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Lunas Geheimnis

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„Was tust du immer so geheimnisvoll? Wir sind die letzten ‚Sieben‘ und alleine auf uns lastet die gesamte Verantwortung aller, die vor uns ihren Dienst versehen haben!“

Ajak schaute Luna vorwurfsvoll an.

Er hatte sie zum wiederholten Mal dabei beobachtete, wie sie heimlich im Allerheiligsten der ZUKUNFT I verschwand, dem Sitz des Steuergehirns.

„Wir sind die letzten Sieben und ich bin die verantwortliche Lenkerin des Schiffes! Was denkst du, was ich tue? Jede noch so kleinste Fehlerquelle muss vor ihrem Entstehen eliminiert werden. So etwas nennt man Präventivmaßnahme. Dazu benötige ich natürlich die volle Unterstützung des Steuergehirns. Das hat überhaupt nichts mit ‚geheimnisvoll‘ zu tun!“

Sie blickte ihn nochmals mit hoch erhobenem Kopf von oben bis unten an, ließ ihn einfach stehen und ging in Richtung ihrer Kabine.

Natürlich war das nicht ganz die Wahrheit gewesen, was sie zu dem neugierigen Ajak gesagt hatte, um ihn zu beruhigen. Er war der Einzige in ihrer Crew, der immer und überall herumschnüffelte und alles hinterfragte.

Sie musste bei ihm besonders auf der Hut sein, schließlich hatte sie tatsächlich ein Geheimnis.

Da es aber weder die Sicherheit des Schiffes beeinträchtigte noch ihre Arbeit auf die eine oder anderer Art und Weise behinderte, ging es niemand etwas an, es war ihre reine Privatsache.

Erst als sich das Kabinenschott hinter ihr wieder geschlossen hatte, atmete sie sichtlich auf.

Es ging niemanden etwas an, wie sie ihre private Zeit nutzte. Sie war die letzte Lenkerin, die der Schiffscrew vorstand und Ajak, Tjark, Kian, Alina, Maja sowie Milena waren faktisch ihre Untergebenen.

Natürlich bildeten sie ein Team und arbeiteten ohne eine hierarchische Struktur zusammen.

Es gab aber trotzdem einen kleinen Unterschied, sie trug nämlich die Verantwortung. Und was noch schwerer wog, sie trug die Verantwortung als Letzte von insgesamt 190 Lenker, die vor ihr das Schiff gesteuert hatten.

Luna hatte sich, um diese Bürde überhaupt tragen zu können, einen Ausgleich geschaffen. Das Schiffsgehirn der ZUKUNFT I hatte ihr dabei geholfen.

Sie erinnerte sich nur zu genau an den Tag, als sie und die anderen sechs als letzes Team geweckt worden waren. Die letzten sieben Jahre Flugzeit waren damit angebrochen.

„Hier spricht die ZUKUNFT I. Ihr seid die letzten Sieben. Bitte richtet euch nach den Instruktionen des Schiffs-Avatars.“

Die Stasiskammer, in der sie lag, hatte bereits vor einer Stunde die sogenannte Wiederbelebungsphase eingeleitet. Der Inhibitor in ihrem Körper wurde langsam durch ein Gegenmittel abgebaut. Dadurch bekam ihre Körperchemie wieder normale Werte.

Die ursprünglich stark verlangsamten biochemischen Körperfunktionen wurden langsam wieder auf ein normales Niveau gehoben.

Ihr ganzer Körper fühlte sich noch steif und unbeweglich an.

Lediglich Lunas Bewusstsein war erstaunlich schnell aus den Tiefen einer künstlich erschaffenen Unendlichkeit zurückgekehrt.

„Luna, lass bitte die Augen noch einige Minuten geschlossen“, vernahm sie jetzt eine Stimme, die nicht mehr direkt in ihrem Geist zu hören war, sondern von der Seite in ihr Bewusstsein drang.

„Ich bin dein persönlicher Erwecker und achte auf dein Wohlbefinden ebenso, wie auf den gesamten Ablauf der Reanimation. Du kannst dich vollkommen auf mich verlassen!“

Luna versuchte zu schlucken, aber der Hals war dermaßen trocken, dass sie dabei fast einen Hustenanfang bekommen hätte.

Sofort war ihr Erwecker zur Stelle und sie spürte ein dünnes Röhrchen, das sich zwischen ihre Lippen drängte. „Langsam saugen, damit dein Hals etwas Feuchtigkeit aufnehmen kann. So ist es gut. Du kannst jetzt auch die Augen öffnen.“

Vor ihr stand einer der damals noch vor dem Start des Schiffes neu entwickelte und voll positronisch gesteuerte Helferroboter.

