Читать книгу der dämon und die lethargie - Jeanette Y. Hornschuh - Страница 7

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2.

„Er wirkt nicht… er… wirkt nicht…… Warum… Warum wirkt er nicht?“ Ja, warum eigentlich? Menschen sterben. ‚Dämonen‘ werden geboren. Jäger löschen uns aus. Das ist eine Konstante, ein fester Ablauf. Oder nicht? Wenn das nicht wahr ist, was ist dann überhaupt noch wahr? Noch nie hat mich bis zum heutigen Tage der Bann eines Jägers getroffen, denn, wenn es dazu kommt, ist dies ein unumkehrbares Todesurteil.

Warum wurde ich dann nicht ausgelöscht?

Ich öffne langsam die Augen. Als ich den Kopf drehe, sehe ich den Jäger reglos dastehen, auf seine linke Hand blickend. Wild zittert die Hand, mit der er soeben versucht hat, meine Existenz zu beenden. Entsetzt wiederholt er immer wieder: „Warum wirkt er nicht…?“

Ja, ich wurde nicht ausgelöscht, sein Bann hat dies nicht vermocht. Warum weiß ich nicht und um ehrlich zu sein, ist mir das gerade gleich. Mein gesamter Körper zittert, aber ich ignoriere den Schmerz. Langsam erhebe ich mich: „So…“

Der Jäger reagiert nicht, er ist wie in Trance. Ein Schlag auf seinen Kopf und der liegt erneut wehrlos am Boden. Kniend beuge ich mich über ihn, ziehe ihn mit seinem Rücken dicht an meinen Bauch, halte seinen Kopf und umfasse seinen Oberkörper von hinten. Ich kann seinen Herzschlag spüren. Hrg… ein unangenehmes Ziehen durchfährt mich. Meine Haare umspielen seinen Nacken, als ich mein Gesicht langsam neben seinen Hals schiebe und flüstere: „Gnade. Im Gegensatz zu Meinesgleichen scheint euch Jägern dieses Wort wohl vollkommen fremd zu sein.“

„…“

„So erwartest du hoffentlich nicht…“, langsam streife ich mit der linken Hand an seiner Wange hinunter, „…dass ich sie dir noch einmal erweise…“, ich lege die linke Hand an den unteren Teil seines Kopfes, meine rechte an den oberen, „…kleiner Jäger.“ Ein Ruck und es wäre aus mit ihm - diesen abwertenden, kühlen Ausdruck, den er mir entgegengeworfen hat, diese selbstverständliche Arroganz, diese Wut über meine bloße Existenz… all das wäre mit einer Bewegung von dieser Erde getilgt. Dessen wäre er sich voll bewusst, hätte die Tatsache, dass sein Bann mich nicht ausgelöscht hat, nicht seine Welt in den Grundfesten erschüttert. Als wäre er in einer vollkommen anderen Realität, starrt er mit leerem Blick auf seine nunmehr nutzlose Hand.

Ich sollte es wirklich zu Ende bringen… Nur einen Moment…

Plötzlich zuckt seine Hand. Mit den Worten „Eher nicht.“ zieht der Jäger seine Bann-Hand zu einer Faust zusammen - genauso, wie er es vorhin zum Ende des Auslöschungsprozesses getan hat. Die Wirkung ist dieselbe. Ein blaues sirrendes Meer umgibt uns, reißt mich hinunter.

„Urrrg… duu…… verd…“ keuche ich, während ich krampfhaft versuche, mich vom Boden abzustemmen - natürlich ist es sinnlos. Wieder wird alles schwarz.

Vermutlich habe ich eine ganze Weile so bewusstlos am Boden gelegen, denn als ich erwache, ist das Grau am Himmel verschwunden und die Sonne scheint auf mich herunter. Immer noch befinden wir uns in der kleinen Gasse im Dorf. Die Pflastersteine fühlen sich warm an. Das Haus mit der Feldsteinwand liegt etwas entfernt. Keine Ahnung, was mit XY unterdessen passiert ist. Vielleicht ist er aufgewacht und davongestürmt. Ein Idiot weniger, der auf die alten Tricks hereinfällt. Eigentlich bedauerlich… Der Wind weht ein paar Blätter vom Vorjahr durch die Gasse. Sie sammeln sich an dem Eingang eines Hauses, an dem der Putz bereits rissig ist. Der Eingang liegt an einem kleinen Anbau, der im rechten Winkel zum Hauptgebäude steht. Zwei Stufen führen zur Tür hoch.

