Читать книгу Royal Horses (2). Kronentraum - Jana Hoch - Страница 11
ОглавлениеIch hielt die Augen fest auf das YouTube-Tutorial gerichtet, das über den Bildschirm meines Laptops flimmerte. Doch die Farben verschwammen und wandelten sich zu einem einzigen bunten Fleck.
»Und jetzt erkläre ich dir, wie du dein Video in wenigen Schritten mit Colour-Lookups in Szene setzt. Im ersten Schritt werden wir …« Die Stimme aus dem Video lief geradewegs durch mich hindurch.
Greta, an meinen Gefühlen für dich hat sich nichts geändert.
Nein, verdammt! Nicht an Edward denken. Was hatte der Typ aus dem Tutorial eben noch erzählt? Über welchen Menüpunkt öffnete ich die Farbkurven? Ach, Mist. Wieder fiel mein Blick auf den blütenweißen Umschlag, den Sixton mir Anfang der Woche vorbeigebracht hatte. Ich hatte ihn zwischen meine Bücher gesteckt, die auf der Fensterbank standen. Er war jedoch etwas länger und schaute einige Zentimeter hervor. Das alleine genügte, dass ich alle paar Minuten zu ihm herübersah, obwohl ich die wenigen Zeilen schon auswendig kannte. Eigentlich hatte ich vorgehabt, den Brief gar nicht zu öffnen. Aber gestern Abend war ich schwach geworden und seither spukte Edward durch meine Gedanken und brachte alles, was ich mir im letzten Monat mehr oder weniger erfolgreich eingeredet hatte, durcheinander.
Mit einem langen Atemzug ließ ich mich tiefer in meinen Schreibtischstuhl sinken. Ich bin so gut wie über ihn hinweg. Dass ich den Brief gelesen habe, ändert gar nichts.
Draußen flackerte Licht und ich erhob mich vom Schreibtisch, schob die Gardine ein Stück zur Seite und lugte hindurch. Die Reporter waren noch da, wie nicht anders erwartet. Schon in der ersten Nacht hatte sich die Anzahl der Presseteams verdreifacht. Inzwischen zählte ich vier Busse. Außerdem hatte sich eine Gruppe junger Erwachsener dazugesellt, alle mit Handys bewaffnet.
Auch das noch! Jetzt kamen sogar schon Schaulustige. Schnell trat ich zurück und ließ die Vorhänge zugleiten.
Ich wollte kotzen. Heulen. Mir die Haare raufen. Aber all das hatte ich in den vergangenen sechsundneunzig Stunden bereits getan. Und nichts davon hatte geholfen. Also ließ ich mich wieder auf meinen Schreibtischstuhl fallen, legte die Arme auf den Tisch und bettete den Kopf darauf. Was, wenn das jetzt noch Wochen oder Monate so weiterging? Wenn ich nicht mehr das Haus verlassen konnte, ohne erkannt zu werden?
Livy hätte der ganze Trubel wohl gefallen. Sie liebte es, wenn andere sie in der Stadt erkannten und auf ihren YouTube-Kanal ansprachen. Dann plauderte sie mit ihren Fans, machte Selfies und erzählte ihnen, natürlich topsecret, was ihr nächstes Projekt werden würde. Tatsächlich wurde sie immer deswegen angesprochen und nicht, weil sie die Tochter von Lester Campbell war. Ich dagegen konnte in aller Augen nur damit glänzen, dass Prinz Tristan an mir interessiert war.
Erneut huschte mein Blick zu dem Brief. An meinen Gefühlen für dich hat sich nichts geändert. Genauso hatte er es geschrieben. Zusammen mit wenigen anderen Sätzen, in denen er sich entschuldigte, mir Probleme bereitet zu haben, und mich bat, zu ihm nach Caverley Green zu kommen, um dem Pressewirbel zu entgehen. Gerade wollte ich nur zu gerne von hier verschwinden, wieder aufatmen und mich frei bewegen. Wäre da nicht … Edward. Denn wenn ich mir selbst die Frage stellte, ob ich bereit war, ihn noch einmal zu treffen, war es, als würde mein Innerstes sich weigern, darauf zu antworten.
