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Gefährlicher Crash auf der Hallig

Unter dem Codenamen »Operation Gomorrha« starteten Briten und US-Amerikaner im Juli 1943 eine Reihe von schweren Luftangriffen auf Hamburg, nachts die Engländer, tagsüber die Amerikaner. In der Nacht vom 24. auf den 25. Juli kurz vor Mitternacht näherten sich Tausende Bomber der Küste. Die deutschen Nachtjagdflieger waren von der gewaltigen Übermacht am Himmel völlig überrascht, und auch am Tag versagte die deutsche Luftverteidigung.

Es waren die bis dato schwersten Angriffe in der Geschichte des Luftkrieges. Begünstigt durch besondere Witterungsbedingungen entfachten diese Flächenbombardements insbesondere in den östlichen Stadtteilen einen fürchterlichen Feuersturm, dem schätzungsweise 34 000 Menschen zum Opfer fielen.

Nach diesem verheerenden Angriff auf die Hansestadt wurden wir am 2. August 1943 zur Heimatluftverteidigung nach Holland verlegt. Die Verlegung unseres Geschwaders nach Westen zur Reichsverteidigung war eine bedeutende Veränderung, die uns den Ernst der militärischen Lage ahnen ließ. Wir waren gerade mit nagelneuen Me 109 G ausgerüstet worden, von uns »die Beule« genannt. Diese Maschinen sollten dann auch an die Rumänen, unsere Verbündeten, geliefert werden.

Am 12. September landeten wir in Schiphol, südlich von Amsterdam. Von hier wurden wir zur Reichsluftverteidigung eingesetzt. Unser Einsatz im Westen wurde zu einem Debakel: Unsere Verluste betrugen 23 Gefallene und zehn Verwundete. Zwar konnten wir 46 Abschüsse verzeichnen, verloren dabei aber 49 Flugzeuge. Auch ich sollte einige unangenehme Erfahrungen machen.

Es war am Morgen des 18. Oktober 1943, einem Montag. Diesig und wolkenverhangen kroch der Tag herauf. Dichter Nebel hatte sich über den Anlagen von Schiphol gebildet, als plötzlich Alarmstart befohlen wurde. Der Start erfolgte bei dicker Suppe in Rotten, also zu jeweils zwei Maschinen, das Sammeln sollte dann über der Wolkendecke geschehen. Mit einiger Mühe wegen des dichten Nebels fanden wir uns zum lockeren Verband zusammen, und die Einsatzleitung dirigierte uns nordwärts, einem Verband amerikanischer Viermotoriger vom Typ B-24 Liberator entgegen, den wir aber trotz langen Suchens nicht zu Gesicht bekamen.

Die Zeit verstrich, und der Brennstoff in meiner Me 109 wurde immer weniger. Zusatzbehälter, die Tropfentanks unter dem Rumpf, waren zwar schon lange beantragt, aber bis dato nicht eingetroffen. Unverrichteter Dinge mussten wir daher bald den Rückflug Richtung Holland antreten, und das Bild, das sich uns da bot, war alles andere als ermutigend. Ganz Holland, Belgien und Nordwestdeutschland lagen unter einer geschlossenen Nebeldecke, eine regelrechte Waschküche, und die »Suppe« lag vermutlich immer noch auf, wie wir sie verlassen hatten. Als wir nach der Zeitberechnung die Küste erreichten, waren wir schon eine ganze Weile im dichten Nebel im Sinkflug. Das rote Lämpchen der Brennstoffwarnanzeige hatte schon längst über England aufgeleuchtet. Das bedeutete, nur noch Sprit für zwanzig Minuten.

»Das kann ja heiter werden!«, dachte ich mit einem Anflug von Panik. Und so wurde es auch: Ein Durchstoßen im Verband hätte bei dem am Boden aufliegenden Nebel zur Katastrophe geführt. Daher ließen die Staffelkapitäne einem jeden freie Hand in der Wahl ihrer Mittel, runterzukommen – in letzter Konsequenz: die Maschine zu opfern und den Fallschirm zu benutzen.

Was sich anschließend ereignete, waren reine Verzweiflungstaten, denn keiner war so ohne Weiteres bereit, sein Flugzeug aufzugeben und zu springen. Es ist schwer, die Empfindungen meiner Kameraden in dieser Situation wiederzugeben. So beschränke ich mich auf die Schilderung meines eigenen Erlebens.

Schon 18 Minuten lang leuchtete das rote Lämpchen, und ich war immer noch in der »dicken Suppe«. Noch zwei Minuten, und meine Me 109 würde zum Segelflugzeug werden – ein weit über zwei Tonnen schwerer Segler mit gut über 550 km/h und das im dichten Nebel. Also, Gas raus … und doch etwas tiefer an den Boden herantasten. Es war ein Blindflug mit Höhenmesseranzeige 0 Meter – ein schauriges Gefühl. Jeder noch so gefährliche Luftkampf wäre mir lieber gewesen. Vorsichtig gab ich Gas in der Hoffnung doch noch Bodensicht zu bekommen. Um höher zu steigen in der Hoffnung, das oft besungene »Löchlein vom Dienst« am Himmel in der »Waschküche« zu finden, war kein Sprit mehr da. Diesmal musste ich also runter. Erdsicht musste kommen. Wieder stand der Höhenmesser bei 0 Meter. Jeden Moment konnte es nun krachen, und dann war es aus. Aber dieser Gedanke wurde sofort verdrängt. Es hatte zu klappen! Jeden Augenblick musste der Motor stehen bleiben; aussteigen und abspringen war nun keine Option mehr.

