Читать книгу Liebe mich nicht-Hasse mich nicht Duett - Jessa James - Страница 12
Emma
ОглавлениеIch drehe mich in meinem Bett um und runzle die Stirn, als ich etwas Hartes und Spitzes berühre. Meine Augen öffnen sich einen Spaltbreit und ich sehe einen oberkörperfreien Jameson nur wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt. Ich bin anscheinend gegen seinen Ellbogen gestoßen.
Oh, Scheiße.
Mein Mund wird trocken, als ich ihn mustere. Seine zerzausten dunklen Haare, seine breite Stirn und stolze Nase. Seine Augen sind geschlossen, aber ich nehme mir die Zeit, seine dunklen Wimpern zu bewundern, die auf seinen Wangen ruhen. Und seine Wangenknochen… ich wusste nie, dass Männer Wangenknochen haben, die so… beneidenswert sind. Selbst mit Bartstoppeln bedeckt sind sie ein verflixter Traum.
Seit ich sie in Jamesons Gesicht bemerkt habe, war ich nicht mehr in der Lage, sie nicht zu bemerken. Ich schlucke hart. Er ist einfach so… groß. Und so…
Unf. Diesen Laut höre ich jedes Mal in meinem Kopf, wenn er eine schwere Schachtel aus dem Regal runterholt. Einfach nur… unf.
Ich schaue weiter nach unten zu seinen kräftigen Schultern, seinen unglaublichen Armen, seinen Brust- und Bauchmuskeln. Es ist wirklich schade, dass er die Decke um seine Mitte festgesteckt hat. Andererseits ist es das auch nicht, denn ich denke nicht, dass ich meine Hände momentan bei mir behalten könnte, wenn er völlig nackt daliegen würde.
Es fiel mir schon gestern Nacht schwer genug, als ich einen sehr betrunkenen Jameson zurück in mein Apartment brachte. Er hatte vor in der Bar zu schlafen, weil er nicht zurück in das Haus gehen wollte, das er sich mit Asher teilt.
Als die Heldin, die ich nun mal bin, bot ich ihm an, ihn mit in meine Wohnung zu nehmen… zum Schlafen. Und ich wurde mit dem seltenen Anblick eines betrunkenen Jameson belohnt, der alles raushängen ließ. Und damit meine ich, dass sich sein Glied stolz hoch zu seinem Bauch bog, während er sich auf mich konzentrierte.
Dann schwankte er auf mich zu. Ich blieb stehen, zur Salzsäule erstarrt, und fragte mich, ob all meine Teenagerträume Realität werden würden. Ich stand einfach nur da, blinzelte zu ihm hoch, den Mund leicht geöffnet. Er packte mich im Nacken und beugte sich zu mir hinab, sein Mund legte sich auf meinen.
Es gab keine Zeit zum Denken oder Protestieren. Seine Lippen waren heiß und feucht auf meinen. Ich öffnete meinen Mund für ihn und er nahm sich, was ich ihm anbot, glitt mit seiner Zunge über meine. Ich schloss meine Augen, schmeckte karamellisierten Zucker und Whisky in seinem Atem.
Er knurrte aus einer Art männlicher Befriedigung heraus und wegen dem Laut krümmten sich meine Zehen. Dann ließ er mich los.
„Fuck, ich bin betrunken“, brummelte er.
Und dann kippte er in mein Bett und schlief sofort ein.
All das passierte direkt vor mir wegen dem, wer ich bin. Ich bin Emma Alderisi, Ashers kleine Schwester und das Goldkind meiner reichen Eltern. Meine Mutter und Vater hatten hervorragende Arbeit geleistet, mich dazu zu erziehen, unmögliche Standards für Männer und die Welt im Allgemeinen zu haben, sodass ich mit vierundzwanzig noch immer Jungfrau bin.
Mein Blick schweift zu Jameson und ich beiße mir auf die Lippe. Er weiß davon natürlich nichts. Genauso wie er nicht weiß, dass ich, seit ich fünfzehn war, einen Plan habe.
Den Plan, dass Jameson mein Erster sein wird.
Unglücklicherweise weiß Jameson, trotz all meiner Flirtversuche, praktisch nicht, dass ich überhaupt existiere. Für ihn bin ich einfach nur Ashers unschuldige kleine Schwester.