Dort sitzt der Jäger.

Mühsam versuche ich mich zu erheben. Er beobachtet mich gebannt. Die Situation ist für uns beide mehr als eindeutig: ein klares Unentschieden. Sein Bann scheint auf mich konzentriert zu sein. Die Kraft eines Jägers wirkt immer zielgerichtet, linear - das bedeutet ganz einfach ausgedrückt: auf das, was er zeigt, wird der Bann ,geschossen‘ und wirkt am vom Jäger bestimmten Ziel. Als ich vorhin hinter ihm kniete und meine Hände an seinen Kopf gelegt hatte, hätte er die Hand direkt auf mich richten müssen, um mich mit dem Bann zu treffen. So war dies aber nicht geschehen… Man muss kein Genie sein, um den Zusammenhang zur erfolglosen Auslöschung zu erkennen. Weder kann ich den Jäger dank des Banns außer Gefecht setzen, noch vermag sein Bann es, mich zu töten. Vermutlich kann er ihn dann auch nicht mehr bei anderen meinesgleichen einsetzen. Wie ich mit der Situation umgehen werde, ist klar. Aber interessant ist doch, was er unternehmen wird… „Was gedenkst du nun zu tun, kleiner Jäger?“

Keine Antwort, natürlich. Der blonde Jäger scheint allgemein kein sehr gesprächiger Mensch zu sein. Mühsam greift er nach dem wackelnden Treppengeländer, das an der Hauswand neben dem Anbau angebracht ist, und zieht sich hoch. Zweimal habe ich seinen Kopf in diesem Kampf auf den Boden befördert. Das Blut seiner Wunde ist bereits geronnen, rotbraun klebt ihm eine Strähne seiner verwuschelten Haare an der Stirn. Er starrt mich an, dann nickt er wortlos in eine Richtung.

„Wo soll‘s denn hingehen?“ möchte ich wissen.

Keine Antwort. Ich habe eindeutig genug von seiner Arroganz! Wütend kreuze ich meine Arme und rufe zu ihm herüber: „Dann kannst du es vergessen, ich komme nicht mit!“

Überrascht zieht er die Augenbrauen hoch, dann zieht er die linke Hand ein Stück nach vorn und…

„Arg… schon gut!“ Ein kurzes Zucken genügt und der Bann reißt mich zu Boden. Noch bin ich zu geschwächt, um ernsthaft etwas unternehmen zu können. Also rapple ich mich auf, laufe in die Richtung, die er zeigte und fasse einen Entschluss: ich muss so schnell wie möglich etwas gegen dieses Dilemma unternehmen… Doch dafür muss der richtige Zeitpunkt kommen. Lange muss ich vermutlich nicht warten, er ist schließlich nur ein Mensch… Lang ausatmend frage ich: „Dir ist schon bewusst, dass ich dich bald umbringen werde, Jäger?“ Er schweigt…

Das Dorf des Jägers ist ländlich gelegen. Umringt von Feldern liegt es auf einer weiten Ebene, die ab und an von kleinen Mischwäldchen durchzogen wird. Auf diesem Fleckchen Erde scheint der Horizont unendlich weit zu sein. Der Jäger und ich laufen einen sandigen Feldweg entlang, der von allerlei Frühjahrsblühern umrahmt wird.

Tap, …

Überall surrt und piepst es.

Tap, …, tap, …

Die Sonne scheint auf mich herunter, während ich vorangehe.

Der Jäger folgt mir mit gebührendem Abstand.

Tap, …, tap, …, tap, …

Schweigend laufe ich den sich dahinziehenden Weg entlang, ohne zu wissen, wo der Bursche mich eigentlich hinbringen möchte.

Tap, …, tap, …, tap, …, tap, …, tap, … aaaarg!