Im Flur wurde die Haustür aufgeschlossen und Katzenpfoten tapsten über das Parkett.
»Bin wieder da, Krümel!«, rief Jordan und klopfte an meine Tür. Schnell stand ich auf, strich mir die Haare aus dem Gesicht und hoffte inständig, dass ich nicht aussah, wie ich mich fühlte. Er musste nicht wissen, dass ich nach drei Tagen Isolation bereits kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand. Ich versuchte ein Lächeln, aber es kam mir angestrengt vor. Jordan trat ein, legte den Kopf schief und musterte mich. Er setzte sich auf mein Bett. »Ich habe noch einmal mit deinem Schulleiter gesprochen«, sagte er, immer noch diesen forschenden Ausdruck in den Augen. Du kannst mir nichts vormachen, kleine Schwester, bedeutete das. »Mr Romero war sehr besorgt und hat mir nahegelegt, dich für ein paar Wochen aus dem Unterricht zu nehmen.«
»Ein paar Wochen?« Eingesperrt auf 52 Quadratmetern? Zusammen mit der Terrorkatze?
»Er hat versprochen, sich persönlich darum zu kümmern, dass du alle wichtigen Unterlagen über den Schulserver bekommst, damit du nach deiner Auszeit direkt wieder einsteigen kannst.«
Auszeit, ja klar. Verbannung traf es wohl besser. Mr Romero wollte mich nicht mehr in der Schule sehen, bis der Hype nachließ.
Jordan stand auf und streichelte mir über die Haare.
»Ich finde den Vorschlag gar nicht so schlecht. Livy kann so oft herkommen, wie sie möchte, und ich werde versuchen, Urlaub einzureichen. Oder …« Er fuhr sich mit der Hand über den Nacken. »… hast du noch einmal über Sixtons Angebot nachgedacht?«
Edwards Angebot. Eine ruhige Zeit, abseits des Presserummels. Nur meine Freunde, Yorick, Martha und Quinn, die Pferde und … er. Edward hatte zwar versprochen, mich in Ruhe zu lassen, wenn das mein Wunsch war, aber zum aktuellen Zeitpunkt konnte ich ja nicht einmal klar denken, was ihn betraf. Wie sollte ich da wissen, was ich wollte?
»Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist«, sagte ich und Jordan seufzte und legte mir die Hände auf die Schultern. »Ganz ehrlich, Krümel. Mir gefällt die Vorstellung, dich mit diesem Kerl alleine zu lassen, überhaupt nicht. Aber ich …« Die Worte schienen ihm schwerzufallen. »… möchte auch nicht, dass du dich hier eingesperrt fühlst.«
Fast gleichzeitig atmeten wir aus. Ich wollte etwas sagen. Seine Worte leugnen oder sie zumindest schmälern. Aber Jordan kannte die Wahrheit längst.
»Es liegt nicht an der Wohnung und schon gar nicht an dir. Ich …«
»Ist schon gut. Wenn ich nicht ab und an mal rauskönnte, würde mir auch die Decke auf den Kopf fallen.« Jordan drückte mir einen Kuss auf die Stirn. »Denk einfach noch einmal darüber nach, ja? Und dann treffen wir morgen eine Entscheidung und rufen Mum und Dad an.«
Ich nickte. Wenn es nach Mum ging, kam keine der Optionen infrage. Das hatte sie mir klargemacht, als wir gestern über drei Stunden lang telefoniert hatten. Aber zurück zu meinen Eltern, nach Stuttgart? Nein. Dann würden sie mich nie wieder ausziehen lassen, bevor ich achtzehn war. Oder dreißig.
