Читать книгу Asche und Blüten - Janine Spirig - Страница 16

Süsse des Lebens

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Es entstand bald eine lebhafte Wochenendbeziehung. Dazwischen erfreuten Kartengrüsse unser Dasein. Paul besuchte mich, ich ihn, und immer stand er in Turnschuhen, einer roten Jeanshose, einem ungebügelten Hemd, einem selbst gestrickten Pullover und einer anthrazitfarbenen Segeltuchjacke da. Mit einem breiten Lachen informierte er mich über die erstaunliche Tatsache, dass, seit er rote Jeans trage, schon die halbe Stadt in solchen herumlaufe. Er hatte eine spezielle Art, wie er dastand und sich bewegte – das war eben Paul, ein breites Lachen, Witz, keine Manieren, dunkle, lange, wuschelige Locken, Wärme, Grösse, Souveränität und viel Selbstverständlichkeit.

Manchmal schwänzte ich den Freitagnachmittag, um früher bei Paul zu sein und das Wochenende zu verlängern. Als ich dieses Mal bei seiner Wohnung ankam, klebte schon eines am Briefkasten, ein anderes an der Haustüre unten, ein drittes an der Eingangstüre oben, an der Garderobe klebten welche, auf der Unterseite seines grünen Blechtisches, auf einem Stuhl in der Stube, am Küchenkästchen, unter dem Kopfkissen … Ob ich es glaubte oder nicht, überall klebten welche, sogar am Badezimmer-Spiegelschrank. – Torinoschokistengel! Das war eines meiner süssesten Wochenenden, bis zu seinem Geburtstagsfest.

Er lud viele Freunde ein, ich lernte das erste Mal seine Bekannten kennen und ihn als pfiffigen, humorvollen Gastgeber. Natürlich machte ich auch die Bekanntschaft mit seinen Verehrerinnen, die ihm wundersamste, mit Gänseblümchen verzierte Quarktorten brachten. Nicht das erste und auch nicht das letzte Mal musste ich Paul jedoch darauf aufmerksam machen, dass besagte Damen etwas mehr als nur seine Bekanntschaft suchten. Jedenfalls bahnte sich nach seinem Geburtstagsfest unser erster handfester Streit an, nach welchem ich meine Sachen packte und ihn mit seiner anstehenden Entscheidung alleine liess. Die anderen oder ich.

Traurig ging ich nach Hause, jedoch klar in meinem Entschluss. Entweder ist er der Richtige, oder ich ziehe es vor, alleine zu bleiben, hiess meine Devise. Zu Hause traf ich zufällig (oder will man es Fügung nennen?) Pauls Tante, die mich auf meine verweinten Augen ansprach. Ich beklagte mich über Pauls Unentschlossenheit. Liebevoll hörte sie mich an und gab mir den Rat, ihm doch noch etwas Bedenkzeit einzuräumen, ihre Familie, sagte sie, sei in Herzensangelegenheiten eher langsam, dafür umso gründlicher. Damit hatte sie allerdings recht. Ich freute mich sehr, als Paul sich nach seiner einwöchigen Weiterbildung bei mir meldete und sich, wie er mir versprach, bessern wolle. Dann unternahmen wir einen Spaziergang, wo wir uns auf ungezwungene Weise wie offiziell füreinander entschieden, und von da an wollten wir als Paar gemeinsam weitergehen, komme, was wolle. Bodenständiger Realist und Sphärenreiterin! Das passte!

Ich atmete ihn und er atmete mich, und unser Herzschlag war zusammen ein einziger Lebenspuls, der das Herz der Erde und die Weite des Himmels durchpochte. Wir träumten uns in eine bessere Welt, zusammen würden wir alles schaffen. Die Magie unserer Liebe zauberte mir eines Nachts einen Traum; darin sah ich in einem Kreis Engel um unser Bett stehen. Sie sangen uns das Lied unserer beiden Herzen. Mit Paul war alles hell und leicht. Unser Zusammensein erschien mir so, als wäre es in grössere Hände gebettet. Die Befürchtung, in einer erstickenden Beziehung meine Freiheit zu verlieren, sollte sich nicht bewahrheiten. Dazu waren wir zu verschieden, zu offen füreinander – bereit, den Dingen ins Gesicht zu blicken, ideenreich und kreativ.

Für mich war das ein neues, schönes, seltsames Gefühl – interessant genug, um dranzubleiben: nach und nach in seine fremde und gleichzeitig vertraute Tiefe von unfassbarer Weite einzutauchen und seiner selbstverständlichen Bodenständigkeit und zugleich seltenen Feinfühligkeit vertrauen zu lernen.

Alles wurde von nun an gemeinsam unternommen. Verliebte Motorradfahrten, Fototouren ohne Film, Velofahrten über welsche «Colles», wie wir sie nannten, Wanderungen in den Alpen, verhagelte Zeltnächte, Ferien im Verzascatal, Kultur, Jazzfestival Montreux, gemeinsamer Kellerumbau, zweimaliges Zügeln meiner Habseligkeiten in vier Monaten, ich schien mir dafür den Mann ausgesucht zu haben, einen, der vor dem Anpacken nie zurückschreckte und seine Hilfe jedem, der sie brauchte, zuteil werden liess.

Es wurde über alles diskutiert, über Gott und die Welt, übers Kinderkriegen, über freche Vermieter und schwierige Schüler, über den Umweltschutz und biologisches Gärtnern, Sport und Vereinsarbeit (wovon ich nicht die geringste Ahnung hatte), über innere Räume und Yoga (wovon Paul nicht die geringste Ahnung hatte), und doch hatte alles seinen Platz. Trotzdem konnte es passieren, dass wir uns plötzlich nicht mehr verstanden, wir fanden uns jedoch bald wieder, und wenn wir aneinandergerieten, fühlten wir uns, trotz unserer Verschiedenheit, nach dem gemeinsamem Durchstehen der Differenzen dem anderen näher als zuvor. Mir schien Paul oft zu realitätsverhaftet, ich ihm zu realitätsfremd – kein Wunder bei unserer Konstellation: Er hörte Hardrock, ich liebte Kirchenmusik; er interessierte sich für Sport, ich mich für Kunst und Theater, er las Asterix und Gaston und ich spirituelle und psychologische Bücher. Das passte wirklich hervorragend!

Jeder von uns lebte sein eigenes, unabhängiges Leben, und doch warteten wir beide dazwischen mit Herzklopfen auf das nächste Wochenende; die Sehnsucht unter der Woche überbrückten wir mit «Unter-der-Woche-Kartengrüssen».

Jeder Moment wurde ausgekostet, gelebt und geliebt, es war immer witzig und spritzig, und nie langweilig. Das Gleichgewicht zwischen Leichtigkeit und Ernsthaftigkeit schien für uns der Rahmen zu sein, in dem wir uns beide wohl fühlten. Es war perfekt.

An Ostern versteckten wir, weil es draussen regnete, die Schoki-Hasen in Blumenvasen, Küchenkästchen und in Bücher, und wir eroberten als Paar seinen Vater, was doch einiges hiess, und ich sang im Chorprojekt in der Kirche meine Strophen inbrünstig extra für ihn, obschon er, wie sich im nachhinein herausstellte, entgegen seinem Versprechen gar nicht anwesend war, weil er geistliche Musik hasste. Wir experimentierten mit dem Leben, wie man es als junge, verliebte Menschen eben tut. Kurz, nach neun Monaten Wochenendbeziehung wurde ich schwanger und war doch noch in der Ausbildung.

Asche und Blüten

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