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1.5 Polymorphie: Die Vielgestalt von Werkstoffen

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Werkstoffe wie Eisen (Stahl), Siliziumoxid, Zirkoniumoxid oder Kohlenstoff können je nach Temperatur und Herstellungsbedingungen verschiedene Strukturen einnehmen (Abb. 1.10). Diese Polymorphie (,,Vielgestaltigkeit“) wird zum Beispiel zum Härten von Stahl ausgenutzt. Reines Eisen ist von Raumtemperatur (20 °C) bis 911 °C kubisch-raumzentriert (krz Ferrit, α-Fe). Es nimmt zwischen 911 und 1392 °C eine kubisch-flächenzentrierte Struktur an (kfz Austenit, γ-Fe) und wechselt oberhalb 1392°C bis zur Schmelztemperatur (1536°C) wieder in eine kubischraumzentrierte Struktur (krz δ-Fe). Wenn Eisen viel Kohlenstoff enthält und schnell abgeschreckt wird, kann sich die austenitische Phase in die sehr harte metastabile tetragonal-innenzentrierte Phase Martensit umwandeln (Abb. 1.11). Ebenfalls metastabil ist das amorphe Eisen, das viele Fremdatome enthält. Als dünnes Band wird es sehr schnell abgeschreckt, so dass es beim Erstarren zu wenig Zeit hat zu kristallisieren.

Auch Kohlenstoff kann verschiedene Strukturen einnehmen, z. B. als Graphit, Diamant, fußballartiges Fulleren-Nanopartikel, Kohlenstoffnanoröhrchen, zweidimensionales Graphen oder als amorpher Ruß. Graphen und Fullerene ermöglichen neue Arten von Halbleitern und Polymerhalbleitern. Darauf wird in den entsprechenden Kapiteln dieses Buches noch genauer eingegangen.


Abb. 1.10 Unten: Reines Eisen liegt von Raumtemperatur (20°C)bis911°Calsku-bisch-raumzentrierter (krz) Ferrit vor. Gezeigtsind die krz Elementarzelle mitden Positionen der Eisenatome und ein typisches Gefügebild mitKörnern und Korngrenzen. Die blaue Markierung zeigtein Korn mit seinen Korngrenzen. Oben: Zwischen 911 und 1392 °C liegt der kubisch-flächenzentrierte (kfz) Austenit vor. Neben derkfz Elementarzelle istdasGefüge unter einem Lichtmikroskop gezeigt. Charakteristische Merkmale dieses Gefüges sind die eckigen Körner und die Zwillingsfehler, d.h. Störungen der Stapelfolge der dichtest gepackten Ebenen (rote Markierungen).


Abb. 1.11 Wird dem Eisen mehr als 0.3% Kohlenstoff zulegiert und es sehr schnell in Wasser abgekühlt (abgeschreckt), so kristallisiert der kfz Austenit nicht in krz Ferrit. In einem Umklappprozess entsteht Martensit mit seiner tetragonal-innenzentrierten Elementarzelle (a). Unter dem Mikroskop ist der extrem harte Martensit an seinem nadelförmigen Gefüge erkennbar (b).

Die Keramik Zirkoniumoxid ist ebenfalls polymorph. Bei Raumtemperatur liegt im thermodynamischen Gleichgewicht eine monokline Kristallstruktur mit geringer Symmetrie vor. Durch Stabilisierung mit anderen Oxiden, z. B. Yttriumoxid Y2O3, existiert bei Raumtemperatur auch noch eine tetragonale Phase, die eigentlich bei höheren Temperaturen vorkommt. Läuft ein Riss durch das Material, erfolgt an der Rissspitze eine Umwandlung der tetragonalen in die monokline Phase. Damit verbunden ist ein Volumensprung an der Rissspitze, der das Risswachstum und damit einen Sprödbruch stoppen kann. Das polymorphe Verhalten beim Stoppen von Rissen eröffnet dieser besonderen Keramik Anwendungsmöglichkeiten als Hüftgelenks- und Dentalimplantat, keramisches Messer oder Wälzkörper in Lagern. Y2O3 -stabilisiertes Zirkoniumoxid weist Sauerstoff-Leerstellen im Ionengitter auf. Es dient bei Temperaturen um die 600 °C als Sauerstoffionenleiter in LambdaSonden, z. B. bei der Messung der Sauerstoffkonzentration in Abgasgemischen.

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