Er wurde von dem Hadronengehirn des Schiffes, das eine Weiterendwicklung der elektronischen und positonischen Elementarphysik darstellte, kontrolliert und gesteuert. Sie erinnerte sich noch genau an die vielen Unterrichtsstunden, in denen sie genau auf ihre spätere Tätigkeit an Bord der ZUMUNFT I vorbereitet wurde.

Doktor Doktor Sergei Wassilje hatte sie und ihre Kolleginnen und Kollegen persönlich über die Funktion der Helferroboter informiert und ausführlich über ihren Aufbau und Technologie gesprochen, die sich dahinter versteckte, um von vornherein jedweder Angst vor dem Ungewohnten und Unverständigen vorzubeugen und überhaupt nicht erst aufkommen zu lassen.

Er hatte besonders Wert auf einen stressfreien Umgang mit der hoch entwickelten Technologie gelegt, die in der ZUKUNFT I verbaut worden war.

Man sollte sich vollständig auf sie verlassen können und dementsprechend auch routiniert damit umgehen.

„Bitte erschrecke jetzt nicht. Deine Liegefläche wird um genau 37 Grad gedreht. Danach beginnt die Körpermassage. Sie ist unbedingt notwendig und dauert eine gewisse Zeit. Deine Blutgefäße, Muskulatur und Kreislauf benötigen zunächst etwas Hilfe, um wieder selbstständig zu agieren.“

Nur langsam drangen die Worte der Maschine in Lunas Geist. Sie lag immer noch ausgestreckt auf der Kunststoffliege und konnte ihre Arme und Beine nicht spüren. Ihr kamen erste Zweifel, ob die Aufweckung aus der Zellstasis wirklich funktioniert hatte.

Kurz bevor tatsächlich eine erste Panikattacke ihr erstarkendes Bewusstsein überrollen konnte, erhielt sie ein entsprechendes Sedativum intravenös verabreicht.

Mit der einsetzenden, beruhigenden Wirkung setzte dann ebenfalls sehr schnell ein Kribbeln in den Armen und Beinen ein. Die Stromwellen, - und Ultraschallmassage tat ihr Übriges, um den Körper zu regenerieren.

Nach einer Stunde begann die computergesteuerte zweite Phase der Erweckung anzulaufen.

Die enterale Ernährung wurde eingeleitet und Nährstofflösungen mit beigemischten Medikamenten, die zur zusätzlichen Unterstützung der lebensnotwendigen inneren Organe dienten, brachten die notwendigen Eiweiße, Kohlenhydrate, Fette, Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente in optimaler Zusammensetzung in den Margen-Darm-Trakt.

Luna musste so noch einen ganzen Tag über sich ergehen lassen, mit wiederkehrenden kreislaufstabilisierenden Massagen und biochemischen Anwendungen. Sie hatte währenddessen genug Zeit, um ihr bisheriges Leben nochmals Resümee passieren zu lassen.

Sie war gerade siebzehn Jahre alt geworden, als ihr Onkel, der Bio-Kypernetiker Manfred Lukas ihr ein wirklich seltsames und unwirtliches Angebot machte.

Erst später erfuhr sie, dass es 1336 anderen Personen fast zur gleichen Tageszeit genauso ergangen war.

Ihr wurde angeboten, die Erde zu verlassen. Eine eventuelle Rückkehr wurde mit eher unwahrscheinlich deklariert. Das Ziel war ein Stern im Sternbild des Schwans. Dort sollte es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine zweite Erde geben.

Das Projekt ‚Neue Heimat‘ befand sich im Endstadium, jedenfalls was die Forschung und die Vorarbeit hier auf der Erde des Jahres 2058 angingen. Die wirkliche Herausforderung sollte auf die jungen Männer und Frauen zukommen, die mit dem ersten, von Menschenhand erbauten Fernraumschiff, den Flug dorthin antraten.

Luna erinnerte sich noch genau an das, was sie über die One-Way-Mission 2024 zum Mars in den Geschichtsaufzeichnungen gelesen und gesehen hatte.

Damals wurde besonders kontrovers über die moralische und ethische Seite des Projektes diskutiert.

Es wäre hoch unethisch, Menschen ohne Rückkehr-Perspektive auf den Mars zu schicken, insbesondere, da die dünne Marsatmosphäre nicht atembar war und die hochenergetische Strahlung im Weltall zu Leistungsabnahme, Gedächtnisdefiziten bis hin zu Bewusstseinsverlusten führen würde.

