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Zwanzigster Brief.
Von Julie.

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Inhaltsverzeichnis

Sie fragen mich, ob ich glücklich bin. Diese Frage rührt mich, und dadurch daß Sie sie thun, erleichtern Sie mir die Antwort; denn weit entfernt, nach dem Vergessen zu trachten, wovon Sie reden, gestehe ich, daß ich nicht glücklich sein könnte, wenn Sie aufhörten mich zu lieben; aber ich bin es in jeder Hinsicht, und nichts fehlt zu meinem Glücke, als das Ihrige. Wenn ich es in meinem vorigen Briefe vermieden habe, von Herrn von Wolmar zu sprechen, so that ich es aus Schonung für Sie. Ich kannte Ihre Reizbarkeit zu sehr, um nicht zu fürchten, daß es Ihren Schmerz vermehren möchte; aber da Ihre Unruhe über mein Schicksal mich nöthigt, von Dem zu sprechen, von dem es abhängt, so kann ich es nur in einer Weise thun, wie er es verdient, nur so, wie es seiner Gattin und einer Freundin der Wahrheit geziemt.

Herr von Wolmar ist fast funfzig Jahre alt; sein einfaches geregeltes Leben und seine Gemüthsruhe haben ihm seine Constitution so kräftig und sein Aussehen so frisch erhalten, daß er kaum vierzig alt scheint, und er hat von dem vorgerückteren Alter nichts als die Erfahrung und Weisheit. Seine Züge sind edel und gewinnend, sein Benehmen ist einfach und offen; er ist höflich, aber ohne sich damit aufzudrängen; er spricht wenig; was er sagt, ist inhaltreich, ohne daß er nach Gedrungenheit und sententiösem Tone hascht. Er ist gegen Jedermann der nämliche, sucht und vermeidet Niemanden, und hat keine Vorliebe, außer für das, was vernünftig ist.

Trotz der Kälte, die ihm eigen ist, schien ihm sein Herz, den Ansichten meines Vaters entgegenkommend, zu sagen, daß ich für ihn paßte und zum ersten Male in seinem Leben faßte er eine Zuneigung. Seine gemäßigte, aber dauerhafte Neigung gab sich einen so schicklichen Ausdruck, und blieb sich darin stets so gleich, daß er seinen Ton nicht zu ändern brauchte, als sich unsere Lage änderte, und daß er, ohne dem ehelichen Ernst Eintrag zu thun, sich, seit wir verheiratet sind, gegen mich ganz ebenso benimmt wie zuvor. Ich habe ihn nie weder lustig noch traurig gesehen, aber immer zufrieden; nie spricht er von sich, selten von mir; er sucht mich nicht, aber es ist ihm nichtunlieb, wenn ich ihn suche und er verläßt mich ungern. Er lacht nicht, er ist ernsthaft, ohne Andere ernst zu machen; im Gegentheil, sein heiterer Blick scheint mich zur Fröhlichkeit aufzufordern, und da die Vergnügungen, welche ich genieße, die einzigen sind, für die er Sinn zu haben scheint, so ist das eine von den Aufmerksamkeiten, die ich ihm schuldig bin, daß ich mir Vergnügen zu machen suche. Mit Einem Worte, er will, daß ich glücklich sei: er sagt es mir nicht, aber ich sehe es, und das Glück seiner Frau wollen, heißt das nicht, es erreicht haben?

Wie sorgfältig ich ihn beobachten mochte, ich habe keine Art von Leidenschaft an ihm entdecken können, außer der, die er für mich hat. Und auch diese ist so gleichmäßig und ruhig, daß man sagen sollte, er liebt nur, soweit er will, und will nur, so weit es die Vernunft erlaubt. Er ist in Wahrheit, was sich Milord Eduard zu sein einbildet, und ich finde, daß er hierdurch uns Gefühlsmenschen, die wir uns so viel dünken, weit überlegen ist; denn uns trügt das Herz auf tausenderlei Weise und verfährt nach Bestimmungsgründen, die doch immer verdächtig sind: aber die Vernunft hat nie etwas Anderes vor Augen als das Rechte; sie bietet einen sichern, klaren, bequemen Maßstab für die Führung des Lebens, und nie verirrt sie sich, wenn sie nicht zu müßigen Spekulationen gebraucht wird, die gar nicht ihrem Wesen angemessen sind.

