Читать книгу der dämon und die lethargie - Jeanette Y. Hornschuh - Страница 10
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Irgendetwas hat sich geändert - sein Verhalten mir gegenüber ist anders als gestern. Ja, er nimmt mich noch als Bedrohung wahr… Er wäre bescheuert, wenn nicht. Aber das scheint ihn… weniger zu kümmern? Klar, ich habe mich nicht in den Kampf mit dem krächzenden Unsterblichen eingemischt - aber nur, weil ich meine Kräfte schonen wollte. Klar, habe ich ihn in der Nacht nicht angegriffen obgleich er verwundet war, geschlafen hat und darüber hinaus auch noch diese lächerliche Gestalt als Wache fungierte, die sicherlich einen schwächeren Gegner abgegeben hätte als ein Waschbär - aber nur, weil ich dann einen Kampf gegen das Frettchen hätte austragen müssen und die letzten Stunden davor schon öde genug waren…
Levian reißt mich aus meinem Gedankengang: „Wir überqueren gleich die Grenze zu Aarons Gebiet.“ Der Waldweg ergießt sich nun in eine weite, hügelige Weide. Ein Blick in die Ferne zeigt eine weitläufige Aneinanderreihung von Hügeln und Tälern, die vereinzelt noch von Laubbäumen umrahmt werden. Auf den Wiesen kann man langsam die ersten Blumen erahnen, die bunten Tupfen stechen zaghaft zwischen dem satten Grün hervor. Der Weg schlängelt sich zwischen den Hügeln hindurch. Vor dem blauen Horizont hebt sich eine Stadt ab. Da diese jedoch vermutlich unter Aarons Schutz steht, werden wir wohl nicht in den Genuss kommen, sie genauer zu erkunden. Genauer gesagt ist es eher zu erwarten, dass Aaron uns als erfahrener Jäger bald entgegenkommen wird. Die Jägergabe verrät ihm, dass sich nun ein Unsterblicher in seinem Gebiet befindet… Ernst schaue ich in die blauen Augen, die stets auf mich gerichtet sind: „Was glaubst du, wie Aaron reagieren wird, wenn er auf mich stößt?“
„…“
Ja, dies bedarf keiner Antwort, es ist vorhersehbar…
Langsam laufen wir den Weg entlang und warten darauf, dass sich der für dieses Gebiet zuständige Jäger zeigt. Ich falte die Hände hinter meinem Rücken zusammen: „Ich hatte wohl recht, was meine Einschätzung betraf: Gnade ist euch Jägern vollkommen fremd. Sowohl uns als auch euch selbst gegenüber.“
Levian atmet langsam aus und antwortet ehrlich: „Willst du denn tatsächlich den Rest deines… deiner Existenz an einen Jäger gekettet sein? Und ist es nicht nachvollziehbar, dass ich als Jäger versuche, einen Weg zu finden, meine Gabe wiederzuerlangen?“
Ist es das? „Was ist die Alternative - der Tod?“ frage ich.
Levian starrt zu Boden: „Deine Existenz ist doch nicht…“
„Aber das meinte ich auch nicht.“, unterbreche ich ihn, „Jedenfalls nicht nur… Es ist mir klar, wie du darüber denkst.“ Erstaunt blickt er auf.
„Ich rede nicht davon, dass die Suche nach einer Lösung des Problems meinen Tod zum Ziel hat…“
Seine Stirn liegt in Falten, das Gesicht verkrampft. Ungeachtet dessen führe ich weiter aus: „…Ich rede vielmehr davon, welches Risiko du mit der Reise zu Aaron eingehst.“
„Ich verstehe nicht…“
„Na dann frag dich doch einmal, wie Aaron auf DICH reagieren wird, wenn du einen ,Dämon‘ in sein Gebiet bringst.“
Mein Blick wandert zum Horizont. Die Sonne hat den Zenit schon überschritten. Die Stadt liegt immer noch weit entfernt. Levian erwidert: „Ich werde es ihm erklären…“
„Wirst du die Zeit dazu haben?“
„Das weiß ich nicht.“
„Wird er dir zuhören?“ will ich wissen.
Keine Antwort.
