Читать книгу Einsatz über den Wolken - Jenny Schuckardt - Страница 7
ОглавлениеEndlich Herr der Lüfte!
Mehr und mehr beherrschte der Krieg das Leben der Menschen. Sondermeldung folgte auf Sondermeldung, und die verkündeten Siege rissen die Bevölkerung in einen wahnwitzigen Freudentaumel. Irgendwann lag dann mein Einberufungsbefehl im Briefkasten, und ich hatte mich umgehend beim Flieger-Ausbildungs-Regiment 71 in Wien-Stammersdorf zu melden. Dort verbrachte ich die Zeit von Juli bis Oktober 1940 mit Exerzieren, ausgiebigem Geländedienst, wurde vereidigt und durfte beim Ausgehen das schöne Wien genießen. Aber eigentlich wollte ich nichts anderes als fliegen. Wie groß war meine Freude, als dann endlich mit 18 Jahren meine Versetzung ins Fluganwärter-Bataillon 32 nach Senftenberg angeordnet wurde. Endlich am Ziel meiner Träume! Doch von wegen! Es wurde alles andere als ein Spaziergang. Man meinte dort, uns richtig trietzen zu müssen, und schikanierte uns nach allen Regeln der Kunst: Liegestütze, Putzdienst, Liegestütze, Putzdienst. Bei Wind und Wetter wurde draußen exerziert, der Dienst war hart, die Schulung eher militärisch als fliegerisch. In der Schwimmhalle wurden Mut und Draufgängertum erprobt: Wer stellt sich wie an beim Sprung rückwärts vom Dreimeterbrett oder bei einem Salto vom Sprungbrett. Dazu kamen Geländedienst und der Drill an der Waffe. Wir saßen nach einer Liste geordnet, auf der Name und Bild eines jeden Rekruten vermerkt war, sodass sich die Vorgesetzten jeden einzelnen einprägen konnten. Keiner entging der Dauerbeobachtung. Das ebenso markige wie menschenverachtende Motto lautete: »Versagt dieses Menschenmaterial bei einer Belastungsprobe am Steuerknüppel vorm Feinde, dann hätte die Kriegsschule ihre Aufgabe schlecht erfüllt. Der deutsche Flieger kämpft bis in den Tod für Führer und Volk, für Deutschlands Sein und Zukunft.»
Nach dem Drill der Grundausbildung wurde ich endlich auf die »AB Schule 113« in Otrokovice bei Brünn, das heute Bruno heißt, geschickt, und hier drehte sich endlich alles um die Fliegerei. Man unterrichtete uns in Zellenkunde, Motortechnik und Navigation – und im Fliegen.
Der Winter in Otrokovice war eiskalt, trocken und windig. Geschult wurde ich auf der Heinkel 72, einem offenen Doppeldecker. Der Wind pfiff uns nur so um die Ohren, und wir flogen dick bekleidet wie Teddybären, der Lehrer vorn, der Schüler hinten. Denn aus dem hinteren Cockpit hatte man die bessere Sicht. Es war ein unvergleichlicher Genuss, die Welt von oben zu bestaunen, die Landschaft in der Tschechei war zauberhaft.
Nach endlosem Büffeln der grauen Theorie, Hallendienst, etlichen Flügen mit Feldwebel Kähne und einem Überprüfungsflug mit Oberfeldwebel Reimer kam endlich die ersehnte Erlaubnis zum ersten Alleinflug.
Auf dem Flugplatz türmten sich noch Mengen an Schnee und Eis, obwohl die Schmelze bereits eingesetzt hatte und die Temperatur gute drei Grad Plus betrug. Die Maschine war mit Kufen ausgerüstet, die Landungen auf Schnee erlaubten, und die Einweisung war ausgiebiger als bei einer Atlantiküberquerung – so schien es mir jedenfalls in meiner Aufregung.
Ungeduldig wartete ich im Flugzeug auf die Starterlaubnis. Der Motor blubberte im Leerlauf, während Feldwebel Kähne weiter heftig auf mich einredete. Immer wieder nickte ich bestätigend und hoffte dabei, dass der so lange ersehnte Moment doch endlich kommen möge. Nach einer gefühlten Ewigkeit trat der Feldwebel schließlich zur Seite und gab das Zeichen zum Start.
Ein Doppeldecker-Schulflugzeug Heinkel He 72 in der fliegerischen Grundausbildung im April 1941
Gas rein und los! Die Maschine nahm auf ihren Kufen rasch Fahrt auf, war ohne Fluglehrer leichter und hob deshalb ungewohnt schnell ab. Die kahlen Bäume am Ende des Platzes näherten sich bedenklich, aber die Maschine war schon hoch genug. Ich flog eine 90-Grad-Kurve nach links und stieg weiter. Noch eine Kurve, und unten war mein Feldwebel Kähne zu erkennen, klein und unscheinbar. Oh mein Gott! So gern hätte ich aus diesem Alleinflug einen richtigen Ausflug gemacht. Aber dieser erste Eindruck musste ein guter werden. Dennoch, diese wenigen Sekunden gehörten mir allein. Ich schickte einen Jauchzer aus der Kabine, atmete tief durch und genoss das überwältigende Gefühl der Freiheit und des Glücks, die Welt von oben sehen zu dürfen. Der erste Alleinflug war immer nur eine Platzrunde. Also ging es nach kurzem Schnuppern an der Freiheit über den Wolken gleich wieder hinunter. Den frischen Wind im Gesicht, das schon vertraut gewordene Vibrieren der Struktur meiner Maschine, nochmal einen Blick nach links und den Motor drosseln. Noch eine 90-Grad-Kurve, und dann ging es in den Landeanflug. Dieser gestaltete sich ungleich schwieriger als der Start. Ich hoffte, beim Landen nicht auf schneefreie Stellen zu treffen, denn das hätte mit den Kufen unweigerlich zum Überschlag geführt.
