Читать книгу der dämon und die lethargie - Jeanette Y. Hornschuh - Страница 9
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Jemand summt eine mir unbekannte Melodie.
Bin ich tatsächlich zu selbsteingenommen? Liegt es daran, dass mich seine Reaktionen so unerwartet treffen?
Der Jäger hatte mich so lange dem Bann ausgesetzt, bis ich das Bewusstsein verlor. Seit ich erwacht bin, liege ich reglos am Boden, die Augen immer noch geschlossen, und versuche eine Antwort darauf zu finden, warum ich mich nicht selbst aus meiner Lage zu befreien vermag. Ich weiß nur zu gut, dass ich fast schon genüsslich im puren Selbstmitleid bade. Dazu neige ich sonst gar nicht. Aber jetzt gerade hilft es mir, mich abzulenken - von den Stimmen, die über mich reden. Als ich ohnmächtig war, sind anscheinend weitere Jäger aufgetaucht. Soweit ich mitbekommen habe, handelt es sich um Mael, anscheinend so etwas wie der Lehrmeister des blonden Jägers. Begleitet wird er von Traian, einem Jäger in Ausbildung. Unter der einem Jäger eigenen Arroganz mischt sich in Traians Stimme eine Spur Kindlichkeit. Es klingt so, als wäre er ein weitaus weniger ernster Zeitgenosse als der blonde Jäger. Ich versuche mich erneut auf meinen Gedankengang zu konzentrieren - erfolglos.
„Mael, hast du denn noch nie von so einem Fall gehört?“ fragt der blonde Jäger nun.
Sein Mentor schweigt eine Weile - anscheinend noch nicht. Ich selbst ja auch noch nie. Ein Bann, der einen Unsterblichen nicht auszulöschen vermag… Die einzige Option, die ich bisher zur Lösung des Problems sehe, ist, dass einer von uns stirbt…
Maels Stimme klingt kalt und autoritär. Als er antwortet, hören die beiden jungen Jäger still zu: „Der Dämon scheint sehr alt zu sein, entsprechend stark schätze ich ihn ein. Aber das kann keinen Einfluss auf die Wirksamkeit des Banns haben. Er erlöst alle Dämonen gleichermaßen.“
Jemand nähert sich mir… Dicht über mir höre ich nun die Stimme von Traian. Er lacht: „Wirklich? Sooo stark sieht der Dämon aber gar nicht aus…“
Ich öffne schlagartig meine Augen - Traian, der sich über mich gelehnt hatte, weicht nun erschrocken zurück. Ein leichtes Zucken durchzieht meinen linken Mundwinkel. Dann setze ich mich auf und blicke zum blonden Jäger herüber. Der Bursche sitzt an einem Baum gelehnt auf der Erde. Jemand scheint seine Wunde gesäubert und verbunden zu haben. Hastig weicht er meinem Blick aus. Er wirkt verändert - ist die Anwesenheit seines Lehrmeisters der Grund dafür? Ich vermag es beim besten Willen nicht zu sagen.
Als ich nun den Mentor genauer betrachte, fällt mir ins Auge, dass seine Jäger-Male sowohl den linken als auch rechten Arm zieren. So etwas habe ich bisher noch nicht gesehen. Bis auf diese eine Sache gibt es jedoch ganz und gar nichts Besonderes an ihm. Seine Erscheinung und Körpersprache spiegelt das wider, was Stimmlage und Wortwahl bereits angekündigt haben. Einem strengen Vater gleich steht er vor dem blonden Jäger, die Arme überkreuzt, einen prüfenden Blick aufgesetzt. Die kurzen grauen Haare ziehen sich bereits etwas an den Schläfen zurück, die Augen sind von einer eher hellblauen Nuance. Ansonsten wirkt sein Körperbau recht sportlich, so wie bei fast allen Jägern. Sein Schüler Traian bildet einen seltsamen Kontrast hierzu. Seine großen blaugrünen Augen wirken wie die eines Frettchens, das nur Unfug im Kopf hat. Die Anordnung seiner etwas längeren karamellbraunen Haarsträhnen erweckt den Eindruck, als wäre er gerade erst aus dem Bett gekrochen. Wenn man jedoch genauer hinschaut, erkennt man, dass diese eher so arrangiert wurden, um diesen morgendlichen Look entstehen zu lassen. Auch die Klamotten wirken im Gegensatz zu den über Jahre hinweg abgetragenen Sachen des blonden Jägers gerade erst einer Boutique entsprungen. Der grünäugige Jäger trägt eine mittelgraue lange Hose, dazu ein senfgelbes Oberteil. Die Kleiderwahl erscheint mir seltsam unpraktisch für einen Jäger…