Ich halte an, drehe mich zum Jäger um und starre genervt auf meine Füße. Er beobachtet mich abschätzend. Langsam ziehe ich den linken Fuß hoch, greife nach dem letzten verbliebenen Schuh und schleudere ihn dem Horizont entgegen. Der Jäger schaut dem Schuh für einen kurzen Moment nach. Er fliegt weit über ein brachliegendes Feld. Vögel fliegen an der Stelle aufgeschreckt hoch, an der er auf dem Boden aufkommt. Mit verschränkten Armen stehe ich vor dem Jäger und lasse meinem Frust über diese unsinnige Wanderung freien Lauf: „Hör mal, Bursche. Es ist nicht gerade empfehlenswert mit einer Unsterblichen ziellos in der Gegend umherzuirren.“

Zur Antwort scheint er einen bestimmten Punkt in der Landschaft zu fixieren und murrt: „Dort.“

Irgendwie überrascht es mich, ihn nach der langen Phase des Schweigens reden zu hören. Ich schaue in die Richtung, in die er blickt, und sehe ein Haus, das weit entfernt vom Dorf steht. Ist es sein Haus?!

Jäger sind nicht nur physisch, sondern auch mental perfekt auf die Jagd von Meinesgleichen ausgerichtet. So vermag es ein Jäger, uns auf eine gewisse Distanz zu erspüren - er ,fühlt‘, dass ein Unsterblicher in der Nähe ist und weiß, in welcher Richtung er sich befindet. Das ist keine Fähigkeit, die man erlangen kann, sie ist angeboren. Daher sind Reichweite und Intensität der Wahrnehmung auch von Jäger zu Jäger unterschiedlich. So oder so ist es eine recht lästige Fähigkeit… Für alle Städte und Landstriche gibt es jeweils einen Jäger, der diese vor Meinesgleichen beschützt. Um möglichst umfangreichen und schnellen Schutz zu gewährleisten, leben die Jäger meist dort, wo in ihrem Gebiet die größte Menschenansammlung zu finden ist - im Dorf, in der Stadt… Von dort spüren sie am schnellsten, ob sich ein Unsterblicher den Menschen nähert oder sich gerade ein Bewohner in einen verwandelt… Warum um alles in der Welt liegt das Haus des blonden Jägers also so weit entfernt?! Hat das einen besonderen Grund? Versteckt er dort etwas? Und warum nimmt er mich mit nach Hause?! „Fragst du bei Mama und Papa nach Rat?!“ platze ich aus meinen Überlegungen heraus. Knurrend hebt er die Bann-Hand und droht mir. Ich laufe lachend den Weg weiter entlang: „Ha, ha, schon gut, Bursche!“

Wie schon die Häuser im Dorf ist auch das Haus des Jägers ziemlich in die Jahre gekommen. Es ist ein Backsteinhaus, nicht sonderlich groß. Die mittelgrüne Eingangstür ist recht klein und wird von morschen Holzplanken überdacht. Überall am Haus ranken blühende Pflanzen empor. Im Giebel über dem Eingang befindet sich eine Fensteröffnung, die wenig fachmännisch zugemauert wurde. Generell wirkt alles sehr notdürftig repariert: von mit Brettern geflickten Löchern im Dach, bis hin zu herunterhängenden Regenrinnen, die teilweise nur noch durch Seile gehalten werden. Quietschend öffne ich die verrostete Gartentür und betrete den kleinen, unregelmäßig mit Steinen gesäumten Weg, der durch den Vorgarten zum Hauseingang führt. Der Garten, der sich um das gesamte Haus herumzieht, wirkt auf den ersten Blick ziemlich verwildert. Betrachtet man die Beete jedoch genau, so ist eine gewisse Systematik in der Anordnung der Pflanzen zu erkennen. Neben dem kleinen Weg wechseln sich Kräuter mit Wildblumen ab. Trampelpfade, die links und rechts am Haus entlangführen, geben den Blick auf weitere Blumenbeete und Beerensträucher frei. Weiter hinten wurden kleine Beete für die Gemüsezucht angelegt. Die weißen und rosafarbenen Blüten der Apfel- und Kirschbäume lugen vorsichtig hinter dem Dach des alten Hauses hervor. Ein seltsames Gefühl ergreift mich. Ich halte kurz inne… Das alles… es wirkt so… friedlich.

