Читать книгу Douarnenez und das Geheimnis der Sardine - Jean-Pierre Kermanchec - Страница 10

Kapitel 8

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Mike Ngoya hatte den Besitzer des Bootes Le Bras I, mit der Kennung DZ für Douarnenez, nach einer guten Stunde herausgefunden. Auch den Liegeplatz hatte er gefunden. Jetzt musste er nur noch auf das Eintreffen des Bootes warten. Die beiden Segler hätten keine Zeit mehr, jemandem von ihren Erlebnissen zu erzählen, sie würden einfach von der Bildfläche verschwinden. Mike saß in seinem Van mit den abgedunkelten Scheiben und starrte auf die Hafeneinfahrt. Der Liegeplatz ihres Bootes lag am hinteren Ende des Hafens.

Die Flut näherte sich langsam dem Höhepunkt, so dass Ngoya nicht mehr lange auf die Männer der Le Bras I warten müsste. Er stand noch keine Stunde am Pier als er die Segelyacht ausmachte, die langsam mit Motorkraft ihren Liegeplatz ansteuerte. Geduldig ließ er die Männer das Boot festmachen und über die Pontons zum Kai kommen. Dann stieg er aus, öffnete die seitliche Schiebetür und vergewisserte sich, dass ihm niemand Beachtung schenkte. Die beiden Männer kamen direkt auf den Van zu. Er griff nach seiner Pistole mit dem aufgeschraubten Schalldämpfer.

„Los ins Auto, aber dalli!“, rief er den verdutzten Männern zu. Marc Le Bras sah ihn entgeistert an und blickte in die Mündung der Pistole. Hervé Floc´h wusste nicht was da geschah und wollte einfach weitergehen.

„Bist du lebensmüde? Rein in den Wagen habe ich gesagt“, donnerte Mike Ngoya ihm entgegen.

Jetzt erst verstand Hervé, dass es dem Typen verdammt ernst war. Er folgte seinem Freund Marc. Ngoya stieg nach den beiden ins Fahrzeug, schloss die Tür und befahl.

„Setzen! Und die Hände auf den Rücken!“ Sie folgten dem Befehl. Er legte ihnen Kabelbinder um die Hände und zog fest zu. Dann band er sie mit einem Seil an den Gepäckösen auf dem Boden des Fahrzeugs fest.

„Wenn ich unterwegs nur einen Ton höre, könnt ihr euer Testament machen, denn danach bleibt euch keine Zeit mehr dafür!“ Er stieg wieder aus, schloss die Seitentür, ging zum Fahrersitz und fuhr los.

„Was will der Typ von uns?“, flüsterte Marc.

„Ich habe keine Ahnung! Ich kann mir vorstellen, dass es sich um den Frachter handelt und um den Menschenschmuggel. Bestimmt haben die gesehen, dass wir sie beobachtet haben. Diese Schleuser sind brutale Charaktere, die kennen kein Pardon“, antwortete Hervé ebenfalls flüsternd.

„Aber wie sind die so schnell auf uns gekommen?“

„So wie wir an sie kommen wollten, über den Namen des Schiffs.“

„Und was hat der jetzt mit uns vor?“

„Keine Ahnung! Vielleicht uns umbringen?“

„Wir müssen hier rauskommen“, meinte Marc verzweifelt und zog an dem Seil, mit dem er am Fahrzeugboden befestigt war.

„Das können wir vergessen“, zischte Hervé. „Wir können das Seil oder diese blöden Kabelbinder nicht durchtrennen.“

„Doch, ich habe was in meinem Rucksack. Er liegt neben dir. Kommst du dran?“

„Ich kann‘s versuchen. Und was hast du im Rucksack?“

„Da müsste das Schweizermesser drin sein, das ich bei Marie gekauft habe. Kannst du es rausholen?“

Hervé drehte seinen Rücken zum Rucksack, damit er mit den gefesselten Händen drankam, kein leichtes Unterfangen. Schließlich hatte er es geschafft.

In diesem Augenblick hielt der Wagen an.

„Versteck das Messer! Schnell, bevor der was mitkriegt!“

Hervé schob das Messer schnell in seine hintere Hosentasche. Da wurde die Seitentür aufgeschoben und der Mann stand in der Tür.

„Los raus!“, brüllte er und fuchtelte wild mit der Pistole rum.

„Dazu müssen Sie uns erst einmal losbinden“, antwortete Hervé und deutete mit dem Kopf auf das Seil. Er hatte den Eindruck, dass ihr Entführer nervös und fahrig war. Der senkte den Lauf der Pistole und stieg in den Van. Zuerst band er Marc los und danach Hervé.

