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3. Der Blumenladen

Fünf Jahre lang ging ich jeden Tag nach der Schule zu Frau Hops und half ihr. Es war nur ein Vorwand, dass ich Geld bräuchte. Denn eigentlich wollte ich Gesellschaft, da ich nicht in die deprimierende Wohnung zurückkonnte. Der Geruch all dieser Blumen und Pflanzen beruhigte mich und erfüllte meine Sinne jedes Mal aufs Neue.

Meine Mutter suchte sich wieder Arbeit und schuftete in einem Dreischichtsystem im Krankenhaus. Sie war im Grunde sowieso nie da und wenn, verzog sie sich schnell in ihr Schlafzimmer.

Irgendwann schaute ich mich in ihrem Zimmer um. Ja, ich weiß, das macht man nicht. Aber ich war verzweifelt. Ich musste wissen, was los war.

Sie suchte nach meinem Vater.

Sie hatte nie aufgehört, nach ihm zu suchen, und das gab mir den Rest. Ein kompletter Ordner lag vor mir, vollgestopft mit Belegen, Dokumenten und Bildern, die eine Person zeigten, die meinem Vater ähnelten, aber er doch nicht war oder sein konnte.

Ich blätterte die Seiten durch, wusste, ich habe viel Zeit und stoppte bei einem Foto, was sehr alt aussah. Es war datiert, aber das Jahr …

Was sollte das Bedeuten?

Warum hatte meine Mutter ein Bild aufgehoben und eingeklebt, welches eine Zeichnung darstellte. Es war nicht einmal eine Fotografie. Na gut, dank Google wusste ich, dass das erste bekannte Foto wohl 1826 entstand. Aber die Zeichnung, die scheinbar in einer Zeitung vorgekommen war, stammte von 1714. Mit meinem Handy fotografierte ich alles ab und schaute es mir stundenlang an.

*

Was wusste meine Mutter?

Was verheimlichte sie mir?

*

Frau Hops war eine herzensgute alte Dame, die mir sehr viel über sich und ihre Vergangenheit erzählte.

Meine Mutter kannte Frau Hops ebenfalls und sie war ihr dankbar, dass ich zu ihr durfte. Die zwei sprachen oft stundenlang miteinander und scheinbar konnte nur diese liebe alte Frau zu ihr durchdringen.

*

Vor fünf Jahren verreiste Frau Hops und bat mich für sie einzuspringen, sofern ich es zeitlich einrichten könnte. Es war nichts Ungewöhnliches, denn oft sprang ich für sie ein, wenn sie zum Arzt musste oder einen anderen Termin wahrnehmen wollte. Sie vertraute mir und ich war unendlich dankbar, ihr helfen zu können, da sie über viele Jahre hinweg wie eine Großmutter für mich war. Ich war zwar erst fünfzehn, aber kannte mich gut im Laden aus. Es sollte nur für ein paar Tage sein und ich hatte gerade Sommerferien, da war es für mich eine willkommene Abwechslung. Doch die Tage verstrichen, und ich hatte noch nichts von Frau Hops gehört.

Es war an einem Mittwochnachmittag und der Blumenladen, den ich ordentlich hielt und jede Blume so pflegte, wie ich es gelernt hatte, war mit vielen unterschiedlichen Kunden besucht.

Kurz vor Ladenschluss sah ich einen Mann, um die 25 Jahre, der vor der Ecke mit dem Trauergesteck angehalten hatte.

»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte ich leise, doch er zuckte trotzdem etwas zusammen. »Verzeihung, ich wollte Sie nicht erschrecken.«

»Ist nicht ...«, er sah zu mir und schien zu überlegen, ob er mich duzen oder siezen sollte, »... deine Schuld«, entschied er sich schließlich, was mir nichts ausmachte, denn ich bin es gewohnt gewesen. Es sprach trotzdem für ihn, dass er erst einmal darüber nachdachte. »Meine Großmutter ist vor ein paar Tagen ...«, er brach den Satz ab und ich führte ihn zu einer Bank, auf der er sich setzen sollte.

