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5. Logan

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Er erwachte und hatte noch schlechtere Laune als sonst. Knurrend verließ er den Felsüberhang, unter dem er geschlafen hatte, die Wolldecke in der Hand. Logan streckte sich, um die Morgenkälte aus den Knochen zu vertreiben. Nahm einen großen Schluck aus seinem Wasserschlauch. Leerte seine Blase am nächstbesten Stamm. Und packte sein Schwert.

Seine Klinge durchschnitt den Nebel. Amseln kreischten über ihm, als wollte er ihnen ans Leder und mit jedem Schritt wirbelten seine Füße graubraune Blätter auf. Erde und Staub füllten seine Nase, während er die ersten Übungen absolvierte.

Er wurde ruhiger. Machte einen Schritt nach vorn, stach einem unsichtbaren Gegner in den Bauch. Wich ihm aus, parierte einen imaginären Schlag und stach wieder zu. Es war wichtig, zu üben.

Mit einem echten Gegner wäre es einfacher gewesen. Mit Angus und Niall hatte er üben können. Damals war er besser in Form gewesen als je zuvor. Aber die beiden waren tot und er musste sich mit eingebildeten Gegnern zufriedengeben.

Er stellte sich die beiden Sutherlands von gestern vor und zerlegte sie. Dann alle anderen, der Reihe nach. Jeder, dem er die Kehle aufgeschlitzt hatte, jeder, der sein Rudel überfallen hatte. Den Mann, der ihn ins Feuer getreten hatte und den Goldenen, der sich lustvoll unter Logan wand.

Was?

Logan verharrte. Warum hatte er an den Kleinen gedacht?

Muss der verdammte Traum sein, dachte er und spuckte aus. Sein Schwanz hatte sich immer noch nicht vollends beruhigt. Er war mit dem härtesten Rammbock aufgewacht, der je morgens einen Kilt gehoben hatte. Und nur wegen dieses seltsamen Traums. Er konnte sich nicht an viel daraus erinnern. Nur daran, dass der Goldene in einem Zuber gelegen hatte. Nass und glücklich und unendlich begehrenswert. In den Armen eines anderen, was Logan so wütend gemacht hatte, dass er in ihr Badewasser geschifft hatte. Nur, um das blöde Gesicht des Jungen zu sehen.

Kalte Angst rann durch seinen Magen. Dieser Traum war anders gewesen. Viel zu echt. Er hatte den Jungen gerochen, das Salz auf seinen Lippen geschmeckt. Irgendwie war der Traum so weitergegangen, dass der Junge Logan an sich gezogen hatte. Dass weiche Finger sich auf seine blutenden Wangen gelegt hatten. Die Blutung war versiegt.

»Was war das?«, brummte er. In seinen Träumen blutete er immer. In seinen Träumen waren die Narben frische Schnitte, frische Verbrennungen. In seinen Träumen waren sie so frisch, wie sie es tief in ihm waren und nicht von außen, wo sein verdammter Körper sie längst geheilt hatte. Wo er weiter atmete, obwohl alle, für die er kämpfte, längst zu Asche und Erde geworden waren.

Aber sein Körper gab nicht auf. Der tötete, pisste, schiss und fickte weiter, als gäbe es eine Zukunft. Ficken. Gutes Stichwort. In vier Tagen war Vollmond, und bis dahin musste er in Lobdhain sein. Bei der letzten Nutte, die sein Gesicht ertrug und keine Angst vor seinem Prügel hatte.

Logan senkte die Hand. Betrachtete sein Schwert. Es war nicht das, welches er als Junge gehabt hatte. Das war in einem Kampf kaputtgegangen. Es war Angus' Schwert. Der hatte es nicht mehr gebraucht, nachdem der Hexer ihn erwischt hatte. Also hatte Logan es genommen.

Aber die beiden gestern hatte er als Wolf erlegt. Auf die alte Art. Die, die ihm am meisten lag. Klauen und Zähne, Kehle und Blut. Der Goldene hatte ihn angeschaut, als sei er der Hölle selbst entsprungen.

Logan fuhr sich durch das Gestrüpp auf seinem Kopf. Spürte den knorpeligen Stummel des verbrannten Ohrs. Schaffte es nicht, den Anblick aus seinem Kopf zu verdrängen, den er gestern vor sich gehabt hatte. Die goldglänzenden Locken. Die Sahnehaut der schlanken Gliedmaßen. Die pralle Rute zwischen zitternden Schenkeln. Die feuchten Augen. Der sündige Mund. Kein Wunder, dass der hübsche Mistkerl sich in seine Träume geschlichen hatte. Noch Stunden nach ihrer Begegnung hatte Logan sich gefragt, wie der Goldene aussehen würde, wenn er keine Angst hatte. Wenn der bebende Mund sich zu einem Lächeln verzog.

»Das wirst du nie herausfinden, alte Hackfresse«, sagte er zu sich selbst. »Selbst wenn du den Kleinen wiedersehen würdest, bei deinem Anblick vergeht jedem das Lachen.«

Er schlitzte imaginäre Sutherlands auf, bis sein Körper schweißüberströmt war. Bis jeder Muskel schmerzte und das Brennen alle Gedanken an die Toten verdrängt hatte. Erst dann trottete er zu seinem Unterschlupf zurück und öffnete die Lederbeutel, die er den beiden Sutherlands abgenommen hatte. Trockenfleisch und altes Brot. Eine willkommene Abwechslung zum rohen Fleisch der Tiere, die er sonst jagte. Es war schwer, ohne Rudel zu jagen. Oft genug entwischte ihm die Beute. Aber es reichte immer, um zu überleben.

