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1.2.2. Entstehung und Verbreitung des überregionalen Neuniederländischen
ОглавлениеIn der frühen Neuzeit festigte sich das Neuniederländische als überregionale Kultursprache der Niederlande. Einschneidende politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Änderungen bestimmten die Entwicklung der Nachbarsprache mit.
In den Jahren 1555 bis 1648 etablierte sich während der Auflehnung der Niederlande gegen die zentralistische Machtausübung Habsburgs die Republik der Vereinten Niederlande. Der Tachtigjarige oorlog (‚Achtzigjährige Krieg‘) hatte aber auch die Abspaltung der südlichen Provinzen im letzten Viertel des 16. Jh. zur Folge. Sie sollte sich auf die Stellung des Niederländischen in diesem Gebiet nachteilig auswirken.
Eine beispiellose wirtschaftliche Tätigkeit, angekurbelt durch Seefahrt und Eroberungen überseeischer Gebiete, brachte der jungen Republik eine bis dahin nicht da gewesene Prosperität. Gleichzeitig förderte eine humanistische Geisteshaltung die Entfaltung der Wissenschaften sowie die Emanzipation der namentlich protestantischen Christen. Das Zeitalter Rembrandts kennzeichnete sich zudem durch eine bisher ungekannte Blütezeit der Künste und der Literatur. So begünstigten während des ‚Goldenen Jahrhunderts‘ äussere Bedingungen die Kultivierung des Neuniederländischen.
Als neu ist im 16. und 17. Jh. die Pflege der Muttersprache durch Humanisten, Grammatiker und Schriftsteller zu begreifen. Ab Mitte des 16. Jh. strebten Dutzende Gelehrte und Autoren des schöngeistigen Schrifttums nach einer verheerlijking, zuivering en opbouw van het Nederlands (‚Verherrlichung, Säuberung und Aufbau des Niederländischen‘, vgl. Van den Branden 1967). Bereits 1555 veröffentlichte der Genter Drucker Joos Lambrecht (1491–1557?) seine Nederlandsche Spellijnghe, das erste Buch zur Orthografie des überregionalen Niederländischen. Sodann publizierten 1584 Mitglieder der Amsterdamer Rhetoriker-Kammer De Eglantier unter Federführung Hendrik Laurensz. Spiegels (1549–1612) die erste Grammatik des Niederländischen, die Twe-spraack vande Nederduitsche letterkunst (‚Zwiegespräch zur niederländischen Grammatik‘). Ebenfalls noch in der zweiten Hälfte des 16. Jh. erschienen beim Verleger und Drucker Christoffel Plantijn verschiedene Wörterbücher, die Umschreibungen des niederländischen Wortschatzes umfassten. Sein Mitarbeiter Cornelis Kiliaan (Cornelis Kiel, geboren Cornelis Abte) inventarisierte den Wortschatz der überregionalen niederländischen Sprache in seinem Dictionarium Teutonico-Latinum, das 1574 erschien und 1588 neu aufgelegt wurde. Kiliaans bahnbrechende Wörterbücher prägten die niederländische Lexikografie bis ins 19. Jh.
Aus einer Vielzahl von Veröffentlichungen, die in der Neuzeit zur Muttersprache erschienen, geht hervor, wie sehr Gelehrte und Schriftsteller sich bereits im 16. und 17. Jh. um eine Vereinheitlichung des Niederländischen bemühten, vgl. HNA 5.2.2. So versuchten Juristen wie Antonius Sexagius (1535?–1585) und Pontus de Heuiter (1535–1602) die Schreibweise niederländischer Laute derjenigen der lateinischen Sprache anzupassen. Dabei warb De Heuiter für eine niederländische Sprache ohne Fremdwörter, die es gestattete, ‚mit wenigen Worten Gedanken wiederzugeben‘. Diese laut ihm ‚gemischte‘ Sprache hätte ‚die besten‘ orthografischen und lautlichen Elemente der bestehenden Sprachvarietäten zu umfassen. Der Jurist Anthonis de Hubert (1583–1645?) traf mit den Schriftstellern Pieter Cornelisz. Hooft (1581–1647), Joost van den Vondel (1587–1679) und dem Politiker beziehungsweise Admiral Laurens Reaal (1583–1637) in den Jahren 1622 und 1623 einige Male zusammen, um Regeln zu Orthografie, Genus und Kasus des Niederländischen genauer festzulegen und künftig auf die gleiche Art und Weise anzuwenden. Auch die Übersetzer und Lektoren der Statenvertaling, 1637, eines Werkes, das die weitere Entwicklung des Niederländischen mitbestimmte, strebten in ihren eher feierlich formulierten Texten eine einheitliche Verwendung grammatikalischer und orthografischer Regeln an.