»Darf ich Ihnen eine Tasse Tee oder ein Glas Wasser anbieten? Danach können wir überlegen, was Ihrer Großmutter gefallen hätte.«

Er lächelte und setzte sich schließlich hin. »Ein Tee wäre gut, danke.« Ich nickte und ging hinter die Kasse, dort hatten wir einen Wasserkocher und jede Menge Teesorten versteckt. Ich überlegte, welcher am Besten geeignet wäre, und beobachtete ihn, während das Wasser langsam kochte. Er trug eine dunkle Jeans und ein schwarzes Langarmshirt, sowie schwarze Turnschuhe und wirkte sehr lässig und doch angespannt. Er fuhr sich mit seiner rechten Hand durch sein volles dunkles Haar und schien über irgendwas nachzudenken. Ich glaubte, als ich ihn damals dort sitzen sah, dass er eigentlich andere Farben bevorzugte.

Das Wasser kochte und ich bereitete ihm einen Tee mit Kamillenblüten zu. Dieser würde ihn etwas Ruhe schenken, ohne ihn schläfrig zu machen. Hoffte ich zumindest. Zwischen all den Blumen den Duft der Kamille zu riechen, ist mag ich immer sehr gerne. Er nahm mir die Tasse dankend ab und ich ließ ihn erst einmal alleine und kümmerte mich um weitere Kunden. Nach einigen Minuten stand er auf, lächelte mich an und ich nahm ihm die Tasse wieder ab und verbarg sie hinter der Kasse. Er hatte seine Hände in den Hosentaschen vergraben und wirkte mit einem Mal sehr unsicher.

»Erzählen Sie mir doch etwas über Ihre Großmutter«, schlug ich vor und suchte in der Zwischenzeit nach etwas Passendem. Zuerst schien er nicht zu wissen, wieso ich so vorgehe, aber das hatte ich alles von Frau Hops gelernt.

Auch sie unterhielt sich gerne mit ihren Kunden und erstellte so das beste Gesteck, das man sich vorstellen konnte. Sie war eine wahre Künstlerin und ich staunte immer wieder über das, was sie erschaffen hatte. Sie sollte stolz auf mich sein und keine Beschwerden hören. Das war ich ihr schuldig. Also hörte ich mir die Männer und Frauen, Kinder und Großeltern, Menschen mit körperlicher oder geistiger Einschränkung an und versuchte für sie da zu sein. Manche kommen hier her, weil sie jemandem eine Freude machen oder sich entschuldigen wollen. Andere möchten sich selbst etwas Gutes tun. Manchmal kommen Kinder in den Laden, die ihrer Mama eine kleine Freude machen möchten oder weil sie sich in einen Kindergartenfreund oder Freundin verliebt haben. Dann stehen sie vor den ganzen Blumen, staunen und zeigen gezielt auf eine Bestimmte. Sie zücken ihr eigenes Taschengeld, obwohl ich mir immer wieder sicher bin, dass die Mutter oder der Vater es zahlen würden. Denn sie alle strahlen etwas Wundervolles aus.

Noch während dieser Mann von seiner Großmutter erzählte, griff ich nach einem schlichten, aber eleganten Gesteck. Er hatte mir berichtet, dass das eine extra Firma übernehmen würde, doch wollte er selbst etwas mitbringen.

Er betrachtete das, was ich ausgesucht hatte und zog die Augenbrauen zusammen.

»Es fehlt noch was, einen Augenblick bitte«, sagte ich und verschwand kurz hinten im Lager.

Ein Ort voller Dekoration, Blumen und Pflanzen. Im Lager geschieht und geschah die eigentliche Magie. Dieser Blumenladen hatte mich vom ersten Moment an verzaubert und viele Kunden ebenfalls.