„Jetzt raus, aber schnell!“ Er deutete mit der Waffe auf den Eingang einer alten Lagerhalle. Hervé stieg aus und wartete auf Marc.

„Nicht stehenbleiben, los, in die Halle!“, brüllte der Mann.

Hervé, Marc und der Unbekannte zwängten sich durch das alte Tor, das nur wenig aufgeschoben war, und betraten eine Halle mit nackten Betonpfeilern, die Fenster waren total verschmutzt und verstaubt, der Betonboden wies unzählige Löcher auf, Autowracks standen herum, und eine eiserne Treppe führte zu einigen Büroräumen auf der Stirnseite des Gebäudes. Sie hatten keine Ahnung wo sie hier waren. Sie waren nicht lange gefahren.

„Los, weiter, die Treppe hoch!“ Wieder fuchtelte er mit der Waffe herum. Hervé und Marc gingen auf die Treppe zu und stiegen vorsichtig die feuchte Treppe hoch. Da ihre Hände auf dem Rücken zusammengebunden waren, konnten sie sich nicht am Geländer festhalten. Hervé betrat einen offenstehenden Raum, in dem jemand wohnte. Auf dem Tisch mitten im Raum stand eine benutzte Tasse. Auf einer Ablage standen einige Cola- und Wasserflaschen. Neben dem Tisch standen zwei Stühle. War das die Behausung ihres Entführers?

„Los, setzen!“

Hervé und Marc setzten sich.

„Keine Bewegung, sonst knall ich euch sofort ab“, sagte der Mann.

Er trat hinter Hervé und fesselte seine Hände an den Sessel, danach kam Marc an die Reihe. Hervé spürte, dass die Stühle am Boden befestigt waren. Nachdem beide an die Stühle gebunden waren, verließ der Mann den Raum. Sie hörten, dass er das Auto startete und wegfuhr. Sie machten mit lautem Rufen auf sich aufmerksam, aber niemand hörte sie.

„WeißtWeißt du wo wir sind?“, fragte Hervé seinen Freund.

„Keine Ahnung, wir können nicht so weit von Douarnenez entfernt sein, wir sind nicht lange gefahren.“

„Das habe ich auch gedacht, Marc. Ich will versuchen, ob ich uns befreien kann. Vielleicht kann ich das Messer öffnen.“

„Pass aber auf, dass es dir nicht aus der Hand fällt. Die Stühle sind am Boden festgemacht, wir können uns nicht gegenseitig helfen.“

„Das habe ich auch gemerkt.“ Hervé schob seine Hand vorsichtig in die Gesäßtasche der Hose. Er konnte das Messer spüren. Mit Daumen und Zeigefinger zog er es näher zu sich. Als er das Messer mit der ganzen Hand umfassen konnte, nahm er es raus und fühlte nach der Messerschneide. Er ertastete den Korkenzieher, die kleine Schere und den Dosenöffner. Dann hatte er die gesuchte Klinge gefunden. Er hielt das Messer in der linken Hand und versuchte die Klinge mit dem Daumennagel der rechten Hand herauszuklappen. Langsam gab die Klinge nach. Mit äußerster Vorsicht, das Messer fest in der Hand haltend, durchschnitt er erst das harte Plastik, dann das Seil. Endlich war er frei. Nach weiteren Minuten war auch Marc befreit.

„Gott sei Dank“, rief Marc.

„Nichts wie weg von hier, bevor der Typ zurückkommt.“

Vor der Tür stand Marcs Rucksack, den ihr Entführer dahingestellt haben musste. Hervé schnappte sich den Rucksack. Vorsichtig öffneten sie die Tür ins Freie und sahen sich um. Ein kleiner Weg führte vom Gebäude weg, auf dem jetzt der Van angefahren kam.

„Loss, weg, er kommt zurück!“ Die zwei Männer rannten um das Gebäude und versuchten das Gebüsch zu erreichen. Hervé erreichte das Gesträuch. Er drehte sich um und sah, dass Marc noch ca. zwanzig Meter entfernt war, als ein Schuss die Stille durchbrach. Marc sackte zusammen.

„Renn, renn weg und hol Hilfe!“, waren Marcs letzte Worte.

