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»Idiot«, dachte Hartmann und suchte erneut nach seinen Zigaretten. Er war jetzt schon sichtlich nervöser. Wenngleich er versuchte, seine Aufmerksamkeit auf die Schaulustigen und deren neugierige Blicke zu richten.

»Können wir die nicht wegschicken?«, Nitze, der am Boden kniete, erhob sich und meinte, dass es dafür wohl zu spät sei.

»Okay, was ist mit der Presse?«

Fragend sah sein Kollege ihn an.

»Schon jemand von denen hier?« Hartmanns Stimme klang gereizt.

»Nein.«

»Gut, dann müssen wir dafür sorgen, dass dies so bleibt.«

»Das wird kaum möglich sein«, meinte Nitze vorsichtig.

»Weiß ich, aber versuchen können wir es.«

Nitze bemerkte den scharfen Unterton und nickte nur kurz. Aber auch Hartmann glaubte nicht ernsthaft, dass es funktionieren könnte, erst recht nicht nach dem letzten Fall.

»Okay, ich sehe mich mal ein bisschen um, ihr kommt ja auch allein zurecht.«

Ohne auf eine Reaktion zu warten, schritt Hartmann den Weg zurück, den er gekommen war. Dabei betrachtete er das alte Gemäuer näher, das irgendwie schon arg mitgenommen aussah. Direkt an den Mauern wucherte allerhand Grünzeug und von Pflege war hier nicht viel zu erkennen. Bei der Absperrung angekommen, traten die neugierigen Gaffer zur Seite. Ohne sie eines Blickes zu würdigen, ging er an ihnen vorbei. Es fielen ihm die alten Stufen auf, die zum Eingang des Gebäudes führten.

Mit der linken Hand am rostigen Geländer folgte er dem Treppenverlauf, bis er an einer alten Glastür zum Stehen kam. Über dieser Tür hing noch das alte DB-Schild und noch weiter oben eine in die Wand eingelassene Uhr, die im Laufe der Jahre irgendwann stehen geblieben war. »So ist das wohl, wenn alte Gemäuer verlassen werden. Die Zeit bleibt einfach stehen«, dachte Hartmann, als sich plötzlich etwas in der Scheibe widerspiegelte, das seine Aufmerksamkeit hervorrief. Blitzartig wandte er sich um und hastete die Treppe wieder nach unten, wobei er fast die oberste Stufe verpasst hätte.

»Stopp!« Ein junger Mann, der gerade aus dem Auto gestiegen und sich offensichtlich gerade auf den Weg zum Tatort machen wollte, fuhr erschrocken herum. »Wo …«, Hartmann rang nach Luft, »wo wollen Sie hin?« Völlig außer Atem stand er nun neben ihm und seine Hand griff an dessen Schulter, als ob er sich abstützen wolle. Verwirrt holte der Mann einen Ausweis aus der Tasche und hielt ihn dem Kommissar hin. Hartmann musterte ihn, denn er hatte dieses typische Milchbubengesicht mit sehr heller Haut und kaum Bartwuchs. Aber der Kerl hatte sehr wache Augen.

»Dachte ich mir es doch! Presse, soso. Sie sind neu?«

Vorsichtig nickte sein Gegenüber.

»Okay.« Hartmann reichte ihm seinen Ausweis zurück. »Und nun rein ins Auto und Abmarsch!« Hartmann öffnete ihm die Wagentür und stieß ihn leicht an.

»Aber …«

»Nichts aber. Sie fahren jetzt denselben Weg zurück, den Sie gekommen sind.«

Er versuchte die Autotür zu schließen, doch der Reporter stemmte sich dagegen.

»Die Öffentlichkeit hat ein Recht …« Weiter kam er gar nicht, schon hatte Hartmann ihn am Kragen gepackt und drückte ihn in den Fahrersitz. »Und ich, mein Lieber, habe das Recht, es zu vermeiden.«

»Das ist Behinderung der Pressefreiheit! Ich werde mich beschweren!«

»Tun Sie das! Und nun Abflug.«

Widerwillig schloss der junge Journalist die Fahrertür, startete den Motor und fuhr davon.

