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Landraub und Gadsden-Kauf

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Auf den annektierten Territorien wurden ehemals mexikanische zügig in typisch amerikanische Städte ummodelliert.45 Denn durch die neuen Grundrisse und amerikanischen Maßeinheiten hatten mexikanische Grund- und Bodenbesitzer Schwierigkeiten, die Größe ihrer Grundstücke nachzuweisen. In ganz New Mexico zum Beispiel erhielten nur sechs Prozent aller mexikanischen Antragssteller die Grundbucheinträge notariell bestätigt. Der Großteil des Landes fiel dem Staat zu, der es an Privatpersonen und Kooperativen verkaufte. Russell Bartlett, der Leiter der US-amerikanischen Grenzziehungskommission, der aufgrund seiner Mexiko-freundlichen Haltung 1853 durch William A. Emory ersetzt wurde, wies 1854 darauf hin, dass Landplünderungen gängige Praxis waren. Besonders beliebt sei die Enteignung mexikanischen Landbesitzes mithilfe sogenannter Texas head-rights: vom Staat Texas ausgestellte Landzertifikate an Personen, die sich um Texas verdient gemacht hätten; also praktisch jeder, der am Krieg teilgenommen hatte. Solche Head-rights wurden in Texas relativ umstandslos ausgestellt und waren begehrt. Denn wer so ein Zertifikat besaß, konnte sich überall – auch außerhalb von Texas – ein Stück Land aussuchen, sofern nicht schon jemand einen Anspruch darauf angemeldet hatte. Und immer hätten sich die Head-rights-Besitzer ein Stück Land ausgesucht, das seit einem Jahrhundert im Besitz von Nachkommen spanischer Siedler war, so Bartlett in seinem Bericht. Und er fuhr fort: »Letztere haben, um Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden und manchmal auch, weil sie um ihr Leben fürchteten, ihre Häuser verlassen und auf der mexikanischen Seite des Flusses Schutz gesucht.«46

In Kalifornien ›löste‹ die Regierung das Landproblem durch die Verabschiedung des Land Act, der einer De-Facto-Enteignung von mexikanischstämmigen Landbesitzern gleichkam. An die tausend rancheros verloren durch das 1851 verabschiedete Gesetz ihr Land.47 Mexikanischen Minenbesitzern wurden Steuern auferlegt, so dass sie nicht mehr konkurrenzfähig waren. 1848 war noch vor Unterzeichnung des Guadalupe-Hidalgo-Vertrags Gold entdeckt worden. Die Funde zogen allein in den ersten drei Jahren 210.000 neue Siedler an, die die alten Besitzer von ihrem Land zu verdrängen begannen. Die mussten sich die Rechtmäßigkeit ihrer Titel vom Landkommissionsgericht bestätigen lassen. Wurde gegen eine erfolgreiche Bestätigung Widerspruch eingelegt, wanderte der Fall an das Bezirksgericht weiter. Meistens wurde erst in der letzten Instanz, im Supreme Court, über jeden Einzelfall ein rechtskräftiges Urteil gefällt. Denn die Siedler, die während des Goldrausches nach Kalifornien strömten, hatten schnell begriffen, was sie tun mussten, um billig an Land zu kommen. Sie besetzten es und klagten dann jahrelang gegen die eigentlichen Eigentümer, die irgendwann resigniert aufgeben mussten, weil die Prozesskosten zu hoch waren.48 Sie hatten keine Chance, ihre Besitzansprüche gegen die in das Land einfallenden Goldsucher, Glücksritter und Siedler durchzusetzen. Deshalb flogen Banditen, die angelsächsische Siedler überfielen, ihre Farmen ausraubten und Pferde sowie Rinder stahlen, die Sympathien der mexikanischstämmigen Bevölkerung zu. In ihren Augen leisteten sie die einzig mögliche Form von Widerstand. Sie holten sich zurück, was ihnen geraubt worden war. Doch waren die mit Legenden ausgeschmückten Biographien einer Handvoll Männer weder exemplarisch für das weitere Schicksal der mexikanischstämmigen Bevölkerung, noch hatte ihr Sozialbanditentum eine Verbesserung der allgemeinen Situation zur Folge, die durch Diskriminierung, Rassismus und Ausbeutung gezeichnet blieb.