Wie es schien, musste ich mich entscheiden. Hierbleiben und die kommenden Wochen zusammen mit einer durchgeknallten Katze verbringen, versteckt hinter Vorhängen, mit so wenig Kontakt zur Außenwelt wie nur irgendwie möglich. Oder aber … Wieder glitt mein Blick zu dem Umschlag und ich biss mir auf die Lippe … oder aber Caverley Green.
In dieser Nacht konnte ich nicht schlafen. Ich starrte an die Zimmerdecke und betrachtete die leuchtenden Sterne, die Jordan für mich dort angeklebt hatte, noch bevor ich bei ihm eingezogen war. Eine ganze Reihe an perfekten Sternbildern zog sich von meinem Bett über meinen Schreibtisch bis hin zur Tür. Jordan hatte gewollt, dass ich mich vom ersten Tag an wohlfühlte. Die Sterne sollten mich an unsere gemeinsamen Tage in Stockholm erinnern, daran, wie wir als Kinder aus dem Dachfenster geklettert waren und in den Nachthimmel gesehen hatten. Wir hatten uns Gruselgeschichten erzählt und davon geträumt, was wir als Erwachsene tun würden. Jordan hatte schon immer gewusst, dass er einmal Architekt werden wollte. Und ich? Pilotin, Filmregisseurin, Superheldin …
Jordan hatte dann immer gelacht und gesagt, dass sich in jedem Menschen ein besonderes Talent versteckte und ich mit der Zeit schon herausfinden würde, was meines war. Unfassbar. Schon als Teenager hatte er so weise Dinge von sich gegeben, die sonst nur Erwachsene sagten.
Ich seufzte. Wie leicht damals alles in Stockholm gewesen war. Lauter unbeschwerte Tage. Vielleicht die schönsten meines Lebens, ohne Angst vor dem, was am nächsten Tag auf mich wartete.
Als ich das letzte Mal auf mein Handy gesehen hatte, war es bereits kurz nach Mitternacht gewesen. Vor nicht einmal einer Viertelstunde waren die letzten Reporter aufgebrochen. Durch das hochgeschobene Fenster hatte ich gehört, wie sie sich draußen unterhielten. Dann waren Autotüren zugeschlagen worden und kurz darauf hatte ich verfolgt, wie der Wagen langsam aus unserer Straße rollte.
Jordan war ebenfalls noch wach. Seit einer halben Stunde lief er unruhig durch sein Zimmer und die Holzbalken knarrten bei jedem seiner Schritte. Ob er wegen mir nicht schlafen konnte? Schon gestern waren mir die dunklen Ringe unter seinen Augen aufgefallen. Er war morgens in die Küche gekommen – zwei Stunden später als sonst – und hatte ausgesehen, als wenn im Büro eine wichtige Abgabe bevorstand und das ganze Team mehrere Nächte lang durcharbeitete. Gestresst und müde, mit zerzausten Haaren und Dreitagebart. Dafür, dass er behauptete, dass ihm die ganze Situation nichts ausmachte, wirkte er ziemlich mitgenommen. Ich wünschte, ich hätte ihm irgendwie helfen können, aber das Einzige, was ich gerade tun konnte, um ihm die Last von den Schultern zu nehmen, war … Argh! Mit einem Stöhnen warf ich mich herum und griff nach meinem Handy, das neben mir auf dem Nachtschrank lag. Ich öffnete den Internetbrowser und tippte Prinz Tristan in die Suchleiste ein. Sofort wurde ich mit den neuesten Meldungen über mich konfrontiert, doch ich klickte einfach weiter, bis ich zur Bildersuche gelangte. Ohne genau zu wissen, was ich eigentlich erwartete, scrollte ich über die Fotos und blieb schließlich an einem Bild hängen, auf dem Edward neben einem schwarzen Pferd abgebildet war. Königlicher Besuch in der französischen Nationalreitschule – Prinz Tristan besucht die berühmte Cadre Noir, stand darunter. Auf dem Bild trug Edward eine helle Stoffhose, ein weißes Hemd und ein blaues Jackett. Attraktiv. Und doch so fremd. Ich betrachtete seine eisgrauen Augen, die kaum merklich und ohne jeden Ausdruck darin an der Kamera vorbeiblickten. Wie so häufig ließ er niemanden wissen, was er dachte. Im Sommer hatte es mich wahnsinnig gemacht, dass er seine Gefühle so gekonnt verbarg, aber immer genau zu wissen schien, was in mir vorging. Und jetzt? Jetzt hatte er mir seine Gefühle offen gezeigt und es machte mich auch wahnsinnig. Ja, verdammt, natürlich hatte ich noch etwas empfunden, als ich ihm auf dem Pferderennen begegnet war. Peinlicher Look hin oder her. Aber das änderte gar nichts … oder? Edward war jetzt wieder offiziell der Prinz von England und musste diese Rolle ausfüllen. Was, wenn er gar nicht mehr er selbst war? Oder viel schlimmer: Was, wenn ich ihm tatsächlich noch mal eine Chance gab und er mich wieder anlog? Das war die Frage, die am meisten an mir nagte.