So bildete sich das Neuniederländische im ersten Viertel des 17. Jh. zu einer überregionalen kultivierten Schriftsprache heraus, wie aus den vielen Dutzenden niederländischen wissenschaftlichen und literarischen Werken dieser Zeit hervorgeht. Bezeichnenderweise hält der Mathematiker Christiaen van Heule (?–1655) 1625 fest, dass die Rechtschreibung des Niederländischen, die damals grosse Aufmerksamkeit erhielt, bereits ‚ausführlich‘ von Gelehrten beschrieben war und ‚im Alltag einwandfrei‘ gebraucht wurde (HNA 269 ff).
In sämtlichen Sprachbereichen kam das Neuniederländische in der Neuzeit zur Anwendung. So wurde Niederländisch neben Latein und Französisch zur Wissenschaftssprache. In den unterschiedlichsten Fachgebieten erschienen Werke in der Muttersprache, wie die folgende sehr beschränkte Auswahl an Beispielen zeigt. So veröffentlichte der international angesehene Mediziner und Kräuterspezialist Rembert Dodoens (1517–1585), Leibarzt des deutschen Kaisers Maximilian II. und Professor für innere Medizin an der Universität Leiden, 1554 sein Cruydeboeck (‚Kräuterbuch‘) auf Niederländisch. Eine lateinische Ausgabe des Buches, die 1583 nach der französischen (1557) und englischen (1578) Ausgabe mit Fachausdrücken in acht Sprachen erschien, machte das Werk international für Anderssprachige zugänglich. Zu den über 1000 Namen von Pflanzen, von denen mehrere zum ersten Mal schriftlich belegt sind, zählen Entlehnungen wie citroen (‚Zitrone‘) und ereprijs (‚Ehrenpreis‘), aber auch neue Zusammensetzungen, so madelief (‚Gänseblümchen‘).
Mediziner wie Jan Wouters (1539–1598) oder Johan van Beverwijck (1594–1647) veröffentlichten Werke über Krankheiten und Heilmittel. Der Mathematiker Simon Stevin (1548–1620), Mitgründer der Ingenieurschule in Leiden (1600), verfasste in seiner Muttersprache Werke über Zinsrechnung, Dialektik, Technik, Physik und Mathematik. Als Purist trug er wie mehrere seiner Zeitgenossen mit Neologismen und niederländischen Übersetzungen von Fachausdrücken zur Erweiterung des niederländischen Wortschatzes bei. Bis heute werden von ihm stammende Wörter wie meetkunde (‚Geometrie‘) neben geometrie oder stof (‚Materie‘) neben materie verwendet.
Während die Generalstaaten 1582 beschlossen hatten, ihre Dokumente auf Niederländisch statt auf Französisch zu verfassen, veröffentlichten auch Juristen, so Pullus Merula (1558–1607), Werke in der Muttersprache. Der Universalgelehrte Hugo de Groot (1583–1645) erachtete wie Stevin seine Muttersprache als den klassischen Sprachen gleichwertig. Dennoch verfasste er seine Arbeiten, z.B. De iure belli ac pacis über internationales Recht, meistens in Latein. Sein Handbuch zum niederländischen bürgerlichen Recht, Inleiding tot de Hollandsche rechts-geleerdheyd (‚Einführung in die holländische Rechtswissenschaft‘) 1631 schrieb er allerdings auf Niederländisch, die üblichen juristischen Lehnwörter ersetzte er durch ‚gute niederländische‘ Entsprechungen.
