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11. Summula
ОглавлениеWagen-Sieste
Im ganzen sitzt ohnehin jeder Kutschenklub in den ersten Nachmittagsstunden sehr matt und dumm da; das junge Paar aber tat es noch mehr, weil Katzenbergers Gesicht, seitdem er dem armen Schreckensgevatter die Wagentüre vor der Nase zugeschlagen, kein sonderliches Rosental und Paradies für jugendlich-gutmütige Augen war, die in das Gesicht hinein und auf den sandigen Weg hinaus sahen. Er selber litt weniger; ihn verliess nie jene Heiterkeit, welche zeigen konnte, dass er sich den Stoikern beigesellte, welche verboten, etwas zu bereuen, nicht einmal das Böse. Indes ist dieser höhere. Stoizismus, der den Verlust der unschätzbaren höheren Güter noch ruhiger erträgt als den der kleinern, bei Gebildeten nicht so selten, als man klagt.
Nach einigen Minuten Sandfahrt senkte Katzenberger sein Haupt in Schlaf. Jetzo bekränzte Theoda ihren Pater mit allen möglichen Redeblumen, um dem Freund, ihres Dichters ihre Tochteraugen für ihn zu leihen. Besonders hob sie dessen reines Feuer für die Wissenschaft heraus, für die er Leben und Geld verschwende, und beklagte sein Los, ein gelehrter einsamer Riese zu sein. Da der Edelmann gewiss voraussetzte, dass die Augensperre des Riefen nichts sei als ein Aufmachen von ein Paar Dionysius-Ohren, wie überhaupt Blinde besser hören: so fiel er ihr unbedingt bei und erklärte, er staune über Katzenbergers Genie. Dieser hörte dies wirklich und hatte Mühe, nicht aus dem Schlafe heraus zu lächeln wie ein Kind, womit Engel spielen. Des blinden optischen Schlafes bedient’ er sich bloss, um selber zu hören, wie weit Niess sein Verlieben in Theoda treibe; und dann etwa bei feurigen Welt- und Redeteilen rasch aufzuwachen und mit Schnee und Scherz einzufallen. Jetzo ging Theoda, die an den Schlummer glaubte, weil ihr Vater sich selten die Mühe der Verstellung gab, noch weiter und sagte dem Edelmann frei: „sein Kopf lebt zwar dem Wissen, wie ein Herz dem Lieben, aber Sie springen zu ungestüm mit seiner Natur um. — In der Tat, Sie legen es ordentlich darauf an, dass er sich über Gefühle recht seltsam und ohne Gefühle ausdrücke. Täte dies wohl Ihr Theudobach?” — „Gewiss“, sagt’ er, „aber in meinem Sinne. Denn Ihren Vater, liebreichen Tochter, nehm ich viel besser als der Haufe. Mich hindert seine satirische Enkaustik nicht, dahinter ein warmes Herz zu sehn. Recht geschliffnes Eis ist ein Brennglas. Man ist ohnehin der alltäglichen Liebesfloskeln der Bücher so satt! Oh, dieser milde Schläfer vor uns ist vielleicht wärmer, als wir glauben, und ist so seiner Tochter wert!“ Katzenberger, eben warm und heiss vom nahen Nachmittagschlummer, hätt’ etwas darum gegeben, wenn ihm sein Gesicht von einem Gespenste wäre gegen den Rücken und das Kutschenfensterchen gedreht gewesen, damit er ungesehen hätte lächeln können; wenigstens aber schnarchte er.
Theoda indes, nie mit einer lauen oder höflichen Überzeugung zufrieden, suchte den Poeten für den Vater noch stärker anzuwärmen durch das Berichten, wie dieser bei dem Scheine einer geizigen Laune ganz uneigennützig als heilender Arzt Armen öfter als Vornehmen zu Hilfe eile und dabei lieber in den seltensten gefahrvollsten als in gefahrlosen Krankheiten der Schussengel werde. Jedes Wort war eine Wahrheit; aber die Tochter soll kindlicher und jeder Liebe kam freilich nicht dahinter, dass ihm eigentlich die Wissenschaft, nicht der Kranke höher stand als Geld und dass er mit einer gewaltigen Gegnerin von kranker Natur am liebsteu das medizinische Schach spielte, weil aus der grössern Verwicklung die grössere Lehrbeute zu holen war; ja er würde für eine stichhaltige Versicherung der blossen Leichenöffnung jeden umsonst in die Kur genommen haben aus Liebe zur Anatomie.
