Читать книгу Das Geheimnis des Stiftes - Janine Zachariae - Страница 8

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4. Marinettesbookland

Das war ein Schock und doch sehr logisch.

Wir hatten eine schöne Gedenkfeier im Blumenladen und auch die Trauerfeier selbst war sehr bewegend. Colin und Emily regelten alles mit uns, und irgendwann waren wir die Besitzer von

Hops Blumen.

Selbstverständlich haben wir den Namen so gelassen und auch sonst haben wir kaum etwas verändert. Ein paar Modernisierungen, aber ansonsten scheint die Zeit im Blumenladen still zu stehen.

Ein Bild von Frau Hops hängt neben einer Tür, die zum Lager führt und man es sehr gut betrachten kann, wenn man bezahlt.

Noch immer wohnen wir genau gegenüber dem Laden, was sehr praktisch ist.

Die Wohnung von Frau Hops hatte vor einigen Jahren ein Mann bezogen, der Mitte 30 war. Ich hatte lange gehofft, dass er und meine Mutter zusammenkommen, aber mittlerweile glaube ich es nicht. Wobei ich nicht weiß, wieso es nicht so ist. Meine Eltern waren noch sehr jung, als ich auf die Welt kam. Man sieht Saskia nicht an, dass sie schon 38 ist. Ihre kurzen Haare stehen ihr sehr gut und lassen sie erstrahlen. Seit sie Vollzeit im Blumenladen arbeitet, scheint sie selbst erblüht zu sein. Ihren Job im Krankenhaus hatte sie recht schnell aufgegeben.

Natürlich fehlt uns so etwas Geld, aber wir haben lange darüber gesprochen und ich wollte, dass wir wieder mehr Zeit miteinander verbringen.

*

Nun habe ich aber immer noch das Problem mit dem Namen für meinen ersten Instagram Account. Mein Geburtsname ist Melanie Note. Strike ist der Nachname meiner Tante Hayley.

Ich beiße mir, wenn ich nachdenke, immer auf die Unterlippe oder kaue auf irgendwas herum - meist ist es ein Stift oder etwas Ähnliches. Ich sitze auf dem Bett und blicke mich kurz in meinem Zimmer um. Die Bücher stapeln sich mittlerweile an den Wänden, aber irgendwie finde ich das cool so. Eine ganze Wand nimmt das Bücherregal ein, aber es ist so überfüllt, dass ich es irgendwann nicht mehr sehen konnte. Deshalb hab ich umgeräumt und besser sortiert. Nach Genre und Autor.

Auf dem Boden habe ich die aufgebaut, die mir nicht ganz so gut gefallen haben.

Während ich gedankenverloren alles betrachte, bleibe ich an einer beeindruckende ›Alice im Wunderland‹ Ausgabe hängen und ziehe angestrengt meine Augenbrauen zusammen. Wonderland. Mmh. Passt aber nicht ganz so. Dann kommt mir ein Gedanke und ich tippe nervös die einzelnen Buchstaben ein.

Marinettesbookland

Das gefällt mir, auch wenn es nicht ganz so außergewöhnlich ist. Zu meinem Glück ist dieser Name verfügbar und ich sichere ihn mir schnell.

Nun brauche ich ein Profilbild, aber das habe ich mir schon erstellt gehabt.

Das Bild wird auch mein zweiter Beitrag werden.

Als erstes aber lade ich ein schönes Herz hoch.

*Hallo ihr da draußen,

ich heiße Marinette und bin neu hier, wie ihr

sicherlich sehen könnt.

Noch muss ich mich mit #Instagram auseinandersetzen, aber ich denke, das wird schon werden.

Ich wünsche euch einen schönen Tag.*

Natürlich wird das Bild keiner sehen oder liken, denke ich mir. Aber wer weiß … Ich muss das mit den Hashtags noch lernen und schau mich einfach etwas um. Ich gebe in der Suchliste ›Bookland‹ ein und finde einige Seiten, die den Zusatz im Namen tragen, manche haben noch Zahlen oder komische Zeichen dabei, aber ich wollte es möglichst einfach.

Bei einem Namen bleibe hängen, der

Juliansbookland heißt und mich irgendwie anzieht.

Sein Profilbild gefällt mir sehr.