Sodann wurde Niederländisch in den protestantischen Kirchen gebraucht. Psalter-Übersetzungen von zum Beispiel Petrus Datheen (zirka 1531–1588) oder niederländische Liederbücher, so von Adrianus Valerius (1570?–1625) waren gefragt, an Bibelübersetzungen wie die Statenvertaling bestand Bedarf.
Für das Prestige und die Verbreitung des Neuniederländischen ist der niederländischen Literatur, die im 16. und 17. Jh. eine einzigartige Blütezeit erlebte, besondere Bedeutung beizumessen, vgl. HNA 5.2.3.4. Vor allem sollten Lyriker, Prosaschriftsteller und Theatermacher, die im letzten Viertel des 16. Jh. geboren waren, vermehrt zur Pflege und Verfeinerung ihrer Muttersprache beitragen. Der in seiner Zeit viel gelesene Seeländer Jacob Cats (1577–1660) bereicherte beispielsweise mit seinen Emblemen, moralistischen Versen und romantischen Kurzgeschichten das Niederländische mit Sprüchen und Volksweisheiten. Der Holländer Pieter Cornelisz. Hooft, der in Italien persönlich die Kunst der Renaissance kennengelernt hatte, wusste die Muttersprache nicht nur in gehobener Lyrik und Dramatik, sondern auch in einem witzigen Lustspiel, in eleganten Privatbriefen sowie in vornehmer historischer Prosa kunstvoll einzusetzen. Sodann gelang es dem Amsterdamer Gerbrand Adriaensz. Bredero (1585–1618), in seinen volksnahen Liedern, Gedichten und Bühnenstücken auf verspielte Weise Varietäten des Niederländischen anzuwenden. Die Texte des gefeierten Lyrikers und Schöpfers von Theaterstücken Joost van den Vondel, dessen Eltern aus Brabant stammten, trugen ebenfalls zur Kultivierung des Niederländischen bei. Der in Den Haag geborene Constantijn Huygens (1596–1687), Sekretär von drei Prinzen von Oranien, wusste die Möglichkeiten seiner Muttersprache in anspruchsvoller Dichtung, stilistisch gewandten Briefen, aber auch in einem volksnahen Bühnenstück voll auszuschöpfen. Für Einführungen in die Literatur dieser Epoche sei auf Grüttemeier et al. 2006 und Porteman et al. 2008 verwiesen.
Als ars bene loquendi atque scribendi oder Kunst des richtigen Sprechens und Schreibens umfasste die Orthografie in der Entstehungszeit des Neuniederländischen nicht nur Regeln für die Rechtschreibung, sondern auch für die Aussprache, für Einzelheiten vgl. HNA 5.4. Dabei ging Pontus de Heuiter wohl als erster Grammatiker 1581 von einer allgemeinen niederländische Sprache, opreht Nederlants (‚aufrichtiges Niederländisch‘) aus, einer Mischsprache (een gemeingelde Tale) der vorhandenen Mundarten (van alle lants spraken). Nach fünfundzwanzigjähriger Arbeit habe er diese überregionale Sprachvarietät aus Brabantisch, Flämisch, Holländisch und den Sprachen von Gelre und Cleve zusammengestellt, wobei ihm die Entstehung des Griechischen als Beispiel diente: ’t Nederlants een gemeingelde Tale makende, volg ’ic die nature van alle lants spraken (…) Mede heb ic exempel ande Grieken genomen (…) aldus heb ic mijn Nederlants over vijf en twintih jaren gesmeet uit Brabants, Flaems, Hollants, Gelders, en Cleefs. (‚Während ich das Niederländisch zu einer allgemein gültigen Sprache mache, folge ich dem Charakter aller Sprachen des Landes (…). Zudem habe ich die Griechen zum Beispiel genommen (…) so habe ich das Niederländisch aus Brabantisch, Flämisch, Holländisch und den Sprachen Gelderns sowie Kleves geschmiedet‘ HNA 5.4.1.2.). Übrigens sollte die Sprache von Immigranten aus den südlichen Niederlanden und aus Deutschland die Erneuerungen des Niederländischen mitprägen.
