Ich schüttelte den Kopf, hielt aber sogleich wieder inne, als die Kamera wackelte.
»Und deshalb …«, verkündete der Moderator, »… ist es mir eine große Ehre, Ihnen allen mitteilen zu dürfen, dass dieser Preis heute von einem ganz besonderen Ehrengast überreicht wird.«
Ein Raunen ging durch die Menge und ich wurde unsanft zur Seite gestoßen. Was zur …?
»Na, meine Damen, ist das eine gelungene Überraschung?«, lachte der Sprecher. Die Nationalhymne erklang. Mädchen kreischten. Erwachsene Frauen kreischten. Sogar manche Männer. Fähnchen wurden geschwenkt. Fragend sah ich zu Livy und stellte erschrocken fest, dass sie blass geworden war.
»Das wusste ich nicht«, beteuerte sie, die Augen weit aufgerissen. »Wirklich.«
Was meinte sie? Ich bewegte die Kamera in die Richtung, in die alle sahen, und erstarrte. Ein Pulk von Securitymännern marschierte in den Ring, alle in schwarzen Anzügen, mit Sonnenbrillen und ernsten Gesichtern. Einer davon kam mir bekannt vor. Ordentlich gestylte Haare, Vollbart, Sonnenbrille. Ich vergaß vor Schreck zu atmen. Das war Sixton, Edwards persönlicher Bodyguard. Und hinter ihm zwei Gestalten, die langsam und erhaben in den Ring traten: ein Mann mit silbernen Haaren, weißem Anzug, verkniffenen Lippen und Siegelringen an jeder Hand. Und neben ihm, mit blonden Haaren, schwarzem Frack, Zylinder auf dem Kopf und blütenweißen Handschuhen … Edward. Zentimeter für Zentimeter ließ ich die Kamera sinken und konnte nicht anders, als ihn anzustarren. Auf einmal fiel es mir schwer zu atmen. Ich wollte zurückweichen, aber ich stieß nur gegen die Person hinter mir und erntete einen empörten Laut. Mein Herz raste. Edward stieg auf das Podest. Er schüttelte den Besitzern des Pferdes die Hand, winkte und lächelte. Doch die Geste schaffte es nicht über seine Lippen hinaus. Mit kühlen eisgrauen Augen blickte er nach vorne, so als sehe er geradewegs durch die Menge hindurch.
Livy nahm mir das Handy aus der Hand und legte ihre Finger um meine. »Sollen wir gehen?«
Ja, bitte.
In diesem Moment winkte Edward in unsere Richtung. Dann erstarrte er und seine Lippen formten meinen Namen. Greta. Wir sahen uns an. Ungläubig, voller Überraschung. Es konnte nur der Bruchteil einer Sekunde sein, aber für mich fühlte es sich an wie eine Ewigkeit. Mir wurde heiß. Meine Hände schwitzten. Erneut taumelte ich zurück und stieß gegen die Wand aus Menschen.
Da sprang Edward auf einmal von dem Podest und kam auf mich zu. Die Leute tobten vor Begeisterung und streckten ihre Hände in seine Richtung, um ihn zu berühren. Überall klickten Kameras. Die Securitymänner warfen sich verunsicherte Blicke zu. Nein, diese Einlage gehörte ganz und gar nicht zum geplanten Programm!
Wieder drängte ich rückwärts und dieses Mal teilte sich die Menge, dankbar darüber, dass mein Platz in der ersten Reihe frei wurde. Gleich drei Mädchen schossen an mir vorbei und quetschten sich auf die Fläche.
»Greta, bitte warte!«
Ich floh durch die kleinsten Lücken und achtete nicht mehr darauf, wo Livy war. Sie würde mich schon finden.
»Greta!«, rief Edward wieder und als ich einen Blick über die Schulter warf, sah ich, wie er auf den Zaun kletterte und nach mir Ausschau hielt. Dann sprang er auf die andere Seite und wurde von aufgeregt glucksenden Hühnern zerdrückt. Sofort waren die Sicherheitsleute zur Stelle, hielten die Menschen auf Abstand und machten ihm den Weg frei. Er lief geradewegs auf mich zu. Verschwinde!, schrie ich in Gedanken, aber meine Füße gehorchten mir nicht mehr.
Edward kam vor mir zum Stehen, sah mich an und streckte eine Hand nach mir aus. Doch dann überlegte er es sich anders, hielt inne und lächelte bloß. Niemand sagte etwas, aber die unausgesprochenen Worte schwirrten um uns herum wie aufgeregte Glühwürmchen.
Ich schluckte. »Du …« Hast mich gelogen. Mir das Herz gebrochen. Du bist ein verdammter Idiot und ich will dich nie wiedersehen. »… siehst vollkommen bescheuert aus. Wie ein stinkreicher Graf von Ach-so-vernobt.«
Oh Gott, hatte ich das gerade wirklich gesagt? Vor all diesen Menschen? Edwards Mundwinkel zuckten. »Falls du es vergessen hast, ich bin ein stinkreicher Graf. Allerdings Graf von Guilford und Herzog von Suttington. Das gesamte Gebiet um Caverley Green, nicht nur die Stadt.« Ein Grinsen zierte seine Lippen und er schnipste gegen seine lächerliche Ansteckblume. »Versnobt, ja? Nun, die meisten hier finden das, glaube ich, ziemlich sexy.« Er lächelte erneut, dieses Mal erreichte es auch seine Augen. »Ich hätte nicht gedacht, dich ausgerechnet hier …«
Er konnte seinen Satz nicht zu Ende bringen. Eine Gruppe Mädchen schrie Edwards Namen und versuchte, unter der Mauer aus Sicherheitsleuten hinwegzutauchen und ihn zu berühren. Da stellte sich einer der Securitymänner direkt neben mich.
»Falscher Zeitpunkt für ein intimes Gespräch«, hörte ich Sixtons tiefe Stimme. Er sah mich kurz an, dann bedachte er Edward mit einem tadelnden Blick. »Falls es dir nicht aufgefallen ist, du bist gerade live auf sämtlichen Social-Media-Kanälen. Details zur Royal Romance? Ganz schlechte Idee.«
Er legte Edward eine Hand auf die Schulter und wollte ihn zurück zur Bühne schieben. Doch Edward drehte sich noch einmal um.
»Mach jetzt keinen Scheiß«, knurrte Sixton und damit scharten sich auch die restlichen Securitymänner um ihn. Ich konnte nichts weiter tun als dastehen und ihm nachsehen. War das eben wirklich passiert? Mir blieb keine Zeit, die Frage zu beantworten. Kameras blitzten auf und eine Frau mit knallpinkem Lippenstift hielt mir ihr Handy direkt ins Gesicht.
»Hey du, kennst du Prinz Tristan persönlich? Bist du seine Freundin?«
Was? Ich starrte sie an, vollkommen perplex. Die Kamera war so nah, dass sie unmöglich etwas anderes als meinen Nasenflügel aufnehmen konnte. »Ich«, setzte ich an und musste mich beherrschen, die Kamera nicht wegzuschlagen. Panik erfasste mich. Alle sahen mich an! Ich bekam kaum noch Luft. »Nein. Nein, bin ich nicht«, krächzte ich. Und damit drehte ich mich um, bahnte mir einen Weg nach draußen und rannte vom Gelände.