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Vorwort

Seit vielen Jahren unterrichten wir an der Hochschule Luzern das faszinierende Fach Werkstoffkunde für die Ingenieur-Studiengänge. Die klassischen Strukturwerkstoffe finden aufgrund ihrer mechanischen, thermischen und tribologischen Eigenschaften Anwendung in Konstruktionen, im Maschinenbau, in der Automobilindustrie oder in der Luft- und Raumfahrt. Darüber hinaus gibt es Werkstoffe mit ganz besonderen physikalischen Eigenschaften. Traditionell waren das in erster Linie die Werkstoffe der Elektrotechnik und Elektronik. Durch eine sich immer stärker entwickelnde Technologiebranche rücken weitere Materialien ins Zentrum des Interesses. Dazu gehören Werkstoffe für Anwendungen in der Mikro- und Nanotechnologie, in der Photonik, Telekommunikation und Lasertechnik oder die Hochtemperatur-Supraleiter, Polymerhalbleiter und Wandlerwerkstoffe. Sie alle lassen sich unter dem Begriff Funktionswerkstoffe zusammenfassen. Sie stehen im Zentrum dieses Buches.

Die ersten Kapitel beschäftigen sich mit den Grundlagen und Begriffen der Werkstoffkunde. Zwischen Bindungsart und Struktur einerseits sowie den Eigenschaften andererseits bestehen Zusammenhänge. Die wichtigsten Gitterdefekte wie Fremdatome, Versetzungen, Korngrenzen und Ausscheidungen werden vorgestellt. Sie bewirken in Metallen einen Anstieg der Festigkeit. Fremdatome beeinflussen den spezifischen elektrischen Widerstand von Leitern und Halbleitern maßgeblich, Korngrenzen und Texturen hingegen verändern das Verhalten von Ferromagneten bei der Ummagnetisierung. Die Untersuchung und Charakterisierung der Materialien erfolgen in der Praxis oft mit Methoden, die im Kapitel Werkstoffprüfung behandelt werden. Im Zusammenhang mit Werkstoffen und Rohstoffen gewinnt in der globalisierten Wirtschaft die ökologische und soziale Nachhaltigkeit zunehmend an Bedeutung. Daher sei es gestattet, auch diesem schwierigen Thema ein paar Anregungen zum Nachdenken und Handeln zu widmen.

Die folgenden Kapitel sind den metallischen Funktionswerkstoffen gewidmet. Den Grundlagen der Legierungskunde folgt ein Einblick in das ungeliebte, aber in der Praxis äußerst wichtige Thema der Korrosion. Metalle und Legierungen kommen vor allem als Leiter, Widerstände und Kontaktwerkstoffe zum Einsatz.

Anschließend werden verschiedene andere Klassen von Funktionswerkstoffen und ihre praktischen Anwendungen näher betrachtet. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Halbleitern, Polymerhalbleitern, Magnetwerkstoffen, Dielektrika, Lichtwellenleitern und Werkstoffen für Transducer (,,Wandler“).

Die Entwicklung dieser Funktionswerkstoffe ist untrennbar verbunden mit der Entwicklung neuer mikrotechnologischer Fertigungsverfahren. Auch ihnen wird in diesem Buch Beachtung geschenkt. Eines dieser innovativen Produktionsverfahren, das in den letzten Jahren die Labore verlassen und in den Branchen der Hochtechnologie Einzug gehalten hat, ist der Ultrakurzpulslaser (UKP). Er ermöglicht die Bearbeitung praktisch aller Werkstoffe und Verbundwerkstoffe bis hin zum härtesten überhaupt, dem Diamanten. Er bringt in unvorstellbar kurzen Piko- oder Femtosekunden die Leistung eines Kraftwerks auf wenige Quadratmikrometer des Materials und erlaubt so eine ,,kalte“ Bearbeitung. Mit ihm werden die Touchscreen-Displays von Smartphones und Tablets ausgeschnitten. In der Augenchirurgie trennt er die Hornhaut auf, um Korrekturen oder Operationen an der Linse zu ermöglichen. In der optischen Datenfernübertragung sorgen Erbium-dotierte Faserlaser (EDFA) mit ihren ultrakurzen Pulsen für eine unvorstellbar schnelle optisch-optische Signalverstärkung in interkontinentalen Glasfaserkabeln.