Ich war gerade so weit, dass ich nicht mehr peinlich losheulte, wenn im Fernsehen eine romantische Szene lief, und ich schaffte es, Nachrichten über Edward zu sehen, ohne danach stundenlang ziellos durch die Wohnung zu laufen. Auf gar keinen Fall wollte ich wieder in die Phase zurück, in der mein einziger Tagesinhalt darin bestanden hatte, mich zur Schule zu schleppen und mich nachmittags in Jordans Bett zu verstecken. Das war doch nicht ich! Das passte gar nicht zu mir!
Ich wechselte zum Messenger und gab Edwards Kontakte ein. Er hatte weder ein Profilbild noch eine Statusmeldung. Kein Wunder, wahrscheinlich war es eine streng vertrauliche Handynummer. Und was hatte ich auch erwartet? Ein Selfie mit seiner Großmutter plus Corgis auf dem Arm?
Unsicher, ob ich das wirklich tun sollte, ließ ich meinen Finger über den Buchstaben schweben. Dann tippte ich.
Meine Antwort auf dein Angebot lautet nein.
Ehe ich mich anders entscheiden konnte, drückte ich auf Senden.
Kaum, dass die Nachricht im Verlauf angezeigt wurde, spürte ich, wie mir der Schweiß ausbrach. Oh Gott, was hatte ich nur getan? Was, wenn Edward antwortete? Und es war sogar ziemlich wahrscheinlich, dass er das tat. Ich hatte ihm schließlich gerade die Erlaubnis dazu erteilt. Shit! Seine Anrufe konnte ich vielleicht ignorieren, aber …
Edward schreibt, erschien in winzigen Buchstaben unter seinem Namen. Was? Wie konnte es sein, dass er meine Nachricht binnen Sekunden gelesen hatte? Es war mitten in der Nacht! Panisch überlegte ich, noch etwas zu tippen wie »Bitte antworte mir darauf nicht« oder »Kein Bedarf an weiteren Gesprächen«. Doch da leuchtete mir Edwards Nachricht bereits entgegen.
Wie geht es dir?
Ich las die wenigen Worte drei Mal. Kein Versuch, mich zu überzeugen, keine Frage nach dem Warum. Einfach: Wie geht es dir?
Mein Herz schlug schneller. Was konnte ich antworten? Etwas Bissiges? Dass das alles seine Schuld war? Nein. Ich wusste, dass das nicht stimmte.
Die Presse hat meine Schule überfallen, ich bin überall in den Nachrichten und der Schulleiter hat mir Zwangsferien erteilt.
Ich formulierte meine Nachricht möglichst sachlich und ohne ein Emoji hinzuzufügen. Gleich darauf hatte ich eine Antwort.
Es tut mir leid, dass ich dich in diese Lage gebracht habe. Ich weiß leider ziemlich gut, wie es sich anfühlt, sich vor der Presse zu verstecken. Und das ist wirklich das Letzte, was ich für dich wollte.