Nun stand der Höhenmesser schon unter 0. Die Holländer hatten dem Meer Land abgerungen, das unter dem Meerespiegel liegt, und das war mein Glück. Plötzlich rauschte, hart an meiner linken Tragfläche, ein schwarzer Schatten vorbei. Bei näherem Hinsehen entpuppte er sich als eine Kuh. Ich war durch die Untergrenze zwischen zehn und 15 Metern. Links von mir befand sich eine Hallig mit Häusern, von denen nur die untersten zu sehen waren. Alles Weitere war Flachland. Noch lief mein Motor. Weiße Punkte tauchten auf dem völlig ebenen Gelände auf. Erleichterung machte sich bei mir breit, denn ich vermutete, es seien Steine und glaubte, der Boden sei fest. Das war ein großer Irrtum. Mein Flugzeug sollte unbeschädigt bleiben, deshalb fuhr ich das Fahrwerk aus und setzte sicherheitshalber unweit der Häuser auf.

Es wurde eine Landung wie auf rohen Eiern, und ich hoffte schon, gerettet zu sein, als plötzlich der Boden nachgab, die Räder einsanken und der Flieger einen Überschlag machte, bei dem kurz hinter der Kabine laut krachend der Rumpf abbrach.

Nach diesem ohrenbetäubenden Krach herrschte plötzlich völlige Stille. Ich hing kopfüber in den Schultergurten. Mein erster Gedanke war: »Gebe Gott, dass es nicht brennt!« Glücklicherweise brach kein Feuer aus. Da kein Sprit mehr im Tank war, konnte nichts brennen. Dieser Umstand rettete mir das Leben.

Nach unendlich langen äußerst bangen Minuten in dieser unerfreulichen Lage klopfte es am Kabinenfenster. »Hallo, hallo, ist da jemand?«

Es waren zwei Bauern von der Hallig.

»Hilfe! Hilfe!« Es gelang mir, mich bemerkbar zu machen. Die beiden Bauern erschraken bei meinem Anblick. »Ze zijn gewond?« (Sind Sie verwundet?), fragten sie.

Ich antwortete als Norddeutscher auf Plattdeutsch: »Nee, bien ik nich, aber hol mi mol rut hir«(Nee, bin ich nicht, aber hol mich raus hier).

Aber das war leichter gesagt als getan. Die Me 109 wog leer etwa 2,2 Tonnen, und um diese zu bewegen, brauchte man mehr als zwei Leute. Nach einer Stunde waren genügend Männer beisammen, und man zerrte mich an die frische Luft. Es stellte sich heraus, dass die vermeintlichen Steine Muscheln waren. Muscheln des Wattenmeeres. Und das Wattenmeer ist nun einmal weich.

Nachdem mich die hilfsbereiten holländischen Bauern auf der Hallig gerettet hatten, musste ich wegen des Tidenhubs, also der hereinkommenden Flut, die nächsten Stunden dort verbringen. Man war sehr freundlich zu mir, half mir, meine Kleidung zu säubern, lieh mir sogar saubere Hosen und half mir, mit meiner Einheit Verbindung aufzunehmen.

Im Wattenmeer lag ein notgelandeter amerikanischer Bomber vom Typ Boeing B-17. Nachdenklich betrachtete ich die Viermotorige und stellte Vergleiche an zwischen der Abwehrbewaffnung jenes mit Recht »Fliegende Festung« genannten US-Bombers und unseren Ju-88 oder He-111. Es machte mich ein wenig nervös. Wie sollten wir auf die Dauer gegen eine solche technische Überlegenheit ankommen? Und das war erst der Anfang …

Noch am gleichen Abend lernte ich eine sehr nette semmelblonde junge Holländerin kennen. Wir freundeten uns an und suchten nach einer abgelegenen Gegend, um ein paar Stunden gemeinsam zu verbringen. Das Mädchen war immer sorgsam darauf bedacht, meine Dienstgradabzeichen abzudecken. Sie bewunderte mich als den vom Himmel gefallenen Jagdflieger und war beeindruckt von dem, was geschehen war, wollte aber natürlich keinesfalls mit einem Deutschen gesehen werden.

Am nächsten Tag kamen Kameraden von der Jagdgruppe aus Schiphol und sammelten mich ein. Wir flogen noch bis Gronigen weiter, wo ein Kamerad mit schweren Verletzungen im Lazarett lag. Er war beim Durchstoßen nicht so glimpflich davongekommen wie ich.


Beisetzung unserer Kameraden Stollte und Micheels, die den Schlechtwettereinsatz am 18. Oktober 1943 nicht überlebt hatten, in Amsterdam

Die Bilanz dieses Einsatzes: Zwei Totalverluste: Der Staffelkapitän der 6. JG3, Hauptmann Paul Stollte, und Feldwebel Uwe Micheels wurden am 2. November 1943 in Amsterdam begraben. Dazu kamen mehrere Verwundete. Die mutigsten von uns waren abgesprungen – mutig deswegen, weil das Fallschirmspringen nie Teil unserer Ausbildung war. Nur in der Theorie hatten wir es gelernt. Denn wir sollten uns davor fürchten und in unseren Maschinen bleiben bis zum letztmöglichen Moment. Den Fallschirm durften wir nur dann benutzen, wenn das Flugzeug wirklich nicht mehr flugfähig war.

Keine einzige Maschine kehrte zu unserem Fliegerhorst zurück, nur eine landete durch reinen Zufall glatt auf einem anderen Flugplatz.

Was an diesem Tag geschah, war eine Katastrophe ohne irgendeine Feindberührung. Der Gegner hatte einen Sieg errungen, ohne auch nur einen einzigen Schuss abzufeuern. Der Grund für dieses Debakels war die Fehlentscheidung, uns bei viel zu schlechtem Wetter in die Luft zu schicken, nur um einer Falschmeldung nachzugehen.

Einsatz über den Wolken

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