„Vollends aber die Güte, womit mein genialer Vater alle Wünsche erfüllt, mit welchen ich nicht gerade seinen wissenschaftlichen Eifer störe, und was er alles für meine Bildung getan, das kann ich als Tochter leichter in meinem Herzen verehren als durch Worte andern enthüllen; aber schmerzen muss es mich jederzeit, wenn ich ihn bei andern, da er Stand und fremdes Urteil gar zu wenig achtet, ordentlich darauf ausgehen sehe, verkannt zu werden“, beschloss Theoda. — Du arme Verblendete! — So wie wir alle merken, bildet sie sich ein, den Poeten Niess durch Preisen für ihren Vater zu gewinnen, für einen Mann, der ihm doch ins Gesicht gesagt, seine Nasenwurzel sei zu dünn. Schwerlich sind Wurzelwörter eines solchen Ärgers je auszuziehen, und aus der Nasenwurzel wird in Niess — da es etwas andres sein würde, wäre statt der Eitelkeit bloss sein Stolz beleidigt worden — immer etwas Stechendes gegen den Doktor wachsen.
Dafür aber zog sich aller Weihrauch, den die Tochter für den Vater anbrannte, auf sie selber zurück in Niessens Nase, und am Ende konnt’ er sie kaum anhören vor Anblicken; so dass ihm nichts fehlte zu einer poetischen Umhalsung Theodas als der wahre Schlaf des alten Fuchses. Indes ging er auf andere Weisen über, Lieben auszusprechen, und legte solche an einem bekannten Theudobachschen Schauspiel: „Die scheue Liebe“ zergliedernd auseinander. Ein Bühnendichter vieler Stücke oder ein Kunstrichter aller Stücke hat oder ist leicht eine Schiff- und Eselbrücke in ein Weiberherz. Darüber versank doch der Doktor vor Langweile aus dem vorgeträumten Schlaf in einen echten, und zwar bald nach Niessenis schönen wahren Worten: „Jungfräuliche Liebe schlummert wohl, aber sie träumt doch.“
„Natürlich schläft sie und träumt darauf.“ Nur Niessen war dieser ihm zugehörige Sinnspruch deutlich und erinnerlich, und er dachte leise: „Seht den Dieb!“
Eben watete ihnen im Sande ein Bekannter der Familie entgegen, der sogleich sich umkehrte und in die Taschen griff, als er den Wagen erblickte. Es ist bekannt, dass es der Winkelschuldirektor Würfel war, ein seines Männchen. Der Doktor liess ihm schnell nachfahren, um das Umwenden zu begreifen. Eingeholt kehrte der Direktor sich wieder um und verbeugte sich stufenweise vor jedem. Der Doktor fragte, warum er immer so umkehre. ,Er sei‘, sagte er, ,so unglücklich gewesen, sein Taschenbuch in Huhl zu vergessen; und jetzt so glücklich geworden, indem er’s hole, eine solche Gesellschaft immer vor Augen, wenn auch von weitem, zu haben.‘ — „So nehmen Sie hier Rücksitz und Stimme“, sagte der Doktor zu Niessens Verwundrung.
Der Winkelschuldirektor war lange, wohl zehnmal, adeliger Haus- und Schlosslehrer gewesen — hatte mehr als hundert Hausbällen zugeschaut und getraute sich, jede adelige Schülerin noch anzureden, wenn sie mannbar geworden — wie der alte Deutsche im Trunke Keusch blieb, so war er stets mitten unter den feinsten Dessertweinen nicht nur keusch, sondern auch nüchtern geblieben, weil er den schlechtesten bekam — und war überhaupt an den Tischen seiner Herren tafelfähig, wenn auch nicht stimmfähig gewesen. Dieses Durchmälzen durch die seine Welt hatt’ an ihm so viele elegante Sitten zurückgelassen, als er zu oft an Spezial-, ja an Generalsuperintendenten vermisste; so dass ihm öfter nichts zum vollständigsten feinsten Fat fehlte als der Mut; aber er glich dem Prediger, welcher auf der Kanzel mitten zwischen seinen heiligsten Erhebungen über die Erde und deren Gaben von Zeit zu Zeit die Dose aufmacht und schnupft. Dabei hatte er durch langes Erziehen fast alle Sprachen und Wissenschaften samt übriger Bildung in den Kopf bekommen, die ihm, wie einem armen Postknechte Reichtümer und Prinzen, zu nichts halfen, als dass er sie weiter zu schaffen hatte. Da er indes kein Wort sagte, das nicht schon einen Verleger und Verfasser gehabt hätte: so hörte man seine Schüler lieber als ihren Lehrer.
