Читать книгу Die Banalen und die Bösen - Jannis Oberdieck - Страница 5
2 - Von der neuen Achse des Bösen
ОглавлениеDas Krankenzimmerbett der Backhus liegt unter einem großen Sauerstoffzelt, das wie ein zerknitterter Duschvorhang von einem Alugestell herabstürzt, zweifellos eine ganz eigene Art von Himmelbett für eine ganz eigene Art von Prinzessin. Trotzdem hält der trotz beginnenden Alters noch aufdringlich gesund und trainiert wirkende Chefarzt stets gesunden Abstand. Er trägt unvorteilhaft einen gelb-pummeligen Ganzkörperanzug aus antistatischem Plastik, den Kopf hinter einer durchsichtigen Haube in Sicherheit, seine Stimme von einem auf die Wange geklebten Mikro leicht übersteuert. »Sehen Sie, Herr Müller, ein Befall durch unbekannte Organismen ist keine Kleinigkeit«, tönt es aus seinem sinnhaft in Mundhöhe montierten Lautsprecher in der Qualität eines billigen Fernsehers, während er zerstreut durch sein Haar streichen will, sich dabei letztlich aber nur Falten in die Haube drückt. Sie wird von einem über seinem Kopf schwebenden Heiligenschein gehalten, dessen rückwärtige Stütze ein steifer Sauerstoffschlauch bildet. Warum habe ich nicht auch einen derartigen Schutzanzug bekommen? Will er einfach damit angeben, was es in einem Privatkrankenhaus so alles gibt? Hat man vielleicht gar keinen zweiten Anzug? Restunruhe bleibt auf jeden Fall.
Ansonsten bleibt befriedigt festzustellen, dass die MIDAS-Klinik bei dieser Hitzewelle dasselbe Problem hat wie unsere städtischen Krankenhäuser: Man muss literweise Desinfektionsmittel vergießen, bis sich Atmung, Geruchs- und Geschmackssinne gänzlich damit zugesetzt haben. Der Kaffee auf jeden Fall, den mir Dr. Dobermann in die Hand drückt, schmeckt aufdringlich nach Desinfektion. Aber vielleicht ist der gute Onkel Doktor inzwischen auch bereits derart daran gewöhnt, dass er Kaffee grundsätzlich nur noch so trinkt. Während ich mich noch verwunder, stapft der Chefarzt derweil raschelnd zur sanft glimmenden Tafel mit ministerialen Röntgenbildern und tappt der Reihe nach klobig auf einige davon. »Die Dichte dieser Parasiten ist nur geringfügig größer als die des durchschnittlichen organischen Gewebes. Unsere digitalen Röntgenaufnahmen zeigen daher recht zuverlässig größere Konzentrationen im Bereich der Lunge«, tapp: Weiß auf Schwarz ein Brustkorb im Schneegestöber mit leicht deformierter Birne, offenbar das Herz, überlagert vom helleren Weiß des Rückgrats vor geisterhaft durchscheinenden Rippenbögen, tapp: »des Gehirns«, gewöhnungsbedürftige Darstellung eines halb durchsichtigen Schädels, wiederum schneedurchstöbert, aus der die Zähne der Ministerin noch immer markant und weiß als Blickpunkt strahlen. Groß-runde Augenhöhlen zeichnen sich deutlich ab, als hätte die Backhus in ungewohnter Retrogefälligkeit eine altmodische Fliegerbrille getragen, tapp: »und des Rückenmarks«, irritierender Weise jedoch ein Bild der Schulter diesmal, Oberarmknochen und Gelenkpfanne sehr schön zu erkennen, unverschneit, »weil da der Unterschied in der Dichte hinreichend groß ist. Das sind aber auch genau die Bereiche, in denen eine operative Entfernung am riskantesten wäre und der Patientin nur wenige Eingriffe auf einmal zugemutet werden können.« Gefällig nicke ich und versuche, der audio-akustischen Schnellpräsentation zu folgen, bleibe jedoch an der verblüffenden Schulter hängen.