Während Verfasser von Veröffentlichungen zum Niederländischen sich mehrheitlich gegen die Verwendung von Wörtern romanischen beziehungsweise lateinischen Ursprungs wehrten, schmückten sie die Sprache ihrer Werke andererseits morphologisch und syntaktisch gerade nach lateinischem Muster aus. Somit gewann die Hochsprache in den Augen der Intellektuellen jener Zeit an Glanz. Obschon im Niederländischen ein Genus commune entstand, versuchten Grammatiker ‚Regeln‘ zur Klassifizierung von Substantiven als Fem. und Mask. festzuschreiben. Ebenfalls waren sie bemüht, detaillierte Kasussysteme für die Muttersprache zu entwerfen, obschon durch Flexionsverlust von einer systematischen Kasusdifferenzierung in der frühen Neuzeit schon längst nicht mehr die Rede sein konnte. Bis zum ersten Viertel des 20. Jh. sollte man sich immer wieder mit Vorschriften zum Wortgeschlecht und zu den Fällen befassen, ohne den Erneuerungen der lebendigen Sprache genügend Rechnung zu tragen. Erst die deskriptiven Grammatiken und Wörterbücher, die im Laufe des 20. Jh. vermehrt erschienen, berücksichtigen zunehmend die sprachimmanenten Entwicklungen des Niederländischen.
Das Lexikon des Niederländischen dehnte sich in der Neuzeit durch Bedeutungswandel, Neuschöpfung und Entlehnung erheblich aus. Diese Entwicklung ist der Verwendung der Muttersprache in sämtlichen Sprachdomänen zuzuschreiben. In der sich rasch ändernden Gesellschaft der frühen Neuzeit nahm das Benennungsbedürfnis stark zu. Neue lexikalische Elemente konnten nach bestehendem Muster entstehen. Dies gilt zum Beispiel für Neuschöpfungen durch Kompositionen aus bestehenden Substantiven vom Typus manwijf (‚Mannweib‘, 1599). Zu den vielen neuen Wortbildungsverfahren zählt u.a. die Bildung eines neuen Substantivs aus einem Verbteil mit dem Suffix -er wie uitgever (‚Herausgeber‘, 1566). Sodann dehnte sich das Lexikon u.a. durch Entlehnung beziehungsweise Angleichung aus, vgl. couragie (‚Mut‘). Auch durch Umschreibung, vgl. klinkdicht (‚Sonett‘) aus klinken (‚klingen‘) und dicht (‚Gedicht‘), entstanden neue Wörter. Weiter ergaben Übersetzungen niederländische Neuschöpfungen, vgl. das heute übliche deelwoord für das lateinische participium (‚Partizip‘). Für detaillierte Angaben zur Erweiterung des Lexikons und zu Typen von Neuschöpfungen vgl. HNA 5.4.3.
Die Bemühungen um das überregionale Neuniederländische im 18. Jh. kennzeichnen sich durch eine weitere Kodifizierung und Reglementierung der Muttersprache. Es zeichnete sich eine fortschreitende Vereinheitlichung der Schriftsprache ab. Für das Sprechen in der Öffentlichkeit war zudem die weitere Normierung einer gepflegten überregionalen Sprache erwünscht. In den von Österreich regierten südlichen Niederlanden, wo die Rhetoriker nach wie vor die lokale Sprachkultur prägten, war inzwischen eine niederländische Schreibtradition entstanden.