Dieser Winkelschuldirektor hatte nun einst mit Theoda Theudobachs Stücke ins Englische und sich dabei (da sie nur eine Bürgerliche war) in einen Liebhaber und in den Himmel übertragen. Eben deshalb hatte ihm der Doktor, der in Herzfachen Scherz verstand und suchte, einen Sitz neben dem zweiten Liebhaber Niess ausgeleert: „Ich sehe“, sagte er, „nichts lieber miteinander spielen als zwei Hasen, ausgenommen den Fuchs mit dem Hafen.“
Es ging anders. Theoda stellte vor allen Dingen den Vielwisser Würfel — dem sie freudig alles schenkte, sich ausgenommen — unserem Freunde des ins Englische verdolmetschten Dichters vor. Da fing das lange Zergliedern des Dichters (Niess war der Prosetztor) an, jedes Glied wurde durch kritisches Zerschneiden vervielfacht und vergrössert und zum Präparat der Emigkeit ausgespritzt und mit Weingeist beseelt. Bloss der Hör-Märterer Katzenberger litt viel bei der ganzen Sache und war der einzige Mann in diesem feurigen Ofen, der sich nicht mit Singen helfen konnte. Niess zeigte überall die leichte Weltmannswärme eines feurigen Juwels. Würfel zeigte eine Schmelz-ofenglut, als wären in seiner die poetischen Gestalten erst fertig zu giessen; Theoda zeigte eine Französin, eine Deutsche und eine Jungfrau und ein Sich. Indes sah der helle Edelmann aus jedem Worte Würfels, wie dieser den Theudobachischen Sockus und Kothurn nur in ein Fahrzeug verkehre, um darin auf einer von den schönen Freundschaftsinseln Theodas anzulanden; je mehr daher der Direktor den Dichter erhob, desto mehr erboste sich der Edelmann. Doch blieben beide, Niess und Theudobach, so fest und fein und studierten die Menschen und wollten weniger die Schuldner einer (dichterischen) Vergangenheit sein als einer (prosaischen) Gegenwart; Niess wollte zugleich als Münzer und als Münze gelten.
Vom Dichten kommt man leicht aufs Lieben, und indem man ideale Charaktere kritisiert, produziert man leicht den eignen, und ein gedruckter Roman wird das Getriebe und Leitzeug eines lebendigen. Würfel stach hier mehr durch Feinheit hervor, Niess durch Keckheit. Jener zeigte einen Grad von romantischer Delikatesse, der seinen Stand verriet, nämlich den mittlern. Ich kann hier aus eigner Erfahrung die Weiber der höhern Stände versichern, dass, wenn sie eine romantischere, zärtere Liebe kennen wollen als die galante, höhnende, atheistische ihrer Weltleute, sie solche in meinem Stande finden können, wo mehr Begeisterung, mehr Dichterliebe und weniger Erfahrung herrscht; und es sollte diese Bemerkung mich um so mehr freuen, wenn ich durch sie zum Glücke manches Hofmeisters und dessen hoher Prinzipalin etwas beigetragen hätte; meines wäre mir dann Belohnung genug.
Niemand war wiederum in der Kutsche zu bedauern als der Blutzeuge Katzenberger, dem solche Diskurse so mild in die Ohren eingingen wie einem Pferde der Schluck Arznei, den man ihm durch die Nasenlöcher einschüttet. Um aber mit irgend etwas seinem Ohre zu schmeicheln, brachte er einen seinen Iltispinsel heraus und steckte ihn in den rechten Gehörgang bis nahe ans Paukenfell und wirbelte ihn darin umher; er versicherte die Zuschauer, hierin sei er ganz der Meinung der Sineser, wovon er die Sitte entlehne, welche diesen Ohrenkitzel und Ohrenschmaus für den Himmel auf Erden halten.