„Warte hier!“ befiehlt der Jäger hinter mir. Pah! Selbstverständlich tue ich das nicht und öffne die Haustür. „Ha…?! Hast du nicht gehört?!“

Noch nie habe ich das Haus eines Jägers von innen gesehen. Ich trete ein und befinde mich in einem tieferliegenden Eingangsbereich, welcher nur durch Balken vom Rest des Hauptraums getrennt ist. Weitere Balken ziehen sich durch den gesamten Raum. Auf ihnen stehen vereinzelt Bücher, Krüge, Flaschen, Schalen und vieles mehr. Zwischen den Balken sind unfassbar viele Schnüre gezogen, an denen Kräuter, Knollen und andere Pflanzen zum Trocknen aufgehängt wurden. Zwei Stufen führen hinauf zu einem dielenbesetzten Weg, der wiederum zu einem Durchgang führt. Links von diesem Weg zweigt ein etwas zu voll gestelltes offenes Wohnzimmer ab. Rechts befindet sich ein ebenfalls offen gestalteter Raum mit Küchenschränken, Ofen, ein klobiges eckiges Waschbecken sowie einer Wasserpumpe. Unter einem kleinen Fenster, das in Richtung Dorf zeigt, steht eine schmale Kommode. Eine Tischgruppe mit vier krummen Stühlen ziert den Raum. Das Haus ist erfüllt von einem leicht süßlichen Kräuterduft. Ich stehe im Eingangsbereich und atme den sanften Geruch ein. Plötzlich packt mich jemand an der Schulter und brüllt mir direkt entgegen: „ICH SAGTE: warte hier - DRAUSSEN!“ Mit vor Wut gerötetem Gesicht zeigt der Jäger energisch Richtung Haustür.

Ein triumphierendes Lächeln ziert wiederum mein Gesicht, als ich zurückgebe: „Ha, ha, ist es dir vor deinen Eltern peinlich, dass du mich nicht besiegen konntest, Kleiner?“

Bevor der Jäger etwas erwidern kann - was sicherlich wenig konstruktiv gewesen wäre - meldet sich aus dem hinteren Bereich des Hauses eine helle Stimme: „Du warst ziemlich lange fort.“

Vermutlich ein Familienmitglied des Jägers, das sich in einem der Zimmer aufhält, die hinter dem Hauptraum liegen. Recht amüsiert warte ich darauf, dass Diejenige sich zeigt, während dem blonden Jäger neben mir der Schweiß auf der Stirn steht - herrlich!

„AHHHH… raus, SOFORT!“ Er packt mich am Arm und vermutlich ist es ist seine Intention, mich hinauszuziehen, so wie er nun an mir zerrt. Unnötig zu erwähnen, dass dies vergeblich ist. Die Fremde betritt den Raum. Sie hat ebenso blonde Haare wie der Jäger, die jedoch fließendem Gold gleich über ihre Schultern fallen. Zwei seitliche Haarsträhnen hat sie nach hinten zu einem kleinen Knoten gebunden. Ein feiner seitlicher Pony umrahmt ihre Stirn. Sie hat ebenso blaue Augen, die jedoch warm und unschuldig in die Welt hinaussehen. Und sie hat auch ebenso blaue Male…

„Oh, du hast jemanden mitgebracht?“ Die Jägerin, vermutlich seine Freundin, nähert sich uns. Sie trägt ein einfaches dunkelblaues Kleid mit langen Ärmeln, auf dem ein beigefarbenes Blütenmuster gestickt ist.

Ich blicke kurz zum Jäger, der leiderfüllt auf seine Freundin starrt und nuschelt: „…Ja, unfreiwillig.“

„Einen Dämon?“ In ihrer Stimme schwingt eher Neugier, denn Angst. Wie sich ihr Mund so bewegt, erinnert er an ein rosafarbenes Blütenblatt.