»Hinzu kommen dann noch diverse Schatten in anderen Organen, die wir erst noch genauer klassifizieren müssen«, tapp, tapp und tapp generalstabsmäßig, ich jedoch folge nun nicht mehr. In diesem Moment erst wird mir nämlich klar, was dieses seltsame Schneegestöber zu bedeuten hat. Bei genauerem Hinsehen sind die weißen Flocken eigentümlich länglich, einige gewunden, insgesamt beunruhigend madenhaft. Dr. Dobermann streicht unterdessen über seinen Heiligenschein, als wolle er ihn aufpolieren. Endlich merke ich, dass er mich erwartungsvoll ansieht. »Schön, schön«, murmle ich, um seine Arbeit und die des Krankenhauses wertzuschätzen, woraufhin wir beide ob dieser unpassenden Bemerkung ins Stocken geraten.
Unsere Augen schweifen unweigerlich von der Innen- Richtung Außenansicht, hinweg über die vielen medizinischen Geräte, die das Krankenbett umstehen, entlang der Schläuche, die in den Körper hinein- und hinausführen. Wahrscheinlich Sauerstoff, um die Lunge zu entlasten, rationalisiere ich, doch mein Magen fühlt sich flau an: eventuell der Unterdruck hier im Raum zwecks Keimbindung. Unser direkter Vergleich von Innen und Außen führt jedoch zumindest mich ebenfalls auf unangenehme Konsequenzen: »Sie... Sie müssen ihr das Gehirn aufschneiden?« Die Ministerin selbst sitzt derweil aufrecht im Schneidersitz auf ihrer Matratze und fixiert mich mit einem Blick, den ich nicht zu deuten vermag: stiller Heroismus? bestätigter Trotz, dass derlei Dinge stets ihr passieren? Auf jeden Fall ungebeugt, lauernd geradezu.
»Nicht notwendiger Weise«, lächelt Doktor Dobermann auf eine Art, die er wohl für beruhigend hält. »Unsere Untersuchung dieser Parasiten läuft noch. Es besteht ebenso die Chance, dass wir die Dinger durch gezielte Bestrahlung oder chemische Präparate töten und zersetzen können. Dafür müssen wir dann aber zunächst klären, ob die Reste tatsächlich durch den Körper abbaubar sind. Immerhin handelt es sich ja um gänzlich körperfremde Stoffe.« Ein wenig ratlos blicke ich der Reihe nach ins Rund des neuen Hofstaats der Ministerin, zu ihrem freundlich-rollbaren Patientenmonitor mit Doppelschläuchen, der giftgrünen Batterie von Spritzen- und Infusionspumpen nebst Tropfständer, diesem unbekannten Ding mit Druckanzeiger und viel geringeltem Telefonkabel, dem robust wirkenden Beatmungsgerät im SciFi-Stil der 90er. Umfassend verkabelt in ihrer Mitte: eben und immer noch unsere Ministerin als Spinne im Netz, irritierender Weise fast stolz ob ihrer Position. Natürlich ist sie einerseits als Fast-Ärztin hier auf heimischem Terrain, nichtsdestotrotz jedoch bewundernswert in ihrer wohl eingeübten Widerstandsfähigkeit, keine Frage. »Das heißt also, Ihre Prognose könnte auch gut ausfallen?«, wunschdenke ich zaghaft.
Mit aufmunterndem Rascheln klopft mir Doktor Dobermann auf die linke Schulter. »Nun, das hängt wie gesagt voll und ganz von den Untersuchungsergebnissen des Labors ab. Bisher jedoch verhalten sich die Parasiten erstaunlich gutartig: Sie fressen nur so viel, wie auch nachwächst. Also machen Sie sich mal keine Sorgen: Das hier ist immerhin kein öffentliches Krankenhaus und Frau Backhus ist privatversichert, eigentlich müssten wir also sogar mit einer Invasion außerirdischer Körperfresser zurechtkommen«. Meinem prüfenden Blick begegnet er mit wölfisch-grinsend gebleckten Zähnen und professioneller Zuversicht, sehr zufrieden mit sich ob seines kundenorientierten Scherzes. Ohne Schutzhandschuhe würde er mir in diesem Moment vielleicht eine Werbebroschüre in die Hand drücken.