Logan verschlang das Brot und knabberte am Trockenfleisch. Ärgerlich bemerkte er, dass ein Gefühl zurückgeblieben war: Das der weichen Handflächen auf seinen Wangen. Dabei hatte er es nur geträumt. Was war das? Frost schlängelte sich durch seine Gedärme. Furcht breitete sich dort aus, wie sie nur eins hervorrufen konnte.

»Magie«, knurrte er und schüttelte sich. »Verdammte Kackmagie.«

Es gab nichts, was er mehr hasste. Seit der Hexer ihn erwischt hatte, seit er Angus und Niall umgebracht hatte, fürchtete er die Magie wie nichts anderes. Seit sie ihn zwang, bei jedem Vollmond bedauernswerte Nutten zu besteigen.

Es gibt nur einen Weg, den Fluch zu brechen, höhnte der Hexer in seinem Kopf.

Er hielt es hier nicht mehr aus. Wütend packte er sein Zeug zusammen und sprang auf. Durchstreifte den feuchten Blätterwald, in dem er übernachtet hatte und erklomm einen rissigen Felsen. Dann noch einen. Der einzige Berg in der Gegend würde ihm einen guten Überblick verschaffen. Wie ein Riese ragte der graue Brocken in den Himmel.

Logan verjagte zwei Krähen, die sich mit blechernem Gekreische davonmachten. Kletterte eine fast senkrechte Felswand empor. Seine Finger schmerzten von der Anstrengung, sein Körpergewicht hochzuziehen. Aber als er den Gipfel erreichte, fühlte er sich fast erhaben. Beinahe weitete sich seine Brust, als er über die Wälder zu seinen Füßen blickte. Als er die Krähen davonfliegen sah, über ein Meer dunkelgrüner Baumspitzen, durchsetzt mit grauen Nebelschwaden. Als der Wind über seine nasse Haut strich und die Hitze milderte.

Hier oben schien die Sonne. Hier fühlte der Sommer sich fast wie ein Sommer an. Nun, da er dem Schatten der Bäume entkommen war. Hier und da durchbrachen kleine Siedlungen den Wald, mischten sich rote Ziegeldächer mit dem überwältigenden Grün der Blätter. Der Himmel, der sich über Logan spannte, war milchig blau. Zerrissene Wolken hingen in der Luft, reglos wie Wasserleichen.

Der Pfad, auf dem die beiden Alphas und der Goldene gegangen waren, war von oben kaum zu erkennen. Nur hier und da verriet eine Öffnung in den Baumkronen seinen Verlauf. Wie weit der Kleine wohl gekommen war? Wohin waren sie gegangen? Woher gekommen? Lief er zurück?

Logan schüttelte den Kopf.

Raus aus meinem Kopf, du Hundesohn, dachte er. Geh dahin zurück, wo du hingehörst.

Aber der Hundesohn hörte nicht. Unsichtbare Hände legten sich auf Logans ruinierte Wangen. Der Geist der lustverhangenen Augen blickte ihm entgegen. Schmale Hüften bockten gegen Logans Unterleib.

Küss mich endlich, hatte der Goldene gestöhnt. Schnell.

Logan hatte ihn geküsst. Im Traum. In der Realität hatte sein Mund seit acht Jahren niemanden mehr berührt. Das Tier küsste nicht. Es hätte ihn geschwächt. Hätte etwas in dem Kerker belebt, der ihn zusammenhielt.

»Lass mich in Ruhe, Cian MacKay«, knurrte er. »Sofort.«

Doch wieder weigerte der kleine Mistkerl sich. Ein Schrei hallte durch die Wälder. Weit entfernt und doch drang er bis zu Logan hinauf.

Das war die Stimme des Goldenen, oder? Logan sah hinunter, zu der Stelle im Wald, wo die Vögel aufstoben. Zwischen den Baumkronen glitzerte es. Wasser. Das musste da sein, wo die Brücke sich über den kleinen Bach spannte.

Nicht mein Problem, dachte er. Ist der Kleine halt schon wieder in Gefahr. Bis ich da unten bin, ist er dreimal geschändet worden.

Er zögerte. Katzenaugen unter wilden Locken erfüllten seine Erinnerung. Die Angst im Blick des Goldenen bohrte sich wie ein Dolch in seine Brust. Was, wenn es wieder die Sutherlands waren? So, wie die in letzter Zeit durch die Wälder krochen, wäre es kein Wunder, ihnen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zu begegnen.

Der Schrei war verstummt. Die Vögel kreisten über die Brücke, dann senkten sie sich nieder, verschwanden zwischen den Blättern.

Logans Magen krampfte sich zusammen. Er packte die Kante des Felsens und ließ sich hinab. Angst rumorte in seinem Bauch. Nein, schalt er sich. Wut. Hass. Hass auf die Sutherlands, die er gleich abschlachten würde.

Der Omega und das Tier

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