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Mexikaner oder Sklaven?
ОглавлениеDer mexikanische Krieg war das letzte große Projekt, mit dem sich die amerikanische Union zwölf Jahre vor dem Bürgerkrieg noch einmal sinnhaft ihrer Einheit als republikanische Nation versicherte. Mit der Doktrin der manifest destiny hatten sich die Fronten noch übertünchen lassen, die ein paar Jahre später zum offenen Konflikt zwischen Sklaverei-Befürwortern und -Gegnern führen sollten. Die Grundüberzeugung, dass Fortschritt mit Expansion zusammenhinge, teilten alle Parteien. Dass die amerikanischen Institutionen zu diesem Zeitpunkt, während sich die Welt im Umbruch einer industriellen Revolution befand, weltweit die fortschrittlichsten waren, ebenso. Daraus schöpfte die Expansion ihre Rechtfertigung: Der Boden sollte effizienter genutzt werden, als es seine jetzigen Besitzer taten. Sowohl Sklaverei-Befürworter als auch -Gegner schwärmten von mexikanischen Schwesterrepubliken nach angloamerikanischem Vorbild. Nur wollten die Südstaaten dort eben auch ihre ›südlichen Institutionen‹ errichten, während die Nordstaaten Sklaverei für keine zeitgemäße Wirtschaftsform mehr hielten. In der Berichterstattung über die europäischen Revolutionen, die neben dem Friedensvertrag mit Mexiko landesweit die Schlagzeilen bestimmten, wurde noch einmal das Narrativ des eigenen Freiheitsauftrags beschworen. »Wir sind die Losung, der Polarstern und die Flammensäule der Freiheit. Wenn die Freiheit in Gefahr sein sollte, wenn sie uns um Beistand riefe, würde kein amerikanisches Herz und keine Hand sich weigern, zu ihrer Rettung zu eilen«, hieß es in der New Yorker Sun pathetisch. Die Pariser Revolte im Februar des Jahres 1848, die in Europa eine Welle bürgerlich-demokratischer Revolutionen auslöste, wurde stürmisch begrüßt. »Endlich wagen es Millionen in der Alten Welt, ihren Tyrannen entgegenzuschreien: ›Auch wir werden freie Menschen sein!‹«36 Im Sieg der französischen Republik wurde die Strahlkraft der eigenen Union gefeiert.
Die Union sei im mexikanischen Krieg selbst dem schlechten Beispiel der europäischen Monarchien gefolgt und hätte in ihrem Verlangen nach zusätzlichem Land das Recht außer Acht gelassen, schrieb hingegen Ulysses Grant in seinen Memoiren. Der zweifache US-amerikanische Präsident und Held des amerikanischen Bürgerkriegs hatte als junger Leutnant im 3. Infanterieregiment unter General Taylor am mexikanischen Krieg teilgenommen. In seinen Memoiren bezeichnet er diesen Krieg als einen der ungerechtesten, der je von einer stärkeren Nation gegen eine schwächere geführt worden sei. »Auch wenn die Annektierung an sich gerechtfertigt gewesen sein sollte, die Art und Weise, wie sie geschah, war es nicht.« Mit der Kriegserklärung an Mexiko, die mit der Annexion von Texas begann, hätte zugleich auch der unvermeidliche Konflikt der Südstaaten-Rebellion seinen Anfang genommen. »Wie Individuen werden auch Nationen für Verstöße bestraft«, schrieb Grant. »Wir erhielten unsere Strafe in Gestalt des blutigsten und teuersten Kriegs der Moderne.«37
