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Kernstrukturen
ОглавлениеWeiter ist für die ersten Phasen von germanischen Sprachen wie das Niederländische, das Deutsche oder das Englische die Entstehung von Wortgruppen mit dem finiten Verb an zweiter Stelle (Vf2) anzunehmen. Es handelt sich dabei um verbale Wortgruppen, hier als Kernstrukturen bezeichnet, die keinen anderen Strukturen untergeordnet sind. Theorien zur Entwicklung von Vf2-Kernstrukturen stehen hier weiter nicht zu Diskussion, wohl ist festzuhalten, dass Vf2 allmählich, eventuell noch im Altniederländischen grammatikalisierte. So hängt laut Van der Horst die Position des finiten Verbes anfänglich mit dem Textganzen, später aber vermehrt mit der Struktur der Wortgruppe zusammen, folglich entwickelte das Verbum finitum sich von einer pragmatischen zu einer syntaktischen Funktion. Ein altes Beispiel von Vf2 stellt gelobo in ec gelobo in halogan gast (‚Ich glaube an den Heilgen Geist‘ UDB 26, 25) dar, in einer Wortgruppe mit Inversion wie an gode gitruoda ic (‚auf Gott vertraute ich‘ WPS h, 55, 11) steht gitruoda ebenfalls an zweiter Stelle. Auch ist Vf2 in Strukturen mit mehr als einem Verb anzutreffen, so sal in jc sal beidan sin (‚ich werde ihn erwarten‘ WPS h, 54, 9). Andere Positionen des finiten Hilfsverbs kommen in Kernstrukturen aber auch vor, so beispielsweise heuit (‚hat‘) als Vf3 in mikila faruuart heuit fiunt an heiligin (‚An solchen grossen Sachen hat sich der Feind im Heiligtum vergriffen‘ WPS i, 73, 3).
Sodann kommt in Kernstrukturen das finite Verb in Endstellung (Vfn) vor, so in der Reimbibel, vgl. sagete (‚sagte‘) in Then namen ther engel marien sagete (‚Der Engel sagte Maria den Namen‘ MRB b, 136). Auch Strukturen mit mehreren Verben kennen Vfn, vgl. die erste Form sal (‚wird‘) und sulen (‚werden‘) in Inde louff sin niuucht nit hervallan sal, inde alla sonnelix duen sal gesu eit uuerthan sulen (‚Und sein Blatt wird nicht herunterfallen und alle Dinge, die er machen wird, werden gelungen sein‘ WPS fa, 1, 3). Bis ins Mittelniederländische ist Vfn in Kernstrukturen vielfach anzutreffen, wie dies beispielsweise G.S. Overdiep an Hand des Ferguut-Textes dargelegt hat. Es stellt sich allerdings die Frage, inwiefern die Wortfolge in Zeilen wie Dat swert hi vaste in die hant hilt (‚Er hielt das Schwert fest in der Hand‘ FGT 2696) von metrischen Überlegungen des Verfassers bestimmt wird.
Geht eine untergeordnete Wortgruppe voran, so kommt das finite Verb nicht nur an zweiter Stelle, sondern auch in anderen Positionen vor, so beispielsweise nach einer konditionalen Wortgruppe, vgl. wil in Scal ich ouch then d( )t ane gan, ich newil thin nieht abe stan (‚auch wenn ich den T[o]d erleiden muss, ich werde dich nicht verlassen‘ MRB b, 264). Gelegentlich steht das finite Verb in Kernstrukturen auch an erster Stelle, namentlich in Übersetzungen aus dem Lateinischen, wie cumun in cumun sulim bodon fan aegipto (‚Es werden Boten aus Egypten kommen‘ WPS i, 67, 32), vgl. Vulgata-Text venient legati ex Aegipto. In Strukturen wie Gan sal ic an huse thinin, an offringon (‚In Dein Haus werde ich hinein gehen, zu den Opfern‘ WPS i, 65, 13) steht das Prädikat, bestehend aus Infinitiv gefolgt von einem finiten Verb, an erster Stelle.
Auch Entscheidungsfragen kennen Vf1, vgl. gelobistu in got alamehtigan (‚Glaubst Du an Gott, den allmächtigen Vater?‘ UDB 26, 20). Weiter kommt im Altniederländischen Vf1 vor, wenn ein Verb Imperativ oder Konjunktiv ausdrückt. In Vuerthe uuonunga iro uuosti (‚Möge ihre Wohnung verlassen werden‘ WPS i, 68, 26) erscheint vuerthe beispielsweise als Konjunktiv in der ersten Position, so auch mache in mache sie constantes in predicatione (‚mache sie beharrlich in der Verkündung‘ LWR 126, 9). Als Imperativform steht das finite Verb in der ersten Position in Sage mir, wine min, war thu thine scaaph weythenes, war thu rowes umbe middendach (‚Sag mir, mein Freund, wo Du Deine Schafe weiden lässt, wo Du am Nachmittag ruhest‘ LWR 13, 1). Gelegentlich geht dem finiten Verb im Imperativ ein sprachliches Element vorab, so nu in nu saga uns ouch, welich her si in natura humanitatis (‚Nun, sag uns auch, wie er ist in menschlicher Natur‘ LWR 86, 6).