Da aber die Menschen immer noch links hören, wenn sie in Lustgeschäften rechts taub sind: so vernahm er noch viel vom Gespräch. Er fiel daher in dieses mit ein und berichtete: ,Auch er habe sonst als Unverheirateter an Heiraten gedacht und nach der damaligen Mode angebetet — was man zu jener Zeit Adorieren geheissen —; doch sei einem Manne, der plötzlich aus dem strenger mathematischanatomischen Heerlager ins Kindergärtchen des Verliebens hinein gemusst, damal zumute gewesen wie einem Lachse, der im Lenze aus seinem Salzozean in süsse Flüsse schwimmen muss, um zu laichen. Noch dazu wäre zu seiner Zeit eine bessere Zeit gewesen — damals habe man aus der brennenden Pfeife der Liebe polizeimässig nie ohne Pfeifendeckel geraucht — man habe von der sogenannten Liebe nirgend in Kutschen und Kellern gesprochen, sondern von Haushalten, von Sich-Einrichten und Ansetzen. So gesteh er z. B. seitserseits, dass er aus Scham nicht gewagt, seine Werbung bei seiner durch die ausgesognen Maikäfer entführten Braut anders einzukleiden als in die wahrhaftige Wendung: nächstens gedenke er sich als Geburthelfer zu setzen in Pira, wisse aber leider, dass junge Männer selten gerufen würden und schwache Praxis hätten, so lange sie univerehelicht wären.‘ — „Freilich“, setzte er hinzu, „war ich damals hölzern in der Liebe, und erst durch die Jahre wird man aus weichem Holze ein hartes, das nachhält.“
„Bei der Trennung von ihrer Geliebten mag Ihnen doch im Mondscheine das Herz schwer geworden sein?“ sagte der Edelmann. „Zwei Pfund — also halb so schwer als meine Haut — ist meines wie ihres bei Mond- und bei Sonnenlicht schwer“, versetzte der Doktor. „Sie kamen sonach über die empfindsame Epoche, wo alle jungen Leute weinten, leichter hinweg?” fragte Niess. „Ich hoffe”, sagt’ er, „ich bin noch darin, da ich scharf verdaue, und ich vergiesse täglich so viele stille Tränen, als irgendeine edle Seele, nämlich vier Unzen den Tag; nur aber ungesehen (denn die Magenhaut ist mein Schnupftuch); unaufhörlich fliessen sie ja bei heilen guten Menschen in den knochigen Nasenkanal und rinnen durch den Schlund in den Magen und erweichen da drunten manches Herz, das man gekäuet und das zum Verdauen und Nachkochen da liegt.“
Ich weiss nicht, ob ich mich irre, aber mir kommt es vor, als ob der Doktor seit dem schlafmachen Anhören der Lobreden, welche Theoda seinem liebreichen Herzen vor dem Poeten Niess gehalten, ordentlich darauf ausginge, säh’ ihm dergleichen ganz, und lieber schien er aus Millionen Gründen härter als weicher.
Als daher Niess, um den seltenen Seefisch immer mehr für seine dichterische Naturalienkammer aufzutrocknen, eine neue Frage tun wollte, fuhr Theoda ordentlich auf und sagte: „Herr von Niess, sie sind im Innerlichen noch härter als mein Vater selber.“ — „So?“ sagte der Doktor, „noch härter als ich? Es ist wahr, die weibliche Sprache ist, wie die Zunge, weich und linde zu befühlen, aber diese sanfte Zunge hält sich hinter den Hundszähnen auf und schmeckt und spediert gern, was diese zerrissen haben.“ Hier suchte der seine Würfel auf etwas Schöneres hin abzulenken und bemerkte, was bisher Theoda nicht gesehen: ,Dort schreite schon lange Herr Umgelder Mehlhorn so tapfer, dass ihn der Kutscher schwerlich auf dem höckerigen Wege überhole.‘ Als dies der Kutscher vernahm, dem schon längst der nicht einzuholende Zoller eine bewegliche Schandsäule und Höllenmaschine gewesen: so fuhr er galoppierend in die