Rollschaden bei einer Heinkel 72 nach Einsacken im Schneematsch
Der Boden kam immer näher, ich nahm das Gas raus, die Maschine schwebte und schwebte, dann setzte sie sanft auf. Gelandet! Allein!
Ein unbeschreibliches Gefühl erfasste mich. Ich hätte schreien mögen vor Glück, riss mich aber zusammen und schlitterte auf den Feldwebel zu. Und welch eine Freude! Der schickte mich sogleich wieder zurück in die Luft. Noch eine Platzrunde und danach noch eine dritte. Start und Landung sollten ja möglichst schnell zur Routine werden. Mit jeder Runde stieg meine Selbstsicherheit. Doch die dritte Runde lehrte mich, vorsichtig zu bleiben. Der Landeanflug war zu tief. Ich gab Gas, setzte aber an einer Stelle auf, die nicht zur Landung präpariert war. Die Maschine zuckte, der Schwanz stieg unvermittelt hoch, und nur mit größter Mühe gelang es mir, die Kontrolle zu behalten. Mein Herz raste, meine Handflächen waren schweißnass wie immer, wenn ich in Panik geriet, doch ich gab mir große Mühe, meinen Schrecken vor Feldwebel Kähne zu verbergen. Aber der Flug war erfolgreich! Was für ein Glück, denn nun gehörte ich zu den Fortgeschrittenen, die allein fliegen durften!
Vor dem Flugbetrieb: Wir ziehen unsere He 72 aus der Halle im Januar 1941
Es folgte die übliche Aufnahmezeremonie in den Klub der Erlauchten: Mit einer eigens dafür bereitgehaltenen Peitsche wurde mir kräftig der Hintern versohlt. Es schmerzte tagelang, Sitzen war mir kaum möglich. So sollte es auch sein, denn es hieß, das fliegerische Gefühl habe man im Hintern.
Mein Traum hatte sich jedenfalls endlich erfüllt. Ich durfte fliegen. Dass mich die Ausbildung auf den Krieg vorbereiten sollte, wusste ich zwar, es beeindruckte mich aber nicht. Krieg war damals nur ein Wort, nicht mehr. Dass wir angesichts der vielen Siege tatsächlich noch zum Einsatz kommen würden, konnten wir uns zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht vorstellen. Wir Flugschüler machten sogenannte Ausmärsche durch Mähren und verbrachten viele gesellige Abende. Wir waren Freunde geworden und genossen unsere gemeinsame Zeit. Es war ein bisschen wie Ferien.
Nach der fliegerischen Grundausbildung war die Typenschulung vorgesehen. Jeder von uns musste in der Lage sein, jedes Flugzeug zu fliegen, egal welchen Typs, einstweilen aber nur Schulflugzeuge: Bücker Jungmann, Bücker Jungmeister, Klemm KL-35, Gotha Go 145, Focke-Wulf 56 Stösser, aber auch die tschechische Letow S 328. Ich hatte viel Spaß daran, jedes dieser Schulflugzeuge zu bewegen – und auch ein gewisses Talent.
Weniger Talent und sehr viel weniger Spaß hatte ich bei dem Teil der Ausbildung, bei dem es darum ging, Verkehrsflugzeuge wie Junkers W33 oder Focke-Wulf Weihe zu fliegen. Denn dazu gehörte der Instrumentenflug. »Wer die ganze Skala der Flugausbildung durchmacht, hat eine Flugmaschine zu meistern gelernt. Vom Kunstflug bis zum Langstreckenflug. Meine Herren, Sie müssen in der Lage sein, bei jedem Dreckswetter zu navigieren.«
Und das bedeutete Kopfrechnen: Kurs –Gegenkurs, Höhe halten, Peilung – alles Dinge, die mir als mathematisch Desinteressierten so gar nicht lagen. Es kostete mich große Anstrengung, das alles durchzuhalten, aber ich biss die Zähne zusammen und quälte mich durch den Stoff, denn mein Traum war es, nach dem Krieg, der ja für uns vielleicht niemals stattfinden würde, Lufthansa-Flugkapitän zu werden und in fremde Länder zu fliegen.
Im Raum meines Flugausbildungsleiters hingen Tafeln mit den Namen der Flugschüler und ihren geleisteten Flügen. Über jeden Flug wurde akribisch Buch geführt, wie sich der Schüler beim Fliegen benommen hatte, woran es ihm fehlte, was er besonders gut konnte. Meine Vorgesetzten erkannten schnell meine Abneigung gegen den Instrumentenflug und teilten mich zu den Tagjägern ein, wo der Blindflug, also der Flug nach Instrumenten, nicht so wichtig war. Man flog meistens auf Sicht, half sich mit dem Vergleich von Karte und Landschaft. Bei bewölktem Himmel war es wichtig, für diesen Abgleich einen Blick nach unten zu finden, um nicht vom Kurs abzukommen. Das konnte ich, das liebte ich.