Die Tinte des ratifizierten Vertrags war noch nicht trocken, als die mexikanische Regierung eine Repatriierungskampagne startete. Ihr war gedämmert, dass inzwischen die Existenz des nationalstaatlichen Projekts insgesamt auf dem Spiel stand, das von Anfang an auf tönernen Füßen ruhte: Die Monarchie, zu Beginn der Unabhängigkeitsära installiert, war nach zwei Jahren gescheitert. Die Verfassung von 1824, die ein System föderaler Staaten vorsah, wurde 1833 durch Santa Annas zentralistische Variante ersetzt, was in einigen Provinzen die Abspaltungstendenzen verstärkte. Zeitweise sagte sich Yucatán los, 1836 erklärte sich Texas für unabhängig. Ständige Unruhen und lokale Aufstände, insbesondere in den nördlichen Landesprovinzen, führten zu einer Art nationaler Dauerkrise. Mexikos Kampf um Unabhängigkeit hatte in der Nacht vom 15. auf den 16. September 1810 mit Hidalgos Grito de Independencia begonnen, dem Aufruf zur Unabhängigkeit. Genau 37 Jahre später, nämlich am 15. September 1847, hatten die Vereinigten Staaten die mexikanische Hauptstadt eingenommen. Zwar bezeichnete der mexikanische Historiker Justo Sierra im geschichtlichen Rückblick den mit der Kriegsniederlage verbundenen Landverlust als »absolute Demütigung«. Aber die Ansicht, es hätte damals um keinen Preis Land abgetreten werden dürfen, hielt er angesichts der Tatsache, dass Mexiko besetzt und besiegt war, für absurd. So könne nur reden, schrieb er, wer die damaligen anarchistischen Zustände ignoriere und die klaren Abspaltungsbestrebungen verdränge, die einige mexikanische Staaten verfolgten, und wer vergesse, wie schnell große Teile der Gesellschaft die nordamerikanische Vorherrschaft akzeptierten, weil sie des Chaos und der Zerstörung müde waren.49 Wenn Mexiko nach nur 25 Jahren Unabhängigkeit einen großen Krieg verloren habe, dann auch deshalb, weil die Mexikaner nicht fähig gewesen seien, Mexiko durch ein politisches System zu einen.50 Für Sierra war klar: »Wir haben uns von dem getrennt, was bereits verloren war: Kalifornien, Neu-Mexiko, Texas und dem jenseits des Rio Bravo gelegenen Teil von Tamaulipas. Der Vertrag ist schmerzlich, aber nicht schmählich.«51 Daraus, dass ein Teil des mexikanischen Territoriums verloren ging, zog Sierra den Schluss, dies sei nötig gewesen, um den Rest zu retten. Die Herausbildung einer nationalen Identität galt nun als Gebot der Stunde, und die Politik fing dort damit an, wo die Gefahr ihres Verlusts am größten war: in der Grenzregion.52 So wurden für den Bau repräsentativer Grenzstädte bestimmte Kriterien vorgegeben. Alles Englische wurde aus ihnen verbannt; Straßen erhielten ausschließlich spanische Namen. Und am Hauptplatz musste eine Kirche stehen, die den Katholizismus repräsentierte.

Die repatriierten Mexikaner bildeten in den neu gebauten mexikanischen Grenzstädten ein Viertel der Bevölkerung. Von den 54.000 Mexikanern zum Beispiel, die 1850 in New Mexico lebten, kehrten drei- bis fünftausend nach Mexiko zurück. So ist auch die Entstehung von Mesilla bei Las Cruces im heutigen New Mexico auf die Initiative einer Gruppe von Bürgern aus dem nah der mexikanischen Grenze gelegenen Doña Ana zurückzuführen. Sie hatten 1849 in der benachbarten mexikanischen Provinz Chihuahua ihre mexikanische Staatsbürgerschaft neu beantragt und sich auf der mexikanischen Seite der Grenze, wenige Kilometer von Las Cruces entfernt, niedergelassen. Schon ein Jahr später hatte der Ort zweitausend mexikanische Einwohner. In Mesillas unmittelbarer Umgebung entstanden noch weitere Siedlungen, die sich mit mexikanischen Heimkehrern füllten.53 William Carr Lane, Gouverneur von New Mexico, sah durch die von der mexikanischen Regierung geförderte Grenzbesiedelung die Sicherheit amerikanischer Bürger gefährdet.54 Er behauptete, Mesilla sei in Wahrheit schon vor langer Zeit von amerikanischen Händlern gegründet worden, die Mexikaner hätten sich die Geschichte von der Neugründung nur ausgedacht, und er drohte, Mesilla besetzen zu lassen, wenn es nicht an die USA ›zurückgegeben‹ werde. Erledigt wurde das Problem mit dem sogenannten Gadsden-Kauf.