Die Szene war nicht unbeobachtet geblieben, doch das war dem Kommissar egal. Da er sich gerade in der Nähe seines Wagens befand, nutzte er die Gelegenheit, sich seine Zigaretten zu holen, bevor er zum Tatort zurückkehren würde. Er überlegte, von welcher Seite aus der Täter an den Tatort gelangen konnte. Vielleicht gab es aber auch noch andere Möglichkeiten. Suchend sah er sich um. Er entdeckte die drei Garagen, die zu den Mietshäusern links des Geländes gehören mussten. Daneben, etwas zurückliegend, sah er noch ein kleines, grünes Tor. Als er sich diesem näherte, stellte er fest, dass es der Eingang zu einer Schrebergartensiedlung war. Zwischen dem Tor und dem Bahnhofsgebäude hatte wohl mal einer dieser Bauzäune gestanden. Jetzt lagen nur noch dessen verbogene Reste im hohen Gras. Hartmann vermutete, dass es nach Stilllegung der Bahntrasse kaum jemanden interessierte, wer das Gelände betrat. Er folgte einem Trampelpfad bis kurz hinter das Gebäude, konnte jedoch nichts Auffälliges entdecken. Der Täter könnte durchaus auch von hier gekommen sein.

Das aber herauszufinden, wollte er der Spurensicherung überlassen, also schwenkte er um und kehrte zum eigentlichen Geschehen zurück.

Mittlerweile hatte die Spurensicherung ihr Okay gegeben und man hatte den Toten endlich vom Baum geholt. Nun konnte sich die Gerichtsmedizin um ihn kümmern.

»Sag mal«, wandte Hartmann sich an seinen Kollegen und zeigte auf das alte Gebäude, »wohnt da tatsächlich noch jemand?«

»Ja, eine Familie, also eine Frau, deren Mann und ihr Sohn«, antwortete Nitze.

»Und was ist mit dem Clubkeller?«, wollte Hartmann wissen.

Nitze überlegte kurz, bevor er antwortete. »Gehört, wie es aussieht, immer noch der KG Prinzengarde.« Mehr wusste er jedoch auch nicht.

»Gut, darum können wir uns später immer noch kümmern.«

»Ich denke«, wandte sich Dr. Miguel an Hartmann, »die Tat dürfte von langer Hand vorbereitet sein.«

Der Kommissar blickte Miguel interessiert an. Er hob beide Augenbrauen leicht, Hartmanns Blick forderte Miguel auf weiterzureden.

»Nun, die Vorgehensweise«, meinte der Pathologe, »Pfahlbinden gehört nicht zu den alltäglichen Methoden und schon gar nicht in Kombination mit einer Strangulation. Aber schauen Sie, der Mann hing dort. Es wurde ein Seil über den Ast geworfen und das eine Ende durch die Schlaufe der bereits gefesselten Hände gezogen und so weiter. Also, er bindet eine Schlinge um den Hals und zieht ihn anschließend hoch. Hierbei muss er darauf achten, dass, wenn die Schultern auskegeln, das Opfer keinen Kontakt mit dem Boden bekommt.«

Der Kommissar rieb sich das Kinn und dachte kurz darüber nach. »Logisch, Nitze äußerte sich ähnlich. Demnach kam es erst zur Strangulation, nachdem der Täter sich sicher sein konnte, dass sein Opfer keine Chance hatte, diese durch Bodenberührung zu verhindern?«

»Richtig«, bestätigte der Dok, »daher wusste der Mörder auch ganz genau, wie weit er ihn hochziehen musste.«

Dem Kommissar fiel das Isolierband wieder ein. »Deshalb wohl auch diese Markierung an dem Seil.«

»Wieder richtig. Und schauen Sie hier.« Dr. Miguel bat ihn, näher an den Leichnam heranzutreten, doch Hartmann winkte ab, was allgemeines Erstaunen in der Runde hervorrief.

»Auch gut. Also, die Arme des Opfers sind 65 Zentimeter lang. Bevor wir ihn dort herunterholten, haben wir auch den Abstand von den Füßen zum Boden gemessen. Dieser Betrug 9,5 Zentimeter, also insgesamt fast 74 cm. Nun müssen wir noch die Höhe des Astes ermitteln, zuzüglich seiner Körpergröße, Körpergewicht und dann bedarf es eines kleinen Rechenspiels, was uns auch zur markierten Stelle am Seil führen wird.« Hartmann konnte oder wollte den Ausführungen des Rechtsmediziners nicht folgen und fragte stattdessen: »Was ist mit dem Abdruck auf dem Kopf?« Der Dok neigte den Kopf des Opfers in Richtung des Kommissars. »Zunächst haben wir einen runden Kreis. Und im Innern des Kreises scheinen zwei Buchstaben ineinander verschlungen. Vielleicht ein Symbol, würde ich meinen.«

»Um welche Buchstaben handelt es sich?«, wollte Hartmann wissen, doch der Mediziner entgegnete, das sei schwer zu sagen. »Der eine sieht aus wie in I, könnte aber auch ein J sein. Und der andere ein G oder die Zahl 6. Genaueres erst, wenn ich das Opfer bei mir im Institut liegen habe.«

Der Kommissar drängte darauf, schnellstens Fakten zu erhalten, und ließ die Ermittler weiter ihre Arbeit verrichten.


Schuldig!

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