Wenn Frau Hops im Lager etwas kreierte, dann schien es wirklich, als würde sie zaubern, so magisch wirkte es.

Ich kam mit einer zierlichen Elfe zurück, die ein Herz in der einen und eine weiße Rose in der anderen Hand hielt. Die Elfe selbst war in einem schlichten Beige gehalten. Ich setzte sie in die Mitte des Gestecks und blickte zu dem Mann auf.

»Das ist bezaubernd. Danke«, sagte er und ich glaubte, eine Träne wahrgenommen zu haben. Er atmete tief durch und ging direkt zur Kasse, zahlte und bedankte sich noch einmal.

»Ihre Großmutter«, sagte ich, bevor er die Türklinke drückte, »kann stolz auf Sie sein.« Irritiert blickte er mich an und lächelte zaghaft. Warum ich das gesagt habe, wusste ich nicht. Normalerweise sagt man so etwas wie »Mein Beileid« oder »Das tut mir sehr leid«, aber manchmal genügen solche Floskeln einfach nicht und man braucht andere Worte des Trosts.

Lange konnte ich nicht darüber nachdenken, denn eine verweinte Frau betrat den Laden und blickte sich verwirrt um.

»Ist Frau Hops denn nicht da?«, fragte sie und zog ihre Nase dabei etwas hoch.

»Tut mir leid, sie ist verreist. Aber ich kann auch gut zuhören.«

Sie betrachtete mich etwas abschätzig. Meine 1.60 Meter (mittlerweile bin ich acht Zentimeter größer) sprachen nicht sonderlich für mich. Meine schulterlangen schokoladenbraunen Haare hatte ich an diesem Tag nicht so gut unter Kontrolle bringen können, auch wenn sie glatt sind, so konnte ich sie manchmal nicht in Form halten und nicht mal ein Zopf half dann.

Die Luftfeuchtigkeit im Laden hatte etwas damit zu tun.

Sehr lange habe ich nach einer wirklich guten Pflege gesucht. Mittlerweile macht es meinem Haar nichts mehr aus.

Ich reichte der jungen Frau erst einmal eine Packung Taschentücher und führte sie zur Bank. Auch ihr bot ich Tee an, dieses Mal aber Melisse und hörte ihr geduldig zu, während sie doch anfing zu sprechen.

Unter Tränen erzählte sie: »Meine Großmutter ist vor wenigen Tagen verstorben, mein Job ist weg und mein Freund hat mich verlassen und ich musste ausziehen.« Sie schnäuzte ins Taschentuch und ich nahm an, dass sie mit dem jungen Mann von vorhin verwandt sein musste. »Meine ganze Welt ist innerhalb weniger Tagen zerbrochen.«

Schon wieder konnte sie keinen Job oder Freund längere Zeit halten und sie glaubte, ihre Großmutter enttäuscht zu haben.

»Was möchten Sie?«, fragte ich, nachdem sie geendet hatte. Irritiert blickte sie zu mir. »Sie haben mir erzählt, dass Sie immer nur Jobs haben, damit sie Geld verdienen können – was natürlich auch wichtig ist … – aber wenn Sie die Wahl hätten, was würden Sie gerne arbeiten?«

»Darüber hab ich noch nie nachgedacht«, sagte sie ehrlich und doch nachdenklich. Die junge Frau hatte langes blondes Haar, trug ein fliederfarbenes Kostüm, was sie älter aussehen ließ und schwarze Pumps. Sie schien sich nicht wohl in ihrer Haut zu fühlen und ich denke, sie passte sich nur ihrer Umgebung an. Sie fuhr sich durch ihr langes Haar und ich konnte ein kleines Tattoo hinter ihrem rechten Ohr erkennen, was meine Einschätzung bestätigte.