Das, woran Herr von Wolmar am meisten Gefallen findet, ist Menschenbeobachtung. Er spricht sich gern über Charaktere und Handlungen aus. Er urtheill mit tiefer Einsicht und vollkommener Unparteilichkeit. Wenn ein Feind ihm Böses thäte. würde er dessen Beweggründe und die Mittel, deren sich derselbe bedient hätte, mit einer solchen Ruhe untersuchen, als ob die Sache ihn nicht selbst anginge.

Ich weiß nicht, wie er von Ihnen gehört haben mag, aber er hat Ihrer gegen mich mehrmals mit vieler Achtung erwähnt, und ich weiß, daß er keiner Verstellung fähig ist. Ich habe manchmal zu bemerken geglaubt, daß er mich bei diesen Gesprächen beobachtete, aber es ist sehr wahrscheinlich, daß diese vermeintliche Bemerkung nichts als der geheime Vorwurf eines unruhigen Gewissens ist. Wie dem sei, ich habe dabei meine Pflicht gethan; weder Furcht noch Scham haben mir eine unbillige Zurückhaltung aufnöthigen können, und ich habe Ihnen bei ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen, wie ich sie ihm bei Ihnen widerfahren lasse.

Ich vergaß, Ihnen von unserm Einkommen und der Verwaltung desselben zu sagen. Die Trümmer seiner Habe, nebst der meines Vaters, der sich nur eine Pension vorbehalten hat, sichern ihm zusammen ein mäßiges aber anständiges Vermögen, von dem er einen edlen und klugen Gebrauch macht, indem er bei sich zu Hause nicht das eitele und lästige Gedränge des Luxus, sondern Gemächlichkeit und Fülle in den wahren Annehmlichkeiten des Lebens [Nichts findet sich häufiger beisammen als Prachtaufwand und Filzigkeit. Man entzieht der Natur, dem wahren Vergnügen, selbst dem Bedürfniß, was man der Meinung opfert. Mancher schmückt sein Palais auf Unkosten seiner Küche; Mancher hält mehr auf schönes Tafelzeug als auf eine gute Tafel; Mancher giebt ein Prunkessen und stirbt das ganze Jahr hindurch Hungers. Wenn ich ein mit Silber besetztes Büffet sehe, rechne ich stets auf Wein, der mich vergiftet. Wie oft auf Landsitzen läßt man sich durch die Morgenkühle, durch den Anblick eines schönen Gartens locken: man steht früh auf, geht spazieren, macht sich hungrig, will endlich frühstücken; ja, da ist der Offficiant nicht da, oder nichts im Hanse, oder nichts herausgegeben, oder man muß warten. Bisweilen kommt man euch zuvor, bietet euch das Schönste und Beste an, nur müßt ihr nichts annehmen. Man muß bis drei Uhr hungern, oder Tulpen zum Frühstück genießen. Ich erinnere mich, einmal in einem sehr schönen Park gewesen zu sein, dessen Besitzerin, sagte man, sehr den Kaffee liebte, ihn aber niemals trank, weil die Tasse auf vier Sous zu stehen käme; jedoch gab sie ihrem Gärtner mit Freuden tausend Thaler. Ich glaube, ich würde lieber weniger gut geschorene Hecken halten, und öfter Kaffee trinken.], und seinen dürftigen Nachbarn

das Nothdürftige schafft. Die Ordnung, welche er in sein Hauswesen gebracht hat, ist das Bild deren, die in seiner Seele herrscht und scheint in einer kleinen Wirthschaft diejenige nachzuahmen, welche in der Regierung der Welt eingerichtet ist. Man bemerkt darin nicht jene unverrückbare Regelmäßigkeit, welche mehr Zwang als Nutzen stiftet, und nur für Den erträglich ist, der sie auferlegt, noch auch jenes schlechtverstandene Hin und Her, in welchem zu viel erreicht werden soll, und deshalb nichts erreicht wird. Man erkennt vielmehr überall die Hand des Herrn und fühlt sie doch nie; immer hat er die erste Veranstaltung so gut getroffen, daß dann Alles von selbst geht, und daß man der Ordnung und der Freiheit zugleich genießt.

