Читать книгу Die Überflüssigkeit der Dinge - Janna Steenfatt - Страница 8

5.

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Als ich vor etwa drei Jahren bei Falk einzog, hatte ich gerade mein Studium beendet. Ich musste aus dem Wohnheim ausziehen und suchte ein Zimmer. Falks Anzeige fand ich im Internet, bezahlbare 15 Quadratmeter Altbau auf St. Pauli, mit Dielen und hohen Decken, das war nichts, was in Hamburg leicht zu finden gewesen wäre. Die Wohnung gefiel mir auf Anhieb, ohne dass ich hätte sagen können warum. Eigentlich war nichts Besonderes an ihr. Viele Bücher, wenig Möbel, eine große Aufgeräumtheit, keine Fotos an den weißen Wänden (er benötige Projektionsflächen für die Bilder im Kopf, wie er mir später einmal erklärte) und hier und da der Eindruck, dass ein Möbelstück fehlte, das vor kurzem noch da gewesen sein musste. Ich lief durch alle Zimmer – ein großes, ein kleineres, ein drittes, leeres, mit Blick in den Hof –, und Falk stand schweigsam abwartend in der Tür, die Hände in den Hosentaschen; dann ging er in die Küche, während ich in dem leeren Zimmer am Fenster blieb, auf die graue Wand im Hof sah und auf ein Gefühl wartete, das mich verlässlich überkam in fremden Wohnungen, in leeren Räumen mit weißen Wänden und einem erinnerungsfreien Blick aus dem Fenster: das dringende Bedürfnis, auf der Stelle ein neues Leben anzufangen, hier in diesem Zimmer, mit einer nackten Glühbirne an der Decke, einer Matratze auf dem Boden, einem Stapel Bücher und sonst nichts. Wir tranken Kaffee in der Küche, Falk schäumte mit einem Schneebesen die Milch im Topf auf dem Herd, und ich sah ihm zu; durch vom Regen glänzend schwarz gewaschene Baumgerippe hinter dem Küchenfenster blitzte fern ein Stück Elbe. Der Kaffee war stark und gut. Ich war müde, hatte keine Lust, die immer gleichen Fragen zu stellen, und was machst du so; Falk sagte, er sei Fotograf, er sagte nicht, wo er arbeitete, vielleicht hatte ich nicht genau danach gefragt. Er schälte eine Orange, löste die Schnitze sauber voneinander, drapierte sie auf einer Untertasse und schob sie vor mich hin. Ich fragte ihn, wie lange er schon in der Wohnung wohnte (schon länger), wer vorher in dem leeren Zimmer gewohnt habe (seine Exfreundin), mehr nicht. Falk sagte, meine Ex-Freundin, willst du noch Kaffee? Ich fragte nicht weiter. Falk schenkte mir Kaffee nach und sah mir zu, wie ich die Orange aß. Als es draußen bereits dämmerte, fragte er, ob er mich fotografieren dürfe. Er schoss ein einziges Foto, als ich schon an der Tür stand, wo wir uns die Hände schüttelten und ich sagte, ich glaube, ich würde hier gern einziehen, und Falk sagte, ich glaube, das würde mich freuen.

Falk war ein stiller, aufmerksamer Mitbewohner. Er ließ das Licht brennen, wenn ich spät nach Hause kam. Er kochte und bewahrte mir, wenn ich nicht da war, etwas auf, hinterließ dazu Zettel auf dem Küchentisch, kleine Briefe, unter die er sich selbst zeichnete: ein kleines dürres Comicmännchen mit müden Augen, wirrem Haar und einem F auf der Brust. Er kochte sehr gut und probierte oft neue Sachen aus, die ich dann essen musste, und er sah mir dabei zu und freute sich, wenn es mir schmeckte. Er hielt in der Wohnung eine diskrete Ordnung ein, die ich mutwillig zerstörte, und er räumte mir mit freundlich resignierten Blicken hinterher, schichtete meine achtlos abgeworfenen Pullover und Bücher, Socken und Zeitungen zu kleinen Stapeln, die wie Mahnmale der Ordnung eine symmetrische Spur durch die Wohnung zogen.

An den Wochenenden gingen wir zusammen aus. Wir sagten feiern gehen, obwohl wir nichts zu feiern hatten. Ein Ritual, dessen wir nicht müde wurden. Dessen wir längst müde waren und das wir trotzdem durchzogen, mit einer Bitterkeit, die sich in den letzten Jahren eingeschlichen hatte und die wir optimistisch für Ironie hielten. Wir hangelten uns durch die Nächte, tranken, rauchten und tanzten, beziehungsweise ich tanzte und Falk sah zu.

