Читать книгу Das Geheimnis des Stiftes - Janine Zachariae - Страница 10

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6. Eine Geheimorganisation, wirklich?

»Keine Monster. Keine Magie«, sage ich mehr zu mir und doch sieht sie mich irritiert an. »Als ich noch ein Kind war, hab ich angenommen, er sei von einem Monster gefressen worden. Später dachte ich, er sei ein Magier und habe sich einfach in Luft aufgelöst.« In ihrem Blick erkenne ich Mitleid und Trauer. »Tut mir leid«, nuschle ich und fühle mich total dumm.

»Ich glaube, es gab Ärger auf der Arbeit und deshalb ist er verschwunden.«

»Ärger auf der Arbeit? Er hat uns deshalb verlassen?« Wütend stehe ich wieder auf und fasse es einfach nicht.

Sie atmet spürbar aus und ich merke ihr an, dass sie sich schon lange auf dieses Gespräch vorbereitet hat.

»Irgendwas ist vorgefallen, einige Wochen bevor er verschwunden war. Er blieb länger als gewöhnlich weg, hatte sich aber immer gemeldet. Das hatten wir ausgemacht. Er sollte mir alle zwei Stunden eine Nachricht schicken, damit ich weiß, dass alles gut ist. Sein Job war nicht … er war gefährlich.«

Mit solchen Erkenntnissen hätte ich nicht gerechnet. Ich wünsche mir, er wäre ein Zauberer oder Magier und alles würde Sinn ergeben. Aber das hier?

»Wie gefährlich?«

Sie überlegt, wie weit sie mit ihrer Enthüllung gehen kann. Dann scheint sie sich selbst zuzunicken und betritt das Büro.

»Er arbeitete für eine Geheimorganisation und ...«

»Eine GEHEIMORGANISATION? Sag mal, aus welchem ›James Bond‹ Film hast du das denn alles her?«

Sie guckt mich nur an und ich weiß, dass sie aufhört, sobald ich sie weiter unterbreche. Ihren Blick kenne ich nur zu gut. Wenn sie von mir genervt oder enttäuscht ist, schaut sie mich einfach nur an. Ganz ruhig, sie legt dabei ihren Kopf etwas schief, ansonsten aber blinzelt sie nicht einmal. Ihre braunen Augen machen mich nervös und ich verspreche ihr, mich zu benehmen. Aber mal ehrlich: Zuerst das mit der Tür, dann soll er für eine Geheimorganisation arbeiten? Mir liegt die Bemerkung ›welchen James Bond sie am Besten gefunden hat‹ auf der Zunge, doch lasse ich es lieber bleiben. Ich finde ja, Roger Moore hat es echt großartig gemacht und war traurig, als er vor einigen Monaten gestorben ist.

Sie seufzt schließlich und geht hinter den Schreibtisch, der immer noch genauso angerichtet ist, wie vor all den Jahren. Das Büro ist in einer Zeitblase gefangen, denke ich und mit einer dicken Staubschicht bedeckt. All die Bücher und Ordner, Dokumente und Papiere, die sich überall stapeln.

Ich hätte jetzt gerne erzählt, dass ich etwas Unglaubliches entdeckt habe. Etwas, was natürlich niemand zuvor gefunden hatte. Aber leider weiß ich, dass alles mehrfach durchsucht worden ist - sogar der Mülleimer.

Meine Mutter scheint irgendwas zu suchen und hält es schließlich triumphierend in die Höhe.

»Du darfst mit niemandem darüber reden.«

Ich nicke ihr zu und frage mich immer noch, in welchem Film ich gerade bin.

»Der Chef deines Vaters hatte sich selbst hier umgesehen und stundenlang nach Hinweisen gesucht.

Er erzählte mir, dass Paul irgendetwas aufgedeckt hatte und damit etwas ganz Großes ins Rollen brachte.«

»Ja, und? Manchmal muss man eben aufräumen. Wenn er was entdeckt haben sollte, dann wird er sicherlich auch Unterstützung bekommen haben, oder?«

»Eben nicht. Hier schau.« Sie reicht mir einen Ausweis mit seinem Foto darauf. Ich lese den Namen. Noch einmal. Da lag ich mit James Bond gar nicht so verkehrt. Er hat für eine Organisation gearbeitet, von der ich glaubte, sie sei nur erfunden oder ein Mythos.

»Das glaub ich jetzt nicht! Er hat wirklich dafür gearbeitet? Für die HRoFO?«

Die HRoFO steht für die ›Historical Real or Fiction Organisation‹, eine Organisation, die sich mit historischen Fehlmeldungen beschäftigt. Eigentlich hab ich immer geglaubt, sie sei nur ein Märchen. Wie soll man denn Mythen auf den Grund gehen? Das klappt doch nur, wenn man ... Ja, wie soll das funktionieren? Und was hat mein Vater damit zu tun?

Sie nickt und ein Schatten legt sich auf ihr Gesicht.