»Wo wohnen Sie denn, nachdem Sie aus der Wohnung Ihres Freundes gezogen sind?«

»Bei meinem Bruder«, gab sie zu. »Er hat so viel um die Ohren und doch ist er für mich da. Er kümmert sich um die Trauerfeier, musst du wissen und hat dazu noch einen schwierigen Job und … ach, ich weiß nicht mal, wann der Junge überhaupt mal schläft. Er mag Pflanzen und Blumen und ich möchte ihm etwas Besonderes schenken.«

Ich wollte gerade eine bestimmte Blume ansteuern, als mir bewusst wurde, dass sie wahrscheinlich nicht so viel Geld haben würde, nach allem, was ihr passiert war. Ich musste kurz innehalten und nachdenken.

»Warten Sie kurz, ich habe, glaube ich, die richtige Blume für Sie«, sagte ich und ging ins Lager.

»Eine Hyazinthe?«, fragte sie kurz darauf. Der Duft war dezent süß, nicht so aufdringlich wie viele andere dieser Sorte, weshalb wir sie auch bei uns im Laden aufbewahren können.

Am Vormittag hatte ich etwas neu arrangiert und mich ein wenig ausgetobt, aber traute mich nicht, sie in den Laden zu stellen. Sie war chaotisch und doch strahlte sie etwas ungewöhnlich Beruhigendes aus. Ich benutzte verschiedene Farben, die alle aber irgendwie stimmig wirkten, und machte ein paar weiße Steine und schwarze Kugeln dazu. In die Erde hatte ich einige Kieselsteine gelegt, damit sie locker blieb und keine Staunässe entstehen konnte.

»Ich weiß, was Sie denken. Aber die Hyazinthe, das hatte mir Frau Hops erzählt, steht für Vertrauen und Wohlwollen«, sagte ich schulterzuckend. »Ich würde Sie Ihnen gerne schenken.«

»Schenken? Wieso? Weil ich keinen Job mehr habe?«, ihre Stimme wurde etwas heller und sie schien empört. Oje. »Sie wollen Ihrem Bruder eine Freude machen, oder?« Sie nickte. »Na, gut … Wenn ich ehrlich bin … Ich hab das heute Morgen selbst zusammengesteckt und na ja, ich bin mir nicht sicher, ob die Ladeninhaberin, obwohl sie die wundervollste Frau ist, die ich kenne, das so gut findet. Ich kann es hier nicht mehr verkaufen, aber irgendwie fände ich es schade, wenn ich es zerstören müsste. Verstehen Sie?« Irritiert nickte sie erneut. »Vermeiden Sie Staunässe und sie mag es sonnig. Ansonsten nicht austrocknen lassen.«

Ich drückte ihr den Topf in die Hand und lächelte ihr freundlich zu.

»Sie sieht sehr schön aus, ich mag die blassrosa Farbe. Und ich darf sie wirklich einfach mitnehmen?«

Ich zuckte mit den Schultern.

»Frau Hops hätte nichts dagegen. Sie macht es selbst gelegentlich, wenn niemand hinschaut und nur bei Kunden, die eine Traurigkeit ausstrahlen, die wirklich erdrückend wirkt. Glauben Sie nicht, ich würde das bei jedem machen.

Aber ich denke, Sie können eine kleine Aufmunterung gut gebrauchen. Es ist nicht alles schlecht, wissen Sie? Manchmal werden wir von den Menschen um uns herum überrascht.« Erneut liefen ihr die Tränen, dabei waren sie gerade dabei zu trocknen. »Hab ich was Falsches gesagt?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, aber ich bin mir sicher, Frau Hops ist sehr stolz auf dich.«

»Sie kennen sie gut?«

»Ja, sie … ich bin schon als Kind gerne hier gewesen und obwohl ich weiter weg wohne, komme ich trotzdem ab und zu her.«

»Ja, sie hat etwas, was man nicht so leicht vergisst, oder? Eine Ausstrahlung und Art, die jeden im Raum sofort für sich gewinnen lässt und alles zum Strahlen bringt.«

Nachdem ich das gesagt hatte, ging die Tür auf und meine Mutter kam herein.