Wir wollten uns nicht festlegen, aber wir waren gespannt, wie lange wir so leben würden, in vorläufigen Wohnsituationen, mit vorläufigen Jobs und vorläufigen Lieben. Ich hatte immer geglaubt, es würde sich im Laufe der Jahre herauskristallisieren, wohin das alles führen sollte, allein, es kristallisierte nicht, und für manche Dinge war es jetzt schon zu spät. Falk hatte einmal, als ich ihm meine Theorie von der Vorläufigkeit und dem Warten auf das richtige Leben darzulegen versuchte, entgegnet, sein Leben sei bei seiner Geburt losgegangen und würde mit seinem Tod enden und sei somit nichts, was irgendwann eintreten oder ausbleiben könne. Er sagte das, wie er solche Dinge immer sagte, mit einer gelassenen, arroganten Selbstverständlichkeit, dann stand er vom Tisch auf und tat etwas Banales, fing an, Gläser zu spülen oder den Müll zu sortieren, um die Endgültigkeit seiner Aussage zu unterstreichen. Man konnte so etwas nicht teilen mit Falk, und das konnte uns, mir, Grund genug sein, uns aufs bitterste und für mehrere Tage und Nächte zu streiten. Falks Art zu streiten machte mich aggressiv, seine Art, nicht zu streiten, sachlich zu bleiben, die Arme hinter dem Kopf zu verschränken und mich erst mitleidig, dann fasziniert anzusehen, bis ich die Türen schlug und Dinge nach ihm warf. Wir schliefen nicht miteinander, auch wenn das alle dachten, aber ich wusste, dass Falk die Vorstellung gefiel, dass andere mich für seine Freundin hielten.

Selten gingen wir getrennt aus. Manchmal gingen wir getrennt los und trafen uns dann zufällig, weil wir ohnehin die gleichen Orte aufsuchten. Wenn ich dann die Kneipe betrat, den Wirt grüßte und mich umsah, saß Falk schon am Tresen und schwieg in den zuvielten Gin Tonic. Er tat nicht überrascht, und ich wusste, dass er auf mich gewartet hatte, dass er allein geblieben war und mir einen Platz frei gehalten hatte, und er orderte einen nächsten Gin Tonic und für mich auch einen, ohne zu fragen. Ich konnte mir Falk nicht mit anderen Menschen vorstellen. Er kannte nicht viele Leute, und er lernte auch niemanden kennen, jedenfalls brachte er nie jemanden mit. Manchmal verließ er das Haus, wenn ich Besuch hatte, aber auch das kam nicht häufig vor. Ich war nie besonders gut darin gewesen, neben jemandem aufzuwachen. Ich konnte es nicht leiden, meinen Körper in einem fremden Bett wiederzufinden oder, schlimmer noch, einen fremden Körper in meinem Bett. Ich schlief schlecht, wenn ein Mensch in der Nähe war, der atmete und sich bewegte und am Morgen einen unfrischen Geruch verströmte. Deshalb blieb ich nie zum Frühstück und nahm niemanden mit zu mir. Ich war nicht kalt oder kompliziert, ich konnte mich nur nicht teilen. Ich hasste das Schreien in zu laute Musik hinein, ein stechender Schmerz im Ohr und trotzdem kein Wort verstanden. Ich hasste den gemeinsamen Nachhauseweg, das erste leise Bereuen; den ernüchternden Moment am frühen Morgen in einem fremden Badezimmer, den fremden Waschmittelgeruch, mein fremdes Gesicht im Spiegel, und dann immer gehen wollen, wenn es eigentlich zu spät war und nicht mehr darauf ankam. Hatte ich doch einmal jemanden da, war Falk nachsichtig, wenn es Frauen, irritiert, wenn es Männer waren. Am nächsten Morgen saß er dann wie gewohnt in der Küche, trank seinen Kaffee, aß sein Honigbrot und stellte keine Fragen. Schielte über meine Schulter in den stillen Flur, schien sich zu wundern, dass niemand mehr da war, weil die meisten sich in den frühen Morgenstunden davonschlichen, wenn sie glaubten, ich schliefe, oder wenn ich kurz auf der Toilette war. Falk war diskret ignorant, schenkte mir Kaffee ein mit einer dezenten Verachtung im Blick, las schmollend seine Zeitung, sprach noch weniger als sonst. Und brachte mir doch, wenn ich dann in der Badewanne lag und den fremden Geruch von mir abwusch, eine Tasse heißen Kakao, mit Zimt und einer Prise Cayennepfeffer, saß auf dem Wannenrand, strich sich durch die Haare, sagte: Schwimm nicht so weit raus, und ich spürte seine Erleichterung darüber, dass es wieder jemand nicht dauerhaft in unser Leben geschafft hatte.

Die Überflüssigkeit der Dinge

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