Für die weitere Reglementierung des Niederländischen gingen die Gelehrten und Schriftsteller zwar von der Sprache Hollands aus, über die Norm waren sie sich nicht einig. So galt für Arnold Moonen (1644–1711), Verfasser der bedeutenden niederländischen Grammatik Nederduitsche spraekkunst 1706, die Sprache der grossen niederländischen Schriftsteller des 17. Jh. als Richtlinie. In diesem Standardwerk, das 1719, 1740, 1751 und noch einmal ohne Angabe des Jahres neu aufgelegt wurde, berücksichtigte der Verfasser insbesondere die Sprache der Werke des ‚genauen‘ Vondels. Die lateinische und griechische Grammatik sowie Schottels Grammatik dienten ihm in seinen Beschreibungen als theoretischer Rahmen. Auch der Dichter und Sprachgelehrte David van Hoogstraten (1658–1724), der Pfarrer und Dicher Joannes Vollenhove (1631–1708), der Schriftsteller und Lexikograf Willem Séwel (1654–1720) oder der Regent und Dichter Balthazar Huydecoper (1695–1778) wählten die Sprache der niederländischen Renaissance-Dichter als Vorbild. Sie folgten damit der lateinischen Tradition, die Sprache der grossen Autoren als Richtlinie zu bestimmen. So galt die Sprachverwendung der grossen Renaissance-Dichter, het achtbare gebruik (‚die achtenswerte Verwendung‘) als Sprachnorm. Dies war allerdings nicht unproblematisch, da Dichter wie Cats, Hooft, Bredero oder Vondel zum Beispiel Regeln der Rechtschreibung nicht konsequent befolgten. Auch die Markierung von Genus und Kasus handhabten sie unterschiedlich. Die Autoren des 17. Jh. wandten Orthografie- und Grammatikregeln zudem innerhalb ihrer eigenen Werke nicht grundsatztreu an. Kein Wunder, dass beispielsweise Van Hoogstraten mit Andries Pels (1631–1681) bedauert, dass diese ‚begabten‘ Menschen gelegentlich Fehler machten, die man übrigens nicht nachahmen sollte: Het moeitme in ’t hart, als Hooft en Vondel zomtyts missen (‚Es schmerzt mich, wenn Hooft und Vondel gelegentlich Fehler machen‘ HNA 6.2.2.).
Dagegen hielt der Kaufmann, Philosoph und Gelehrte Adriaen Verwer (zirka 1655–1717) die ciertaal (‚geschmückte Sprache‘) der Schriftsteller als ‚dialectus poetica‘ mit ihren dichterischen Freiheiten für weniger geeignet zur Bestimmung einer Sprachnorm. Wohl würde die ‚meist vollkommene allgemeine Sprache‘ der Statenvertaling sich für die Herleitung von Sprachregeln eignen. Moderner aus heutiger Sicht scheint Verwers Schüler Lambert ten Kate Hermansz.’ (1674–1731) Ansatz zu sein, Sprachregeln im Gemeenlandsche Dialect (in der ‚allgemeinen Sprache‘) zu suchen. Der Verfasser des wegweisenden Werkes Aenleiding tot de kennisse van het verhevene deel der Nederduitsche sprake (1723) vermutet aber, dass es den Sprachverwendern an Kenntnissen sprachlicher Gesetzmässigkeiten mangelt. Daher beachtet Ten Kate bei der Formulierung sprachlicher Regeln nicht nur die ‚allgemeine Sprache‘, sondern er beruft sich auch auf historische Vergleiche der Dialekte.
Der Historiker und Sprachwissenschaftler Balthazar Huydecoper nahm anders als Ten Kate die Sprache der ouden (‚Alten‘) als Massstab für die Reglementierung seiner Muttersprache. Da frühere Stufen des Niederländischen nach seiner Meinung eine regelmässige reine Sprache kannten, seien diese in der Reglementierung des Niederländischen zu berücksichtigen.
Wie unterschiedlich die Ansätze zu einer weiteren Reglementierung des Niederländischen im 18. Jh. auch waren, die Werke waren naturgemäss normativ, wie sich beispielsweise in Erläuterungen zum Genus und Kasus zeigt. Bezeichnenderweise erschienen von Van Hoogstratens 1700 veröffentlichten Aenmerkingen mit Angaben zum Wortgeschlecht mehrere Auflagen.
