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Krieg und Vorsehung 1846–1848

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»Wer kennt sie nicht – die widerliche Geschichte dieser nutzlosen, brutalen Massenmorde, die nur dem Zweck dienten, den feigen Hunger einer bösartigen Nation zu stillen« – so floss es aus der Feder Walt Whitmans.19 Der leyenda negra, der mit der Eroberung der lateinamerikanischen Kolonien entstandenen schwarzen Legende zufolge waren Spanier brutale, fanatische und menschenverachtende Bestien. Dieses Geschichtsbild übertrug der amerikanische Dichter auf das Mexiko seiner Zeit. Dort herrsche die gleiche Finsternis wie in der Alten Welt, wo die europäischen Herrscher nach der französischen Revolution 1789 die Uhren wieder zurückgedreht hatten. Entsprechend begann Amerika in der eigenen Emanzipationsgeschichte eine Mission zu sehen. Der Zeitungsgrün der und Journalist John L. O’Sullivan prägte dafür Mitte der 1840er Jahre das Schlagwort von der manifest destiny, mit dem die Expansion der USA als ein Werk der Vorsehung idealisiert wurde. Whitman teilte mit O’Sullivan die Überzeugung, dass eine Expansion Amerikas zum Besten der Welt geschah, »insofern das Land und seine Regierungen den Menschen die Fesseln entfernen, die sie an der Möglichkeit hindern, gleichermaßen glücklich und gut zu sein – denn die meisten Regierungen heute sind so konstruiert, dass die Tendenz meist in die andere Richtung geht.«20

Die amerikanischen Präsidenten waren dem Grundsatz treu geblieben, die weitere Ausdehnung der Vereinigten Staaten unter kaufmännischen Gesichtspunkten zu verfolgen. 1845 aber kam mit James K. Polk zum ersten Mal in den USA ein Politiker an die Macht, der die Expansion nach Westen auch militärisch durchsetzen wollte. Mit der Begründung, Mexiko habe sich immer wieder in die inneren Angelegenheiten von Texas eingemischt, wurde im Jahr von Polks Amtsantritt die Annexion der Republik Texas beschlossen. Der Kongress hatte schon im Februar dem Beitritt zugestimmt. Zwar warnte Mexiko noch einmal, dass es einen solchen Übergriff nicht tatenlos hinnehmen würde. Doch die öffentliche Meinung in den USA war auf Seiten der Texaner. Texas hätte sich seine Unabhängigkeit rechtmäßig unter großen Opfern erkämpft. Das sei ein wahrhaftigeres Recht als ein von Spanien ererbter Titel, schrieb O’Sullivan im Sommer 1845 in der Democratic Review, deren Herausgeber er war. Texas, fuhr er fort, fiele unter die geheiligte Bestimmung Amerikas. Denn das Land erlebe ständig Einmischungen, mit dem erklärten Zweck, »die Erfüllung unserer offensichtlichen Bestimmung zu behindern, die uns von der göttlichen Vorsehung zugeteilt wurde: die Bestimmung, den ganzen Kontinent zu umspannen, damit Millionen sich frei entwickeln können.«21

O’Sullivan beschrieb die bevorstehende Eroberung als Teil eines göttlichen Plans. In der Democratic Review tönte er: »Wir sind überzeugt, dass Mexiko dazu bestimmt ist, in Zukunft ein integraler Bestandteil dieser Vereinigten Staaten zu werden.«22Als friedliche Mission im Dienste gutnachbarschaftlicher Beziehungen wurde auf amerikanischer Seite die Reise des demokratischen Gesandten John Slidell in die mexikanische Hauptstadt dargestellt. Immerhin stellte Slidell keine Forderungen an Mexiko, sondern machte dem Land ein 50 Millionen-Dollar-Angebot. Dass es in dem Moment unterbreitet wurde, in dem Texas den Vereinigten Staaten beitrat, empfand Mexikos Regierung als Affront. Denn die 50 Millionen waren der Preis, den die USA ihnen für Kalifornien boten. Die mexikanische Regierung weigerte sich, Slidell zu empfangen. Daraufhin ließ Polk die Regimenter, die sich bereits an der Südgrenze von Texas am Nueces River in Corpus Christi befanden, ans nördliche Ufer des Rio Grande verlegen, 160 Kilometer landeinwärts auf mexikanisches Territorium.