Ich gehe seine Galerie durch, lese jeden einzelnen Beitrag komplett, manchmal hat er einen richtigen Roman darunter verfasst, jedenfalls kommt es mir so vor. Er drückt sich sehr gut aus und ist mir irgendwie direkt sympathisch, was totaler Quatsch ist. Aber je mehr ich von ihm sehe und lese, desto mehr möchte ich wissen. Julian. Schöner Name.

Seine Bilder zeigen unterschiedliche Bücher und auch anderes, wie Kaffee und Serien oder Filme. Er ist wahnsinnig kreativ und weiß mit seinen Followern umzugehen.

Allgemein scheint Kaffee ein sehr beliebtes Objekt in der Welt von Instagram zu sein.

Plötzlich halte ich inne und starre wie gebannt auf ein Bild. Es ist genau die gleiche Ausgabe, die ich von ›Alice im Wunderland‹ habe. Ich lege das Handy zur Seite, springe vom Bett, mache einen Schritt zu meinem Bücherregal und schnappe mir direkt das Buch. Es ist die Gesamtausgabe mit den Titeln ›Alice im Wunderland‹ und ›Alice hinter dem Spiegel‹ von Lewis Carroll.

Eine gebundene Ausgabe, die wahnsinnig alt aussieht. Mein Vater brachte es mir 2007 mit, einige Monate, bevor er verschwunden war.

Woher er es hatte, weiß ich bis heute nicht.

Ich schlage das Buch auf und betrachte die erste Seite. Leider ist diese kaum noch lesbar und ich sehe nur die ersten Zahlen: 18, da der zweite Teil im Jahr 1871 erschienen ist, muss es vor der Jahrhundertwende gewesen sein.

Wenn dieser Julian dasselbe Buch hat, dann wäre es ein sehr starker Zufall. Denn das Buch ist sehr selten, was mir das Internet einmal verraten hatte.

Ich überlege, ob ich ihm etwas darunter schreiben soll, und überwinde mich schließlich:

*Hallo @Juliansbookland ich habe dieselbe Ausgabe von ›Alice im Wunderland‹ und finde sie einfach bezaubernd.

Du hast das Buch wirklich wundervoll in Szene gesetzt.*

Ich atme tief aus und klicke mich weiter durch seine Galerie, bis ich am Ende ankomme. Wow, ich bin gerade über 4500 Bilder durchgegangen und nun hab ich das Gefühl, Julian wirklich zu kennen. Ich verlasse seinen Account und will weiter suchen, als ich sehe, dass ich eine Antwort erhalten habe.

*Hallo @marinettesbookland ich würde deine Ausgabe gerne einmal sehen, vielleicht magst du ein Foto davon machen? Du kannst mich gerne markieren. Ich hab gesehen, dass du neu hier bist.

Bin gespannt, was du für Bilder posten wirst.

Du weißt hoffentlich, dass es eine sehr seltene Ausgabe, und die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass du diese auch besitzt.*

Der Unterton gefällt mir nicht. Scheint, als ob er mir nicht glaubt. Wie könnte ich das Buch so präsentieren, dass es auch schön aussieht? Ich habe nicht so viel Dekorationsmittel zur Verfügung. Deshalb werde ich eine Collage erstellen und Vorder- und Rückseite, sowie etwas von der Titelseite einfügen, dazu eine kleine Alice und die Grinsekatze. Ich tippe einige Sätze und jede Menge Hashtags. Aber vorher muss ich herausfinden, ob man nur eine begrenzte Anzahl an # benutzen kann.

Wie viele Hashtags darf man maximal bei Instagram benutzen? 30.

Nachdem ich meinen Beitrag hochgeladen und @Juliansbookland eingefügt habe, kommt auch direkt die Antwort:

*@marinettesbookland das ist unglaublich. Es ist tatsächlich die gleiche Ausgabe.

Ich bin beeindruckt. Weiter so. Deine Collage hast du wirklich schön gemacht. Wenn du etwas wissen willst, dann frag mich ruhig. Ich bin seit vier Jahren auf Instagram. Bis bald bei #bookstagram*

Mein Herz schlägt höher. Warum nur?

Ich klicke auf seinen Hashtag und lande direkt im Paradies für Bücherfreunde. Unfassbar. Das ist ja eine eigene Welt. Warum hab ich mich nicht früher hierher verirrt?