Hervé rannte weiter, er wusste, dass er um sein Leben rannte. Dann hörte er einen zweiten Schuss hinter sich. Er drehte sich um und sah, dass der Verfolger vor Marc stand und ihm in den Kopf geschossen hatte, den Schalldämpfer hatte er wohl entfernt. Hervé rannte weiter, auf der Suche nach einem Versteck. Er erreichte ein kleines Brombeergestrüpp. Er stolperte über ein Loch und fiel in das dornige Gebüsch. Hervé hoffte, dass die Hecke ihn vor dem Blick seines Verfolgers verbarg. Der Mann blieb mit der Pistole in der Hand stehen und sah sich um. Er schien die Brombeerhecken nach einem Durchgang abzusuchen, durch den Hervé entflohen sein könnte. Hervé blieb ganz ruhig liegen. Sein Knöchel schmerzte. Er hatte sich vermutlich den Fuß verstaucht als er in das Loch getreten war. Der Verfolger fixierte immer noch die Sträucher. Dann ging er langsam weiter. Er hatte Hervé nicht entdeckt. Hervé griff in die Hosentasche und holte sein Handy heraus. Er wollte einen Notruf absetzen und die Gendarmerie anrufen. Aber das Handy blieb stumm. Der Akku war leer. Er versuchte zu denken. Was konnte er jetzt tun? Wo war der Killer? Hervé beschloss zu warten, bis es dunkel wurde. Vielleicht könnte er am Abend in der Dunkelheit ein Fahrzeug anhalten, das ihn mitnehmen würde. Er öffnete den Rucksack und suchte nach etwas Essbarem oder etwas zu trinken. Tatsächlich entdeckte er eine Schinkenschnitte und eine Flasche Wasser. Herzhaft bis er hinein. Er war froh, den Rucksack mitgenommen zu haben. Nachdem er sich gestärkt und einen kräftigen Schluck getrunken hatte, überlegte er, wie er die Zeit bis zur Dunkelheit überbrücken könnte.

Er fand im Rucksack einen Stift und etliche Blatt Papier. Sofort beschloss er, das Erlebte schriftlich festzuhalten. Vielleicht würde es einmal zur Aufklärung dieses Verbrechens beitragen. Minutiös notierte er den Ablauf des Tages, ihren Aufbruch zum Segeltörn, den Namen des Frachters und ihr Kidnapping im Hafen. Er beschrieb den Van, konnte aber keine Aussage zur Zulassungsnummer machen. Auch den Killer beschrieb er nach seiner Erinnerung. Als es dann endlich dunkel wurde legte er die beschriebenen Seiten in den Rucksack.

Er versuchte aufzustehen. Sein Knöchel schmerzte noch, aber er konnte den Fuß etwas belasten. Auf keinen Fall würde er zur Halle zurückgehen. Er erreichte nach zweihundert Metern eine Wiese und einen geteerten Feldweg. Der Knöchel schmerzte stärker. Er ging ganz langsam und folgte dem Feldweg, ohne zu wissen wo er rauskommen würde. In der Dunkelheit war die Orientierung schwieriger als bei Tag.

Hervé konnte nicht sagen, wie lange er bereits gegangen war, er hatte nicht auf die Uhr gesehen. Was hätte er jetzt für ein funktionierendes Handy gegeben. Es sollte ihm eine Lehre sein, in Zukunft würde er sehr genau darauf achten, dass sein Akku immer geladen war. Der fast volle Mond erhellte die Landschaft soweit, dass er den Feldweg ein wenig einsehen konnte. Er hatte den Eindruck, dass sich der Weg unendlich hinzog. Wo war er nur? Endlich sah er ein Verkehrszeichen, ca. 100 Meter entfernt. War es ein Vorfahrtachten-Schild? Das würde bedeuten, dass er vor die Einmündung in eine größere Straße kam. Hatte er es geschafft? Hervé blieb vorsichtig, noch war er nicht außer Gefahr. Er wusste nicht, wohin der Killer gegangen war. Er hatte ihn jedenfalls nicht mehr gesehen.

Er hatte die vermeintliche Kreuzung fast erreicht, als er mit großer Enttäuschung feststellen musste, dass er am Ende eines Feldweges zur Küste angelangt war. Das Schild, das er aus der Entfernung als Verkehrsschild gedeutet hatte, war ein Warnhinweis auf den steilen Abfall an dieser Stelle. Darunter stand ein Hinweis auf den Standort. Er war nur einige hundert Meter von der Pointe du Millier entfernt. Er hatte sich also noch weiter von Douarnenez entfernt. Lag diese Halle hier in der Gegend? Hervé setzte sich auf einen Felsen, öffnete den Rucksack und trank einen Schluck aus der Flasche. Dann nahm er seine Aufzeichnungen und ergänzte mit wenigen Worten den Hinweis auf die vermutliche Lage des Verstecks.