Selbst der Kongress in Washington war irritiert. Wollte Polk die Abtretung Kaliforniens erzwingen?23 In einem Punkt allerdings waren sich alle einig: Mexiko würde keinen Krieg mit den USA riskieren. Seit seiner Unabhängigkeit hatte das Land mit innenpolitischen Problemen zu kämpfen. Beinahe jährlich wechselten die Staatspräsidenten, und nur einer hatte in vierundzwanzig Jahren Unabhängigkeit die volle Amtszeit durchgehalten. Kein Regierungschef ließe sich unter diesen Umständen auf einen Krieg mit den Vereinigten Staaten ein. Griffe Mexiko aber nicht an, bestünde auch keine Kriegsgefahr, denn die USA waren kein Aggressor. Doch dann standen sich im März 1846 am Rio Grande plötzlich auf jeder Seite 6000 Soldaten gegenüber. Amerikaner – so wiederholte es die Times in diesen entscheidenden Tagen – Amerikaner würden nie einen Angriffskrieg gegen Mexiko führen.24 Polk hatte sich längst Gedanken gemacht, wie sich der Kongress von der Rechtmäßigkeit dieses Krieges doch noch überzeugen ließe. Ohne dessen Zustimmung nämlich konnte er keinen Krieg erklären. Dann jedoch machte Mexiko diese Zustimmung überflüssig und eröffnete das Feuer. »Es herrscht Krieg«, informierte Polk den Kongress jetzt nur noch über seinen nächsten Schritt. Denn: »Mexikaner haben auf amerikanischem Boden amerikanisches Blut vergossen.«

Die beiden früheren Präsidenten John Quincy Adams und Andrew Jackson widersprachen sofort. Amerikanische Truppen am Rio Grande befänden sich auf mexikanischem Boden. Zwar gehörten beide zu den vehementesten Vertretern des Expansions-Gedankens, aber nicht um den Preis eines unrechtmäßigen Krieges.25 Selbst Stephen Austin widersprach dem Präsidenten. Doch das Blutvergießen am Rio Grande hatte längst angefangen. Selbst diejenigen Kongressabgeordneten, die eine militärische Expansion ablehnten, wollten den Truppen nicht die Unterstützung verweigern und stimmten der Mobilisierung von 50.000 Freiwilligen sowie Kriegsgeldern in Höhe von 10 Millionen Dollar zu.26 Von all den Autoren, die in O’Sullivans Democratic Review publizierten, lehnte nur Henry David Thoreau den Krieg mit Mexiko kategorisch ab. Eine Regierung, so schrieb er, sei die Form, die das Volk gewählt hätte, um seinen Willen auszuführen. Aber genau wie die Armee sei sie anfällig dafür, missbraucht und zweckentfremdet zu werden. Ein Zeugnis dafür sei der gegenwärtige Krieg gegen Mexiko, in dem, so Thoreau, einige wenige die Regierung als ihr Werkzeug benutzen, denn zu Beginn des Krieges hätte das Volk diesem Krieg nicht zugestimmt.27 Walt Whitman fand zwar auch, die göttliche Vorsehung solle sich idealerweise auf demokratischem Weg erfüllen, er war jedoch, anders als Thoreau, bereit, der eigenen Regierung zu vertrauen.

Unter den Daguerreotypien, die vom mexikanisch-amerikanischen Krieg erhalten geblieben sind, befindet sich eine Aufnahme von Abner Doubleday, dem General, der später dafür berühmt werden sollte, im amerikanischen Bürgerkrieg den ersten Schuss der Union abgefeuert zu haben. Auf dem Foto sieht man ihn umgeben von einer Gruppe mexikanischer Zivilisten. Seine Kompanie war während des Kriegs fünfzehn Monate im nordmexikanischen Saltillo, Provinz Coahuila, stationiert. In seinem Tagebuch notierte Doubleday: »Das ist das Leben, das ich immer führen wollte: mich unter mexikanische rancheros mischen und mehr über die Art wie sie leben lernen.«28 Die Mexikaner, die auf dem Bild zu sehen waren, mussten, so das in der Öffentlichkeit verbreitete Bild, glücklich und dankbar sein, dass ihnen solch anständige Männer den Segen der Befreiung brachten.

Zu Beginn wurde noch zwischen der mexikanischen Regierung und der mexikanischen Bevölkerung unterschieden. Das änderte sich aber, je länger der Krieg dauerte. Whitman zum Beispiel, der zwischen 1846 und 1848 in den Leitartikeln des Brooklyn Daily Eagle den Krieg kommentierte, stellte am 7. Juli 1846 die Frage: »Was hat dieses elende, untüchtige Mexiko mit seinem Aberglauben und seiner Parodie von Freiheit, die in Wirklichkeit Tyrannei ist …, was hat es mit der großen Mission zu tun, die Neue Welt mit einer edlen Rasse zu bevölkern?«29 Auch in den Texten anderer Kommentatoren zeigt sich deutlich die in der manifest destiny angelegte rassistische Komponente. »Der Prozess, der im Norden zur Zurückdrängung der Indianer oder zu ihrer Vernichtung als Rasse geführt hat, muss nun auch im Süden durchgeführt werden«, war in der Democratic Review zu lesen. Vor dem Krieg hatte O’Sullivan noch davon geträumt, mexikanische Schwesterrepubliken zu errichten, wenn die Mexikaner erst einmal an die Pflichten der Selbst-Regierung herangeführt worden wären.30 Gegen Ende des Krieges wurde das Ideal der Erneuerung, der Kerngedanke der manifest destiny, nicht mehr auf die Mexikaner bezogen, sondern nur noch auf ihr Land. »Heiliges Land, von unheiligen Händen erlöst und dem Nutzen eines Volkes übergeben, das Gottes Geheiß zu gehorchen weiß« – schrieb die Times.31 Die New York Evening Post fragte: »Gibt es irgendjemanden, den der Gedanke kalt lässt, dass wir unsere Truppen aus Mexiko, dem Territorium, das wir gerade besetzt halten, wieder abziehen und das wunderschöne Land auf diese Weise – nur durch den Federstrich irgendeines Sekretärs – der Obhut der ignoranten Feiglinge und verschwendungssüchtigen Grobiane überlassen, die es in den vergangenen 25 Jahren regiert haben?«32

