Читать книгу LIAM - Jens F. Simon - Страница 10

Im « Sunrise »

Оглавление

Ich erwachte. Normalerweise benötigte ich immer einige Zeit, bis ich morgens ganz zu mir kam. Diesmal war es anders, ich war sofort hellwach. Als ich mich im Bett aufsetzte, war es noch dämmrig im Raum.

Meine Gedanken bewegten sich zäh und ich blickte auf den Fußboden mit dem kleinen Läufer vor dem Bett.

Irgendetwas in meinem Blickfeld veränderte sich. Ich wusste zunächst nicht, wie ich es greifen konnte. Mir war, als würde ein Zittern in der Atmosphäre mein Zimmer verändern, als wäre ein Raster zerbrochen und gleichzeitig wieder neu aufgebaut worden.

Ich saß noch an derselben Stelle, aber in meinem Geist, in meiner unmittelbaren Wahrnehmung, schien sich etwas veränderte zu haben. Es betraf nur einen kurzen Moment, nur Sekunden.

Ich sah, oder besser gesagt, ich erfuhr bewusst eine Art Reset. Ich sah mich selbst, wie ich mich wiederaufrichtete und an den Bettrand setzte und es war kalt.

Ein eisiger Hauch kroch mir den Rücken hoch, jedenfalls war das mein subjektives Empfinden. Leichter Schwindel überfiel mich.

Irritiert saß ich noch mehrere Minuten schweigend auf der Bettkante und versuchte das eben Geschehene mir immer wieder vorzustellen, um es zu begreifen. Ich betastete das Bett, den Läufer, den Boden.

Es war alles so wie immer; jetzt wieder. Danach. Ich ging zum Fenster und zog den Rollladen ganz nach oben. Als ich das Fenster öffnete, kamen mir vergnügte Vogelstimmen entgegen.

Alles war wieder so, wie ich es gewohnt war und wie es sein musste. Ein neues Bild entstand plötzlich in meinem Gedächtnis.

Das Bild einer sehr hübschen, jungen Frau und sofort fiel mir auch wieder ihr Name ein, Luna.

Ich blickte versonnen hinüber zur kleinen Lichtung, die sich nur wenige Meter von unserm Haus entfernt befand und von Lerchen, Buchen und anderen Laubbäumen umgeben war und auf der sich immer Rehe und Wildschweine tummelten. Die Farben des beginnenden Tages erschienen mir besonders kontrastreich und leuchtend zu sein.

Mir war irgendwie, als wäre meine Wahrnehmung beeinflusst worden.

Ich setzte mich zurück auf die Bettkante und versuchte mich wieder an diese merkwürdige Begebenheit im Zimmer zu erinnern.

Es fiel mir jetzt schon schwerer. Ich legte mich zurück auf das Bett. Hatte ich einen Filmriss oder war die Wirklichkeit, so wie ich sie erlebte, kurz unterbrochen worden?

Blödsinn! Das war bestimmt so etwas Ähnliches wie ein Kater.

Ich hatte letzten Abend wahrscheinlich zu viel Cola Bier getrunken, weiter nichts.

Als ich die Augen wieder schloss, sah ich sie vor mir stehen; blondes, schulterlanges, gelocktes Haar, rehbraunen Augen, die von einem silbernen Lidschatten umrundet wurden.

Ihr ganzer Körper erstrahlte in einem hellblau, nur am Bauchansatz schimmerte hellbraune Haut.

Ich musste sie wiedersehen, unbedingt. An diesem Abend ging ich mit gemischten Gefühlen los.

Der Weg in die Stadt streckte sich und es kam mir so vor, als würde ich überhaupt nicht mehr ankommen. Ich war schon früh losgefahren, und als ich am ‚Sunrise’ ankam, war es immer noch hell.

Die Außenbeleuchtung war noch dunkel und die Tür verschlossen. Ich kam mir etwas verloren vor, als ich so dastand und nicht wirklich wusste, was ich tun sollte.

Mir blieb tatsächlich nichts anders übrig, als zu warten. Ich lehnte an die Einfriedungsmauer, die den Parkplatz vom Wohnhaus des Diskothekenbesitzers trennte und schaute in den Sonnenuntergang.

Eine so starke, blutrote Färbung hatte ich am Abend schon lange nicht mehr gesehen. Der blaue Himmel zwischen den eingefärbten Wolken veränderte regelrecht seine Farbe und strahlte in Lila auf die Erde hinunter.

Versonnen ließ ich meinen Gedanken freien Lauf. Es war mir, als hätte sich seit meinem Aufstehen heute Morgen, die ganze Welt irgendwie verändert.

Ich fühlte mich nicht mehr als ein integrierter Bestandteil dieser Welt, sondern eher als ihr Betrachter.

Meine Gedanken fächerten immer weiter auseinander.

Ich beobachtete, wie ein Auto auf der Hauptverkehrsstraße an der Diskothekenzufahrt vorbeifuhr. Es wirkte auf mich so fremd, so unnahbar.