Vielleicht finde ich ja hier etwas Kontakt oder kann mich mit anderen austauschen.

In der Schule hab ich so gut wie nie mit jemandem geredet. Es gab Tage, an denen ich nach acht Schulstunden so erledigt und kaputt war, weil ich einfach nur alleine da saß und jeder mich ignorierte. Ich kann es mir nicht erklären. Im Blumenladen bin ich doch auch jemand. Ich meine, die Kunden kommen rein und sehen mich. Aber sobald ich einen von ihnen auf der Straße begegne, bin ich auch für sie unsichtbar.

Colin und Emily Hops kamen noch einige Male in den Blumenladen, doch nach und nach verebbten ihre Besuche und als ich sie vor einigen Monaten zufällig auf der Straße gesehen habe, haben sie mich auch nicht erkannt.

Es wäre schön, einfach mal wahrgenommen zu werden.

Ich klicke nun bei vielen auch auf ›Folgen‹ und habe irgendwann eine schöne Timeline mit tollen Bildern, einige folgen mir schließlich auch zurück und das gibt mir ein tolles Gefühl. Doch dann sehe ich, oben rechts, dass ich eine Nachricht erhalten habe.

Neugierig klicke ich darauf und mein Herz schlägt noch höher als zuvor.

Juliansbookland

*Hallo Marinette, ich hab mir gedacht,

dir einfach noch einmal zu schreiben, wenn das für dich in Ordnung ist.

Melde dich, wenn du Lust hast.*

Marinettesbookland

*Hallo Julian, wow, danke für deine Nachricht.

Ich bin sehr überrascht. Bei der Anzahl an Followern

und Nachrichten, die du ständig erhalten musst,

nimmst du dir Zeit für jemanden wie mich.*

Juliansbookland

*Das hat nichts mit meinen Followern zu tun, liebe

Marinette. Ich bin nur neugierig. Woher hast du

das Buch? Es ist doch sehr selten, oder?*

Marinettesbookland

*Ich weiß es gar nicht, wenn ich ehrlich bin.

Mein Vater hatte es mir mitgebracht, kurz bevor ch zehn wurde, und seitdem gebe ich sehr gut darauf acht.*

Juliansbookland

*Dann hast du es schon sehr lange, oder?

Wie alt bist du denn, wenn ich fragen darf?*

Marinettesbookland

*19. Und du?*

Juliansbookland

*So jung noch. Ich bin 25 und hab das Buch von meiner Mutter erhalten.

Ebenfalls vor knapp 10 Jahren.*

Marinettesbookland

*Was für ein Zufall :-D

Darf ich dich etwas fragen?*

Juliansbookland

*Natürlich,*

Marinettesbookland

*Wie bekommst du nur so tolle Bilder hin? Hast du Tipps für mich?

Ich weiß, du hast wahrscheinlich dein Geheimnis, und wenn du das nicht erzählen willst, dann

verstehe ich das auch. Aber es interessiert mich. Ich habe mir deine ganzen Bilder angeschaut (sorry für den ganzen Spam) und du hast dich ständig

verbessert. Deine anfänglichen Bilder sind noch sehr schlicht und nicht so verspielt. Wie bist du auf die

Idee gekommen, deine Bilder etwas kreativer zu

präsentieren? Hattest du vor so viele Follower zu bekommen oder war das nur ein glücklicher Nebeneffekt?*

Juliansbookland

*Erst einmal: Danke für deinen Spam :-D Es sind ja sehr viele Bilder. Selten nimmt sich jemand Zeit, sie wirklich anzuschauen.

Ich hab bei anderen Bookstagrammern geschaut und mir immer mal etwas abgeguckt. Manche arbeiten mit extra Apps, um tolle Effekte zu erzielen, andere haben

viel Dekorationsmaterial zur Verfügung und manche bevorzugen es komplett pur, ohne

Schnickschnack.

Ich liebe Deko und kaufe mir ständig Neues. Ich habe mehrere Kisten mit den einzelnen

Jahreszeiten und die krame ich immer wieder hervor

und hab so passendes zum Wetter.

Oft habe

ich das Glück auch Zusatzmaterial von einem

Verlag zu einem Buch zu erhalten.

Meist aber gehe ich nach Gefühl ran. Je nachdem, wonach mir gerade ist.*

Marinettesbookland

*Danke, das klingt toll. Ich mag die Variante mit der Dekoration sehr.