»Es hieß damals, irgendjemand hat einen Anschlag geplant und dein Vater wollte alles daran setzen, dass man die Strippenzieher dingfest macht. Aber die Liste an Verrätern war lang und scheinbar war auch ein sehr mächtiger Mann darunter.«

»Und der hätte meinem Vater das Leben zur Hölle gemacht?«, schlussfolgere ich. Sie nickt und ich muss weiter überlegen. »Moment mal, was hat das mit dieser Organisation zu tun? Geht es da nicht um die Vergangenheit?« Nun verstehe ich wirklich nichts mehr.

»Ja und nein. Es geht auch darum, dass man etwas in der Gegenwart verhindert, damit man in der Zukunft kein böses Erwachen hat.«

Was? Meine Mutter scheint es ernst zu meinen, aber ich kann sie nur anstarren. Was hat sie erzählt? Das ergibt keinen Sinn. Sie muss gemerkt haben, dass mich ihre Erklärung total verwirrt hat, denn sie fügt hinzu: »Mel, es gibt sehr viel mehr, als du kennst. Die Geschichte verläuft nicht immer so, wie wir sie kennen. Manchmal muss jemand eingreifen, um das zu verhindern.«

»Woher will man wissen, was in der Zukunft geschieht?«

Ich muss mich setzen, mir wird das alles einfach zu viel. Ich ziehe den Stuhl vom Schreibtisch zurück und lasse mich darauf nieder. Mir fällt auf, dass ich noch nie so lange in diesem Raum war, der mir plötzlich so klein und eng vorkommt. All die Bücher strömen keine Vertrautheit mehr aus, sondern beengen mich. Sie wissen mehr, als sie zugeben und es macht mich fertig, es nicht zu erfahren. Meine Mutter weiß auch mehr, sie scheint sich dagegen wehren zu wollen.

»Ich kann nichts weiter dazu erzählen«, gibt sie zu. Was habe ich euch gesagt?

»Verstehe ich das richtig: Dad ist durch einen Taschenspielertrick aus dem Zimmer verschwunden, damit jeder glaubt, er habe sich einfach in Luft aufgelöst. Er hat heimlich für die ›Historical Real or Fiction Organisation‹ gearbeitet, hat einen Komplott aufgedeckt, einen Anschlag verhindert und irgendjemand fand das gar nicht so toll und er ist deshalb verschwunden? Und diese Organisation verhindert, dass in der Gegenwart etwas geschieht, was die Zukunft beeinflussen könnte?« Ich bekomme Kopfschmerzen. Ich will doch nur Antworten und erhalte noch mehr fragen. Mensch, das nervt! Während ich beginne meine Schläfen zu massieren, beobachte ich meine Mutter. »Habe ich was vergessen?«, frage ich gereizt.

»Ach Süße, du verstehst das einfach nicht. Es steckt etwas mehr dahinter.«

»WAS? ERKLÄR ES MIR!«, brülle ich.

»Das kann ich nicht. Es steht mir nicht zu.«

Ich kann diese Unterhaltung nicht mehr weiterführen. Es bringt nichts und ich würde nur etwas sagen, was ich später bereuen werde. Es ist nicht ihre Schuld. Sie scheint ebenso Angst zu haben. Ich werde es schon noch herausfinden, ganz bestimmt.

Wortlos stehe ich energisch auf, schiebe den Stuhl dabei so weit zurück, dass er an die Wand hinter mir kracht und laufe an meiner Mutter vorbei.

»Melanie«, höre ich sie noch sagen, aber ich ignoriere es.

Dann muss Google herhalten. Ich setze mich an den Schreibtisch und nehme einen Stift und Zettel, um mir eventuell Notizen zu machen. Aber das ist überflüssig, wie ich schnell herausfinde.

HRoFO

Abgesehen von ein paar Twitter Namen, die diese oder eine ähnliche Abkürzung haben, gibt es nichts Interessantes dazu.

Historical Real or Fiction Organisation

Auch hier gibt es nichts zu. Jedenfalls nichts, was für mich relevant wäre. Viele Beiträge über Realität und Fiction tauchen auf, aber das, was ich wissen möchte, erfahre ich nicht.

Gibt es diese Organisation dann doch nicht? Google weiß doch alles, oder?

›Bing‹ zeigt mir übrigens noch seltsamere Sachen an.

Ich werde jetzt nicht noch ›Yahoo‹ oder andere Suchmaschinen befragen, denn es scheint eindeutig zu sein: Sie gibt es nicht.

Oder?

Es ist wie mit Area 51 in Nevada, USA: Man kennt es, es gibt viele Gerüchte darüber, aber es ist eigentlich nur ein militärisches Sperrgebiet. Dabei glauben viele, dass in Roswell 1947 ein UFO dort gelandet ist.

Ich schweife schon wieder ab, dabei will ich nichts über Aliens recherchieren, auch wenn ich tatsächlich glaube, dass wir nie und nimmer alleine in den unendlichen Weiten des Universums sein können.

Genervt klappe ich den Laptop wieder zu und schmeiße mich auf mein Bett, wo mein Handy auf mich wartet. Ich komme so nicht weiter und das ärgert mich. Ich öffne Instagram und versuche wieder etwas herunterzukommen.