„…Ja.“ Fast schuldbewusst schaut der blonde Jäger zur Seite und berichtet: „Ich weiß nicht warum, aber mein Bann wirkt bei diesem Dämon nicht.“

Belustigt betrachte ich die Szene zwischen den beiden und werfe ein: „Tatsächlich?! Ist doch offensichtlich warum.“

Aber er geht nicht auf meinen Zwischenruf ein. „Zumindest erlöst mein Bann den Dämonen nicht. Aber… Dennoch bleibt mein Bann auf ihn fixiert.“

Ruhig hat sich die Jägerin die Ausführungen angehört. Als der Bursche fertig ist, tritt sie urplötzlich auf mich zu und fragt unvermittelt: „Wie lautet dein Name?“

Wa… was stimmt mit der nicht?! So etwas macht man bei einem gefährlichen ,Dämon‘ doch nicht! Ist sie wirklich so naiv oder handelt es sich um eine gerissene Taktik?! Egal, ich reagiere schnell, halte ihr grinsend meine Hand hin und antworte: „Ich heiße Eve und mit wem habe ich das Vergnüuuuhrg!“ Ich werde bereits von einer stechenden Welle zu Boden gerissen, noch bevor die Hand der Fremden auch nur zucken konnte.

Außer sich brüllt der blonde Jäger zu mir herunter: „Komm ihr NIE WIEDER zu nahe, Dämonenabschaum!!!“

„Ha… ha…“ kann ich nur knirschend zurückgeben.

Zu seiner Freundin gewannt wendet der Jäger ein: „Nileyn, was sollte das denn?! Es handelt sich um einen sehr alten Dämon. Wahre genügend Abstand! Du weißt doch, wie unberechenbar die sind!“

Der Schmerz fließt aus meinem Körper heraus, wenn auch nur langsam. Mit einem mir unerklärbaren Blick schaut mich das Mädchen namens Nileyn schweigend an, dann folgt sie dem Jäger, der sich auf den Weg in der Küche macht. Eine Schublade wird geöffnet. „Ich bin nur hergekommen, um ein paar Sachen zu holen. Gleich danach werde ich zu Mael aufbrechen und ihn um Rat fragen.“

Nileyn schweigt ein paar Sekunden und erwidert dann mit einem seltsamen Klang in der Stimme: „Ruh dich lieber ein paar Minuten aus, ich suche alles für dich zusammen.“ Dann ist sie wieder in einem der hinteren Zimmer verschwunden.

Wasser schwappt in einer Schüssel geräuschvoll hin und her. Der Jäger sitzt am Esstisch und reinigt seine Wunde mit einem nassen Tuch. Blutverschmiert hat er mir besser gefallen. Ich sitze auf den Stufen des Eingangsbereichs und beobachte ihn. Als ich dessen müde bin, stehe ich auf, um mich im vorderen Wohnbereich umzusehen. Er hat anscheinend nichts dagegen, solange ich ihm oder seiner Freundin im Zimmer hinter dem Hauptraum nicht zu nahekomme. Ich gehe an einem abgewetzten Sessel und selbstgezimmertem Sofa vorbei und nähere mich dem großen Kamin. Nachdem ich die Schalen und Kerzenhalter betrachtet habe, die säuberlich vor und neben dem Kamin aufgestellt sind, werfe ich einen Blick zum Jäger hinüber. Nach unserer Ankunft hatte er sich umgezogen. Er trägt nun ein schwarzes löchriges Shirt und darüber eine dunkelblaue Kapuzenjacke. Die graue Hose rundet das in eher deprimierenden Farben gehaltene Ensemble passend ab. Im Gesamtbild ergibt sich ein ziemlich abgetragener Look. Die Kopfwunde ist anscheinend noch nicht vollständig gesäubert, denn er rubbelt immer noch bedächtig daran herum.

„Mädchen…“, rufe ich nach einer Weile gelangweilt in den Raum hinein, „…es ist unnötig, viel für den Jäger einzupacken. Du meinst doch nicht ernsthaft, dass du ihn lebend wiedersiehst?“

Der blonde Jäger entgegnet: „Du bist hier die Einzige, die nicht zurückkehren wird.“

Hinter dem Sofa steht eine Vitrine, die irgendwann einmal weiß lackiert war. Mittlerweile ist davon nicht mehr viel zu sehen. „Bursche, Jäger haben keine hohe Lebenserwartung. Das weißt du doch sicherlich.“ Ich nehme ein Buch vom Sofatisch und blättere darin. „Vielleicht solltet ihr euch gleich voneinander verabschieden, mh?“

Der Jäger steht auf und kippt das hellrote Wasser ins Waschbecken. „Halt endlich die Klappe!“ schnauzt er von der Seite, während er das Tuch ausspült. Mh… Sein Körper wirkt auf einmal seltsam angespannt?