Dies, mein werther Freund, ist in wenigen, aber treuen Zügen der Charakter des Herrn von Wolmar, soweit ich ihn, seit ich mit ihm lebe, kennenlernen konnte. So erschien er mir den ersten Tag, so erscheint er mir noch heute ohne die geringste Abweichung; was mich denn hoffen läßt, daß ich recht gesehen habe, und daß mir nichts weiter zu entdecken bleibt; denn ich denke mir, daß er sich nicht anders zeigen könnte, ohne dadurch zu verlieren.

Nach dieser Schilderung können Sie sich nun schon selbst Antwort geben; es wäre viel Verachtung, mich nicht für glücklich zu halten, wenn ich so viel Ursache habe, es zu sein [Wahrscheinlich hatte, sie das unselige Geheimniß noch nicht entdeckt, welches in der Folge so quält, oder sie wollte es ihrem Freunde noch nicht anvertrauen.]. Ich habe lange in dem Irrthume gelebt, und Sie hegen ihn vielleicht noch, daß Liebe vorhanden sein müsse, wenn eine glüchliche Ehe zu Stande kommen solle. Es ist nicht so, mein Freund: Rechtschaffenheit, Tugend, ein gewisses für einander Passen, weniger dem Stande und Alter als dem Charakter und der Gemüthsart nach, dies ist zwischen Gatten genug, und schließt nicht aus, daß nicht aus solcher Verbindung eine sehr zärtliche Anhänglichkeit entspringe, die, wenn auch nicht gerade Liebe, doch deshalb nicht weniger süß, und nur desto dauerhafter ist. Die Liebe hat in ihrem Gefolge stets eine Unruhe, entweder der Eifersucht oder der Entbehrung,

dergleichen nicht in die Ehe paßt, da diese ein Zustand des friedlichen Genusses ist. Man heiratet sich nicht, um unaufhörlich an einander zu denken, sondern um gemeinschaftlich die Pflichten des bürgerlichen Lebens zu erfüllen, klug das Haus zu verwalten, seine Kinder gut zu erziehen. Liebende haben nur immer sich vor Augen, beschäftigen sich unaufhörlich nur mit sich, und das Einzige, was sie können, ist, sich liebhaben. Das ist für Ehegatten nicht genug, die ganz andere Sorgen haben. Es giebt keine Leidenschaft, die uns so arg verblendete als die Liebe: man nimmt ihre Heftigkeit für einen Beweis ihrer Dauerhaftigkeit; das Herz dehnt, so zu sagen, das Gefühl, von dem es übervoll ist, auf die Zukunft aus, und solange die Liebe währt, meint man, sie werde nie enden. Aber gerade ihre Hitze ist das, was sie aufzehrt; sie nutzt sich mit der Jugend ab, sie welkt mit der Schönheit hin, sie erstirbt unter dem Eise des Alters, und solange die Welt steht, hat man noch nicht ein liebendes Paar in weißen Haaren um einander girren sehen. Man muß also darauf rechnen, daß man früher oder später einmal aufhören werde, sich anzubeten; dann, nachdem das Götzenbild, dem man diente, zerstört ist, sieht man sich gegenseitig so, wie man ist. Man sucht mit Erstaunen den Gegenstand, den man liebte; da man ihn nicht findet, faßt man einen Widerwillen gegen den, der geblieben ist, und oft macht ihn die Einbildungskraft nicht weniger häßlich, als sie ihn zuvor schön gemacht hatte. Es gieb, wenig Menschen, sagt La Rochefoucauld, die sich nicht ihrer Liebe schämten, wenn es mit der Liebe vorbei ist [Bei jedem anderen Anlaß würde ich mich wundern, daß Julie La Rochefoucauld kennt und anführt; sein trauriges Buch wird guten Leuten nie munden.]. Wie sehr ist alsdann zu fürchten, daß allzu lebhaften Gefühlen Ueberdruß folge, daß die Abnahme derselben nicht bei Gleichgültigkeit stehen bleibe, sondern bis zur Abneigung fortgehe, bis zuletzt gänzlich einer des andern satt ist, und daß Die, welche sich als Liebesleute zu sehr liebten, als Gatten einander hassen. Mein lieber Freund, Sie haben mir stets sehr liebenswürdig geschienen, viel zu sehr für meine Unschuld und für meine Ruhe; aber ich habe Sie immer nur verliebt gekannt: weiß ich, wie Sie sein würden, wenn Sie es nicht mehr wären? Ich gebe zu, mit der Liebe würde in Ihnen nicht die Tugend erstorben sein, aber ist das genug, um glücklich zu sein in einem Bande, welches das Herz knüpfen soll? und wie viele tugendhafte Menschen giebt es nicht, die deswegen doch unerträgliche Ehemänner sind! In dieser Hinsicht können Sie ganz dasselbe von mir sagen.

