Читать книгу Grundlagen der Funktionswerkstoffe für Studium und Praxis - Janko Auerswald - Страница 16
1.4 Die Richtungsabhängigkeit der Eigenschaften
ОглавлениеDer Begriff der Tropie beschreibt die Richtungsabhängigkeit der Eigenschaften von Werkstoffen. Die physikalischen Eigenschaften eines Gases, einer Flüssigkeit (auch Schmelzen) oder eines amorphen Festkörpers verhalten sich in allen Richtungen des Raumes gleich. Man bezeichnet diese Stoffe als isotrop (griechisch: iso = gleich).
Die Eigenschaften amorpher Werkstoffe sind immer isotrop.
Abb. 1.7 (a) Einkristalline Turbinenschaufel aus einem Flugzeugtriebwerk; (b) einkristalliner Silizium-Wafer für Halbleiter und MEMS. Der Wafer hat die kubische Diamantstruktur, wobei die Oberfläche eine {001}-Ebene (Würfelfläche) ist und die flachen Kanten rechts und links parallel zu einer (110)-Richtung (Flächendiagonalen) verlaufen. Entlang dieser Richtungen kann Silizium am einfachsten gesägt werden (Spaltrichtungen).
In Einkristallen liegt eine Richtungsabhängigkeit bzw. Anisotropie der Kristalleigenschaften vor. Auch Faserverbundwerkstoffe mit einer Vorzugsorientierung der Fasern sind anisotrop.
Einkristalline Werkstoffe verhalten sich in der Regel anisotrop (Abb. 1.7).
Der E-Modul als Maß für die Bindungskraft ist in den meisten kubischen KristallStrukturen von Metallen wie Gold, Kupfer, α-Eisen oder Aluminium bzw. von Halbleitern wie Silizium oder Germanium in Richtung der Raumdiagonalen der kubischen Elementarzelle am größten (Abb. 1.8). Es gibt aber auch Ausnahmen wie das kubische Wolfram, dessen E-Modul sich nahezu isotrop verhält. Ursache sind der Tensor der elastischen Konstanten und der daraus resultierende Anisotropiefaktor für kubische Kristalle, der im Kap. 2 bei der elastischen Verformung genauer erläutert wird. In Kap. 2 wird ebenfalls die Indizierung der Richtungen und Ebenen in Kristallen erklärt.
Ein polykristallines Gefüge ohne Vorzugsorientierung der Kristalle (ohne Textur) besteht aus vielen einzelnen anisotropen Körnern. Diese nehmen im Allgemeinen aber alle im Raum möglichen unterschiedlichen Orientierungen ein. Daher gleichen sich die Unterschiede der Eigenschaften in verschiedenen Richtungen der einzelnen Kristalle statistisch wieder aus. Der Werkstoff verhält sich als Ganzes nach außen quasiisotrop (Abb. 1.9).
Polykristalline Gefüge mit Textur hingegen zeigen anisotrope Eigenschaften, da die Körner herstellungsbedingt eine bestimmte Vorzugsorientierung besitzen. Ein Beispiel ist die Goss-Textur in Trafoblechen. In dieser Walz-Textur liegen die Eisenkristalle mit ihren Würfelkanten parallel zum äußeren magnetischen Feld und lassen sich so leichter ummagnetisieren.
Abb. 1.8 (a) Anisotropie der meisten kubischen Einkristalle, dargestellt anhand des qualitativen Verlaufs der Größe des E-Moduls in verschiedenen Richtungen innerhalb der Elementarzelle. Eine große Pfeildicke symbolisiert einen großen E-Modul. In den meisten kubischen Metallen ist der E-Modul in den (111)-Richtungen der Raumdiagonalen am größten, in den (100)-Richtungen derWürfelkanten am kleinsten. Es gibt einige wenige Ausnahmen wie Wolfram, das sich nahezu isotrop verhält. (b) Kubischflächenzentrierte Elementarzelle (Cu, Ag, Au, Pt, Ni, y-Fe); (c) kubisch-raumzentrierte Elementarzelle (α-Fe, Cr, Mo, W).
Abb. 1.9 (a) Quasiisotropes polykristallines Gefüge ohne Textur; (b) anisotropes polykristallines Gefügemit Textur, d.h. mit einer Vorzugsorientierung der Kristalle.
Polykristalline Werkstoffe ohne Textur verhalten sich quasiisotrop. Obwohl jedes Korn für sich eigentlich anisotrop ist, wirkt der Werkstoff durch den Ausgleich der Eigenschaften wegen der statistisch zufälligen Kornorientierung nach außen isotrop.
Polykristalline Werkstoffe mit Textur verhalten sich anisotrop. Mit Textur ist eine Vorzugsorientierung der Körner gemeint, so dass sich die Eigenschaften in verschiedenen Richtungen nicht mehr statistisch ausgleichen.