„Hallo Liam, sag nur du träumst am helllichten Tag!“

Ich erschrak und zuckte kurz zusammen. Ben stand mit Petra im Arm neben mir. Ich hatte die beiden tatsächlich nicht bemerkt.

Sie löste sich von ihm und ging zur Eingangstür, um sie aufzuschließen. Ben blickte an mir vorbei in Richtung Sonnenuntergang.

„Geiler Anblick, was!“

Er grinste mich an und ich wusste zuerst nicht, ob er es ernst meinte oder nur sarkastisch.

Ich folgte ihm und betrat die Diskothek. Petra war gerade dabei, die Putzbeleuchtung und die Belüftung einzuschalten.

Die Diskothek verfügte sonst über keinerlei Fenstern. Lediglich auf der anderen Seite des Raums, direkt neben dem Schanktresen, befand sich ein Notausgang. Leuchtstoffröhrenlicht erhellte den Innenraum und ließ ihn kalt und unansehnlich erscheinen.

Während Petra die Geldkassette mit dem Wechselgeld für den Eintritt holte, begann Ben die hochgestellten Stühle von den Tischen zu nehmen. Ich half ihm dabei.

Seitdem Ben mit Petra zusammen war, hatte er sich irgendwie verändert.

Ich stellte den letzten Stuhl auf den Boden und beobachtete, wie die beiden sich in den Arm nahmen und küssten.

Ben hatte es gut. Ich beneidete ihn.

„Lass stecken, du bist eingeladen“, rief er mit entgegen, als ich einen Fünf-DM-Schein aus meiner Hosentasche kramte und den Eintritt bezahlen wollte.

Petra nickte mir lächelnd zu und ich fühlte regelrecht, wie die beiden harmonierten.

„Danke!“ Mehr brachte ich nicht über die Lippen und versuchte, ein alltägliches Gesicht zu zeigen. Sie brauchten nicht zu bemerken, wie sehr ich mir eine ähnliche Beziehung wünschte und ihnen neidvoll hinterher blickte.

Der Abend war bereits vorangerückt und ich stand am einzigen Flipperautomaten. Das Gerät stand direkt rechts neben dem Eingang.

Die polierte Stahlkugel huschte nur so durch die Hindernisse und prallte gegen Kontaktplatten, Bumper und Pop-Bumper, die Punkte vergaben und die Kugel mit Kraft zurückschlugen.

Es gab ein Höllenlärm und je lauter es wurde, umso fester drückte ich die Schläger, rüttelte ich an dem Gerät, bis der Tilt-Mechanismus zuschlug und das Spiel gesperrt wurde.

Die Kugel rollte ungehindert in den Auffangschacht. Plötzlich stand Ben neben mir.

„Du lässt das Gerät doch am Leben, ja!“

Seitdem er mit Petra liiert war, fühlte er sich mehr und mehr für die Diskothek und das Equipment verantwortlich. Schließlich war Petras Vater der Eigentümer.

Bevor ich dazu kam, ihm zu antworten, öffnete sich wieder die Eingangstür und zwei junge Frauen betraten die Disco.

Als sie mich sahen, fingen sie beide gleichzeitig an, mich anzulächeln.

„Hallo“, kam es ebenfalls synchron aus ihren Mündern. Dann geschah etwas, das mich mehr als zweifeln ließ, jemals mit einer Frau nähere Bekanntschaft zu machen.

Bevor sie bei Petra den Eintritt entrichteten, ging die Schwarzhaarige auf mich zu und strich mir sanft über die Wange, gefolgt von der Blonden, die den Vorgang wiederholte.

Sie zwinkerten mir nochmals zu, dann verschwanden beide kichernd in der Menge.

Ben wirkte genau so verblüfft wie ich. Ihm stand sogar der Mund halb offen, während ich schwer schluckte.

„Was war das denn? Kennst du die beiden etwa? Das kann ich mir nicht vorstellen.“

Ich schwieg noch immer.

„Man sagt, sie wären lesbisch veranlagt. Jasper hat einmal versucht die Blonde anzubaggern und bekam es mit der Schwarzhaarigen zu tun. Die hat ihm gewaltig auf die Finger gehauen, dass es nur so gerumst hat. Ist auch selbst daran schuld. Er ist sehr plump in solchen Dingen, musst du wissen.“

Ich hielt mich immer noch zurück. Das Ganze war mir mehr als peinlich.

Ben blickte mich immer noch fragend an, sodass ich mich doch genötigt sah, etwas zu entgegnen.

„Ich kenne beide von früher. Wir haben in derselben Gegend gewohnt“, erfand ich einfach eine Ausrede. Er schien sich damit zufriedenzugeben und wandte sich Petra zu.

Ich warf eine weitere Mark in den Geldschlitz des Flippers und versuchte mich damit abzulenken. Mit den beiden Lesben gelang es mir sogar, aber immer wieder sah ich in meinem Geist die rehbraunen Augen, die schwarzen Wimpern und das blonde, schulterlang gelockte Haar. Luna ging mir nicht mehr aus dem Sinn.

LIAM

Подняться наверх