Dann werde ich wohl mal Shoppen gehen müssen ;-)

Du hast Kontakte zu Verlagen?*

Juliansbookland

*Ja, so erhalte ich oft Rezensionsexemplare. *

Das finde ich sehr interessant. Dieser Mann scheint mir wirklich helfen zu wollen oder hat es vielleicht doch etwas mit dem Buch zu tun? Kannten sich mein Vater und seine Mutter möglicherweise?

Nein, das ist doch ein absurder Gedanke. Oder? Ich werde es herausfinden. Aber ich will nicht zu direkt vorgehen. Nur hin und wieder etwas streuen, mehr nicht. Vielleicht erzählt er ja von sich aus etwas. Er wird sicherlich auch ein Impressum haben. Wenn er all das macht, braucht er auch eine Anlaufstelle für Verlage, oder?

Julian beantwortet weitere Fragen, bis ich schließlich feststelle, dass es schon Mittagszeit ist und ich meine Mutter bald im Laden ablösen muss. Ich verabschiede mich von Julian und bedanke mich noch gefühlt tausendmal bei ihm. Ich verlasse diese wunderbare App und geh ich die Küche. Gerade als ich fertig bin und einige Sandwichs gemacht habe, sehe ich, wie meine Mutter den Laden abschließt.

Von unserem Fenster aus kann ich prima die Eingangstür erblicken, was immer sehr toll ist.

Ich beobachte meine Mutter so lange, bis sie unsere Tür aufschließt und bin immer noch froh, dass Frau Hops uns damals den Blumenladen gegeben hat.

Vergessen sind die trüben Jahre und die Nächte voller Zweifel und Weinattacken. Sie sieht jeden Tag so frisch und erholt aus, als ob sie gerade aus einem Dornröschenschlaf erwacht ist. Sie spielt mir auch nichts vor, denn so gut ist sie nicht. Man erkennt in ihrem Gesicht sofort, wenn etwas passiert, sie traurig oder betrübt ist.

»Hey Sonnenschein«, begrüße ich sie und sie strahlt mich wieder einmal an. »Wie war es?«

»Wundervoll. Man spürt, dass Sommer ist und die Leute wieder frische Blumen wollen.«

Ich lächle zufrieden und sie schnappt sich ein Sandwich, nachdem sie sich die Hände gewaschen hat.

Sie erzählt mir noch ein paar Dinge, die ich gleich beachten soll und ich gehe hinüber, mit einer Tasche voller Bücher, und erledige meine Aufgaben. Ich liebe diese Gerüche sehr und genieße die Augenblicke des Alleinseins.

Nachdem ich alles geschafft habe, mache ich einige Bilder mit meinen Büchern, umgeben von verschiedenen Blumen und Farben, passend zum Buch. Erst einmal benutze ich nur die Kamera vom Smartphone, aber wer weiß, vielleicht hole ich mir irgendwann eine richtig gute Kamera?

Ich räume alles wieder ordentlich und lade schon einmal ein Bild hoch, bevor ich den Blumenladen aufschließe. Meine Mutter hat einen Termin und ich übernehme gerne. Im Hintergrund läuft ein Radiosender der gute und modere Musik spielt, dazu regelmäßig Nachrichten, aber wenig Werbung bringt, und ich verbringe einige Stunden mit netten und freundlichen Kunden und kann pünktlich zehn nach sechs nach Hause.

*

Heute ist Serienabend und wir essen dazu Pizza. Wir suchen uns immer eine Serie aus, die wir uns auf DVD anschauen.

Meist sind es zwei Folgen am Stück, aber ab und zu passiert es, dass wir einfach weitersehen müssen. Zweimal in der Woche machen wir das, manchmal, wenn eine Staffel sehr spannend ist, schauen wir auch den kompletten Sonntag durch. Jeden Sonntagabend gucken wir einen Film. Es ist uns beiden wichtig, die verlorene Zeit aufzuholen. Fast fünf Jahre schien sie für mich unerreichbar gewesen zu sein und ich hab wirklich gekämpft. Dank des Blumenladens aber sind wir wieder zusammengewachsen und sie musste eines Tages feststellen, dass ich zu einer jungen Frau herangewachsen bin und nicht mehr das kleine Mädchen von einst war. In all dieser Zeit hatte ich wirklich viel durchzumachen:

In der Schule wurde ich nicht gesehen und wahrgenommen.