Mit der Annektierung der neu hinzugekommenen Gebiete nämlich flammte 1848 die Sklavenfrage im Kongress wieder auf. Um ein Gleichgewicht zwischen freien Staaten und Sklavenstaaten herzustellen, waren 1820 Sklavenhaltung und Aufnahme von neuen Staaten im sogenannten Kompromiss von Missouri geregelt worden: Nördlich der Kompromisslinie wurde (mit Ausnahme Missouris) die Sklaverei verboten, südlich dieser Linie erlaubt. Durch die neu hinzugewonnenen Gebiete verschob sich 1848 dieses Gleichgewicht zugunsten der Sklavenstaaten im Süden. Deshalb wurde 1850 wieder nach einem Kompromiss gesucht. Jetzt fand man ihn in folgender Lösung: Kalifornien trat, obwohl südlich der Kompromisslinie gelegen, den freien Staaten bei. Der Sklavenstaat Texas verzichtete gegen eine Entschädigung auf sein Gebiet westlich des Rio Grande, das dem New-Mexico-Territorium zufiel, welches für Sklaverei offen gehalten wurde – wie das aus der gleichen mexikanischen Provinzmasse Sonora gebildete Utah-Territorium. Sobald beide Territorien mehr als 60.000 Einwohner hätten und eigene Verfassungen ausarbeiteten, sollten die Bürger entscheiden, ob ihr neuer Staat den freien oder den Sklavenstaaten in der Union beitrat. Aus Sicht der Südstaaten hatte sich der Krieg mit Mexiko nicht gelohnt, da er zu einer verhältnismäßig geringen Ausdehnung von Sklavenstaaten geführt hatte. Somit verabschiedeten sich die Südstaaten-Sklavenhalter von der Idee, dass sich ihre Interessen durch Expansion durchsetzen ließen. Sie begannen stattdessen, die Möglichkeiten einer Sezession auszuloten. »Mexico will poison us« – der Satz des amerikanischen Philosophen Ralph Waldo Emerson war auf die Sklavenfrage gemünzt. Emerson prophezeite, die Vereinigten Staaten würden zwar Mexiko erobern, dabei aber einem Mann ähneln, der durch das Arsen, das er schluckte, umkam.38
»Mexikaner sind nicht besser als Indianer«, meldete sich im Senat der Texaner Sam Houston zu Wort.39 »Mexikaner sind Indianer«, schrieb auch die New York Evening Post. »Der Anteil europäischen Blutes – welches auch immer es ist – wurde ihnen nicht nur auf höchst illegitime Art und Weise beigemischt, sondern auch, wie wir sehen, nicht in solchem Maße, dass es den Charakter der Bevölkerung beeinflusst hätte.«40 Der missionarische Erneuerungsgedanke der manifest destiny hatte sich im Verlauf des Krieges von der Vorstellung gelöst, dass er auf das mexikanische Volk anwendbar sei.41 »Mexiko besitzt nicht die Fähigkeit, unabhängig zu existieren. Es hat dies nie versucht. Es wird ihm auch nie gelingen, unabhängig neben uns zu existieren. Das ist von der Vorsehung so bestimmt und es wäre eine Torheit, diese Tatsache nicht zu akzeptieren. Mexikaner sind indianische Ureinwohner und müssen das Schicksal ihrer Rasse teilen.«42 Nach Sklaven und Indianern wurden nun auch die in den annektierten Territorien lebenden Mexikaner an den gesellschaftlichen Rand gedrängt.
Das war politisch durchaus beabsichtigt, wie sich im Friedensvertrag von Guadalupe Hidalgo 1848 gezeigt hatte. Im Vertragsprotokoll waren den Mexikanern noch die vollen Bürger- und Eigentumsrechte zugesagt worden. Nachdem der Vertrag den Senat passiert hatte, war der entsprechende Passus gestrichen. Wenn nicht einmal freie Angloafrikaner Bürgerrechte besaßen, warum sie Mexikanern geben? Die Eintragung des mexikanischen Grundbesitzes hing nun von einem Verfahren ab, bei dem die Mexikaner weder die Regeln noch die Sprache beherrschten.43 Es waren vor allem ärmere Mexikaner, die den USA den Rücken kehrten, weil sie angesichts ihrer unsicheren Rechtslage Enteignungen befürchten mussten – oder sogar Sklaverei, wie sie in den neu annektierten Gebieten von den Südstaaten zu diesem Zeitpunkt auch für Mexikaner in Erwägung gezogen wurde. So empfahl unter anderem der aus einer Südstaaten-Sklavenhalter-Familie stammende William A. Emory, Leiter der US-amerikanischen Grenzziehungskommission, der amerikanischen Regierung die gemischtgeschlechtliche Einführung der weißen Rasse auf dem annektierten Territorium, weil sich dadurch die Einhaltung der Moral garantieren und die unterlegene mexikanische Rasse versklaven oder gleich ganz auslöschen ließe.44