»Chie chehen alcho«, meldet sich die straff sitzende Ministerin nun erstmals zu Wort und zieht entschlossen den Absaugschlauch aus ihrem Mund, »dass die Lage derzeit unter Kontrolle ist, es aber noch kein Zeitfenster für den erfolgreichen Abschluss meiner Behandlung gibt. Entsprechend müssen daher Sie als mein Stellvertreter vorübergehend die Amtsleitung übernehmen. Bitte notieren Sie sich die wichtigsten Handlungsdirektiven. Herr Doktor Dobermann, wir müssen Sie nun nicht weiter von Ihrer Arbeit abhalten.«
Der gute Onkel Doktor wirkt einen Moment verblüfft, ehe er sich höflich verzieht, untermalt vom zerstreuten Versuch, seinen Scheitel zurecht zu streichen, Unbeschädigtheit wieder herzustellen. Für meinen Zustand hingegen: Verblüffung gar kein Ausdruck mehr! Erstens nämlich Kontrolle: während sie bei lebendigem Leib hin und wieder aufgefressen wird? Zweitens sodann natürlich Amtsleitung: ich? Muss mich setzen. Recht hübsch, dieser Kontrast hell-ockerfarbener Wände und seuchengrünen Inventars, stelle ich im Schockzustand fest, die Ministerin jedoch erkennt scharfsichtig wie stets einen gewissen Handlungsbedarf: »Kommen Sie bitte möglichst nahe, Herr Müller. Ich bin nicht so gut bei Stimme.« Als sie sich räuspert, klingt es nach aufkommendem Schleimauswurf und einen Moment lang fürchte ich, dass sie die Folie zwischen uns rot-schwarz sprenkelt.
Mit Beinen aus Pudding schiebe ich mir einen Besucherstuhl bis unmittelbar vor das Sauerstoffzelt, im Sitzen geht es einigermaßen. Aktenkoffer, Anweisungen notieren, natürlich. Ihr Gesicht hängt dabei unmittelbar vor der Plastikfolie, innerlich noch immer Achterbahn. »Zunächst einmal, das hat im Moment äußerste Priorität, müssen die Sachpläne zur Energiewende schnellstmöglich untereinander und mit den relevantesten Nutz- und Schutzinteressen koordiniert werden. Dafür brauchen wir eine Bedarfsermittlung unter Berücksichtigung eines politisch verankerten energiewirtschaftlichen Szenariorahmens, die den Ablauf des zukünftigen Netzentwicklungsprozesses in verschiedene Teilprozesse unter Einbezug aller betroffenen Akteure gliedert«, geht die Backhus mit gutem Beispiel drakonischster Selbstbeherrschung voran, Scharen und Bataillone scharf gemachter Fachbegriffe ins Feld ihres verhinderten Tatendrangs führend. Routiniert gleitet mein Stift skribierend über das Papier, dokumentiere ich das Gemetzel.