Was nun Herrn von Wolmar betrifft, so ist keiner von uns beiden durch irgend eine Illusion für den anderen eingenommen: wir sehen uns so, wie wir sind; das Gefühl, welches uns vereinigt, ist nicht der blinde Aufruhr leidenschaftlicher Herzen, sondern die unerschütterliche, beständige Anhänglichkeit zweier rechtschaffenen und vernünftigen Personen, welche, bestimmt mit einander zu leben, zufrieden sind mit ihrem Loose, und es sich einander angenehm zu machen suchen. Mich dünkt, wir hätten nicht besser zu einander passen können, wenn wir ausdrücklich für einander geschaffen wären. Wenn sein Herz ebenso zärtlicher Natur wäre, wie das meinige, würde es unmöglich sein, daß nicht so viel Empfindlichkeit von beiden Seiten bisweilen gegen einander stieße und Zwist daraus entspränge. Wenn ich so ruhig wäre wie er, würde zu viel Kälte zwischen uns, und der Umgang nicht so angenehm und süß sein. Wenn er mich nicht liebte, würden wir schlecht mit einander leben; wenn er mich zu sehr geliebt hätte, würde er mir lästig geworden sein. Jeder von beiden ist gerade so, wie er dem Anderen nöthig ist; er klärt mich auf, und ich rege ihn an; wir sind verbunden beide mehr werth, und es scheint, daß wir bestimmt sind, unter uns nur Eine Seele auszumachen, deren Urtheilskraft er ist, während ich ihr Wille bin. Da ist nichts, selbst sein reifes Alter eingerechnet, was nicht zu gemeinsamem Vortheil ausschlüge; denn sicher würde ich bei der Leidenschaft, welche mich marterte, ihn, wenn er jünger gewesen wäre, noch unlieber geheiratet haben, und die Heftigkeit meines Widerstrebens würde dann vielleicht den glücklichen Umschwung verhindert haben, den ich in mir erlebte.

Freund, der Himmel erleuchtet die Wohlmeinung der Väter und belohnt die Folgsamkeit der Kinder. Gott verhüte, daß ich Ihrem Mißvergnügen Hohn sprechen wolle! Nur der Wunsch, Sie über mein Schicksal vollkommen zu beruhigen, treibt mich an, noch das hinzuzufügen, was ich jetzt sagen will. Wenn ich mit den Gefühlen, die ich ehedem für Sie hegte, und mit der Einsicht, die ich jetzt gewonnen habe, volle Macht und Freiheit hätte, mir meinen Gatten zu wählen, so würde ich, — der Gott, der mich erleuchtet hat und in meinem Herzen liest, ist mein Zeuge — ich würde nicht Sie wählen, sondern Herrn von Wolmar.