Viele Studierende nehmen die Werkstoffkunde anfangs als sehr trockene Disziplin wahr. Dabei ist die Welt der Werkstoffe überaus faszinierend. Die profunde Kenntnis von Struktur und Eigenschaften ist ein wertvolles Gut für die Hightechbranchen Maschinenbau, Lasertechnik und Photonik, MedTech, erneuerbare Energien, Luft- und Raumfahrt, Präzisionsmechanik oder Mikro- und Nanotechnologie. In all diesen Bereichen haben neue Funktionswerkstoffe und die damit verbundenen innovativen Fertigungsverfahren die Grenzen des Machbaren verschoben. Andererseits lässt sich immenser Schaden für Menschen, Umwelt und Unternehmen abwenden, wenn das potentielle Versagen von Werkstoffen aufgrund von Beanspruchung oder Korrosion bereits in der Produktentwicklung berücksichtigt und verhindert werden kann. Die Werkstofftechnik ist zu einer Schlüsseltechnologie geworden. In diesem Sinne soll unser Buch bei angehenden Ingenieurinnen und Ingenieuren der verschiedensten Fachrichtungen das Interesse und vielleicht sogar die Begeisterung für das Thema Funktionswerkstoffe wecken.

Beeindruckende Beispiele für werkstoffwissenschaftliche Innovationen liefert Jahr für Jahr die Schweizer Uhrenindustrie. Stellvertretend genannt seien hier die verblüffenden elastisch biegsamen Spiralfedern aus glasartig sprödem Silizium, die den Takt einer mechanischen Uhr präzise vorgeben und ihre Gangreserve erhöhen. Das eigentlich weiche Gold verhält sich als Verbundwerkstoff fast so kratzfest und hart wie Diamant. Mit modernsten Verfahren werden Uhrengehäuse aus hochwertigem superaustenitischen Edelstahl, Titan, Carbon oder Keramik gefertigt. Im Dunkeln leuchtende Zeiger und Appliken und zuverlässige mechanische Uhrwerke haben dazu beigetragen, Tauchern und den Astronauten von Apollo 13 das Leben zu retten.

Die folgende Abbildung (Abb. 1) zeigt das patentierte Magische Zifferblatt der innovativen Uhrenmarke Révélation, das in enger Zusammenarbeit mit dem Schweizer Forschungszentrum CSEM entwickelt wurde. Das tiefschwarze Zifferblatt wird bei Drehung der Lünette wie durch Magie transparent und gibt den Blick ins Uhrwerk frei. Dahinter steckt ein ausgefeilter Mechanismus, dessen Kernstück zwei nanotechnologisch strukturierte Polarisatoren aus einem Verbundwerkstoff bilden. Diese wiederum lassen sich nur durch den kalten Strahl eines Ultrakurzpulslasers ausschneiden, ohne dass das hauchdünne spröde Glas zerspringt oder der darauf laminierte Kunststoff mit seinen filigranen Nanostrukturen zerschmilzt.


Abb. 1 Funktionsweise und Herstellung des Magischen Zifferblatts (© revelationwatches). Durch Drehen der Lünette wird das Uhrwerk unter dem tiefschwarzen Zifferblatt sichtbar. Das Kernstück hinter dieser Innovation sind nanotechnologisch strukturierte Polarisatoren aus einemVerbundwerk-stoff, die miteinemUltrakurzpulslaser ausgeschnitten werden. (Bildermitfreundlicher Genehmigung von Revelation (© revelationwatches))

So wie das Magische Zifferblatt den Blick in ein verborgenes Uhrwerk freigibt, so möge Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, dieses Buch das Eintauchen in die faszinierende Welt der Funktionswerkstoffe erleichtern und als Inspirationsquelle für zukünftige Ideen dienen.

Luzern, am 24.08.2021

Janko Auerswald und Pius Portmann

Grundlagen der Funktionswerkstoffe für Studium und Praxis

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