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9. Summula

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Halbtagsfahrt nach St. Wolfgang

Theoda konnte unmöglich eine Viertelstunde vor dem Edelmanne sitzen, ohne ihn über Inner- und Äusserlichkeiten seines Freundes Theudobach, von dem Zopfe an bis zu den Sporen, auszufragen. Er schilderte mit weniger Zügen, wie einfach er lebe und nur für die Kunst, und wie er, ungeachtet seiner Luftspiele, ein gutmütiges liebendes Kind sei, das eben so oft geliebt als betrogen werde; und im Äussern habe er so viele Ähnlichkeit mit ihm selber, dass er darum sich oft Theudobachs Körper nenne. Himmel! mit welchem Feuer schaute die Begeisterte ihm ins Gesicht, um ihren Autor ein paar Tage früher zu sehen! „Ich habe doch in meinem Leben nicht zwei gleichähnliche Menschen gesehen“, sagte Theoda, der einmal in einem glänzenden Traume Thendobach ganz anders erschienen war als sein vorgebliches Nachbild. „Soll er meiner Tochter gefallen“, bemerkte der Doktor, „so muss die Nasenwurzel des Poeten und der Nasenknorpel samt dem Knochenbau etwas stärker und breiter sein als bei Ihnen, nach ihren phantastischen Voraussetzungen aus seinen Büchern.“ Wenn also der Schleicher etwa, wie ein Doppeladler, zwei Kronen durch seine Namensmaske auf den Kopf bekommen wollte, eine jetzige und eine künftige: so ging er sehr fehl, dass er den Menschen ein paar Tage vor dem Schriftsteller abgesondert vorausschickte; denn jener verhärtete in Theodas Phantasie und liess sich spröde nicht mehr mit diesem verarbeiten und verquicken, indes umgekehrt bei einer gleichzeitigen ungeteilten Vorführung beider das Schriftstellerische sogleich das Menschliche mit Glimmer durchdrungen hätte.

Niess warf ohne Antwort die Frage hin, wie ihr sein beziehlich-bestes Stück: „Der Ritter einer bessern Zeit” gefallen, mit welchem er eben in Maulbronn die deklamatorische Akademie anfangen wolle. Da ein Autor bei einem Leser, der ihn wegen eines halben Dutzend Schriften anbetet, stets voraussetzt, er habe alle Dutzende gelesen: so erstaunte er ein wenig über Theodas Freude, dass sie etwas noch Ungelesenes von ihm werde zu hören bekommen. Sie musste ihm nun — so wenig wurd’ er auf seinem Selberfahrstuhl von Siegwagen des schönen Aufzugs satt — sagen, was sie vorzüglich am Dichter liebe. „Grosser Gott“, versetzte sie, „was ist vorzüglich zu lieben, wenn man liebt? Am meisten aber gefällt mir sein Witz — am meisten jedoch seine Erhabenheit — freilich am meisten sein zartes heisses Herz — und mehr als alles andere, was ich eben lese.“ — „Was lesen Sie denn eben von ihm?“ fragte Niess. , „Jetzo nichts“, sagte sie.