Privatnachricht von Julian.

Juliansbookland

*Wie geht es dir? Habe deinen Kommentar unter dem Video gesehen.

Dein Buch gefällt mir wirklich.

Was ich dich fragen wollte, hat deine ›Alice im

Wunderland‹ Ausgabe im inneren, auf Seite 343

etwas stehen, was nicht dahin gehört?*

Marinettesbookland

*Mir geht es ...*

Was soll ich denn dazu schreiben? Ich schnappe mir erst einmal das Buch, was sowieso noch vor mir liegt. Schlage die Seite auf, die er mir genannt hat, und ziehe erstaunt so scharf die Luft ein, dass meine Zähne schmerzen. Verdammt.

*... soweit ganz gut. Danke.

Ich hab ... *

Ich frage mich, warum er ständig auf das Buch zurückkommen muss. Was hat es damit auf sich?

Irgendwas muss er wissen oder verbergen. Oder werde ich jetzt paranoid? Was könnte ich antworten ...?

*Ich hab weiß nicht, was du meinst. Tut mir leid. Hab leider nichts gefunden.

Was genau suchst du?*

Juliansbookland

*Danke fürs Nachsehen. Ich hab ein paar Zahlen entdeckt und dachte, bei dir könnten auch welche

Sein. Aber vielleicht hat sie auch jemand einfach so ins Buch geschrieben. Wer weiß, woher meine Mutter

es hat und wer es vorher schon hatte.*

Ich fasse es nicht. Das kann kein Zufall mehr sein.

1310

Ob ich es vielleicht doch riskieren soll?

Marinettesbookland

*Was steht denn drin? Vielleicht gibt es ja eine Erklärung oder irgendjemand hat einen Code geschrieben. Ein Rätsel oder so.

Das wäre doch mega spannend, oder? *

Lange passiert nichts und ich frage mich, was er wohl macht. Überlegt er? Hat er mich vergessen oder hadert er mich sich selbst? Ich schnappe mir in der Zwischenzeit meinen Laptop und gebe die Zahl dort ein.

Mit mir haben diese Fakten, die ich gerade lese, nichts zu tun. Mmh. Das Buch habe ich schon oft genug durchgeblättert, aber mir sind die Zahlen bisher nie aufgefallen. Hab ich sie nur übersehen oder hat mir jemand einen Hinweis dagelassen? Wie? Wer?

Zehn Minuten später:

Juliansbookland

*Kein schlechter Ansatz.

Wäre möglich.

Bei mir steht

1419

Ich weiß wirklich nicht, was das zu Bedeuten hat.

Dachte an eine Seitenzahl, vielleicht steht

etwas dort. Aber auf der vierzehnten Seite, Zeile neunzehn steht nichts.

Ob das ein Datum ist?*

Marinettesbookland

*Warte mal, ich gebe das ein ...

Der hundertjährige Krieg war 1419 noch aktiv, das Wort ›Hexereye‹ ist entstanden. Schau selbst. Aber ich finde nichts, was etwas seltsames Andeuten würde.*

Ich schicke ihm den Link von Wikipedia und klicke selbst auf das Wort ›Hexereye‹, aber auch da geht es mehr um die Bedeutung des Wortes.

Ich komme nicht weiter und das wurmt mich.

Juliansbookland

*Das ist ziemlicher Quatsch, oder? Und bei dir steht wirklich nichts? Nicht mal ganz klein irgendwo?*

Einige Minuten warte ich, um ihm im Glauben zu lassen, ich würde noch einmal suchen.

Marinettesbookland

*Oh, wow. Tatsächlich. Ach je. Das ist doch kein Zufall mehr, oder?

1310

Das kann nur ein Datum sein.

Aber warum? Wozu?*

Juliansbookland

*Hast du mich auf die Probe gestellt, Marinette?*

Marinettesbookland

*Wie kommst du denn darauf?

Kannst du deine Mutter fragen, woher sie das Buch genau hat?*

Jetzt bin ich gespannt. Mehr als das. Nervös warte ich auf eine Antwort. Ich warte und ...

Etliche Minuten später:

Juliansbookland

*Meine Mutter hat uns vor einer Weile verlassen.*

Marinettesbookland

*Das tut mir sehr leid. Entschuldige, ich wollte nicht ...

Weißt du was, selbst wenn es ein Datum wäre,

es spielt keine Rolle, oder?

Wir können ja doch nichts damit anfangen.

Vielleicht brauchte das Lewis Caroll selbst bei seinen Recherchen oder jemand hatte sich einen Spaß

daraus gemacht und in zwei

Ausgaben einfach etwas gekitzelt.*

Juliansbookland

*Möglicherweise hast du recht. Okay,

vergessen wir das einfach, oder? *

Wir chatten über belangloses und beenden das Gespräch, nachdem wir uns in eine Diskussion über ein Buch ausreichend ausgelassen haben.

Das Geheimnis des Stiftes

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