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Kapitel 2

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Anaïk Bruel war zufrieden, dass sie ihren letzten Fall abgeschlossen hatte. Das Wochenende würde sie entspannt mit Brieg Pellen verbringen können. Auf seinem Boot erwartete Anaïk ein riesiges Rosenbouquet, eine Flasche Champagner, ein vorzügliches Essen, ein umwerfend schöner Diamantring, ein Heiratsantrag und ein großes Bett in der Kajüte. Anaïk hatte den Antrag mit einem klaren, deutlichen, liebevollen und begeisterten ja, ich will, beantwortet. Seither beschäftigte sie nun die Planung ihrer Hochzeit, die in diesem Juli stattfinden sollte. Es traf sich daher gut, dass die Arbeit im Kommissariat etwas ruhiger war. Nur einmal hatten sie sich auf die Suche nach einem verschwundenen 60-jährigen Mann machen müssen, dessen Frau ihn als vermisst gemeldet hatte. Ein Verbrechen wurde nicht ausgeschlossen, so dass die Mordkommission die Ermittlungen aufgenommen hatte. Der Vermisste war nach drei Tagen wieder aufgetaucht. Es hatte sich um kein Verbrechen gehandelt, der Mann war, ohne sich von seiner Frau abzumelden, nach Brest gefahren und hatte seine dort lebende Schwester besucht.

Auch Monique Dupont, die Kollegin von Anaïk Bruel, freute sich über die ruhigeren Arbeitstage. Seitdem sie den Arzt, Alain Bost, kennengelernt hatte, waren ihre Feierabende nicht mehr so einsam wie in den ersten Monaten ihrer Tätigkeit in Quimper. Mittlerweile war aus den einst Verliebten ein richtiges Paar geworden. An eine Hochzeit dachten die zwei im Moment jedoch nicht.

Die beiden Kommissarinnen beschäftigten sich mit der Lektüre von Suchanfragen, Fahndungsfotos, Rundschreiben des Justizministeriums und den berüchtigten Statistiken von Robert Nourilly, ihrem OPJ, dem officier de police judiciaire. Der Chef hatte drei Leidenschaften, dazu gehörten Presseerklärungen, ein notorischer Sparzwang und die Suche nach immer neuen Statistiken zur positiven Darstellung seines Kommissariats. Gestern erst war die Aufforderung an die Mordabteilung ergangen, die Zahlen des vergangenen Jahres in die Tabellen einzutragen und sie mit Kommentaren und kurzen Schilderungen der Vorgehensweise zu ergänzen. Eine Tätigkeit, die weder Monique noch Anaïk schätzte. Das überließen sie gerne ihrer Sekretärin, Anne Kerflor. Aber das Telefon klingelte in den letzten Tagen nur selten, und ein neuer Fall, der sie vor den Statistiken rettete, schien in weiter Ferne zu sein.

Anaïk war in Gedanken bei der Auswahl ihres Hochzeitkleides. Der Ort ihrer Hochzeit stand bereits fest. Sie hatten sich für das Manoir de Kerazan entschieden, einem herrlichen Schloss aus dem 18. Jahrhundert. Das Manoir lag in der Nähe von Loctudy, 20 Kilometer von Quimper entfernt. Es gab dort einen ausreichend großen Saal für bis zu 120 Gästen. So viele kämen bei ihnen nicht zusammen, bisher standen 80 Gäste auf ihrer Liste. Anaïk und Brieg hatten geplant, dass der Cocktailempfang auf der Grünfläche vor dem Schloss stattfinden sollte, so das Wetter mitspielte. Das Schloss beherbergte ein Kunstmuseum, mit Gemälden, Mobiliar und Keramiken. Ihre Gäste könnten auf Wunsch während des Cocktails auch durch das Museum flanieren.

Das Telefon riss Anaïk aus ihren Träumereien.

„Anaïk Bruel.“

„Madame Bruel, hier ist die Gendarmerie von Pont-L´Abbé. Mein Name ist Maxime Le Beux. Wir wurden vor einer halben Stunde nach Loctudy gerufen. Auf dem Gelände der Domaine de Dourdy haben Spaziergänger einen Koffer gefunden, darin liegt eine Leiche.“

„Einen Koffer mit einer Leiche? Das muss ein Schock für die Spaziergänger gewesen sein. Wir kommen sofort, die Spaziergänger sollen bitte auf uns warten. Ist der Fundort bereits abgesperrt?“

„Aber natürlich, Madame la Commissaire. Mein Kollege, Jean Le Doeuff, hat das sofort erledigt. Er achtet auch darauf, dass niemand mehr den Fundort betritt. Wissen Sie, wo die Domaine de Dourdy liegt?“

Und ob sie das wusste. Als sie mit Brieg das Manoir von Kerazan besucht hatte, um sich ein Bild von dem Schloss zu machen, waren sie anschließend noch über den GR 34, den sentier côtier, spaziert und an der Domaine de Dourdy vorbeigekommen.“

„Ja, ich kenne den Ort“, antwortete sie.

