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Kapitel 3

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Mike Travers sah auf seine Rolex. Es blieben ihm noch drei Stunden Zeit für seine Vorbereitung. Er war vor einer Woche aus Little Rock nach Luxemburg gekommen. Little Rock, ein kleiner Ort in Arkansas, war sein Lebensmittelpunkt. Er führte dort die, von seinem Vater geerbte, Weinhandlung weiter und hatte es zu ganz beachtlichem Wohlstand gebracht. Die Weinhandlung war eine ideale Tarnung für seinen eigentlichen Job. Man konnte Mike Travers auf jeden Wein ansprechen und eine entsprechende informative Antwort erhalten, ebenso konnte man ihn aber auch als „die Spinne“ anheuern, falls man missliebige Mitbürger aus der Welt schaffen wollte. Dazu musste man im Internet eine Nachricht, im Chatroom Spinnenfreunde hinterlassen. Meist genügte schon eine Zeile wie, ...bitte um Rückruf unter... oder ähnliches. Mike Travers sah regelmäßig nach neuen Nachrichten. Sein Zugriff auf das Internet erfolgte mit Hilfe einer Software, die anonymes Surfen ermöglichte. Dann griff Mike zu seinem Handy, das er sich in Hong Kong gekauft und mit einer Prepaid Karte ausgestattet hatte und rief, aus einer mindestens zweihundert Kilometer von Little Rock entfernten Stadt an. Seine Auftraggeber kannten ihn nicht, und er kannte die Auftraggeber nicht. Die Bezahlung erfolgte durch Überweisung auf sein Nummernkonto in der Schweiz. Alle weiteren Informationen über den Auftrag bekam er per Mail, an eine seiner zahlreichen Mailadressen in Hong Kong, Bombay, Sydney oder anderen Orten, die er sich schon vor Jahren, jeweils mit einem falschen Namen, zugelegt hatte. Die Rechnungen für diese Adressen wurden alle aus der Schweiz bezahlt.

Der neue Auftrag unterschied sich deutlich von den früheren. Er hatte diesmal nicht nur eine sondern gleich drei Personen zu liquidieren. Dafür war sein Honorar auch ungewöhnlich hoch, fünfzehn Millionen Euro. Doch selbst diese Summe schien dem Auftraggeber, die Angelegenheit Wert zu sein. Das Geld war bereits zur Hälfte auf seinem Konto eingegangen, so wie seine Geschäftsbedingungen es festlegten. Der Rest der Summe war in weiteren dreiunddreißig Prozentschritten fällig, jeweils, sobald eine der drei Personen beseitigt war. Bis jetzt hatte man Die Spinne noch nie betrogen.

In den letzten Tagen, seit seiner Ankunft in Luxemburg, hatte er als Mike Travers, verschiedene Weingüter besucht und entsprechende Bestellungen getätigt.

In Wormeldange hatte er die Domaine Mathes besucht, in Remich Bastian und sich mit entsprechenden Bestellungen ein gutes Alibi verschafft. Er hatte sich dabei die Umgebung von Luxemburg angesehen und für den ersten Auftrag den Vorort Pfaffenthal ausgewählt. Ganz bewusst hatte er einen Treffpunkt mit seinem ersten Opfer in der Stadt gewählt. Zum einen wollte er zu Fuß von seiner Unterkunft, dem relativ neuen Hotel Sofitel, dorthin kommen, ein Auto kann manchmal hinderlich sein, wenn man in einer brenzligen Situation ist, und zum anderen konnte er sich so als Spaziergänger tarnen. Er pflegte, seine Aufträge hautsächlich mit einer Walter p99, auf die er ein Zielfernrohr aufstecken konnte, auszuführen. Eine Pistole ist einfacher zu transportieren und deutlich unauffälliger als ein Gewehr, die Treffsicherheit ist größer aus geringer Entfernung, denn er hatte bisher alle Aufträge aus nächster Nähe erledigt.

Bei diesem Wollmann war es einfach gewesen, ihn zu einem Treffen zu bewegen. Die Aussicht, neue Informationen zu erhalten, reichte normalerweise aus, einen Journalisten an beinahe jeden Ort zu locken. Sein Auftraggeber hatte ihm einige Informationen über diesen Wollmann zukommen lassen. Dadurch konnte er sich in die Person hineindenken und überlegen, wie er am besten vorgehen würde. Ein erneuter Blick auf seine Uhr sagte ihm, dass ihm noch gut zwei Stunden blieben. Er ging hinunter in die Lounge des Hotels. Dort bestellte er sich ein Taxi und ließ sich ins Utopolis, auf Kirchberg, wie man in Luxemburg sagte, bringen. Er betrat das große Kino, ging geradewegs zur Kasse und nahm sich eine Eintrittskarte für die 22 Uhrvorstellung des Filmes Black Swan. Er hatte den Film bereits mehrfach gesehen. Nach wenigen Minuten verließ er das Kino wieder, lief zur nahegelegenen Busstation und fuhr mit dem nächsten Bus zurück in die Innenstadt. Ein Blick auf seine Uhr zeigte ihm, dass er immer noch etwas mehr als eine Stunde Zeit hatte. Er schlenderte ganz gemächlich über den Viadukt, folgte dem Boulevard Roosevelt und bog dann in die Rue de St. Esprit ein. Vorbei am Staatsarchiv, folgte er der sogenannten Corniche bis zur Schlossbrücke. Über den Boulevard Victor Thorn gelangte er schließlich auf die Rue Sosthène Weis. Er folgte dieser Straße bis zur Jugendherberge, überquerte die Alzette und bog in die Rue Vauban ein. Dieser Straße folgte er jetzt bis zur angegebenen Stelle, nur etwas mehr als zwei Kilometer von seinem Hotel entfernt. Als er den Ort erreicht hatte, verblieb ihm noch genügend Zeit, sich einen günstigen Standort auszuwählen, bevor Wollmann eintreffen würde.

