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Fünfzehnter Brief.
Von Julie.

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Inhaltsverzeichnis

Zu viel! zu viel! Freund, du hast gesiegt. Ich bin nicht fest gegen so viel Liebe, mein Widerstand ist erschöpft. Ich habe gebraucht, was ich an Kräften hatte, mein Gewissen giebt mir das tröstliche Zeugniß. Der Himmel fordere nicht Rechenschaft von mir über mehr, als er mir gegeben hat! Dieses armselige Herz, das du so oft erkauft hast und das dem deinigen so theuer zu stehen kam, es gehört ohne Rückhalt dir; es war dein vom ersten Augenblicke, da meine Augen dich sahen; es wird dein bleiben bis zu meinem letzten Hauche. Du hast es zu wohl verdient, um es zu verlieren, und ich bin müde, auf Kosten aller Billigkeit einer eingebildeten Tugend zu fröhnen.

Ja, zärtlich Geliebter, edler Mensch, deine Julie wird ewig dein sein, wird dich ewig lieben: es muß sein, ich will es, ich bin es schuldig. Ich gebe dir die Herrschaft zurück, die dir die Liebe eingeräumt hat, und sie soll dir nicht wieder genommen werden. Vergeblich murret dawider eine lügnerische Stimme in der Tiefe meiner Seele, sie soll mich nicht betrügen. Was sind die eiteln Pflichten, die sie mir entgegenhält, gegen die Pflicht, auf ewig Den zu lieben, den mir der Himmel zu lieben gegeben hat? Habe ich nicht die heiligste von allen gegen dich? Habe ich nicht dir allein Alles versprochen? War nicht das erste Gelöbniß meines Herzens, dich nie zu vergessen? und ist nicht deine unwandelbare Treue eine neue Fessel für die meinige? Ach, in der Liebesbrunst, die mich wieder dir zuführt, ist nur das Eine mein Leid, daß ich so theure und so rechtmäßige Gefühle bekämpft habe. Natur, o süße Natur! nimm alle deine Rechte wieder ein; ich schwöre die unmenschlichen Tugenden ab, die dich zu nichte machen. Wären die Neigungen, die du mir eingepflanzt hast, trügerischer als die Schlüsse einer Vernunft, die mich so oft irregeführt hat?

Habe Achtung vor diesen zärtlichen Neigungen, du mein liebenswürdiger Freund, du verdankst ihnen zu viel, um ihnen feind zu sein; aber unterwirf dich einer Theilung, sie ist lieb und süß; vergönne, daß die Rechte des Blutes und der Freundschaft nicht getilgt werden durch die Rechte der Liebe. Denke nicht, daß ich je, um dir zu folgen, das väterliche Haus verlassen werde, hoffe nicht, daß ich mich dem Bande entziehe, das mir eine geheiligte Macht auflegt; der schmerzliche Verlust des einen meiner Eltern hat es mir zu furchtbar gemacht, dem andern Trübsal zu bereiten. Nein, Die, von der er hinfort seinen ganzen Trost erwartet, wird seine von Kummer und Mühsal gebeugte Seele nicht betrüben; ich will nicht Allem, was mir das Leben gab, den Tod gegeben haben. Nein, nein, ich kenne mein Verbrechen und vermag nicht, es zu hassen. Pflicht, Ehre, Tugend, Alles das sagt mir nichts mehr, aber dennoch bin ich kein Ungeheuer; ich bin schwach, aber kein unnatürliches Geschöpf. Mein Entschluß ist gefaßt, ich will keinem von Denen, die ich liebe, wehe thun. Verfüge mein Vater, durch sein Wort gefesselt und eifersüchtig auf einen leeren Titel, über meine Hand, die er versprochen hat; die Liebe allein verfüge über mein Herz; und in den Busen einer zärtlichen Freundin sollen meine Thränen nicht aufhören sich zu ergießen. Mag ich erniedrigt und elend sein, sei nur Alles, was mir theuer ist, glücklich und zufrieden, wenn es sein kann. Machet ihr Drei allein mein ganzes Dasein aus, und euer Glück lasse mich mein Elend und meine Verzweiflung vergessen.

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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