„Wird er dir glauben?“
„Grrrrrrrr, was ist die Alternative?!“, wiederholt er meine Frage, „Sag du es mir! Sollen wir umkehren und alles schön so belassen, wie es ist?!“ Seine Stimme geht in wütendes Geschrei über.
Ich könnte es aussprechen, aber es hat keinen Sinn. Sie sind so pflichtversessen… Eine andere Möglichkeit als die, mich auszulöschen, würde ein Jäger nicht zulassen. Selbst wenn es auch ihn in Gefahr bringt.
„Warum habe ich überhaupt erwartet, eine andere Antwort zu hören?“ schreie ich zurück. Weil er sich heute nicht mehr ganz so feindselig gibt? Wie naiv ich doch bin.
Mir bleibt keine Zeit mehr, mich dieser Frage zu widmen, denn in diesem Moment sehe ich ein kristallumschwungenes Messer auf mich zufliegen. Blitzschnell ducke ich mich noch - das wäre jedoch nicht nötig gewesen. Levians Waffe hat das Messer bereits abgewehrt. Er hat gewohnt schnell reagiert. Nur das, was er damit erreicht hat… Erschrocken schauen wir einander an: dieses fremde Messer war auf mich zugeflogen, ihn hätte es nicht getroffen… Trotzdem wehrte er es ab… Was stimmt mit dem blonden Jäger nicht?!
Diese Waffe gehört vermutlich Aaron, dies war sozusagen sein persönliches ‚Willkommen!‘. Der alte Jäger selbst ist nicht zu sehen. Levian ruft dennoch: „Aaron, ich habe Verständnis dafür, dass du uns als Bedrohung einschätzt. Aber lass mich dir das erklären. Seit dem Kampf mit diesem Dämon scheint mein Bann an ihn gekettet zu sein. Er lässt sich nicht lösen und führt dazu, dass ich den Schmerz des Dämons spüre. Bitte, greife vorerst nicht mehr an! Ich versichere dir, dass ich den Dämon mithilfe des Banns unter Kontrolle halten werde!“
Schon wieder. Das hatte er auch schon Mael und Traian berichtet. Jetzt im Moment ist es wohl besser, meinen Mund zu halten. Also konzentriere ich mich auf den alten Jäger. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er sich in der kleinen Gruppe von Buchen versteckt, die keine vierzig Schritte vom Weg entfernt auf einem flachen Hügel stehen. Lange Zeit sagt niemand etwas. Dann erscheint der Jäger namens Aaron zwischen den Bäumen. Seine stahlblauen Augen sind auf Levian gerichtet, als er uns entgegenkommt. In sicherer Entfernung bleibt er stehen und raunt: „Um dein Verständnis habe ich nicht gebeten. Was genau erwartest du von mir?“
Aarons Körpersprache wirkt ähnlich selbstbewusst und einschüchternd wie die von Mael. Levian meidet den Blickkontakt und antwortet kleinlaut: „Ich dachte, dass du…“ „Was?“ unterbricht ihn Aaron ungeduldig. Die alten Jäger scheinen sehr auf diese Autoritätsmasche abzufahren… Was gibt ihnen das? Können sie sich jungen Jägern nur so überlegen fühlen? Oder ist es die allzeit drohende Lebensgefahr, die sie so hart macht?
„…Ich dachte, du hättest eventuell schon einmal von einem solchen Fall gehört…“
„Tse, natürlich nicht!“ Dabei wirkt dieser Aaron doch so überaus hilfsbereit… Gedanklich notiere ich mir, dass ich Levian später noch ein süffisantes ‚Ich hab’s dir doch gesagt!‘ schulde.
„…Gut. Könnte ich die Nacht wenigstens bei dir verbringen? Ich brauche dringend etwas Schlaf, das geht aber nur, wenn jemand den Dämon bewacht…“
Levians Not ist wirklich groß, sonst hätte er trotz der deutlich spürbaren Sympathie nicht noch um diesen Gefallen gebeten. Er ist verwundet, sein Zuhause ist mehrere Tagesreisen entfernt.
Aaron zieht schweigend die faltigen Augen zusammen…