Inzwischen hatte sich die niederländische Schriftsprache weitgehend konsolidiert, syntaktische Strukturen hatten sich grösstenteils gefestigt. Sie hatte sich allmählich zu einer feierlichen Sprachvarietät des Niederländischen entwickelt, die vermehrt von Formen der gesprochenen Sprache abwich. Dies zeigt sich nicht nur in der Morphologie und Syntax, sondern auch in der Lexik, wie die wenigen hier angeführten Beispiele zeigen.
Da die Grammatiker Entwicklungen der lebendigen Sprache nur beschränkt in ihren Darstellungen berücksichtigten, standen Fragen zum Wortgeschlecht und Kasus nach wie vor im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen über die niederländische Sprache. Auffällig für die Schriftsprache des 18. Jh. ist die Kasusmarkierung von Pronomina. So weist die Schriftsprache im 18. Jh. bei Interrogativpronomina Formen für Mask., Fem., Neutr. und Plur. auf, die zum Teil Fälle bezeichnen, vgl. die folgenden Formen von wie (‚wer‘): (1) Mask. Sing. Gen. wiens, Mask. Dat. und Akk. wien; (2) Gen. Fem. wier; (3) Gen. Plur. wier, Dat. Plur. wien (HNA 6.4.2.2.). Das Interrogativpronomen welk (‚welches‘), das sich zu einem Relativpronomen entwickelt hatte, kannte flektierte, gern gebrauchte Formen wie dewelke, hetwelke, welkers, dewelken oder welks (HNA 6.4.2.2.).
Weiter ist für die Schriftsprache der mittleren Neuzeit die häufige Verwendung von aus Latein entliehenen Partizipialkonstruktionen, die ein Partizip mit Verbalaussage enthalten charakteristisch. So sind absolute Partizipialkonstruktionen zu unterscheiden, die ein Subjekt umfassen, das keine Funktion in der restlichen Struktur erfüllt, wie Al ’t kooren op zynde, werd het voeder beesten (…) menschenkost (‚Alles Getreide ausgegangen seiende [während das Getreide ausgegangen war] wurde das Futter der Tiere zur Kost des Menschen‘, Van der Wal et al. 2008, 272). Als weiteres Beispiel sind verbundene Partizipialkonstruktionen mit einem Subjekt für die ganze Konstruktion zu nennen, vgl. De Spanjaards, ondertusschen, ’t water ziende wassen, begeeven zig op de vlugt (‚Als die Spanier indessen das Wasser heranwachsen sahen, begaben sie sich auf die Flucht‘) mit De Spanjaards als Subjekt zu ziende und begeeven, vgl. HNA 6.4.2.5.
In der mittleren Neuzeit wächst der niederländische Wortschatz insbesondere durch die Einbürgerung von Lehnwörtern. Französisch ist nach wie vor die weitaus wichtigste Quelle neuer Entlehnungen. Archaische lexikalische Elemente weisen wohl unter Einfluss der Statenvertaling und der feierlichen Psalm-Übertragungen eine lange Lebensdauer auf.
Auch im 18. Jh. kam das Niederländische in allen Sprachdomänen zur Anwendung. In der Zeit des Rationalismus und der Aufklärung erschien weiterhin auf den unterschiedlichsten Fachgebieten eine zunehmende Zahl von niederländischsprachigen Veröffentlichungen.