Gerade noch rechtzeitig sah er Scheinwerfer eines Fahrzeugs, das auf ihn zugefahren kam. Er griff nach dem Rucksack, steckte alles hinein und sah sich nach einem passenden Versteck um. Er hatte auf einem Felsen an einem Parkplatz gesessen, einem Ausgangspunkt für Spaziergänger und Wanderer entlang des sentier côtier. Der ehemalige Zollsteg und jetzige Wanderweg, GR 34, der die gesamte Küste der Bretagne umfasste, war nur bei Tageslicht gefahrlos zu begehen. Der Parkplatz war von hohen Farnen umgeben, hinter denen er sich verstecken konnte. Er drückte den Farn vorsichtig zur Seite, um möglichst keine Spur zu hinterlassen, und trat auf den weichen Boden dahinter. Er hatte sich kaum geduckt, als der Wagen auf den Wendeplatz fuhr. So spät in der Nacht suchte kein Wanderer die Stelle auf. Es konnte sich also nur um den Killer handeln. Der Fahrer öffnete bei laufendem Motor die Fahrertür und stieg aus. Mit seiner großen schweren Taschenlampe begann er die Umgebung abzusuchen. Der helle Lichtstrahl fiel auf den Küstenweg.

Hervé bekam Angst. Wenn der Mann den ganzen Parkplatz so ausleuchtete, würde er ihn zwangsläufig hinter dem Farn entdecken. Hervé drückte sich ganz flach auf den Boden. Irgendein dorniges Gestrüpp stach ihm durch die Kleider. Er unterdrückte sein Stöhnen und hoffte, dass der Mann schnell verschwinden würde. Der Strahl der Taschenlampe schwenkte jetzt landeinwärts, und der Lichtschein kam seinem Versteck immer näher. Nur noch wenige Meter und das Licht der Lampe würde ihn erfassen. Dann erlosch die Lampe, und sein Verfolger ging zum Fahrzeug zurück, stieg ein und fuhr den Weg langsam zurück.

Hervé merkte erst jetzt, dass ihm der Angstschweiß von der Stirn rann. Er stand auf, es war eine Distel, auf der er gelegen hatte. Er müsste schaffen, unentdeckt von seinem Verfolger, zu einem bewohnten Haus zu gelangen. Auf keinen Fall dürfte der Verfolger seine Aufzeichnungen entdecken.

Das Licht des Fahrzeugs war verschwunden, und seine Augen gewöhnten sich wieder an die Dunkelheit. Der fast volle Mond leuchtete klar. Er ging langsam um den Platz herum, kam an einem Papierkorb vorbei und sah eine Weinflasche, noch mit einem Korken verschlossen.

Das ist die Idee! Hervé fühlte sich plötzlich in seine Kindheit versetzt, eine Flaschenpost! Eine Flaschenpost war zwar nicht die ideale Lösung aber eine Chance, die sich ihm hier bot. Er öffnete die Flasche und kippte eventuelle Restflüssigkeit aus, die Flasche war leer. Er holte die Aufzeichnungen aus dem Rucksack und rollte sie ganz eng zusammen. Dann fischte er aus seiner Hosentasche ein Gummi, seit seiner Jugend waren seine Hosentaschen mit allem was ein Mann brauchte gefüllt. Er rollte das Gummiband um die losen Blätter und schob sie in die Flasche. Mit Glück und der richtigen Strömung würde die Flasche in den Hafen von Douarnenez getrieben. Der Hafen konnte nicht viel mehr als acht Kilometer weit entfernt liegen. Er hielt sich an dem dünnen Strohhalm fest, dass seine Nachricht im Falle seines Todes auf diese Weise gefunden würde. Sollte er es bis zur Gendarmerie schaffen, wären die Aufzeichnungen sowieso überflüssig. Hervé verschloss die Flasche mit dem Korken und drückte ihn fest in den Hals. An einer Stelle der senkrecht abfallenden Steilküste holte er aus und warf die Flasche entschieden und mit ganzer Kraft ins Wasser. Viel Glück!

Hervé ging, auf der Suche nach einem Haus, zurück. In der Bretagne gab es nur wenige Gegenden, in denen es kein Haus oder lieu dit gab, er würde einen bewohnten Ort finden. Der Mond erhellte den Weg, sodass er gefahrlos gehen konnte. Nach einer Weile sah er zwei kleine Lichter. Hervé ging darauf zu. Er hatte die beiden Lichtpunkte fast erreicht, als er feststellte, dass es sich um die Standlichter eines dunklen Vans handelte.

Douarnenez und das Geheimnis der Sardine

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