Es dient vielleicht zu Ihrer völligen Heilung, daß ich nichts von dem zurückhalte, was ich noch auf dem Herzen habe. Herr von Wolmar ist älter als ich. Wenn der Himmel, zur Strafe für meine Fehltritte, mir den würdigen Gatten nähme, den ich so wenig verdient habe, so ist mein fester Entschluß, nie einen Andern zu heiraten. Wenn er nicht das Glück gehabt hat, ein keusches Mädchen zu finden, wird er wenigstens eine keusche Witwe zurücklassen. Sie kennen mich zu gut, um zu glauben, daß ich die Frau sei, die, wenn sie eine solche Erklärung abgegeben hat, sie wieder zurücknähme [Unsere Lage ist, ohne daß wir es wollen, vom größten Einflüsse auf das, was unser Herz bewegt: wir werden lasterhaft und schlecht, jenachdem uns unsere Interessen dazu verleiten, und leider dienen die Fesseln, die uns drücken, dazu, die Masse solcher Interessen zu vergrößern. Wenn wir Anstrengungen machen, die Unordnungen unserer Begierden zu schlichten, so ist es fast immer vergeblich und selten das Rechte. Was abgestellt werden muß, ist weniger die Begierde, als die Lage, der sie ihren Ursprung verdankt. Wenn wir gut werden wollen, so müssen wir die Verhältnisse beseitigen, welche uns daran verhindern: es giebt kein anderes Mittel Ich möchte um Alles in der Welt nicht ein Anrecht auf die Beerbung irgend eines Menschen haben, besonders eines solchen, der mir theuer sein muß, denn weiß ich, was für einen furchtbaren Wunsch mir eigene Dürftigkeit ablocken könnte? Nach diesem Grundsatze möge man Juliens Entschluß prüfen, sowie die Mittheilung, welche sie davon ihrem Freunde macht. Man erwäge sorgfältig die obwaltenden Verhältnisse, und man wird sehen, wie ein redliches Herz, im Zweifel an sich selbst, sich nöthigenfalls jedes der Pflicht widerstreitende Interesse aus dem Wege zu räumen, sucht. Julie macht hier, trotz der Liebe, deren sie nicht ledig geworden, ihre Sinnlichkeit zum Bundesgenossen ihrer Tugend, zwingt sich gewissermaßen, Wolmar als ihren alleinigen Gatten zu lieben, als den einzigen Mann, dem sie zeitlebens beiwohnen wird; sie verwandelt das geheime Interesse, welches sie an seinem Verluste haben könnte, in ein Interesse an seiner Erhaltung. Entweder ich verstehe mich nicht auf das menschliche Herz, oder es ist gerade dieser vielgetadelte Entschluß, welcher für Juliens ganzes Leben der Tugend den Sieg sichert, und ihr die aufrichtige und unwandelbare Anhänglichkeit, die sie ihrem Manne bis an ihr Ende bewahrt.].

Was ich gesagt habe, um Ihre Zweifel zu heben, kann auch dazu dienen, Ihre Einwürfe gegen das Bekenntniß, welches ich meinem Manne schuldig zu sein glaube, zum Theil zu beseitigen. Er ist zu verständig, um einen demüthigenden Schritt, den mir nur die Reue abgewinnen kann, mich büßen zu lassen, und ich bin ebensowenig fähig, jene Frauenlist, von der Sie sagten, anzuwenden, als er, sie mir zuzutrauen. Der Grund, den Sie anführen, weshalb das Geständniß nicht nöthig sei, ist sicherlich eine Sophisterei, denn obgleich man zu nichts verbunden ist gegen einen Guten, den man noch nicht hat, erlangt man doch dadurch nicht die Berechtigung, sich ihm für etwas Anderes zu geben, als man ist. Ich habe das gefühlt, auch schon vor meiner Verheiratung, und wenn das Gelübde, das mir mein Vater abgedrungen hat, mich verhinderte, in dieser Hinsicht meine Pflicht zu erfüllen, so bin ich deshalb um so strafbarer, weil es ein Verbrechen ist, ein unrechtes Gelübde zu thun, und ein zweites, es zu halten. Aber ich haue ja einen andern Grund, den sich mein Her< nicht zu gestehen wagte, und der mich noch weit strafbarer machte. Dem Himmel sei Dank, er besteht nicht mehr.

