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»In Texas herrscht Krieg«

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Auch nach Erlangung der mexikanischen Unabhängigkeit, 1821, gingen die Revolten gegen die Machtzentrale in der Hauptstadt des neuen Staates namens Mexiko weiter. 1824, nach Abschaffung einer kurzlebigen Monarchie, erhielt Mexiko zwar eine föderale Verfassung. Aber dem Wunsch der nördlichen Provinzen nach mehr Autonomie war der mexikanische Kongress nicht nachgekommen. Stattdessen wurde Texas mit der landeinwärts gelegenen Provinz Coahuila zu einem riesigen Flächenstaat zusammengefasst. Dasselbe geschah mit Neu-Mexiko, Sonora und Kalifornien. Durch die Zusammenlegung sollten die dünn besiedelten Regionen des Nordens mehr politisches Gewicht gegenüber den bevölkerungsreicheren Regionen Zentralmexikos erhalten. Aber Neu-Mexiko und Alta sowie Baja California erreichten trotz dieser Maßnahme nur den Status von Territorien und hatten keine eigene Vertretung im Kongress. Und die Vertretung des Staatengebildes Texas-Coahuila befand sich nun im 316 Meilen von San Antonio entfernten Saltillo. Das hieß: Die politischen Entscheidungen wurden weiterhin in großer Distanz zu Texas gefällt.

Eine Sogwirkung auf nachströmende Siedler hatte Escandóns Besiedelungsprojekt nie gehabt. Zu Beginn der 1820er Jahren lebten im Rio-Grande-Tal nur rund 15.000 Mexikaner.10 Aber Mexiko besaß insgesamt keine sehr hohe Bevölkerungsdichte. Durch den langen Befreiungskrieg hatte das Land zehn Prozent seiner männlichen Bevölkerung eingebüßt. Auf einer Fläche, die von Oregon bis Guatemala reichte, lebten nur noch 6,2 Millionen Menschen. In den benachbarten Vereinigten Staaten hingegen hatte sich die Bevölkerung zwischen 1790 und 1820 von vier auf neun Millionen mehr als verdoppelt.11 Da sie sehr schnell weiter wuchs – und mit der Bevölkerung auch das Bedürfnis nach Land –, war die mexikanische Regierung verständlicherweise besorgt, dass eines Tages Texas beansprucht werden könnte.12 Sie folgte deshalb dem Rat einer 1821 eingesetzten Kommission, die in ihrem Kolonisierungsplan eine Öffnung der Grenzen für Einwanderer aus Europa empfahl. 1824 trat in Texas-Coahuila das Kolonisierungsgesetz in Kraft, mit dem die Jahrhunderte währende spanische Abschottungspolitik endete. Doch schon der erste Ausländer, der von Mexiko die Genehmigung zu einer Siedlungs-Neugründung erhielt, war Angloamerikaner: Moses Austin ließ sich bereits 1821 mit seiner eigenen Familie und dreihundert weiteren in Texas nieder. Aus Europa kamen dagegen viel weniger Emigranten als von der Kommission erhofft. Der überwiegende Anteil derer, die sich in Texas ansiedelten, hatte vorher in den Vereinigten Staaten gelebt.

1826 bestätigte Haden Edward, ein Unternehmer, der sich in Osttexas angesiedelt hatte, die Sorge der mexikanischen Kommission vor einer angloamerikanischen Revolte. Er rief die unabhängige »Republik von Fredonia« aus. Die übrigen Kolonisten schlossen sich ihm zwar nicht an, dennoch war dies für die mexikanische Regierung ein alarmierendes Zeichen, dass sich die bis dahin praktizierte Kolonisierungspolitik zum Nachteil mexikanischer Interessen entwickeln könnte. In einer erneut in Auftrag gegebenen Untersuchung fand der mit ihr beauftragte General Manuel Mier y Teran wenig überraschend heraus, dass mit der zunehmenden Angloamerikanisierung die Weigerung wuchs, sich Mexiko kulturell anzupassen. Eine andere Feststellung war überraschender: Zwischen mexikanischen und ausländischen Siedlern herrschte in der Frage der politischen Selbstbestimmung Einigkeit.13 Beide Siedlergruppen sprachen sich für die Aufspaltung des Gebildes Texas-Coahuila aus. Im Fall der Angloamerikaner ließ sich der Wunsch nach mehr politischer Selbstbestimmung dadurch erklären, dass sie auf diese Weise an ihren ›unveräußerlichen Rechten‹ festhalten zu können glaubten. Zum Beispiel an ihrem Eigentumsrecht, wozu sie weiterhin Sklaven zählten, obwohl Sklaverei in Mexiko 1829 abgeschafft worden war. Und an der Institution der Geschworenengerichte, obwohl die mexikanische Rechtsprechung römisch-spanischen Ursprungs war, der Staat also über dem Einzelnen stand. Anscheinend hätten die meisten Angloamerikaner vergessen, dass sie nun Bürger Mexikos waren, so Mier y Teran, denn sie reisten weiterhin »mit ihren politischen Verfassungen im Gepäck«.14