Noch im Jahre 2016 hatte man deshalb davon gesprochen, dass ein erster bemannter Flug zum Mars frühstens 2050 stattfinden könnte.

Doch es war tatsächlich anders gekommen. Leider war der vierte Planet im Sonnensystem keine wirkliche Alternative, um der stätig wachsenden Überbevölkerung der Erde Herr zu werden.

Das Fehlen einer atembaren Sauerstoffatmosphäre und die erhöhte kosmische Strahlung machte es auf dem Mars notwendig, dass die Lebenssphären entsprechend abgesichert werden mussten.

Die ersten ständigen Wohnsiedlungen wurden unterirdisch angelegt. Es bedurfte unverhältnismäßig hoher Kosten, um den Wissenschaftlern und ihren Familien eine einigermaßen sichere Umgebung zu schaffen.

An eine Umsiedlung von Millionen von Menschen von der Erde zum Mars war noch lange nicht zu denken. Aufgrund der fehlenden Atmosphäre und der entsprechenden Infrastruktur würde es wohl auch nicht dazu kommen. Das einzig Positive an der Marsmission war gewesen, dass man gezwungen wurde, die Forschung besonders intensiv in Richtung Strahlungsabschirmung zu betreiben.

Im Ergebnis führte die so entwickelte Strahlenabweisende BL-Legierung dazu, dass die Idee eines Fernraumschiffs nicht schon von vornherein ad acta gelegt worden war.

Nachdem sie das Angebot ihres Onkels bekommen hatte, war Luna schon etwas misstrauisch und nervös geworden. Erst die detaillierte Datenanalyse, die man ihr von dem entdeckten Planeten „Kepler 452b“ vorlegte, sowie die Besichtigung der ZUKUNFT I ließen sie von ihrem zunächst getätigten Entschluss, das Ganze als billigen Scherz ihres Onkels anzusehen, langsam abkommen.

Eine gewisse Abenteuerlust setzte sich zunächst in ihrem Unterbewusstsein fest und schlich sich dann in den kommenden Tagen und Wochen unbemerkt in das aktive Bewusstsein vor.

Luna suchte immer öfters den Kontakt zu Gleichgesinnten, die sich teilweise bereits fest entschlossen hatten, den über 1300 Jahre dauernden Flug anzutreten.

Ein lauter Gong riss sie aus ihren Gedanken.

„Luna, die Aufweckphase ist abgeschlossen. Sie dürfen sich nun langsam erheben.“

Ihr Helferroboter, der Form eines Menschen nachempfunden, hielt ihr tatsächlich die künstliche Hand mit ihren fünf Fingern hin, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein. Das energetisch-statische Feld, das sie bisher auf die Liegefläche fixiert hatte, war verschwunden. Trotzdem hatte sie irgendwie noch immer ein Gefühl, als würde etwas auf ihren Körper drücken.

Sie atmete tief ein, nahm das Angebot des Roboters an und ließ sich von seiner Hand hochziehen.

„In der Stasiskammer wurde ein künstliches Schwerefeld von 0,62 G erzeugt, um den menschlichen Körper zu schützen. Außerhalb der Kammer liegt das Schwerefeld bei 0,75 G. Es wird in den kommenden Monaten und Jahre langsam auf insgesamt 1,12 G erhöht. Dies entspricht in etwa den Schwerkraftverhältnissen des Zielplaneten „Kepler 452b“. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Die menschliche Physiologie ist so ausgelegt, dass dein Körper den Angleich ohne Mühe verarbeiten wird. Zunächst kann es sein, dass dir jede Bewegung etwas mühevoll vorkommt. Aber dieses Gefühl legt sich schnell wieder.“

Luna stand jetzt ohne stützende Hilfe durch den Helferroboter am Rande der Stasisliege. Der Fußbelag fühlte sich angenehm warm an. Lediglich ihre Nacktheit ließ sie kurz stutzen, dann kamen bereits die Erinnerungen zurück und mit ihnen die Erklärung über die Funktion der Stasiskammer.

„Luna, ist dir nicht gut. Ich messe zwar keine negativen Körperwerte, aber du starrst seit genau 5,36 Minuten auf einen imaginären Punkt, der sich gemäß meinen Sensoren 3,55 Meter vor deinen Augen befindet. Kann ich dir helfen?“

Luna schrak kurz zusammen, dann verflogen die Erinnerungen, die sie eben noch mit voller Intensität übermannt hatten.