Die Literatur trug mit Trauer- und Lustspielen, Emblem-Literatur, Lyrik sowie Epik weiterhin erheblich zur Verbreitung des kultivierten Niederländischen bei. Neu sind Gedichte für Kinder, die Hieronymus van Alphen (1746–1803) 1778, in Nachfolge von Christian Felix Weisse und Gottlob Wilhelm Burmann, in seiner Proeve van kleine gedigten voor kinderen (‚Eine Probe kleiner Gedichte für Kinder‘) veröffentlichte. So machte die jüngste Generation mit der niederländischen Schriftsprache Bekanntschaft durch Mittel von Versen wie Jantje zag eens pruimen hangen (‚Karl sah schöne Pflaumen hangen‘ in der Übersetzung Gittermanns von 1838, HNA 6.3.1.2.). Sodann verfassten Betje Wolff (Elizabeth Wolff-Bekker 1738–1804) und Aagje Deken (Agatha Deken 1741–1804) 1782 zusammen den ersten ‚nicht-übersetzten‘ niederländischen Roman, das zweibändige Werk Sara Burgerhart (‚Die Geschichte von Fräulein Sara Burger-hart‘). Mit diesem Buch und ihren weiteren Werken vermittelten sie einem grösseren Leserpublikum Formen eines kultivierten Niederländischen, das sich u.a. durch lebhafte Dialoge auszeichnet. Für Einführungen in die Literatur dieser Epoche sei auf Grüttemeier et al. 2006 und Leemans et al. 2013 verwiesen.
Beliebt bei Leserinnen und Lesern waren wie auch in anderen Ländern die Moralischen Wochenschriften. So kamen in den Niederlanden schätzungsweise 70 Moralische Wochenschriften mit Abhandlungen, Leserbriefen und Erzählungen auf den Markt, die in der Regel aufklärerische Auffassungen verbreiteten (vgl. HNA 6.1.3.1). Zu den bekanntesten Herausgebern solcher Veröffentlichungen zählt Justus van Effen (1684–1735), der neben französischen Blättern auch die niederländischsprachige De Hollandsche Spectator (1731–1735) herausgab. Über die Post wurden die Wochenschriften an Buchhandlungen in der ganzen Republik verschickt, gebildete Bürger, die zum middelbare staat (‚Mittelstand‘) gehörten, lasen einander laut Van Effen im Kaffeehaus aus den Heften vor und diskutierten über die behandelten Themen. Zudem beschäftigten sich vermehrt auch Frauen mit den spectatoriale geschriften. Während Teegesellschaften besprachen auch sie die Inhalte der Hefte, vgl. HNA 6.1.3.1.
Solche Zusammenkünfte, aber auch die Tätigkeit zahlreicher literarischer Gesellschaften oder Genossenschaften, die beispielsweise danach strebten, Bildungsideale zu verwirklichen oder die gemeinnützige Ziele verfolgten, förderten nach M.-T. Leuker einen sozialen Austausch (Leuker in: Grüttemeier et al. 2006, 124 ff). So zeichnete sich im 18. Jh. die Entstehung einer nationalen Kommunikationsgemeinschaft ab, in der künftig das Allgemeine Niederländische gedeihen sollte.
Literatur zu 1.2.: Blancquaert et al. 1925/82; Blom et al. 2014; Blonk et al. 1960/62; Bosatlas 2011; Van Bree 1987; Van Bree 1996; Van Bree 2014 (a); Bundschuh-Van Duikeren 2014; Cajot et al. 1995; Dongelmans 1982; Geerts 1966; Goossens 1974; Goossens 1984; Goossens 1985; Goossens 1996; De Gooyer 1962; Gysseling 1976; Haeseryn et al. 1997; Hagen 1995; Van Heule 1953; Janssens et al. 2005; Ten Kate 2001; Kloeke 1927; Leemans et al. 2013; Van Loon 1986; Noordegraaf 1996; Van Oostrom 2006; Van Oostrom 2013; Porteman et al. 2008; Schenkeveld-Van der Dussen 1993; Van der Sijs 2004; Van der Sijs 2005 (a); Van der Sijs 2005 (b); Van der Sijs et al. 2009; Stegeman 2014 (a); Van den Toorn et al. 1997; Vekeman et al. 1993; De Vooys 1952; J.W. de Vries et al. 1994; Van der Wal 1995; Van der Wal et al. 2008; Willemyns 2013; Willemyns et al. 2003.