Ich betrachtete die Worte lange, setzte an, etwas zu schreiben, und löschte es dann doch wieder.
Hättest du dir das bloß eher überlegt. Nein.
Kein Problem. Ich komme schon klar. Nein.
Nichts davon fühlte sich richtig an. Ich legte das Handy zur Seite, drehte mich auf den Rücken und richtete meinen Blick auf die Sternbilder.
Wo Edward wohl gerade war? Auch in London? Oder auf Caverley Green? Bestimmt in einem prunkvollen Raum mit verzierten Zimmerdecken und goldenen Applikationen an den Wänden. Ob er sich auch manchmal erdrückt fühlte? Eingesperrt? Und unfähig, etwas dagegen zu unternehmen? Ganz sicher. Wahrscheinlich war das, was ich gerade erlebte, nur die Spitze des Eisbergs. Für Edward gehörte der Hype um ihn zur Tagesordnung. Er hatte schon weitaus Schlimmeres erlebt. Bei unserem letzten Treffen hatte er mir erzählt, wie Lianna und er im Skiurlaub in Davos verfolgt worden waren, obwohl sie beide Helme trugen und nicht von anderen Teenagern auf der Piste zu unterscheiden waren. Ein Reporter hatte Lianna so sehr bedrängt, dass sie gestürzt war. Er hatte erst von ihr abgelassen, als Edward ihm die Kamera aus der Hand geschlagen und auf ihn eingeprügelt hatte.
Dabei hatte Edward vollkommen die Kontrolle verloren und nicht aufgehört, bis Sixton und sein Vater ihn weggezerrt hatten. Das war auch der Grund, warum sein bester Freund James, der ihm in vielen Punkten ähnlich sah, kurzfristig seine Rolle einnehmen musste. Edward war nicht mehr in der Lage gewesen, sich der Öffentlichkeit zu stellen.
Ich gehörte zu den wenigen, die überhaupt davon wussten, und obwohl mich sein Geständnis zutiefst schockiert hatte, hatte ich mein Versprechen gehalten und niemandem davon erzählt. Nicht einmal Jordan.
Der Bildschirm meines Handys leuchtete auf und sofort fühlte ich mich wie unter Strom. Mein Bauch, meine Fingerspitzen, meine Haut – alles kribbelte. Ich zog mir die Bettdecke über den Kopf. Das war doch verrückt. Einfach verrückt. Ich hätte längst schlafen sollen. Und was tat ich stattdessen? Textnachrichten an Seine Hoheit, Prinz Tristan, schreiben. Nummer was weiß ich in der britischen Thronfolge, favorisierter Schwiegersohn alle Mütter mit Töchtern im Teenageralter und ausgerechnet der Junge, mit dem ich eigentlich nie, nie, nie wieder etwas zu tun haben wollte.
Ich seufzte und ließ einige Minuten verstreichen. Dann hielt ich es nicht mehr aus und öffnete Edwards Nachricht.
Bitte sag mir, wenn ich dir helfen oder irgendetwas für dich tun kann. Ich würde so gerne für dich da sein. Wenn auch nur als guter Freund oder Bekannter oder was auch immer ich für dich sein darf …
Drei kleine Punkte. Noch nie zuvor hatten sie ein solches Flattern in meinem Bauch ausgelöst. Ich schloss die Finger fester um das Handy und schob es unter mein Kopfkissen. Miese verräterische Gefühle. Warum hatte Edward bloß nach allem, was passiert war, immer noch so eine Wirkung auf mich? Das war nicht fair. Ich hätte ihn hassen sollen, Bilder von ihm verbrennen und überall herumerzählen müssen, was für ein Idiot er war. Eben das, was wohl jede andere in meiner Situation tun würde. Aber anstatt mit meiner besten Freundin über Edward zu lästern und Dartpfeile auf sein Konterfei zu werfen, fing ich langsam an zu verstehen, warum er mir nicht die Wahrheit gesagt hatte. Jetzt, da ich eine Ahnung davon hatte, was es bedeutete, in der Öffentlichkeit zu stehen, wurde mir einiges klar. Zum einen, warum er so vorsichtig gewesen war und sich am Anfang schwergetan hatte, mir zu vertrauen. Zum anderen, dass er es genossen haben musste, dass ich keine Ahnung hatte, wer er war. Ein Mädchen, das sich nur um seiner selbst in ihn verliebte. Nicht aufgrund seines Titels und der schillernden Welt, in die er hineingeboren worden war.