„Sei doch realistisch.“ versuche ich ihn aus der Reserve zu locken. Ich betrachte die Bilder an der hinteren Wand des Wohnzimmers. Sie zeigen gemalte Landschaften, Felder, Wälder… kitschig. Als wäre es noch nicht genug, sich eine schier unfassbare Menge an getrocknetem Grünzeug ins Haus zu hängen, wurde einiges von dem Kraut auch noch gepresst, gerahmt und beschriftet. Neben der Ansammlung von Landschaftsbildern und gerahmten vertrockneten Pflanzen, befinden sich dunklere Stellen an der Wand. Offensichtlich hingen hier in der Vergangenheit einmal weitere Bilder. „Der menschliche Körper ist fragil, er muss sich regelmäßig regenerieren. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis du einschläfst, Jäger.“ Mir fällt auf, dass die Landschaftsbilder mit einem Kürzel unterschrieben sind. Ich konzentriere mich auf deren Entzifferung, als ich ansetze: „Das nächste Schläfchen wird dann dein letztes sein.“

Kling!

Eine metallene Spitze zeigt auf meinen Brustkorb. Der Jäger steht unmittelbar vor mir, mit einem Kampfmesser in der Hand. Meine Hand umklammert es fest, ich konnte die Waffe gerade noch rechtzeitig aufhalten. Die Spitze schneidet nur leicht in meine Haut. Ich stehe mit dem Rücken eng an der Wand. Diese seltsame Anspannung zuvor… hatte er da die Waffe irgendwo in seiner Nähe entdeckt? Er ist nah… so nah, dass ich seinen Atem spüre. Ich kann mein Spiegelbild in seinen klaren Augen erkennen, sehe, was er sieht: eine rotäugige Unsterbliche, die Augen weit aufgerissen und… zugegeben: ziemlich überrascht. Da ist etwas in seinen Augen, das mich stutzig macht. Ein Ausdruck, den ich nicht deuten kann…

„Höher.“ hauche ich.

„Wa…“ flüstert er, während seine Hand zu zittern beginnt.

„Ein Stich ins Herz wäre zwar ziemlich lästig…“, führe ich aus, „…aber umbringen würde es mich nicht. Da müsstest du mir schon den Kopf abtrennen.“

Seine Augen verengen sich.

Ich beginne zu lächeln: „Ist schon was anderes, mh? Mit dem Bann wäre es um so vieles einfacher…“

Er will irgendetwas darauf erwidern, aber es kommt kein Wort aus seinem Mund. Sicher… ich könnte es einfach beenden, hier und jetzt… Aber da wird dieser kurze, reglose Augenblick von einer Stimme aus dem hinteren Zimmer unterbrochen: „So, ich denke…“

„Verdammt!“ knurrt der blonde Jäger. Er wendet den Blick ab. Nileyn betritt nichtsahnend den Hauptraum. Sie trägt einen hellgrauen Rucksack vor sich her. „…nun sollte alles Notwendige…“

Tsching!

Das Messer landet ein Stück weit entfernt im Boden. Erschrocken starrt sie zu uns herüber. Ich stehe schweigend vor dem Jäger. Er reibt sich die rechte Hand, den Blick immer noch abgewandt. Mit den Worten „Es ist besser, wenn wir sofort aufbrechen.“ hebt er die Waffe auf.

Als wir dieses seltsam ruhig wirkende Haus verlassen und den Vorgarten durchschreiten, gehe ich wieder voran, in die Richtung, die mir der Jäger gewiesen hat. Ich schaue nach hinten und beobachte, wie er sich auf dem Weg nochmals seiner Freundin zuwendet und ihr zum Abschied ein gequältes Lächeln zuwirft.