Ein richtigeres und gewichtigeres Bedenken ist die Gefahr, unnütz die Ruhe eines braven Mannes zu stören, der in der Achtung, die er für seine Frau hegt, sein Glück findet. Es ist gewiß, daß es nicht mehr von ihm abhängt, das Band zu zerreißen, das uns vereint, noch von wir, eine Vergangenheit herbeizuschaffen, die desselben würdiger wäre. So laufe ich Gefahr, durch ein unbedachtsames Geständniß ihm ganz vergeblich Kummer zu bereiten, ohne meinerseits durch meine Aufrichtigkeit einen andern Vortheil zu erlangen. als daß ich meinem Herzen die Last eines bösen Geheimnisses, das mich grausam drückt, abwälze. Ich werde ruhiger sein, fühle ich wohl, nachdem ich es ihm entdeckt habe; aber er würde vielleicht weniger ruhiger sein, und es hieße mein Unrecht schlecht verbessern, wenn ich meine Ruhe der seinigen vorzöge.

Was soll ich denn nun in solcher Ungewißheit thun? Einstweilen, bis mich der Himmel besser aufklärt über das, was in dieser Begebung meine Pflicht ist, werde ich Ihrem freundschaftlichen Rathe folgen; ich werde schweigen, meinem Gatten von meinen Fehltritten nichts sagen, und sie durch ein Betragen auszulöschen suchen, das mich würdig mache, einst seine Verzeihung zu erlangen.

Um eine so nothwendige Reform zu beginnen, lassen Sie es sich gefallen, mein Freund, daß wir hinfort jeden Verkehr mit einander abbrechen. Wenn Herr von Wolmar mein Bekenntniß gehört hätte, so würde er entscheiden, in welchem Maße wir die Gefühle der Freundschaft, die uns verbindet, nähren, und uns unschuldige Beweise davon geben dürfen; aber da ich ihn nun nicht darüber zu Rathe ziehen kann, so habe ich zu sehr zu meinem Schaden erfahren, wie die scheinbar untadelhaftesten Gefühle irreleiten können. Es ist Zeit, weise zu werden. Der Sicherheit meines Herzens ungeachtet, will ich nicht mehr Richter in meiner eigenen Sache sein, noch mich als Frau denselben Täuschungen preisgeben, die mich als Mädchen in's Verderben führten. Dieser Brief ist der letzte, den Sie von mir erhalten werden; ich bitte auch Sie inständigst, mir nicht mehr zu schreiben. Jedoch da ich nie aufhören werde, den zärtlichsten Antheil an Ihnen zu nehmen, und da dieses Gefühl so rein ist, wie der Tag, der mich bescheint, so wird es mich sehr freuen, bisweilen Nachricht von Ihnen zu erhalten und Sie zu dem Glücke gelangen zu sehen, das Sie verdienen. Sie werden ja dann und wann an Frau von Orbe schreiben können, so oft Sie uns irgend ein bemerkenswerthes Ereigniß mitzutheilen haben. Ich hoffe, daß die Rechtschaffenheit Ihrer Seele sich jederzeit in Ihren Briefen abspiegeln wird. Uebrigens ist meine Cousine tugendhaft und zu klug, um mir etwas mitzutheilen, das zu sehen sich für mich nicht schicken würde, und um nicht diese Correspondenz zu unterdrücken, wenn Sie im Stande wären, sie zu mißbrauchen.