Nur die Regierung in Washington übte sich in Zurückhaltung, nachdem Mexiko 1847 besiegt und die Annexion seines gesamten Staatsgebiets möglich schien. Denn wer All Mexico forderte, musste zugleich erklären, wer von den Millionen Mexikanern in den Genuss der Bürgerrechte kommen sollte.33 Das amerikanische Freiheits- und Gleichheitsversprechen war nur weißen Angelsachsen vorbehalten. Doch Mexiko bestand aus Mestizen, Indianern, Schwarzen, Samboes und Mulatten; nur eine kleine Minderheit war weiß. Ständige Aufstände und Unruhen waren zu befürchten, sollte der Kongress wie zu erwarten den Antrag der mexikanischen Territorien auf eigene Verfassung und auf föderale Selbstverwaltung ablehnen.34 Deshalb beschränkte sich die US-Regierung darauf, nur die dünn besiedelten Regionen im Norden zu fordern. So verlor Mexiko mit der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Guadalupe Hidalgo am 2. Februar 1848 die Hälfte seines gesamten Staatsgebiets. Neben Texas wurden die heutigen Bundesstaaten New Mexico, Arizona, Kalifornien, Utah, Nevada sowie Teile Colorados an die Vereinigten Staaten abgetreten. Offiziell wurde ihnen das Gebiet von den Vereinigten Staaten abgekauft. Eine Summe von 15 Millionen Dollar fand im Friedensvertrag Erwähnung. Die radikale Fraktion der Annexionisten hielt ihn deshalb für einen schlechten Deal und den Abzug der amerikanischen Truppen für das Eingeständnis des Scheiterns der amerikanischen Expansionspolitik.

Daneben gab es im Kongress aber auch Stimmen, die dem mexikanischen Krieg von Anfang an jede Legitimität abgesprochen hatten. Die Vertreter der US-amerikanischen Whig-Partei, die sich wie ihre britische Entsprechung als Gegenströmung zu zentralistischen Tendenzen verstand, hatten in den zurückliegenden Kriegsjahren immer wieder darauf hingewiesen, dass dieser Krieg ein Eroberungskrieg sei, der sich nicht mit dem friedlichen Charakter des in der Verfassung enthaltenen Freiheitsauftrags vereinbaren ließ. Ferner hielten sie die Behauptung des Präsidenten vom Mai 1846, dass am Rio Grande die mexikanische Armee auf amerikanisches Territorium vorgedrungen sei, für eine Irreführung der Öffentlichkeit durch bewusste Tatsachenverdrehung. Abraham Lincoln, der erst seit kurzem für die Whigs im Repräsentantenhaus saß, reichte immer wieder Resolutionen ein, in denen er vom Präsidenten Auskunft darüber verlangte, was diesen im Mai 1846 zu der Annahme bewogen hätte, die Stelle, an der amerikanisches Blut geflossen war, befände sich auf amerikanischem Territorium. Lincoln zufolge konnte Polk diese Frage unmöglich beantworten, denn der Boden, auf dem das Blut amerikanischer Bürger geflossen sei, gehöre nicht den Vereinigten Staaten und der Kongress habe zu diesem Zeitpunkt auch keiner Annektierung zugestimmt.35 Dass sich die Vereinigten Staaten im Friedensvertrag zur Zahlung von 15 Millionen Dollar für die übertragenen Gebiete verpflichtet hatten, mache die Tatsache nicht rückgängig – die Vereinigten Staaten seien der Aggressor in einem unnötigen Krieg. Lincolns Argumente überzeugten die Öffentlichkeit nicht. Denn mit der Aussage, die Mexikaner hätten den Krieg eröffnet, hatte ihr Präsident schließlich nicht gelogen. Der erste Schuss war vom südlichen Ufer des Rio Grande gekommen.

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