Ich tippte. Machte eine Pause. Richtete mein Kissen. Tippte weiter. Zögerte. Dann sendete ich es ab.
Was machst du, wenn dir alles zu viel wird?
Wieder kam die Antwort prompt.
Du weißt, was ich dann tue. Daran solltest du dir kein Beispiel nehmen.
Richtig. Edward reagierte aggressiv, wenn er zu sehr unter Druck geriet. Wobei er sich die letzten Wochen, in denen er sich vor den Medien für die Vertauschung hatte verantworten müssen, erstaunlich gefasst gezeigt hatte. Nur sein Blick war mir leer vorgekommen. Wie der eines Pferdes, das sich missverstanden fühlte, sein Schicksal aber einfach akzeptierte.
Wenn es möglich ist, gehe ich ausreiten oder wandern. Irgendwohin, wo mich niemand findet. Wenn ich allerdings gar nicht rausdarf, hilft kaum etwas. In den ersten Tagen tut es Fernsehen, Sport oder ein gutes Buch. Aber danach … schwierig. Spätestens nach einer Woche werden die Wände enger.
Ja, genauso fühlte es sich an. Meine ohnehin schon winzigen elf Quadratmeter schienen mit jeder Stunde weiter zu schrumpfen.
Und was machst du so, um dich abzulenken?
Online-Tutorials schauen, Bücher sortieren und mir zum zweihundertsten Mal Frozen ansehen.
Edward schickte einen grinsenden Smiley.
Du stehst auf singende Schneemänner?
Eine meiner vielen Leidenschaften, die du noch nicht kennst.
Bevor ich michs versah, setzte ich ein zwinkerndes Gesicht dahinter.
Du meinst, so wie die für gotische Vampirlooks?
Idiot. Ich verdrehte die Augen, auch wenn er es nicht sehen konnte, und meine Finger flogen über die Buchstaben.
Wenigstens habe ich nicht versucht, auszusehen wie ein moderner Abklatsch von Mr Darcy.
Ein Grinsen huschte über meine Lippen und ich wartete gespannt auf Edwards Antwort. Doch dieses Mal war er es, der sich Zeit ließ. Die Minuten verstrichen und langsam wurde ich kribbelig. War er etwa eingeschlafen? Nein, wohl kaum.
Aber warum …?
Edward schreibt.
Ich legte das Handy auf den Nachtschrank und zwang mich, die Nachricht nicht sofort zu lesen. Er sollte ja nicht denken, dass ich wie gebannt darauf wartete. Der Bildschirm leuchtete und ich begann, innerlich zu zählen. Doch bereits bei vierzehn siegte die Neugier.
Chapeau! Der Punkt geht an dich, Vlad-Girl.
Und dann …
Du fehlst mir.
Keine Ahnung, wann drei einfache Worte jemals so ein Chaos in mir angerichtet hatten. Du fehlst mir. Das konnte er doch nicht einfach so schreiben. Und schon gar nicht in einer Handynachricht, von der er sofort wusste, wenn ich sie gelesen hatte.
Ich betrachtete die Worte erneut. Eine Sekunde. Zwei. Bei drei drehte ich mich herum, warf das Handy in die Nachttischschublade, knallte sie zu und schloss die Augen, so fest ich konnte. Ich zwang mich, ruhig zu atmen, und tatsächlich wurde es nach einigen Minuten leichter. Aber an meinem aufgeregten Herzschlag oder dem zarten Flattern im Bauch änderte es nichts.