Traian scheint bemerkt zu haben, dass ich ihn beobachte. Gehässig schaut er - aus der sicheren Entfernung - zu mir herüber und meint nun zum blonden Burschen: „Wenn dein Bann nicht ausreicht, warum hast du es denn noch nicht auf die altmodische Art erledigt?“ Er zückt ein mit blaugrünem Kristall umzogenes Messer… Ich rühre mich nicht. Er stellt keine Gefahr für mich dar. Seine Bewegungen verraten es - ihm fehlt es an Technik, Erfahrung, Schnelligkeit… Dem blonden Jäger könnte er nicht im Geringsten das Wasser reichen. Deshalb hat Traian vermutlich auch noch kein eigenes Gebiet zugewiesen bekommen, obgleich er ungefähr im selben Alter ist wie der Bursche, an den ich gekettet bin. Das Einzige, was sich bewegt, sind meine Gesichtsmuskeln. Man kann ihnen leicht ablesen, welcher Gedanke mir bei dieser Drohung sofort durch den Kopf schießt: bitte, bitte, bitte versuche mich anzugreifen! Hach, es wäre eine helle Freude, ihm die feinen Sachen zu zerfetzen! Und dann noch etwas mehr… Mein breites Grinsen vergeht mir jedoch wieder, als der blonde Jäger zu mir schaut und zu einer unerklärlichen Antwort ansetzt: „Ich habe es doch versucht! Ich habe es… versucht… Aber es geht nicht… ich…“, er schaut zu Boden, hadert mit sich selbst, „…spüre den Schmerz… Wenn der Dämon verwundet wird, spüre ich ihn genauso als würde ich die Wunde tragen… Ich habe…“, seine Stimme zittert, während sie in ein Flüstern übergeht, “…Angst… Angst mich zu verlieren…“
…
In meinem tiefsten Inneren hallen diese Worte wider, immer wieder… Doch egal wie oft sie dies tun, sie ergeben für mich keinen Sinn.
Ich schweige nachdenklich.
…
Nach einer Weile durchbricht der Mentor die unangenehme Stille: „Sobald du dich erholt hast, suchst du Aaron auf. Er ist ein erfahrener Jäger, der schon einige Gebiete bereist hat. Vielleicht hat er schon einmal von einem ähnlichen Fall gehört.“
Der blonde Jäger und Traian erwidern nichts. Sie wirken skeptisch, oder bilde ich mir das ein?
Mael fährt ungeachtet dessen fort: „Traian, du bleibst diese Nacht hier und bewachst den Dämon.“
„Juhaaa…“ gibt Traian wenig begeistert zurück.
In Gedanken versunken blickt der blonde Bursche zu Boden. Sein alter Mentor sieht ein paar Sekunden zu ihm herunter, dann klopft er ihm kurz auf die rechte Schulter: „Ich kann meine Stadt nicht lange unbeaufsichtigt lassen. Es wird reichen, wenn Traian bleibt. Ruh dich aus und schreite voran.“
Der blonde Jäger nickt schweigend, den Blick weiterhin gesenkt. Klar, dass er seinem Lehrmeister nicht mehr in die Augen schauen kann…
Mael geht, die beiden jungen Jäger schauen ihm hinterher und wieder hat keiner den Namen des blonden Jägers genannt…
Sobald sein Kopf den Boden berührte, war der blonde Bursche schon fest eingeschlafen - es grenzt fast an ein Wunder, dass er überhaupt so lange durchgehalten hat. Traian hatte vorher noch genug Holz für ein Lagerfeuer sammeln können. Knisternd fliegen kleine Funken in die klare Nachtluft. Ich sitze in einiger Entfernung zu den beiden Jägern und versuche den Tag Revue passieren zu lassen, um eine neue Strategie aus meinem Scheitern ableiten zu können. Dies scheitert jedoch selbst kläglich - meine Gedanken rasen dahin, ohne einen sinnvollen Zusammenhang bilden zu können. Stattdessen führen sie mich immer wieder zum blonden Jäger zurück. Der blonde Jäger… Es ist das erste Mal, dass ich ihn tatsächlich schlafen sehe. Nun, das ist nicht wirklich überraschend, denn wir kennen uns ja erst seit zwei Tagen… Und doch erscheint es mir wie ein besonderer Moment. Seine sonst so kritischen Augen liegen sanft unter den entspannten Brauen, der Mund steht leicht offen, auf dem nun fast kindlich wirkenden Gesicht tanzt das grellorangene Licht des Lagerfeuers. Die Hitze wärmt ihn, malt seine Wangen rot. Das alles lässt ihn irgendwie… umgänglich erscheinen… Arg, blödes Jägerpack! Plötzlich realisiere ich, dass ich beobachtet werde: mit einer Mischung aus Neugier, aber auch Skepsis, durchbohrt mich das Kindermädchen von der gegenüberliegenden Seite des Lagerfeuers mit seinen Blicken. Gekonnt überspiele ich die Tatsache, dass ich mich gerade ziemlich ertappt fühle: „Mh…h…… ah…als…also also du bist so etwas wie der niedere Laufbursche für den Greis? Traian ist dein Name, nicht wahr? Die Nacht ist lang, lass uns doch ein bisschen plaudern.“
„Da habe ich keinen Bedarf, Teufelsbrut!“
„Du darfst mich Eve nennen.“
„Pah, Deinesgleichen verdient keinen Namen!“ zischt Traian.