»Liebling, ist alles in Ordnung?«, erkundigte sie sich besorgt.

»Ja, natürlich Mum. Wieso?«

»Es ist schon nach halb acht. Ich habe mir Sorgen gemacht.« Erschrocken drehten wir uns gleichzeitig zur Wanduhr hinter der Kasse um.

»Tut mir leid, ich mache hier noch schnell fertig, dann komme ich.«

»Gut, ich sehe schon, du hast alles im Griff. Abendessen ist dann fertig«, sagte sie und ging wieder in unsere Wohnung.

»Entschuldige, ich wollte dich nicht so lange aufhalten.«

»Haben Sie nicht. Wenn man sich nicht mehr Zeit für seine Mitmenschen nehmen kann, dann verliert man sich am Ende selbst irgendwann.«

Sie lächelte, hielt den Topf mit der einen und drückte meinen Arm mit der anderen Hand.

»Danke, ich weiß das wirklich zu schätzen.«

»Wissen Sie, vielleicht überlegen Sie sich einfach mal ganz genau, was sie wirklich wollen. Sie können doch bestimmt eine Weile bei Ihrem Bruder bleiben, oder? Vielleicht finden Sie das, was Sie suchen.«

Erstaunt blickte sie mich an.

»Wie alt bist du?«

»15. Tut mir leid, ich rede manchmal seltsames Zeug.«

»Nein, das tust du nicht. Im Gegenteil.«

»Danke.« Ich lächelte.

Aber ich rede wirklich manchmal zu viel, was mir immer wieder auffällt.

Sie nickte, während ich ihr einen schönen Abend wünschte. Bevor sie in der Dämmerung verschwand, lächelte sie noch einmal.

Es war ein milder Sommerabend. Ich sog kurz den Duft der ganzen Pflanzen und Blumen ein, bevor ich zur Kasse ging und meine Abrechnung machte. Anschließend besprühte ich die bunte Pracht mit Wasser, andere bekamen etwas mehr Flüssigkeit. Präzise nach Vorschrift, denn Frau Hops hatte mir alles genau aufgeschrieben und ich studierte diese Liste so lange, bis ich sie auswendig kannte. Nachdem ich kurz durchgefegt hatte, konnte ich das Licht löschen, die Alarmanlage einschalten und die Tür verschließen.

Die Abendluft tat gut und obwohl es nur ein kurzer Weg war, genoss ich es doch.

*

Am nächsten Morgen klingelte es sehr früh an unserer Tür. Ich hatte gerade Kaffee gekocht, während meine Mutter noch im Bad war. Um diese Uhrzeit hatten wir nie Besuch, deshalb brauchte ich einen Moment, um zu realisieren, dass jemand draußen stehen musste.

Irritiert öffnete ich und blickte erstaunt in zwei Gesichter, die ich erst am Tag zuvor im Laden gesehen hatte.

Wahrscheinlich ahnt ihr es schon.

»Guten Morgen.« Perplex starrte ich sie an und hätte mich beinahe verschluckt. Sie erwiderten meinen Gruß. Da ich keine Ahnung hatte, was ich sagen sollte, bot ich ihnen Kaffee an. Sie schienen irgendwas zu wollen.

»Danke, sehr freundlich. Ist deine Mutter da?«

»Ja, sie … ah, da ist sie.«

»Oh, wir haben Besuch? Moment, Sie waren doch gestern im Blumenladen, nachdem meine Tochter schon längst Feierabend gehabt hätte.«

»Guten Morgen, Frau Note, ja, genau. Sehr erfreut, ich bin Emily und das ist mein Bruder Colin.«

»Guten Morgen«, sagte meine Mutter ebenfalls irritiert.