Die Spinne ließ die Umgebung nicht aus den Augen. Travers beobachtete jedes Haus und jedes Fenster genau. Er musste wissen, ob sich jemand in der Nähe befand und ihn eventuell sehen könnte. Aber alles war still. Die Straße war um diese Zeit kaum befahren. Nur wenige Fahrzeuge verirrten sich in der Nacht in diesen Stadtteil.

Travers sah schon von Weitem das Fahrzeug, das sich jetzt näherte. Ein BMW 530. Er erkannte den Wagen sofort. Immerhin hatte er sein Opfer in den letzten Tagen intensiv beobachtet. Wollmann parkte sein Fahrzeug ziemlich genau gegenüber von Travers, schaltete die Beleuchtung aus und stieg aus.

Auch Wollmann sah sich sorgfältig um. Dann entfernte er sich einige Schritte von seinem Wagen und stellte sich auf der anderen Straßenseite auf den Gehweg. Es war dreiundzwanzig Uhr und fünfzehn Minuten. Wollmann war es gewohnt, zu warten. Informanten waren selten pünktlich.

Travers hob die Pistole und blickte durch sein Zielfernrohr. Seine Hand war ruhig, und Wollmann stand genau vor ihm. Er brauchte nur wenige Sekunden, um sein Ziel anzuvisieren. Langsam und bedächtig krümmte er seinen rechten Zeigefinger. Der Schuss war, dank des Schalldämpfers, fast nicht zu hören gewesen. Ein leises „blopp“, und Wollmann fiel augenblicklich zu Boden. Travers nahm seine Taschenlampe aus der Sakkotasche und leuchtete den Boden um seinen eigenen Standort ab. Seine Suche galt der Patronenhülse. Er fand sie und ließ sie in seine Sakkotasche gleiten, schaltete die Taschenlampe aus und ging zu Wollmann. Auf dem kurzen Weg zur Leiche von Wollmann, streifte er sich einen Latexhandschuh über. Er blickte sich noch einmal um, beugte sich dann hinunter und fühlte seinen Puls an der Halsschlagader. Wollmann war tot, und die Kugel hatte ihn genau ins Herz getroffen. Travers zog den kleinen post-it Block aus der Tasche, zog ein Blatt mit der aufgestempelten Spinne ab und steckte sie dem Toten in die Sakkotasche.

Behutsam entfernte er sich wieder von dem Ort. Er folgte der Rue Saint-Mathieu ca. dreißig Meter, bis zur Brücke, die hier über die Alzette führte und ging über die Rue Laurent Ménager, weiter in Richtung der Innenstadt. Nachdem er die Montée de Pfaffenthal wieder erklommen hatte, lag die Schlossbrücke zu seiner linken Seite. Er folgte der Rue Sigefroie, ging am Gebäude des Staatsrats vorbei und bog in die Rue du Curé ein, um zur Groussgaass zu kommen. Über die Rue des Capucins gelangte er schließlich wieder an den Boulevard Royal. Er folgte dann der Avenue de la Porte-Neuve, ging am Altersheim Pescator vorbei und nahm, hier an der Bushaltestelle, den nächsten Bus, in Richtung Kirchberg. Er traf ziemlich genau am Utopolis ein, als der Film zu Ende war. Er nahm ein Taxi und fuhr in sein Hotel zurück. Die Quittungen, sein Alibi für den Mord, verwahrte er sorgfältig in seinem Portemonnaie. Sollte die Polizei ihn widererwarten befragen, und er ein Alibi benötigen, dann wären die Eintrittskarte und die Taxiquittung ein ausreichender Beleg.

Zurück im Hotel, besuchte er zuerst die Toilette. Er nahm ein Stück Toilettenpapier und wickelte die Patrone, die er noch immer in seinem Jackett trug, in das Papier, warf es in die Toilette und spülte ab. Als er sich vergewissert hatte, dass die Patrone nicht mehr im WC lag, nahm er den Latex-Handschuh, wickelte ihn, in Papier aus dem Papierspender für die Hände, ein und stopfte das Knäuel tief in den Abfalleimer, neben dem Waschbecken. Danach ging er wieder in die Halle und setzte sich in einen Sessel, winkte einen Ober herbei und bestellte sich ein Glas Champagner. Sein Auftraggeber würde über die Presse erfahren, dass der erste Teil erledigt worden ist.

Die Spinne

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