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Kapitel 5

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Claudine Kieffer setzte sich in ihren kleinen BMW und verließ die Tiefgarage von RTL. Sie fuhr den Boulevard Pierre Frieden, an dem die Studios von RTL lagen, hinunter und bog dann in den Boulevard Konrad Adenauer ein. Sie überquerte die Rote Brücke und fuhr über die Avenue Victor Hugo, in die Ancienne Côté d’Eich, in ihre Wohnung. Die kleine Straße lag mitten in der Stadt und doch abseits des großen Lärms. Es gab keinen Durchgangsverkehr, die Straße wurde in der Hauptsache von den Anliegern genutzt. Ihre Eigentumswohnung hatte sie vor vielen Jahren hier gekauft. Inzwischen hatte sich die Anlage mehr als verdreifacht.

Sie öffnete die Tür zu dem Vorraum, in dem sich die Briefkästen für das ganze Haus befanden. Sie schloss danach die zweite Haustüre auf und betrat den eigentlichen Flur. Der Aufzug war bereits da, so dass sie nur die Tür öffnen musste. Sie drückte auf die fünf und lehnte sich an die Wand der Kabine. Es war mal wieder ein harter Samstagmorgen in der Redaktion gewesen. Jetzt hatte sie vielleicht noch zwei Stunden für sich und für die Vorbereitung der abendlichen Sendung. Die Sendung Le Journal wurde von den meisten Luxemburgern regelmäßig angeschaut. Vor allem die 5 minutes, die Zusammenfassung der wichtigsten Nachrichten, waren sehr beliebt. Das sich anschließende Le Magazine, brachte dann Reportagen aus dem Land. Claudine Kieffer war für den Nachrichtenteil zuständig.

Nachdem sie das Penthouse betreten und ihre Tasche an der Garderobe abgestellt hatte, ging sie in die Küche, holte sich eine Glas Orangensaft und ging in ihren kleinen Arbeitsraum. Der Laptop stand auf dem Schreibtisch und zeigte ihr den Eingang einer neuen Mail an. Claudine setzte sich an den Tisch, öffnete die Mail und sah sich das Bild an, das Roby Weis, von der police judiciaire, ihr gemailt hatte und wurde leichenblass. Sie sah in die toten Augen ihres Freundes, Walter Wollmann.

Vor etwas mehr als einem Jahr hatten sie sich kennengelernt, bei einem Ministerratstreffen auf Kirchberg. Der Name Wollmann war ihr, als Leserin des Spiegels, sehr gut bekannt, und so war sie erfreut gewesen, ihren Kollegen einmal persönlich kennenzulernen. Wollmann hatte damals schon nicht mehr beim Spiegel gearbeitet, sondern war als freier Journalist tätig. Sie hatten sich angefreundet und waren mehrmals zusammen Essen gewesen. Dann, vor drei Monaten, hatten sie sich ineinander verliebt.

Zusammenleben in einer Wohnung wollten sie noch nicht, aber sie sahen sich beinahe täglich. Walter war, als freier Journalist, an keine festen Bürostunden gebunden, und so erledigte er oft die Einkäufe und kochte für sie beide. Er besaß den Schlüssel zu ihrer Wohnung, genauso wie sie, den Schlüssel für seine Wohnung hatte.

Er war kein leidenschaftlicher Koch, aber durchaus in der Lage ein Essen zuzubereiten, das auch gehobenen Ansprüchen gerecht werden konnte. Und wenn er in Verlegenheit geriet, bereitete er seine schwäbischen Maultaschen zu. Er brachte sie, bereits gefüllt, aus Süddeutschland mit, von seinem Lieblingsmetzger, wenn er seine Mutter besuchte.

Seine Mutter wohnte in Hechingen, knappe zwanzig Kilometer von Tübingen entfernt, am Fuße der Burg Hohenzollern. Walter hatte dort das staatliche Gymnasium besucht. Das war in den Sechzigern, und damals hatte die Stadt das Gymnasium noch nicht von der hohenzollerischen preußischen Verwaltung übernommen, der die Schule angehörte. Walter war somit durch eine preußische Schulbildung gegangen.

Walter Wollmann war tot!

Claudine merkte erst jetzt, wie ihr Tränen über die Wangen rollten. Sie ließ ihren Kopf auf die Tischplatte sinken und weinte. Sie konnte, ja sie wollte es einfach nicht glauben. Nicht Walter, nicht der Mann, der wieder Bewegung in ihr Leben gebracht hatte, mit seinem Witz und seinen spontanen, und manchmal auch verrückten, Ideen und Einfällen. Claudine brauchte fast eine Stunde, um sich einigermaßen zu fassen. Wer konnte Walter umgebracht haben und warum? Sie griff nach ihrem Handy und wählte die Nummer der police judiciaire.

„Claudine Kieffer, können Sie mich bitte mit Kommissar Medernach verbinden, es ist dringend.“

„Einen Augenblick bitte!“, sagte die Dame am anderen Ende der Leitung, Claudine vernahm eine der Melodien, die eingespielt werden, wenn man weitergeleitet wird, oder sich in einer Schleifenschaltung befindet, die Melodie passte gar nicht zu ihrer momentanen Stimmung. Wenig später vernahm Claudine erneut die Stimme der Dame. „Hören Sie, Herr Medernach ist augenblicklich nicht im Haus. Sollen wir ihm etwas ausrichten, oder möchten Sie zurückgerufen werden?“ Claudine verneinte beides und entschied, Medernach später nochmals anzurufen.

Ihr war gerade eingefallen, dass Walter Wollmann ihr, vor einigen Tagen, einen dicken Umschlag gegeben hatte. Er hatte ihr gesagt, dass er, für seine aktuelle Recherche, eine Menge an Material zusammengetragen hat und gerne eine Kopie bei ihr hinterlegen würde. „Man kann ja nie wissen, ob nicht einmal bei mir eingebrochen wird“, waren seine Worte gewesen. Claudine überlegte kurz, dann war sie sicher, dass sein Tod etwas mit seiner Arbeit zu tun haben musste. Sie öffnete den Umschlag und begann zu lesen. Sie wurde in ihrer Vermutung bestärkt, sein Tod musste etwas mit dieser Recherche zu tun haben.

Als sie auf ihre Uhr sah, erschrak sie. Es war bereits zehn Minuten vor 19 Uhr. Sie schnappte sich nur schnell ihre Tasche und eilte zum Aufzug. Ihren Wagen hatte sie vor der Haustür stehen gelassen. Sie beeilte sich, wieder auf den Kirchberg zu kommen. Am Samstagabend waren die Straßen in Richtung Kirchberg relativ leer, und nach wenigen Minuten hatte sie ihren Wagen in der Tiefgarage von RTL abgestellt. Sie beeilte sich, denn die Visagistin musste noch Hand anlegen, bevor sie auf Sendung gehen konnte.

Die Spinne

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