„Der Fundort liegt direkt an der Brücke zur Île Garo. Sie können mit dem Wagen unmittelbar bis zum Fundort fahren“, fügte Maxime Le Beux hinzu.

Anaïk informierte Dustin, Yannick und ihre Kollegin Monique. Sie alle mussten zum Fundort kommen. Auf den Pathologen, Yannick Detru, hätten sie bei einer Leiche in einem Koffer vielleicht verzichten können, aber Anaïk kannte Yannick gut. Er wollte grundsätzlich mit zum Tatort kommen, oder wie hier zum Fundort, wenn es um eine Leiche ging.

Anaïk hielt vor der Polizeiabsperrung. Monique war bereits eingetroffen. Sie gingen unter der Absperrung hindurch und grüßten den Gendarmen, der auf sie zukam.

„Bonjour, Sie sind bestimmt Madame la Commissaire?“, begrüßte Maxime le Beux Anaïk.

„Der Koffer liegt hier drüben, wenn Sie mir bitte folgen“, sagte er und führte die Kommissarinnen zur schmalen steinernen Brücke. Auf dem linken Brückenpfeiler stand ein Schild mit dem Hinweis, dass die Brücke Privateigentum und für jeglichen Verkehr gesperrt war. Fußgängern war die vielleicht zweihundert Meter lange Überquerung erlaubt. Der Gendarm ging zur Böschung an der rechten Seite der Brücke und zeigte auf den geöffneten Koffer. Anaïk sah in den Koffer und auf die dort hineingezwängte Leiche eines Mannes mitsamt einiger Algen. Sie beugte sich zu dem Toten. Der Leichnam musste schon einige Tage im Koffer gelegen haben, die Verwesung hatte bereits eingesetzt. Der Koffer war wahrscheinlich vom Meer angeschwemmt worden. Diese Überlegung beinhaltete, dass der Mann nicht in der Gegend ermordet worden war.

„Madame Bruel beseitigt schon wieder alle Spuren“, stichelte Dustin, der inzwischen zu ihr getreten war. Anaïk ärgerte sich schon lange nicht mehr über Dustins provozierende Bemerkungen. Sie schätzte den Kollegen und arbeitete ausgezeichnet mit ihm zusammen. Auch Yannick war eingetroffen und hatte sich mit der Leiche beschäftigt, der Stellung der Arme und Beine, eventuelle Verletzungen, die auf die Art der Ermordung hinweisen könnten. Er müsste den Mann in der Pathologie genauer untersuchen. Eine erste Aussage machte er dennoch.

„Also, euer Toter ist erschossen worden. Meine Vermutung ist, dass sein Mörder ihm zuerst in den Rücken geschossen und danach mit einem Kopfschuss getötet hat. Dann hat er den Leichnam in den Koffer gezwängt.“

„Wie lange ist das her?“, fragte Monique.

„Schwer zu sagen ohne eine genauere Untersuchung. Ich meine, dass der Mann vor sieben oder acht Tagen ermordet worden ist.“

„Dann sind wir auf der Suche nach einem Mann, der seit mindestens einer Woche vermisst wird? Immerhin ein erster Anhaltspunkt“, meinte Monique.

„Vielleicht finden sich ja noch weitere Spuren“, meinte Dustin und begann mit seiner akribischen Arbeit. Die Spuren rund um den Koffer konnte er ignorieren. Die gesamte Umgebung wimmelte nur so von Fußspuren, Getränkedosen, Zigarettenstummeln und Papiertaschentüchern.

Anaïk und Monique konnten vor Ort nichts mehr machen. Sie fuhren zurück ins Kommissariat und kümmerten sich um die Vermisstenlisten.

„Ein Leichenfund in unmittelbarer Nähe des Schlosses, in dem Brieg und ich im Sommer heiraten wollen. Das gefällt mir nicht“, meinte Anaïk als sie den Motor startete.

Im Kommissariat gingen sie die Listen der vermissten Personen der letzten zwei Monate durch. Es waren zwei Männer und fünf Mädchen oder Frauen.

„Lass uns die Spur der beiden Männer überprüfen“, meinte Monique. Es handelte sich um Marc Le Bras und Hervé Floc´h, die seit einer Woche vermisst wurden. Marc Le Bras wohnte in Locronan, seine Tochter hatte ihn als vermisst gemeldet. Hervé Floc´h kam aus Douarnenez, es war seine Frau, die die Anzeige aufgeben hatte. Von beiden Männern fehlte noch immer jede Spur. Die Kommissarinnen vermuteten, dass einer der beiden im Koffer lag.

Douarnenez oder Locronan lagen ein gutes Stück vom Fundort entfernt. Sollte es sich um einen der beiden handeln, stellt sich die Frage, wie der Koffer in die Nähe von Loctudy gekommen ist? Ist er dort abgelegt worden, oder hat das Meer den Koffer angeschwemmt? Oder stammt die Leiche gar nicht aus der Gegend? Sie hatten bis jetzt nur nach den Vermissten aus dem Finistère gesucht. Anaïk hoffte, dass Dustin ihnen nach der Analyse aller Spuren weitere Hinweise geben konnte.

Douarnenez und das Geheimnis der Sardine

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