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1.1.2. Methodische Vorüberlegungen

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Das AN ist im Folgenden als neueste Form des Neuniederländischen zu begreifen, stellt allerdings nicht eine separate Sprachstufe in der Geschichte des Niederländischen dar. Es lassen sich nämlich keine sprachlichen Erneuerungen im Niederländischen der letzten zwei Jahrhunderte feststellen, die sich systematisch von früheren Änderungen im Neuniederländischen unterscheiden, vgl. 1.2. So stellt sich die Frage einer weiteren Periodisierung des AN grundsätzlich nicht.

Zu den universalen Merkmalen von Sprache zählt, dass sie sich dauernd ändert. Sprachliche Änderungen erfolgen in einer Gesellschaft, die sich ebenfalls ständig erneuert. Daher ist auch bei der Beschreibung des modernen Niederländischen sowohl sprachinternen als auch externen Phänomenen Rechnung zu tragen. Die Vielzahl der sprachhistorischen Daten, die in einer Darstellung des jüngsten Niederländischen zu verarbeiten sind, werden im vorliegenden Buch im Sinne von Sondereggers Theorie der sprachlichen Konstanten und Inkonstanten (vgl. Sonderegger 1979, 195ff) als innere und äussere sprachliche Grössen in die Beschreibungen aufgenommen. Eine systematische Anwendung wohldefinierter Grössen dieser Art erleichtert die Einordnung der so ungleichartigen Daten, die für die jüngere Geschichte der niederländischen Sprache und Sprachkultur von Bedeutung sind.

Unveränderliche Grössen bilden die Voraussetzung des Bestehens einer niederländischen Sprache und Sprachkultur in jeder historischen Sprachstufe. Sie umfassen äussere Bedingungen, so das Vorhandensein einer Gruppe Menschen, die gemeinsam Niederländisch als Muttersprache anwenden. Dass sich die Mitglieder der niederländischen Sprachgemeinschaft dessen bewusst sind, gehört ebenfalls zu den externen sprachlichen Konstanten. Die Selbstbezeichnung des überregionalen Niederländischen, die überregionale Sprachgeltung des Niederländischen und die zunehmende Möglichkeit der Mitglieder der niederländischen Sprachgemeinschaft, an Kommunikation im überregionalen Niederländischen teilzunehmen, sind ebenfalls zu den unveränderlichen äusseren Grössen zu rechnen.

Die inkonstanten äusseren Grössen umfassen zufällige, nicht vorhersagbare Änderungen der Bedingungen, die für die Entwicklung der Sprache von Bedeutung sind. So stellen die niederländischen Rundfunkübertragungen ab 1919 (vgl. 4.1.2.3.6.) eine zufällige externe Gegebenheit dar, welche die Verbreitung des AN stark beschleunigen sollte.

Systematische Entwicklungen der Laute, der Morphematik, der Wortbildung und der Syntax zählen zu den unveränderlichen inneren Grössen des Niederländischen. Es betrifft somit diachrone Erneuerungen der niederländischen Grammatik, die gesetzmässig ablaufen. Als Beispiel einer solchen Änderung ist die übergreifende Tendenz zu vokalischen und konsonantischen Verkürzungen im Niederländischen zu nennen. Sie führt zur Abschwächung und Ausstossung von Nebensilben und zur Reduktion der Flexion. Dementsprechend dürften die Kasus, die in neuniederländischen Texten, wenn auch wenig systematisch noch vorkommen, in der gesprochenen Sprache einer Mehrheit der Bevölkerung im Laufe mehrerer Jahrhunderte teilweise oder vollständig weggefallen sein. Zwar unterscheiden normative Grammatiken des 19. Jh. vier Kasus in der Schriftsprache (vgl. 2.2.3., 3.2.2.), sie entsprachen allerdings laut einem zeitgenössischen Grammatiker wie Roorda der Sprachpraxis von damals keineswegs (vgl. 3.2.2.): die Reduktion der entsprechenden Flexion war in der mündlichen Kommunikation bereits weiter fortgeschritten. Bezeichnenderweise sucht man in der erstmals 1984 veröffentlichten ANS, einer eher deskriptiven Standardgrammatik des Niederländischen, eine systematische Darstellung der Kasus vergeblich.

Nicht vorhersagbare Erneuerungen, die im Sprachsystem des Niederländischen auftreten, werden hier als veränderliche innere Grössen begriffen. Als Beispiel einer solchen Erneuerung ist eine kürzlich eingetretene Änderung in der Aussprache der niederländischen Laute /ei/, /ui/ und /ou/ zu nennen, die im letzten Viertel des 20. Jh. bei einem Teil der Sprecher im Westen der Niederlande festzustellen ist (vgl. Jacobi 2009, Stroop 1998). Sie führte zu den Aussprachevarianten /aai/, /ou/ und /aau/, die eine eigene Systematik aufweisen. Solche Aussprachevarianten wurden bereits im 16. und 17. Jh. u.a. von den Verfassern der Twe-spraack beschrieben, konnten sich aber im überregionalen Niederländischen nicht durchsetzen (vgl. HNA 347). Dass sie überraschenderweise seit einigen Jahrzehnten in der Sprache eines Teils der Sprecher des Niederländischen vorkommen, ist als zufällige sprachinterne Entwicklung einzustufen. Sie zählt somit zu den veränderlichen inneren Grössen des Niederländischen.

Auch bei der Beschreibung des jüngeren Niederländischen ist das Zusammenspiel unveränderlicher und veränderlicher, äusserer und innerer Grössen zu berücksichtigen. Die Gewichtung dieser sprachlichen Grössen bestimmt die Darstellung der niederländischen Sprache und Sprachkultur der letzten zwei Jahrhunderte.

Im Weiteren werden sprachwissenschaftliche Ausdrücke verwendet, wie dies in der einschlägigen Fachliteratur üblich ist. Zwar ist zu bedenken, dass Fachausdrücke nicht selten auf unterschiedliche Art und Weise Verwendung finden. Allerdings wird ihre Bedeutung in der vorliegenden Monografie jeweils vom Kontext näher bestimmt. Bei der Beschreibung syntaktischer Strukturen wurde eine Unterteilung in ‚nominale‘ und ‚verbale‘ Wortgruppen vorgenommen. Sie schliesst an die gebräuchliche Einteilung neuerer Grammatiken an, die sich auch in der komplexeren Struktur der ANS wiederfindet.

Literatur zu 1.1.: Bartsch et al. 1982; Van Bree 2014 (a); Coseriu 1974; Elspass 2007; Elspass 2012; Elspass et al. 2007; Gardt et al. 1995; Harris et al. 1989; Hinskens et al. 2013; Hüning 1993; Jankowsky 1995; Keller 1990; Nevalainen et al. 2012; Roelcke 1995; Roelcke 2003; Rutten et al. 2014; Sanders 1999; Schmidt 1980; Schoonenboom 2000; Sonderegger 1979; Stegeman 2014 (b); Van der Wal 1988; Van der Wal 2010; Watts et al. 2002; Willemyns 1995; Willemyns et al. 2000.

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