Nach dem Ende des amerikanisch-mexikanischen Krieges hatte man die Probleme mit der Grenzziehung einer binational zusammengesetzten Kommission anvertraut. John Russell Bartlett, damaliger Leiter der US-amerikanischen Kommission, und sein mexikanischer Kollege Pedro Garcia Conde fanden denn auch für den Grenzverlauf auf dem Abschnitt zwischen Las Cruces und El Paso tatsächlich einen Kompromiss. Nötig geworden war er, weil aus dem Friedensvertrag nicht klar hervorging, wo die Grenzlinie in der Höhe von El Paso in westlicher Richtung weiter verlaufen sollte. Der Kompromiss bestand darin, die Grenzlinie 42 Meilen nördlich El Pasos vom Westufer des Rio Grande abgehen zu lassen.55 Dass damit das landwirtschaftlich fruchtbare, aber mineralienarme Mesilla-Tal, das südlich der 42-Meilen-Grenze lag, mexikanisch blieb, war für Bartlett kein großer Verlust, da die USA dafür die Bergregionen im Südwesten New Mexicos gewannen, die reich an Gold- und Kupfer-Vorkommen waren.56

Das Innenministerium zeigte sich mit der Lösung zunächst einverstanden. Erst als 1853 der texanische Vermessungsingenieur aus Bartletts Team den Kompromiss vor dem US-Kongress als Katastrophe für die Vereinigten Staaten anprangerte, der Süden sei damit seiner wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten beraubt worden, weil der Bau einer transkontinentalen Eisenbahnstrecke nicht mehr durch das Mesilla-Tal möglich war, kam es zum Eklat. Für die Südstaaten-Abgeordneten war der Kompromiss ein Täuschungsmanöver des mexikanischen Kommissionsleiters, auf den Bartlett hereingefallen wäre. Dieser musste die Leitung der Grenzziehungskommission an William A. Emory abgeben. Während aber der von der Ostküste stammende Bartlett ein gebildeter Mann der Wissenschaften war, der die Grenzziehungsarbeiten durch wissenschaftliche Begleitstudien ergänzt hatte, war der aus den Südstaaten stammende Emory ein kompromissloser Anhänger des amerikanischen Expansionismus.

Die Regierung in Washington verabschiedete sich nun wieder von der Idee, Grenzfragen gemeinsam mit Mexiko auf dem Verhandlungsweg zu klären, und entschied sich stattdessen erneut für die expansionistische Variante der Dollar-Diplomatie. Noch im gleichen Jahr wurden durch den Gadsden-Kauf 30.000 Quadratmeilen zusätzliches Land von Mexiko erworben. Die Transaktion wurde nach James Gadsden benannt, der, bevor er Botschafter in Mexiko-Stadt wurde, Präsident der South Carolina Railroad war, jener Gesellschaft, die die transkontinentale Eisenbahnstrecke vom Golf von Mexiko zum Pazifik bauen wollte. Nachdem der Eisenbahnlobbyist der mexikanischen Regierung den nächsten Grenzkrieg vor Augen geführt hatte, erklärte die sich zur Abtretung des geforderten Gebiets bereit, für das Mexiko im Gegenzug von den USA 10 Millionen Dollar erhielt. Durch den Gadsden-Kauf verschob sich die Grenzlinie noch einmal so weit in den Süden, dass sich das eben noch mexikanische Mesilla nun über sechzig Kilometer tief im Landesinneren der Vereinigten Staaten wiederfand.

Mit der Niederlage 1848 begannen für die in den Vereinigten Staaten ansässige mexikanischstämmige Bevölkerung Jahrzehnte schlimmster Diskriminierung. Eine kleine, weiße, mexikanische Elite tat sich mit der Anpassung leichter, aber dunkelhäutigere mexikanischstämmige Amerikaner mit indianischen Gesichtszügen wurden von nun an immer wieder daran erinnert, dass sie anders waren.57 Und sie hatten mit ihrem Grund und Boden auch jeglichen politischen Einfluss verloren. Südkalifornien war eine Ausnahme. Hier besaßen die mexikanischstämmigen Amerikaner zahlenmäßig bis 1880 gegenüber den Angelsachsen noch Gewicht. Los Angeles hatte in den 1850er Jahren in Antonio Coronel sogar einen mexikanischstämmigen Bürgermeister. Auch in Santa Barbara behielten die mexamericans ihren Einfluss. Mit dem Beginn des Eisenbahnzeitalters aber kehrten sich schließlich auch hier die demographischen Verhältnisse um. Seit 1876 war Los Angeles durch eine Bahnstrecke mit dem Osten der Vereinigten Staaten verbunden, ab 1887 auch San Diego, was in beiden Städten zu einer Zuwanderung von yanquis in bisher nicht gekanntem Ausmaß führte. Ab 1890 spielten mexamericans in Politik und Gesellschaft keine Rolle mehr.58

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