Kann jedoch nicht behaupten, wirklich bei der Sache zu sein, Bild meiner selbst auf ihrem Chefthron im geistigen Auge noch immer schwankend vor innerem Schwindel. Weiß sie eigentlich, dass ich früher selbst einer dieser von ihr so hochgeschätzten Umweltaktivisten war? Zweifellos, wird die Akten vermutlich auswendig gelernt haben. Dann 1986, nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, Gründung des Bundesumweltministeriums, für mich das Angebot des Pressesprechers. Kurzes Zeitfenster, in dem man enge Zusammenarbeit mit NGOs suchte, oder zumindest personell beruhigende Zeichen zu setzen versuchte, gesichertes Einkommen für Frau und Kinder jedenfalls. »Unsere Hauptziele dabei sind natürlich die Schaffung klarerer Rahmenbedingungen, erhöhter Akzeptanz, steigende Investitionssicherheit, optimierte räumliche Koordination unter frühzeitigem Einbezug der Kommunen und maximierte Niederschwelligkeit der Bewilligungsverfahren.«
Ich jedoch, gebe es zu, verfolge immer noch verharrend in Unglauben meinen Karriereweg in Gesamtschau. Als Pressesprecher stets schwierig da zu negativ, sprich: ehrlich, jedoch in der Endphase jener Epoche eingestellt, in der unbefristete Arbeitsverträge noch üblich, deshalb letztlich Beförderung aufs Abstellgleis: Stellvertreter mit so unklar umrissenen Aufgaben, dass jede Ministeriumsleitung frei entscheidet, wann und ob sie mich aus dem Schrank holt, ansonsten ungeliebte Rechtssicherheit gewährleisten. Immerhin besoldet als Staatssekretär, über 10.000 Euro pro Monat. Die Backhus, inzwischen stilistisch offenbar ein wenig zur Ruhe gekommen: »Wir brauchen natürlich nicht so viele Wälder, wenn wir Strom sauberer produzieren. Diese Windkraftparks im Mittelgebirge sind daher der entscheidende Ankerpunkt bei Austarierung des Nord-Süd-Gefälles, Ostdeutschland ebenso. Flächennutzungspläne sind von den betroffenen Bundesländern binnen sechs Monaten in enger Kooperation mit dem Bundesverband Windenergie zu erstellen, paritätische Kommissionen wie üblich, Ausweichflächen für Vogelbestände müssen zeitnah ausgewiesen werden. Ach ja, für Fledermäuse auch, glaube ich. Prüfen Sie das nach.« Notiere: Fledermäuse???
Dann die letzten zwei Jahrzehnte zunehmend besser arrangiert: endlich zuverlässigere Erwartungen dank gleichbleibender politischer Linie trotz wechselnder Regierungen. Gestiegenes Vertrauen schlug sich in der Ernennung zum Leiter der Zentralabteilung nieder, nun primär Koordination der übrigen Abteilungen. Seit der Schröder-Regierung jedoch vermehrt Umstrukturierungsmaßnahmen, immer mehr Beamte durch Leiharbeiter aus „der Wirtschaft“ ersetzt, für begrenzte Zeit als Experten teuer eingekauft. Expertenwissen vor allem darin, Interessen ihres Unternehmens zu kennen, teilen sich entweder selbst Tätigkeiten zu oder sorgen über Kontakte für entsprechende Zuweisungen, inzwischen bereits jeder Dritte. Immer gruselig, wenn man sie die Geheimakten kopieren sieht. Mittlerweile kein Überblick mehr, wer an welcher Sache arbeitet und warum, also stattdessen aktives Vertrauen darauf, dass irgendetwas schon vorangeht, innerlich zunehmend distanziert, liebäugelnd mit frühzeitigem Ruhestand. Und nun? Schlagartig: eine Position, in der ich tatsächlich inhaltlich mitgestalten kann! In einer Situation, in der ich nichts mehr zu verlieren habe! Mir schwindelt.