Lange wandern wir schweigend durch sein Gebiet. Ich grüble über unseren Kampf im Dorf und den Angriff im Haus nach. Dem Jäger scheint es ähnlich zu gehen. Als es Abend wird, rasten wir nahe einer kleinen Baumgruppe. Der Bursche hat ein Lagerfeuer angezündet und stochert nun nachdenklich mit einem verknorrten Ast darin herum. Ich habe mich auf einen großen Felsen niedergelassen und blicke auf den wolkenbehangenen Horizont. Seit dem Angriff haben wir nicht mehr miteinander geredet. Sein Messer führt er nun in einer kleinen ledernen Scheide mit sich, die mit zwei einfachen Riemen um seinen rechten Oberschenkel geschnürt ist. Nachdem ich zur Ruhe gekommen bin, habe ich mir die Zeit genommen, es genauer zu betrachten - jedenfalls soweit dies möglich war, denn gegen mich gerichtet hat er es vorerst nicht mehr. Die Waffe wirkt wie ein großes Küchenmesser. Sie besitzt einen handlichen Griff, der mit einem weißen Band lose umwickelt ist. Eine Besonderheit ist mir bereits bei seinem Angriff sofort ins Auge gefallen: eine unregelmäßige, tiefblaue, kristallähnliche Struktur schwingt sich um den oberen Teil der Klinge. Von derartigen Waffen habe ich bisher nur gehört. Angeblich soll es sich um speziell für Jäger hergestellte Unikate handeln, die irgendeine mystische Kraft gegen Meinesgleichen freisetzen können. Ich kann mir nicht wirklich vorstellen, dass diese Waffe nicht genauso nutzlos im Kampf gegen uns sein soll, wie andere.

„Ich hoffe, du ersparst mir weitere sinnlose Angriffe dieser Art!“ rufe ich ihm entgegen. Er schaut erstaunt zu mir herüber. Dann wendet er sich wieder dem Feuer zu und antwortet: „Hng… irgendwie werde ich das Problem schon noch lösen…“

Ich lache erhaben und feuere dabei zurück: „Ha, ha, ha! Du willst ,das Problem lösen‘? Mich auslöschen? Aber deine Hände sollen dabei schön sauber bleiben, wie schizophren! Hep!“ Ich springe vom Felsen herunter und setze mich im angemessenen Abstand zum Jäger ans Lagerfeuer: „Ich hingegen hätte mir die Hände nur zu gern schmutzig gemacht…“

Er würdigt mich keines Blickes: „Sei ruhig.“

„Mh… wäre schon ziemlich mies gewesen, dich vor den Augen dieser mehr als naiven Nileyn zu töten. Selbst für Meinesgleichen.“ meine ich nun gespielt nachdenklich.

Er wirkt desinteressiert. Irgendetwas scheint er nun im Rucksack zu suchen. Mir fällt ein, dass ich noch immer nicht weiß, wie der Jäger heißt. Ärgerlicherweise hat noch niemand seinen Namen genannt.

„Was soll‘s, Bursche. Mir bleibt noch genügend Zeit, dich zu töten. Bis dahin sieht es wohl vorerst so aus, als wären wir für eine Weile aneinander gekettet. Da könntest du mir doch wenigstens deinen Namen verraten. Hi, hi, oder soll ich dich weiterhin mit ‚Bursche‘ anreden?“

Er hat nichts dazu zu sagen. Für einen Moment nur würde ich zu gern diesen arroganten, gleichgültigen Ausdruck von seinem Gesicht fegen. Genervt lehne ich mich zurück: „Grrr, schon wieder dieses Schweigen.“

Mehr oder scheinbar eher weniger genüsslich beißt er in das Brot, das ihn seine Freundin als Wegzehrung mitgegeben hat, und schluckt es in großen Brocken hinunter. Die Baumkronen beginnen, sich im nächtlichen Wind hin und her zu wiegen. Ein paar Blätter fallen zu Boden. Ich hebe ein Blatt von der Wiese auf und zwirble es spielerisch zwischen den Fingern, als ich feststelle: „Dir ist schon klar, dass ich auch einfach abhauen könnte?“

Den Blick entspannt auf das Feuer gerichtet, steckt er angewidert das letzte Stück Brot in den Mund und hebt die linke Bann-Hand hoch: „Das würde ich gern sehen.“

„Ohooo! Mit dem Bann fühlt ihr Jäger euch überlegen, nicht? Aber was bleibt von euch übrig…“, ich schnipse das Blatt ins Feuer, für einen kurzen Moment glimmt es auf, dann wird seine Asche von den aufsteigenden Rauchwolken davongetragen, „…wenn man euch das nimmt?“

Der Jäger kaut schweigend das letzte Stück Brot klein und schluckt es hinunter. Nun holt er eine zylinderförmige Trinkfalsche aus dem Rucksack und bindet die Schnur auf, die den Verschluss hält.