„Und sonst so?“ frage ich.
„Stirb endlich.“
„Ha, ha, ha, ha, ha, das gebe ich gerne zurück!“
Auf höfliche Gesprächseinleitungen scheinen Jäger wohl generell allergisch zu reagieren. Traian hebt einen dünnen Stock auf und spielt damit im Feuer herum, so, als würde er mich nun vollkommen ignorieren. Einen Preis wird er für seine schauspielerischen Ambitionen wohl nie gewinnen.
„Kinder sollten nicht mit dem Feuer spielen. Was Papi wohl dazu sagt?“
„…“
Ich kann sehen, wie der Ärger in ihm anschwillt.
Ein gespieltes Gähnen ausstoßend höhne ich: „Versuche nicht einen auf einsamen schweigenden Jäger zu machen. Diese Rolle füllt bereits der blonde Schwächling neben dir voll und ganz aus.“
„Argggg! Halt endlich den Mund! Levian ist schon eine ganze Weile auf sich allein gestellt und kommt gut zurecht! Er schafft es schon noch, dich endgültig zu erlösen, da bin ich mir vollkommen sicher!“
Meine Augen weiten sich. Ich lehne mich konzentriert nach vorn, mein ganzer Körper spannt sich an, als ich fordere: „Wiederhole das.“
„Was ist…?!“ fragt Traian verwirrt.
„Wie-der-hole das, was du über den blonden Schwächling sagtest.“ befehle ich.
„Grrr! Nenn Levian gefälligst keinen Schwächling, du wandelnde Leiche!“
Levian.
Mit großen Augen starre ich Traian an. Etwas verwirrt glotzt er zu mir herüber und wartet, dass ich noch etwas erwidere oder tue… Als er merkt, dass das nicht nötig ist, widmet er sich wieder dem Feuer. Nach einer ganzen Weile beginnt er, gedankenverloren vor sich hinzusummen. Den Rest der Nacht wechsle ich kein Wort mehr mit ihm.
Langsam erhebt sich die rote Sonne, taucht alles in ein Meer aus buntschillernden Farben. Mich interessiert nur das Rot - ich denke an den Früchtetee, den ich vor drei Tagen getrunken habe… Levians Schlaf wird stetig unruhiger, bis er schließlich die Augen öffnet. Es ist als hätte seine innere Uhr eine Fehlfunktion, die ihn unerklärlicherweise stets kurz nach Morgengrauen aus der Ruhephase herauszuholen scheint. Wenn ich so lange schlafen könnte wie ein Mensch, würde ich es gewiss anders halten.
„Guten Morgen, der Herr…“ begrüßt ihn Traian. Im Verlauf der Nacht stieg sein Missmut darüber, dass ihm der Wachposten zugeteilt worden war. Dies hatte er ab und an durch Seufzen oder feindselige Blicke zum Ausdruck gebracht. Es interessierte mich nicht mehr sonderlich. Ich bin dazu übergegangen, das Frettchen zu ignorieren. Wenn jemand zu schnell auf meine Spitzen anspringt, verliere ich den Spaß.
„Mh.“ antwortet der wortkarge Jäger.
„Guten Morgen, L-e-v-i-a-n.“ grinse ich, wobei ich jeden einzelnen Buchstaben genüsslich betone. Verschlafen schaut der blonde Bursche zu mir herüber, dreht sich jedoch nach einer kurzen Weile ohne weitere Reaktion wieder Traian zu. Ich grinse breit.
Levian scheint es etwas besser zu gehen. Die Bann-Hand kann er zumindest schon wieder halbwegs bewegen. Schmerzen hat er dabei sicherlich dennoch, auch wenn er sich das nicht anmerken lässt. Während Traian den Proviant für Levian und ihn auspackt, ist er sich nicht zu schade, zu berichten: „Keinen Moment Ruhe konnte ich mir gönnen, musste ständig auf der Hut sein. Die ganze Nacht hindurch hat dich dein dämonisches Anhängsel beobachtet. Es war irgendwie schräg.“
Beide schauen schweigend zu mir herüber.