Meine Mutter war in ihrer eigenen Welt und wirklich selten für mich da.

Wie ich all das geschafft habe, weiß ich wirklich nicht. Bücher haben mir sehr geholfen und natürlich Frau Hops.

Warum sie mich nicht vergessen hatte, kann ich mir immer noch nicht erklären. Aber sie tat nicht nur so, als würde sie sich erinnern, sondern sie wusste sofort, wer ich war, wenn ich zu ihr kam. Ob es etwas mit dem Blumenladen auf sich hatte oder weil diese gute alte Dame einfach sehr viel Güte in sich trug, kann ich nicht sagen.

*

Etwas Zeit habe ich noch, um auf Instagram zu sehen, ob es eine Reaktion gegeben hat.

Sprachlos starre ich auf mein Handy, nachdem ich die App geöffnet habe. Ich hab mit vielleicht vier Likes gerechnet, da manche Hashtags etwas bringen. Aber das? Ich scrolle mich durch und entdecke den Grund, warum ich plötzlich so viele Follower und Likes habe.

Bilder 4

Follower XXX

Follows 134

Das Bild hat tatsächlich über 100 Likes erhalten. Wie konnte das nur geschehen?

Liegt es daran, dass @juliansbookland meine Seite vorgestellt hat?

Schnell reiche ich ein weiteres Bild hinterher.

*Wow, vielen Dank für eure ganzen Herzchen im

letzten Bild.

Besonders danke ich @juliansbookland.

Ihr seid spitze!*

Ich füge wieder viele # ein und bin wirklich froh, diesen Schritt gewagt zu haben. Allerdings stellt sich mir jetzt noch die Frage, wie ich zur Frankfurter Buchmesse kommen soll, denn ich will mich ja nicht ›zeigen‹.

Ihr fragt euch sicherlich wieso, oder? Es liegt nicht unbedingt am Aussehen, sondern an der Wahrnehmung.

Sobald ich ein Bild von mir hochladen würde, besteht die Möglichkeit, dass ich direkt wieder vergessen werde, was ich nicht möchte. Mein Buch erscheint bald und ich will nicht, dass mich jeder für einen Freak hält. Versteht mich nicht falsch, ich stehe zu meinem Buch und auch zu meinem Aussehen. Ich bin eben durchschnittlich, aber irgendwie scheine ich schnell in Vergessenheit zu geraten, sobald ich aus dem Blickfeld verschwunden bin.

Demnächst fängt meine Lehre an und ich habe richtig Angst, wie es da sein wird.

Was, wenn das Spiel von vorne beginnt?

Was, wenn die Lehrkräfte oder andere Schüler und Schülerinnen mich nicht wahrnehmen?

In meiner Geschichte ›Das mysteriöse Mädchen: Die unsichtbare Retterin‹ verliebt sich ein Detektiv in dieses Mädchen, welches schwer zu finden ist. Aber er gibt nicht auf, sondern versucht alles, um zu erfahren, wer sie ist und was sie antreibt.

Ich möchte auch irgendwann so etwas erleben. Das sich jemand ins Zeug für mich legt und mir das Gefühl gibt, wirklich wichtig zu sein.

Ab und zu war ich schon verliebt, aber es ist wie es ist: Niemand sieht mich. Manchmal hab ich mich gefragt, ob es einfacher wäre, wenn mich meine Mitschüler verspotten würden? Aber sie haben durch mich hindurchgeschaut. Im Sportunterricht wurde ich nicht als letztes gewählt, sie haben einfach angefangen, nachdem der ›letzte‹ ins Team gekommen ist.

So langsam muss ich diese Gedanken auch unterdrücken. Es bringt mir nichts mehr, jetzt noch darüber nachzudenken. Die Schule ist vorbei. Ich habe sie überlebt und nun beginnt mein neues Leben. Mein Buch wird verlegt und ich kann stolz auf mich sein.

Ich gehe die Bilder weiter durch und stelle fest, wie einfach das Ganze doch im Grunde ist. Ich möchte das Handy gerade wieder zur Seite legen, da ich noch kurz Duschen will, bevor wir anfangen zu gucken, als ich wieder eine Nachricht entdecke.