Er hat nicht vor, etwas zu erwidern.

„Du machst es einem nicht gerade leicht, was Junge?“

Der Jäger setzt die Flasche an und trinkt. Zumindest das Wasser scheint zu schmecken…

„Ist ja schon eine ziemliche Schmach für dich als Jäger, dass ich so weit in dein Gebiet vordringen konnte.“ versuche ich es erneut.

„!!! Hurrug…!“

Ha, ha, ha, ha, er hat sich verschluckt! Erst nachdem er ein paar Sekunden lang vor sich hin gehustet hat, kommt er dazu, etwas zu erwidern: „Das…!!! Der Spürsinn funktioniert nicht so, dass ich konkret sagen kann, in 263 Schritten Entfernung befindet sich der Dämon! Das ist eher eine Art schwammiges Gefühl, wie ein Instinkt!“

Endlich… Ich bin unsicher, ob ich zuvor überhaupt einmal mehr als zwei aneinandergereihte Sätze von ihm gehört habe.

Mit einem breiten Grinsen schließe ich meine Augen und tippe mir mit dem rechten Zeigefinger vielsagend an die Schläfe: „Ha, ha, meine dämonischen Kräfte sagen mir, dass dein Instinkt verkümmert ist. Deinem Kampfstil nach zu urteilen, würde ich eher sagen, du besitzt den Instinkt einer Beute denn eines Jägers.“ Er scheint sich schnell zu fangen, denn nun ignoriert er mich wieder. Schade, es war gerade so spaßig… Nachdem der Jäger wieder sein Hab und Gut im Rucksack verstaut hat, setzt er sich mit dem Rücken am Stamm lehnend unter einen einzelnstehenden Baum nahe der Feuerstelle. Mit der rechten Hand zieht er das Kampfmesser hervor. Was hat er nun vor? Angespannt konzentriere ich mich auf seine Bewegungen. Doch er nimmt die Waffe lediglich in die Hand und schließt die Augen. Ich beobachte ihn eine Zeit lang. Die Anspannung scheint aus ihm zu weichen. Seine Atmung wird etwas ruhiger. Der sonst so harte Gesichtsausdruck mildert sich ein wenig. Von seinen stets verwühlt wirkenden Haaren hängt eine Strähne direkt vor seinen Augen. Irgendwie fühlt es sich seltsam an, ihn so zu sehen. „Schläfst du jetzt?“ erkundige ich mich.

„Selbstverständlich nicht!“

Ah… er ruht sich nur aus. Auch ohne, dass ich ihm das hätte sagen müssen, war ihm diese eine Tatsache von vornerein bewusst: sobald er einschläft, befindet er sich in Lebensgefahr.

Die ganze Nacht hindurch rührt er sich kaum, schläft aber tatsächlich auch nicht ein. Ich selbst benötige nur wenig Schlaf, höchstens ein, zwei Stunden im Monat. Es ist keine körperliche Notwendigkeit, sondern eher ein Echo meiner vorangegangenen menschlichen Existenz. Ich genieße es, den Jäger so zu sehen. Es beruhigt mich, seiner Atmung zu lauschen. Es lenkt mich vom Grübeln über das Geschehene ab, den Wind durch seine hellen Haare spielen zu sehen.

Als der Morgen langsam graut, öffnet er die Augen. Rosafarbene Wolken heben sich in der Ferne vom nächtlichen Grau ab. Nur noch wenige Sterne flackern am Firmament. Der Jäger erhebt sich und schon bald setzen wir unseren Weg fort. Nicht einmal ich möchte diese tiefe Stille jetzt stören. Langsam flutet das Licht die vor uns liegende Landschaft, bald schon wird es uns erreichen. Und ich frage mich, wie viele schlaflose Nächte es benötigen wird, um ans Ziel zu kommen…

der dämon und die lethargie

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