»Setzen Sie sich doch, der Kaffee ist fertig. Milch und

Zucker stehen schon auf dem Tisch«, sagte ich und goss die schwarze Brühe in Tassen, reichte sie ihnen und wir alle nahmen am Tresen in der Küche platz.

Scheinbar wussten sie nicht, was sie sagen sollten, denn eine beklemmende Stille trat ein.

Dann fiel bei mir der Groschen.

»Sie beide haben gestern erzählt, dass Ihre Großmutter verstorben sei ...«, sagte ich und spürte, wie sich ein Kloß in meinem Hals ausbreiten wollte. Ich schluckte mühevoll. »Sie haben von ...«, meine Stimme versagte und ich sah an ihren Blicken, das ich Recht hatte. »Entschuldigt mich bitte einen Moment«, stieß ich hervor und ignorierte die Höflichkeitsformeln für den Augenblick.

Ich stand auf, rannte aus dem Zimmer und schloss mich kurz im Bad ein. Ich musste mich etwas sammeln. Frau Hops. Sie haben von der lieben alten Frau Hops gesprochen. Ich schnäuzte meine Nase und blickte in den Spiegel, wischte die Tränen weg und lächelte mich kurz an.

*

In den Spiegel zu blicken war schon immer eine Qual für mich.

Wenn ich lange genug hinein starre, glaube ich wirklich zu verschwinden, so, wie mich immer alle wahrnehmen.

*

Ich strich mein T-Shirt glatt und ging wieder nach draußen.

»Das tut mir sehr leid«, sagte ich mit einer gefassten Stimme. »Frau Hops war eine wirklich liebe Frau und … Ich werde ihr auf ewig dankbar sein für alles, was sie für mich gemacht hat.«

Die Geschwister nickten und lächelten kurz.

»Sie war krank«, begann schließlich Colin. »Schon lange.

Wir wussten es und konnten uns so etwas besser darauf einstellen.«

»Sie wollte bei ihrer Familie sein, wenn sie ...«, schlussfolgerte ich.

»Ja, und wir haben es ihr so angenehm wie möglich gemacht.«

Details konnte ich keine ertragen, deshalb fragte ich, ob ich etwas machen könnte. Vielleicht im Blumenladen eine Gedenkfeier organisieren. Sie freuten sich über meinen Vorschlag und ich hatte plötzlich jede Menge Ideen.

»Haben Sie meine Tochter gestern ausspioniert?«, platzte meine Mutter heraus, und obwohl es sehr direkt war, so hatte ich auch schon diesen Gedanken.

»Wir wollten sehen, wie sie mit uns umgeht, ja.«

»Und, hat sie bestanden?«

»Das hat sie, ja.«

»Ich bin auch anwesend. Ihr müsst nicht so tun, als würde ich es nicht hören ...«, sagte ich.

Ich hasse es, übergangen zu werden.

Als sei ich unsichtbar.

»Entschuldige.« Emily blickte mich nun wieder an. »Du hast dich so rührend um mich gekümmert und dir so viel Zeit genommen. Als ich meinem Bruder davon erzählt habe, wusste er, dass du den Laden sehr gut weiterführen könntest – mit deiner Mutter natürlich. Frau Note, unsere Großmutter hatte uns strickte Anweisungen gegeben, und wir haben nur ihren Willen durchgeführt. Sie hat Melanie natürlich vertraut, aber sie wollte, dass auch wir uns ein Bild davon machen.«

»Sie hat geglaubt, Sie würden sonst vermuten, dass es nur ein Hirngespinst sei?«

»Ja. Unsere Großmutter hatte ein so großes Herz und hat stets das Gute in allem gesehen.«

»Frau Hops war eine ganz besondere Frau. Sie hat mir so viel gegeben und beigebracht. Es wäre mir eine Ehre, weiter im Blumenladen arbeiten zu können.«

»Sie hat den Laden auf euch überschreiben lassen.«

Das Geheimnis des Stiftes

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