Adieu, theurer, lieber Freund! Wenn ich glaubte, daß Glück in der Welt Sie glücklich machen könnte, würde ich sagen: trachten Sie danach; aber vielleicht haben Sie Ursache, es zu verachten, bei so vielen Schätzen, die es Ihnen entbehrlich machen. Ich will lieber sagen: trachten Sie nach Glückseligkeit, sie ist das Glück des Weisen. Wir haben stets gefühlt, daß es ohne Tugend keines gebe; aber geben Sie Acht, daß nicht der Name Tugend zu einer bloßen Abstraction werde, von schönem Scheine, aber ohne Inhalt, zu einem Paradewort, das mehr dazu dient, Andere zu blenden, als uns selbst zufrieden zu stellen. Ich zittere, wenn ich daran denke, daß Personen, die mit Ehebruch im Grunde des Herzens umgingen, von Tugend zu reden wagten. Wissen Sie wohl, was wir mit diesem so hoch zu haltenden und so entweihten Namen bezeichneten, als wir in einem sträflichen Umgange begriffen waren? Jene rasende Liebe, in der wir beide entbrannt waren, die ihre Brunst unter dem Scheine heiliger Begeisterung barg, um sie uns noch lieber zu machen und uns noch länger zu täuschen. Ich wage zu glauben, daß wir ganz dazu geschaffen waren, die Tugend zu lieben und zu üben, aber wir suchten sie auf falschem Wege und verfolgten einen leeren Schatten. Es ist Zeit, daß die Täuschung aufhöre, es ist Zeit, von einer Verirrung zurückzukommen, die nur schon zu lange gedauert hat. Mein Freund, diese Umkehr wird nicht schwer für Sie sein: Sie haben Ihren Führer in sich selbst; mögen Sie ihn vernachlässigt haben, aber Sie haben ihn nie von sich gestoßen, Ihre Seele ist gesund, sie hängt sich an Alles, was gut ist; und wenn ihr das Gute bisweilen entschlüpft, so kommt das nur daher, daß sie nicht ihre ganze Kraft angewendet hat, um es festzuhalten. Kehren Sie ein in Ihr Gewissen und sehen Sie zu, ob Sie darin nicht irgend ein vergessenes Prineip finden, welches dazu dienen könnte, all Ihr Thun mehr in Ordnung und Zusammenhang zu bringen. Es ist nicht genug, glauben Sie mir, daß die Tugend der Träger Ihrer Ausführung sei, wenn Sie nicht diesen Träger auf einen unerschütterlichen Grund bauen. Erinnern Sie sich jener Indier, welche die Welt auf einem riesigen Elephanten ruhen lassen, und dann den Elephanten auf einer Schildkröte, und wenn man sie fragt, worauf denn die Schildkröte ruhe, so wissen sie nicht mehr, was sie sagen sollen.

Ich beschwöre Sie, auf das Wort Ihrer Freundin ein wenig zu achten, und einen sichereren Weg zum Glücke zu wählen als den, auf welchem wir so lange irre gegangen. Ich werde nicht aufhören, den Himmel für Sie und für mich um die wahre, reine Glückseligkeit anzuflehen, und werde nicht ruhig sein, bis ich sie für uns beide erlangt habe, Ach, wenn wir an unsere Jugendverirrungen wieder werden denken müssen, lassen Sie uns wenigstens dafür sorgen, daß die Umkehr, welche sie bewirkt haben, uns erlaube, an sie zu denken, und daß wir dann mit jenem Alten sprechen können: Ach wohl, wir würden zu Grunde gehen, wenn wir nicht zu Grunde gegangen wären [Plutarch erzählt in den „Denksprüchen von Königen und Feldherrn", Themistokles habe, als er durch viele Geschenke schnell zu Reichthum gekommen war, das obige Wort zu seinen Kindern gesagt. D. Ueb.].

Die Predigerin ist mit ihrer Rede am Ende; sie wird nun genug zu thun haben sich selbst zu predigen. Leben Sie wohl, mein liebenswerther Freund, leben Sie wohl auf ewig; so heischt die unerbittliche Pflicht. Aber glauben Sie nur, Juliens Herz kann nicht vergessen, was ihm theuer war .... Mein Gott! was mache ich? .... Sie werden es dem Papiere nur zu sehr ansehen. O! ist es denn nicht erlaubt, weich zu sein, wenn man seinem Freunde das letzte Lebewohl sagt?

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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