Der Edelmann brauchte kaum die Hälfte seiner feinen Fühlhörner auszustrecken, um es dem Doktor abzufühlen, dass er mit seinem verschränkten Gesichte eben so gut unter dem Barbiermesser freundlich lächeln könnte als unter einem für ihn so widerhaarigen Gespräche; er tat daher — um allerlei aus ihm heraus zu reizen, worüber er bei der künftigen Erkennszene recht erröten sollte — die Frage an ihn, was er seines Orts vom Dichter für das Schlechteste halte. „Alles”, versetzte er, „da ich die Schnurren noch nicht gelesen. Mich wundert’s am meisten, dass er als Edelmann und Reicher etwas schreibt; sonst taugen in Papiermühlen wohl die groben Lumpen zu Papier, aber nicht die seidnen.“ Niess fragte, ob er nicht in der Jugend Verse gemacht? „Pope“, gab er zur Antwort, „entsann sich der Zeit nicht, wo er keine geschmiedet, ich erinnere mich derjenigen nicht, wo ich dergleichen geschaffen hätte. Nur einmal mag ich, als verliebter Gessners-Schäfer und Primaner, so wie in Krankheiten sogar die Venen pulsieren, in Poetasterei hineingeraten sein, vor einem dummen Ding von Mädchen — Gott weiss, wo die Göttin jetzt ihre Ziegen melkt. — Ich stellte ihr die schöne Natur vor, die schon dalag, und warf die Frage auf: sieh, Suse, blüht nicht alles vor uns wie wir, der Wiesenstorchschnabel und die grosse das Rindsauge und die Gichtrose und das Lungenkraut bis zu den Schlehengipfeln und Birnenwipfeln hinauf? Und überall bestäuben sich die Blumen zur Ehe, die jetzt dein Vieh frisst! — Sie antwortete gerührt: Wird Er immer so an mich denken, Amandus? Ich versetzte wild: Beim Henker! An uns beide; wohin ich künftig auch verschlagen und verfahren werde und in welchen fernen Fluss und Bach ich auch einst schauen werde — es sei in die Schweine in Meiningen — oder in die Besau und die Gesau in Henneberg — oder in die wilde Sau in Böhmen — oder in die Wampfe in Lüneburg — oder in den Lumpelbach in Salzburg — oder in die Sterzel in Tirol — oder in die Kratza oder in den Galgenbach in der Oberpfalz — in welchen Bach ich, schwör ich dir, künftig schauen werde, stets werd ich darin mein Gesicht erblicken und dadurch auf deines kommen, das so oft an meinem gewesen, Suse. — Jetzt freilich, Herr von Niess, sprech ich prosaischer.“

Niess griff feurig nach des Doktors Hand und sagte: ,Das scherzhafte Gewand verberge ihm doch nicht das weiche Herz darunter.‘ — „Ich muss auch durchaus frühere Zeit zu weich und flüssig, gewesen sein“, versetzte dieser, „weil ich sonst nicht gehörig hart und knöchern hätte werden können; denn es ist geistig wie mit dem Leibe, in welchem bloss aus dem Flüssigen sich die Knochen und alles Harte erzeugt, und wenn ein Mann harte Eiszapfenworte ausstösst, so sollte dies wohl der beste Beweis sein, wie siel weiche Träten er sonst vergossen.“ — „Immer schöner!“ rief Niess; „o Gott nein!“ rief Theoda im gereizten Tone.

Der Edelmann schob sogleich etwas Schmeichelndes, nämlich einen neuen Zug von Theudobach ein, den er mit ihm teile, nämlich den Genuss der Natur. „Also auch des Maies?“ fragte der Doktor; Niess nickte. Hierauf erzählte dieser: Darüber hab’ er seine erste Braut verloren; denn er habe, da sie an einem schönen Morgen von ihren Maigenüssen gesprochen, versetzt, auch er habe nie so viele gehabt als in diesem Mai wegen der unzähligen Maikäfer; als er darauf zum Beweise einige von den Blättern abgepflückt und sie vor ihren Augen ausgesogen und genossen: so sei er ihr seitdem mehr gräuels-als liebenswürdig vorgekommen, und er habe durch seine Röselschen Insektenbelustigungen Brautkuchen und Honigwochen verscherzt und vernascht.

Niess aber, sich mehr zur Tochter schlagend, fuhr kühn mit dein Ernst des Naturgenusses fort und schilderte mehre schöne Aussichten ab, die man sah, und von manchen erhabenen Wolkenpartien lieferte er gute Rötelzeichnungen; — als endlich die Partien zu regnen anfingen und selbst herunter kamen. Sogleich rief der Doktor den langröckigen Flex in den Wagen herein als einen Füllstein für Niess. Diesem entfuhr der Ausruf: „Dies zarte Gefühl hat auch unser Dichter für seine Leute, Theoda!“ — „Es ist“, antwortete der Vater, „zwar weniger der Mensch da als sein langer Rock zu schönen; aber zartes Gefühl äussert sich wohl bei jedem, den der Wagen verdammt stösst.“ Bald darauf kamen sie in St. Wolfgang an.

Dr. Katzenbergers Badereise

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