Wütend wende ich mich ab und schnaufe: „Pah, bilde dir bloß nichts darauf ein! Hätte dein eingebildeter, schwächlicher, egozentrischer und darüber hinaus noch unterdurchschnitt-“
„Er hört nicht mehr zu, geht zum Fluss. Deinem Geplapper kann auch keiner lange lauschen.“ nörgelt Traian.
„Ha, ha, ha, und das höre ich von jemandem, der sich durch mein ,Geplapper‘, wie du so schön sagst, dazu hinleiten lässt, mir persönliche Informationen über meinen größten Feind preiszugeben?“
„Nh…ah?! Das… das…“ Traians Gesicht läuft rot an.
„Das wird langsam ziemlich ermüdend.“ Ich gähne demonstrativ und drehe mich ein Stück in Richtung Fluss. Levian steht ein paar Schritte entfernt. Sein Blick ist ruhig, als er nun auf uns zukommt und Traian um Hilfe bei der Säuberung der Wunde bittet.
Wenn der blonde Jäger erst einmal wach ist, dann packt ihn anscheinend auch sofort der Tatendrang. Auch dieses Mal gönnt er sich keine weitere Ruhe. Nachdem die Wunde wieder verbunden ist und er das letzte bisschen Proviant inhaliert hat, verabschiedet Levian sich von Traian und bricht gemeinsam mit mir auf. Mein Abschied fällt etwas weniger höflich aus. Ich entscheide mich, Traians mir entgegengebrachte Zuneigung mit einem Kieselsteinchen zu belohnen, das ihn - „Au!“ - Volltreffer! - tatsächlich am Kopf trifft!
„Verfluchtes Ungeziefer…“ nuschelt er im Gehen.
Wieder streifen wir durch schier endlose Wälder. Vögel singen in den lichten Kronen der Birken und Buchen über uns. Gewusel erhebt sich im würzig duftenden Unterholz. Alles raschelt und ist in Bewegung. Es könnte eintöniger nicht sein. Dass wir nur Wege nutzen, deren einziger Sinn vermutlich darin besteht, Ameisen eine schnelle Reise durch den Wald zu ermöglichen, kommt nicht von Ungefähr. Da ich seiner Ansicht nach eine potentielle Gefahr für jeden Menschen bin, dem wir begegnen könnten, führt er mich wohl absichtlich durch diese trostlosen Landschaften… Nicht einmal eine Kutsche könnten wir so nutzen, um unser Ziel schneller zu erreichen. Die Wege hier sind einfach zu uneben. Mal abgesehen davon, dass er, so ärmlich alles an ihm wirkt, wohl kaum im Besitz einer Kutsche sein wird… oder eines Pferdes… oder… eines Handkarrens…? Vielleicht ist es aber auch ein sehr perfider Plan, um meinen Willen zu brechen? Langeweile ist eine schier diabolische Waffe. Wenn dem so ist, dann steht er jedenfalls kurz vor seinem Ziel…
„Zum Teufel nochmal, Levian! Ich kann diesen ganzen trostlosen Naturquatsch nicht mehr ertragen! Wer ist dieser Aaron eigentlich und wann kommen wir endlich, eeeendlich bei ihm an?!“
„Aaron ist ein sehr erfahrender Jäger, dessen Gebiet direkt an meinem grenzt. Da wir uns schon an der Grenze meines Gebiets befanden, als Mael und Traian auf uns gestoßen sind, dürfte es nicht mehr weit zu ihm sein.“
Es kommt wahrlich nicht oft vor, aber ich bin sprachlos. Hat er gerade wirklich, ganz normal, völlig ohne arroganten Ton, absolut sachlich auf meine Frage geantwortet?! Erstaunt bleibe ich kurz stehen. Levian schaut mich plötzlich angespannt an, so, als würde er jeden Moment ein neues Meisterstück erwarten - als würde ich einem neuen Plan nachgehen, um mich von ihn und seinen fesselnden Bann zu befreien. Ja… wenn es doch nur so wäre …
Als ich mich nicht rege, hakt er nach: „Was ist?“ Eine Spur Unsicherheit mischt sich in seinen Tonfall. Mir liegt etwas auf der Zunge - ich schlucke es runter. Langsam und ohne ein Wort zu verlieren, drehe ich mich um und laufe den Weg weiter entlang. Levian folgt mir, ebenfalls schweigend.
…Bin ich selbsteingenommen? Ein wenig, vielleicht. Aber das ist nicht der Grund dafür, dass ich ihn nicht einschätzen kann. Der wahre Grund ist er. Noch nie habe ich einen Menschen getroffen, der so wenig von sich Preis gibt, wie dieser Jäger. Er redet gerade so viel wie nötig und zeigt so wenig Emotionen wie möglich. Einer kaputten Spieluhr gleich - ich drehe an der Kurbel, drehe… drehe… drehe… Was und wann, beziehungsweise ob überhaupt etwas passiert, weiß ich nicht…