Juliansbookland

*Deine letzten Bilder sind wirklich großartig. Gut gemacht, Marinette.

Bist du jetzt eigentlich mit der Schule fertig?*

Ich frage mich, wieso er mir diese Frage stellt, aber ich antworte darauf.

Juliansbookland

*Wirst du eine Lehre beginnen?*

Marinettesbookland

*Ja, ich werde eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau machen.*

Auch hier muss ich eingestehen, dass scheinbar ein Fluch auf mir zu liegen scheint. Ich hatte über 100 Bewerbungen raus geschickt und 30 Vorstellungsgespräche erhalten, aber es kam absolut nichts zurück. Auf Nachfrage zuckten sie nur die Schultern oder klangen seltsam am Telefon. Irgendwann konnte es meine Mutter nicht mehr mit ansehen und hat das scheinbar Unmöglichste möglich gemacht und den Blumenladen als Ausbildungsbetrieb anmelden können. Ich weiß nicht, wie sie es geschafft hatte, aber eines Tages lag mein Ausbildungsvertrag auf dem Küchentisch und ich war einfach nur erleichtert. Denn ich kann tatsächlich eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau absolvieren und hab so auch später gute Chancen. Ich kenne den Blumenladen besser als irgendjemand sonst und sollte ich mal krank sein, brauche ich den Chef nicht extra anrufen. Meine Chefin würde mich auch nicht übersehen oder vergessen. Die Schule befindet sich im Ort und ist zu Fuß erreichbar, denn für einen Führerschein hat es bisher noch nicht gereicht. Außerdem stellt sich auch hier die Frage: Müsste ich dem Fahrlehrer jedes Mal erklären, wer ich bin?

Juliansbookland

*Das klingt gut. Ich bin tatsächlich Blogger vom Beruf und verdiene mein Geld auf diese Weise.*

Marinettesbookland

*Beeindruckend. Du bist einer dieser Influencer, von

denen ich schon oft im Fernsehen gehört habe?

Du verdienst dein Geld damit, dass du verschiedene Dinge präsentierst? Bist du auch auf YouTube?*

Juliansbookland

*Endlich mal jemand, dem ich es nicht erklären muss. Das freut mich :-)

Ich bin indirekt auf YouTube zu sehen. Du wirst mich nur von hinten, der Seite oder von oben betrachten

können.

Mein Gesicht aber nicht. Ich glaube, das ist mein einziges Geheimnis. Ich will nicht, dass man mich sieht, wenn du verstehst.*

Marinettesbookland

*Besser, als du glaubst.

Du hast deinen YouTube Channel bestimmt auf deinem Account verlinkt, oder? Ich muss

erst einmal los, nachher schaue ich mit meiner Mutter noch eine Serie auf DVD, aber danach werde ich mir deine Videos angucken. Bin gespannt.

Bis später :-)*

Juliansbookland

*Viel Spaß und vielleicht magst du mir dann erzählen, wie du die Videos gefunden hast.*

Lächelnd lege ich das Handy zur Seite und freue mich total auf das, was er so macht. Mit einem eigenartigen Hochgefühl schwebe ich ins Badezimmer und lasse die Dusche an. Ich muss mich auf die Serie konzentrieren, denn ich liebe diese Abende mit meiner Mutter. Zeit mit ihr zu verbringen ist sehr schön und ich bin froh, dass wir den absolut gleichen Geschmack in Serien und Filme haben.

Kurz nach 23 Uhr wünsche ich meiner Mutter eine gute Nacht und ich renne in mein Zimmer, um noch ein paar Videos anschauen zu können.

Und er hat nicht übertrieben: Man sieht tatsächlich nie sein Gesicht. Er hat das Licht jedes Mal so geschickt eingesetzt, dass es immer im Schatten liegt.

Aber seine Stimme … Ich verschlinge so viele Videos, wie möglich, bis ich erschrocken auf die Uhr blicke und feststelle, dass es bereits zwei Uhr nachts ist. Ich habe zwar Ferien, aber muss ja trotzdem im Laden aushelfen. Zum Glück erst gegen Mittag, denn so kann ich doch lange genug schlafen.

Seine Stimme ist mir mittlerweile so vertraut, dass ich schließlich sogar davon träume. Irgendwie fasziniert mich der Mann.

Das Geheimnis des Stiftes

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