„Nein, es ist alles in Ordnung. Ich hatte eben lediglich einen Erinnerungs-Flash.“

Es kam auch bei den anderen Besatzungsmitgliedern ab und an vor, dass ihre Bewusstseine von sogenannten Erinnerungs-Flashs zeitlich begrenzt heimgesucht wurden. Selbst in den riesigen Computerspeichern des Schiffs befanden sich diesbezüglich keine konkreten Angaben. Obwohl sämtliche Details über den Bau des Schiffes, astronomische Daten und wissenschaftliche Kenntnisse bis zur Abreise des Fernraumschiffes akribisch genau gesammelt und in das Hadronengehirn der ZUKUNFT I eingespeist worden waren, gab es zu den Flashs keine Daten. Der Umkehrschuss ließ nur eine Vermutung zu, der Erinnerungs-Flash war die Folge des langen Flugs in Stasis.

Luna machte sich auch darüber nur wenig Sorgen. Ihr ganzes Interesse galt momentan einem speziellen Computerprogramm, dessen Entwicklung durch das Bordgehirn der ZUKUNFT I über 1000 Jahre benötigt hatte.

Noch vor dem Abflug hatte sie die Basissoftware in einer permeablen Datencloud mit an Bord gebracht.

Bevor Luna in die Stasiskammer gestiegen war, hatte sich der energetische Datenträger aufgelöst und die Daten waren mit der Befehlskette und ihrem persönlichen Berechtigungscode versehen, in den Gigacomputer des Fernraumschiffes, dem Hadronengehirn, überspielt worden.

Sie stand immer noch im Bann des vor wenigen Stunden in der virtuellen Welt Erlebten. So hatte sie es sich nicht vorgestellt.

„Kannst du mir bitte die Auswertung meines ersten Betretens übermitteln!“

Vor Luna entstand ein zwei Mal drei Meter großer, holografischer Bildschirm mit dreidimensionaler Auflösung. Zunächst schoss eine Vielzahl von Datensätzen über die Bildfläche.

Dann flimmerte das Bild etwas, sonst geschah nichts. Normalerweise hätte sich jetzt die Bildaufzeichnung der letzten Stunden abspielen müssen. Luna wartete einige Minuten auf eine erklärende Äußerung des Bordgehirns der ZUKUNFT I.

Als diese nicht kam, war sie zunächst mehr als irritiert. Farbige Schlieren zogen jetzt über den Schirm, begleitet von einem leisen Rauschen.

„ZUKUNFT I, was ist hier los? Wieso sehe ich keine Bildaufzeichnung?“

Sie verstand zunächst nicht, wieso es kein Videomaterial gab. Das Interface hatte einwandfrei funktioniert, auch wenn man sich daran etwas gewöhnen musste. Schließlich war es keine der üblichen Kopfmasken gewesen, mit dem sie sich in die virtuelle Welt von ‚Reality-Fiction‘ begeben hatte.

Das von ZUKUNFT I entwickelte Interface basiert auf den Anfang des 21. Jahrhunderts auf den Markt erschienenen sogenannten Virtual Reality Kopfmasken und Brillen und wurde zu einem Ganzkörper-VR weiterentwickelt.

Wie genau dieser VR-Spiegel funktionierte, das wusste Luna nicht. Dazu fehlten ihr die physikalischen Kenntnisse. Dass er aber funktionierte, das hatte sie bewiesen. Sie war für mehrere Stunden, in die von ihr selbst gestaltete, virtuellen Welt eingetaucht.

Sie war einfach durch den mannshohen Spiegel gegangen, der von der ZUKUNFT I erschaffen worden war. Der Spiegel stellte das Tor zu ‚Reality-Fiction‘ dar und bestand in Wirklichkeit aus einer Art stofflichem Hologramm, versehen mit einem hochempfindlichen Ganzkörperscanner.

Nach dem Durchgang befand sich ihr Bewusstsein in einem Avatar und Lunas realer Körper wurde in vertikaler Lage solange in Stasis gehalten, bis auf der anderen Seite, in der virtuellen Realität, sie sich wieder des dortigen Pendants bediente, um zurück in die reale Welt zu gelangen.

Als sich das Hadronengehirn der ZUKUNFT I endlich meldete, starrte sie immer noch auf die mittlerweile dunkel gewordene Hologrammfläche.

In ihren Gedanken befand sie sich wieder in der Diskothek Sunrise im Jahre 1977. Liam gab ihr ein Glas Cola Bier in die Hand und lächelte sie schüchtern an.

LIAM

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