Die mexikanische Regierung reagierte auf die Ergebnisse dieser Untersuchung 1830 mit einem Einwanderungsstopp für US-amerikanische Siedler. Allerdings ließ sich die demographische Entwicklung in Texas damit nicht mehr beeinflussen. 1834 waren von 21.000 Einwohnern nur noch 4000 Mexikaner.15 Dass Mitte der 1830er Jahre der schwelende Konflikt mit Texas eskalierte, lag allerdings mehr an dem Umstand, dass sich die Provinzen des Nordens und das mexikanische Zentrum inzwischen fremder waren als die einzelnen in Texas siedelnden Gruppen. Der Norden fühlte sich von der Zentralregierung nicht ausreichend vor Indianerüberfällen geschützt. Wirtschaftsförderung gab es nicht. Für die Regierung wiederum war der Norden ein notorischer Unruheherd. Da waren der texanische Sonderweg, die ständigen Abspaltungsbewegungen, die Indianerüberfälle. Und da waren die diplomatischen Verstimmungen mit Washington, weil der Norden keine Anstrengungen unternahm, den Schmuggel zu unterbinden.16 Als 1833 Antonio López de Santa Anna an die Macht kam, wurde die föderale mexikanische Verfassung von 1824 durch eine zentralistische diktatorischer Prägung ersetzt. Die zu reinen Verwaltungseinheiten geschrumpften Bundesstaaten unterstanden fortan dem Militär. Den Aufständen im Land begegnete Santa Anna mit Gewalt. In Texas aber standen die Zeichen längst auf Abspaltung. Moses Austins Sohn Stephen tourte durch die Vereinigten Staaten, um Spendengelder für die Sache texanischer Föderalisten zu sammeln. »In Texas herrscht Krieg«, begann er jede seiner Reden und zeichnete dann ein Bild des Landes, wo vor Ankunft der angloamerikanischen Siedler alles wild, unzivilisiert und gefährlich war, besiedelt nur von Comanchen und anderen Indianerstämmen, die sich im ständigen Krieg mit Spanien befanden. In Louisville, New Orleans, Philadelphia und New York – überall hielt er sich an die genau einstudierte Choreographie seiner Rede: Die Mexikaner wären niemals Herr der Lage geworden. Deshalb hätten sie die Grenze für angloamerikanische Siedler geöffnet, damit die ihnen das Indianerproblem vom Hals schafften.17

Mit diesem texanischen Gründungsmythos konnte Stephen Austin viel Sympathien gewinnen. Zeitungen berichteten vom Freiheitskampf der Texaner, Pamphlete und Broschüren verbreiteten ihre Sichtweise, Bücher über die Geschichte der texanischen Revolution wurden gedruckt und fanden reißenden Absatz. Am Ende war jeder amerikanische Leser davon überzeugt, dass Mexiko die amerikanischen Siedler nur deshalb ins Land gelassen hätte, weil es allein nicht mit den Indianern fertig wurde.18 Was 1833 als Kampf zur Wiederherstellung der föderalen Verfassung begann, gipfelte 1836 in den Schlachten von Alamo und Goliad und der einseitigen Unabhängigkeitserklärung der Provinz Texas. Mexiko sollte diese unabhängige texanische Republik offiziell zwar nie anerkennen. Dennoch verlief nun am Nueces-River eine De-Facto-Außengrenze. Santa Annas harte Linie hatte auch mexikanische Föderalisten ins Lager der Separatisten getrieben, die 1839 die Abspaltung der nächsten Republik im Schilde führten. Wie schon Gutiérrez de Lara stammten auch die Führer dieser Bewegung aus Revilla. Sie vertrieben Santa Annas Soldaten aus Mier und riefen die »Republik Rio Grande« aus, die die mexikanischen Provinzen Nuevo León, Coahuila und Tamaulipas umfassen sollte.

Unentwegt brandeten Kämpfe auf. Zeitweise konnten die Föderalisten die Kontrolle über einzelne Gemeinden gewinnen, doch den endgültigen Ausgang entschieden die Zentralisten für sich. Im Oktober 1840 war die Rebellion zwar gescheitert, aber es kehrte trotzdem noch keine Ruhe ein. Denn nun mehrten sich Gerüchte, die USA bereiteten die Annexion der Republik Texas vor. Mit überraschenden Angriffen auf texanische Städte lieferte Mexikos Regierung kleine Kostproben davon, was die Vereinigten Staaten im Fall einer Annexion zu erwarten hätten. Diese ständigen mexikanischen Nadelstiche wurden irgendwann zu viel, und die Texaner organisierten mit dem Segen von Gouverneur Sam Houston eine militärische Strafexpedition. Viele der siebenhundert Freiwilligen, die teilnahmen, hatten allerdings keinerlei militärische Erfahrung und kehrten bald wieder um. Der Rest zog marodierend durch die am südlichen Ufer des Rio Grande gelegenen Gemeinden. In Mier kam es zum Zusammenstoß mit der mexikanischen Armee. Mehr Aufmerksamkeit als die Schlacht, die die Texaner verloren, zog das Nachspiel auf sich. Denn während der Überführung von Mier nach Mexiko-Stadt gelang noch in Tamaulipas, bei Salado, zweihundert texanischen Gefangenen die gemeinsame Flucht. 176 Männer wurden wieder gefasst. Präsident Santa Anna rückte zum ersten Mal ab von seinem Prinzip, keine Gefangenen zu machen. Nur jeder Zehnte sollte exekutiert werden. Das Los entschied. In einem Topf wurden 159 weiße und siebzehn schwarzbraune Pintobohnen abgezählt. Wer eine dunkle Bohne zog, wurde erschossen.

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