»Und was das Freihandelsabkommen angeht, setze ich natürlich darauf, dass sie weiterhin so reibungslos und produktiv mit Doktor Böhne zusammenarbeiten, wie unser Haus es bislang unter meiner Leitung getan hat«, schließt die Ministerin soeben. Überrascht von diesem unerwarteten Ende tauche ich auf aus meiner inneren Rundschau, auf meinem Block die Zeichnung einer Fledermaus, die Blitzstrahlen auf ein Windrad verschießt. Hat da in der Stimme der Ministerin gerade echte Sorge mitgeschwungen? Wahrscheinlich sollte ich das Zutrauen in ihre personelle Neuentscheidung ein wenig stärken. Glücklicher Weise verschafft mir ein erneuter Hustenanfall ein wenig Zeit. »Seien Sie ganz unbesorgt. Wie Sie wissen, habe ich mit Ihrem Amtsvorgänger acht Jahre lang höchst produktiv zusammengearbeitet.«
Diese Form der Darstellung ist vielleicht gerade noch vertretbar. Doktor Böhne hatte sich überwiegend in einen undurchdringlichen Kokon aus endlosen Monologen gehüllt und ich vertrieb mir die Zeit damit, seinen reichhaltigen Schatz an Lateinzitaten mitzuschreiben und zu Hause nachzuschlagen, Überreste einer einst noch humanistischen Bildung halt. Das produktive Ergebnis war, dass Doktor Böhne von Latein anscheinend genauso wenig versteht wie ich. Darüber hinaus erinnere ich in erster Linie, wie wir einmal während einer vergleichbaren Hitzewelle beisammen saßen und der honorige Doktor klagte, warum die öffentliche Bepflanzung denn nicht mehr hinreichend besprengt werde. Ich bot ihm als Erklärung an, dass die jungen Leute das vielleicht nicht mehr könnten und jemanden bräuchten, der ihnen das mal zeigte. Ergriffen nickte Dr. Böhne und stimmte mir zu, dass die Welt genau diese Art stiller Helden dringend brauche. Insgesamt schien er mir gänzlich ironieresistent.
»Und ein letztes Wort möchte ich Ihnen noch auf den Weg mitgeben, Herr Müller: Passen Sie auf sich auf! Ich habe natürlich schon gewisse Erkundigungen eingezogen hinsichtlich der Ursachen meiner... Unpässlichkeit (offenbar meint sie ihren Parasitenbefall). Es gibt da ein paar überaus vertrauliche NSA-Informationen, denen zufolge Attentate mit Biowaffen auf die Führer der westlichen Welt geplant sind (wozu die Backhus sich offenbar zählt). Noch ist nicht ganz klar, wer dahintersteckt: Entweder islamistische Terroristen oder Russland. Vermutlich beide.«
Ich nicke verständnisvoll: »Vermutlich hat Russland das Know-how geliefert und die Islamisten die Drecksarbeit machen lassen. Die neue Achse des Bösen.« Regelmäßige Zeitungslektüre ist mir zunehmend unentbehrlich dafür geworden, zur rechten Zeit die richtigen Stichwörter zu liefern. Seit Russland und China sich auf eine gemeinsame Währung geeinigt haben, überschlagen sich die Zeitungen mit „Berichten“ darüber, für welche Epidemien der Welt Russland angeblich verantwortlich sei.
Die Backhus nickt ebenfalls, sehr nachdenklich und in sich gekehrt: »Sobald ich hier wieder raus bin, werde ich mich wohl für eine Verschärfung unserer Antiterrorgesetze engagieren müssen. Aber passen Sie bis dahin auf sich auf, Herr Müller. Ich möchte nicht, dass Sie jetzt zur Zielscheibe werden.« Unsere Ministerin neigt eigentlich nicht dazu, sich zu wiederholen. Dass sie es jetzt dennoch tut, hinterlässt ein ungutes Gefühl bei mir. Ist diese diffuse Bedrohung irgendwie eingrenzbar? »Hatten Sie... hatten Sie denn in letzter Zeit irgendeinen Kontakt zu ganz bestimmten Islamisten, vor denen ich mich hüten sollte?«
Pikiert zieht die Ministerin ihre Brauen zusammen und kräuselt leicht das spitze Näschen: »Natürlich nicht! Auch die Überwachung meines Hauspersonals hat ergeben, dass diese Leute über jeden Verdacht erhaben sind!« Zurückrudern also angesagt: Versichere ihr, dass ich sie selbstverständlich nicht für die Art Ministerin halte, die sich mit islamistischen Bediensteten umgibt. Leichte Beklommenheit bleibt jedoch: »Ist Ihnen ansonsten irgendetwas... Ungewöhnliches widerfahren?«
Offenbar versteht die Ministerin es diesmal nicht als Unterstellung, sie könne grundsätzlich eine Person sein, die Ungewöhnliches erlebe. Vielleicht ist sie durch meine eigene Beunruhigung nachdenklicher geworden. Zumindest grübelt sie nun und geht im Geist offenbar die letzten Wochen ihres sehr überschaubaren Lebens außerhalb des Ministeriums durch. »Jetzt, wo Sie es sagen... nun ja... Eigentlich kommt da nur das letzte Wochenende in Frage. Da war auch ein Herr Mukkhajin anwesend. Inder, glaube ich, weiß aber nicht, ob das auch zählt.« Im Grunde sehe ich keinen Sinn darin, an dieser Stelle das Verhältnis von Indern zu islamistischen Terrorlehren zu erörtern, für mich führt dieser Faden nämlich in andere Richtung: »Sie haben das Wochenende also außer Haus verbracht?« Die Ministerin bricht zunächst in einen Husten- und dann in einen Rechtfertigungsanfall aus. Ein „Wellness-Wochenende“ sei es gewesen. In Heilbronn, auf Einladung der PrimAct AG.
»Das ist doch einer der Marktführer für Gentechnik in Europa?«, frage ich, vielleicht bemerkt ja auch die Ministerin da eine mögliche Verbindung zu ihrem Parasitenbefall. Tatsächlich kann ich sehen, wie die Räder hinter ihrer Stirn nunmehr mahlen. »Ja, Gentechnik spielte da auch eine Rolle, so ganz am Rande... In erster Linie war das Ganze aber als Möglichkeit für die neuen Minister und Ministerinnen gedacht, sich in dieser aufreibenden ersten Amtszeit ein wenig zu erholen. Sauna, finnische Schwitzhütte, Tennis, Golf, Weinprobe... Sich untereinander ein bisschen austauschen, bei gutem Essen Kontakte knüpfen, erste Orientierung gewinnen... Wirklich, das kann ich Ihnen nur empfehlen. Ich fand es sehr hilfreich. Gehen Sie doch auch einmal hin: Den ganzen nächsten Monat über finden noch ähnliche Wochenendveranstaltungen statt. Das würde Ihnen gut tun. Wenn Sie sich von den Indern fernhalten, natürlich.«
Ein Wochenende zu Gast bei den großen Lobbyisten Europas? Wo einen der Hauch der Macht nicht nur umweht, sondern jeden Moment mit voller Stärke ins Gesichtlein bläst? Einmal einen Einblick in jene Kreise bekommen, die wirkliche Entscheidungen treffen? Welch eigentümliches Kribbeln unter der Haut, offenbar werden längst verblichen geglaubte Lebensgeister plötzlich wieder wach.
Die PrimAct AG ist immerhin eine der treibenden Kräfte hinter den momentanen Verhandlungen über TTIP III, die dritte Stufe unseres Freihandelsabkommens mit den USA. Wenn es zustande kommt, werden der gentechnischen Manipulation von Tieren und Pflanzen keine Grenzen mehr gesetzt, ein gewaltiges Geschäft. Für einen kurzen Moment erlebe ich etwas, das ich durchaus als Vision zu bezeichnen geneigt bin: KLEINER VERWALTUNGSANGESTELLTER DECKT UMTRIEBE DER PRIMACT AG AUF – KONZERN SETZT BIOLOGISCHE WAFFEN GEGEN UNLIEBSAME POLITIKER EIN. Und darunter ein Bild von mir, zwanzig Jahre jünger, heldenhaft und idealistisch und ohne Bauch. Dann erst fällt mir auf, dass die Backhus wahrscheinlich alles andere als unliebsam ist, solange gewisse Personen darunter „folgsam“ verstehen, welchen Zusammenhang aber mag es sonst zwischen Konzern und Parasiten geben?
»Falls Sie Interesse haben, lasse ich Ihnen die Einladungen gerne zuschicken«, sagt die Ministerin. Dann steckt sie sich ihren Absaugschlauch wieder ein und sieht mich erwartungsvoll an, während der Schlauch gurgelnde Geräusche von sich gibt. Der Keim des Unheils ist nunmehr gesät.