Wenn er nur ansatzweise von dem wüsste, was in meinem Kopf vor sich geht…
Ja, ich weiß, dass Jameson so schwarz ist, wie ich weiß bin. Ich weiß, dass er die High School nie beendet hat. Ich weiß, dass er bis vor ein paar Jahren hinter einer Bar gearbeitet und gesurft hat und auf nichts anderes als das aus war.
Ich weiß, dass er fast ein Jahrzehnt älter ist als ich. Das weiß ich wirklich, wirklich.
Aber diese Fakten ändern nicht, wie ich für ihn empfinde. Wenn überhaupt lassen sie den verworrenen Knoten an Emotionen, den ich jedes Mal spüre, wenn Jameson auch nur in meine Richtung blickt, größer werden.
Mir gegenüber regt sich Jameson. Er ächzt und sein ganzes Gesicht zieht sich schmerzlich zusammen, ehe er auch nur seine umwerfenden braun-schwarzen Augen öffnet.
„Ffffffffuckkkkk“, flüstert er.
Dann öffnet er seine Augen. Er braucht eine Sekunde, um mich anzuschauen, doch als er es tut, weiten sich seine dunklen Augen. „Heilige Scheiße. Was zum Henker machst du in meinem Bett?“
Ich unterdrücke ein Grinsen. „Sieh dich um. Das ist eindeutig mein Bett.“
Er sieht sich um und flucht erneut.
„Was zur Hölle mache ich hier?“ Dann scheint sich seine Panik zu verdoppeln. „Oh Gott, wir haben nicht –“
Er spät unter die Decke, in die er gewickelt ist, und erbleicht. Darüber muss ich einfach kichern.
„Nein, wir haben nichts gemacht.“ Ich verdrehe die Augen. „Erstens warst du viel zu betrunken dafür. Und damit meine ich… richtig, richtig betrunken. Und zweitens würdest du dich daran erinnern, wenn wir Sex gehabt hätten.“
Der letzten Aussage füge ich ein kleines Grinsen hinzu. Die Erleichterung, die über sein Gesicht huscht, ist irgendwie witzig. Und auch irgendwie schmerzhaft, aber hauptsächlich lustig. Jameson stöhnt einfach nur und zieht sich das Kissen übers Gesicht.
„Ich bin vielleicht noch immer betrunken“, brummelt er, gedämpft von dem Kissen. „Meine Fresse, wenn Ash wüsste, dass ich gerade hier bin, würde er mich umbringen. Und wenn er dächte, ich hätte dich tatsächlich gevögelt? Er würde die Bar niederbrennen und dann unser Haus und dann würde er mich ermorden.“
Ich seufze. „Ja, ja. Ich kapier’s. Ich werde Asher nicht verraten, wo du übernachtet hast. Du sahst nur so aus, als bräuchtest du einen Ort zum Schlafen, der nicht das Cure war.“
Jameson zieht das Kissen von seinem Gesicht und blinzelt in das helle Sonnenlicht, das durch mein Schlafzimmerfenster scheint. „Das wäre nicht das erste Mal und es wird auch nicht das letzte Mal sein.“
„Hmm“, mache ich nichtssagend. „Nun, ich muss zur Jurabücherei. Ich kann dich hier liegen lassen, damit du weiterschlafen kannst…“
„Ne, ne“, wehrt er ab und stemmt sich mühsam nach oben. „Ich muss in die Gänge kommen. Ansonsten werde ich für immer in deinem Bett liegen bleiben. Das willst du nicht.“
Ich möchte sagen, Versprochen?, aber ich tue es nicht.
„Da du wach bist, wie wäre es mit Kaffee?“, frage ich. Ich muss mich sehr anstrengen, nicht meine Zunge zu verschlucken, als er aufsteht und mir einen langen Blick auf seinen muskulösen Hintern gewährt.
Bis zu genau diesem Moment hätte ich nie gedacht, dass ich mir überhaupt etwas aus Hintern mache. Es ist eine Offenbarung. Ich kann die leichte Bräunungslinie ausmachen, die er bekommt, weil er seinen Neoprenanzug häufig nur zur Hälfte anhat.
Nur allzu bald findet er seine Jeans und zieht sie über seine langen Beine. Keine Unterwäsche. Das ist ein anderer Fakt, den ich nicht so schnell vergessen werde.
Natürlich trägt er keine Unterwäsche. Wie unglaublich Jameson von ihm.
„Kaffee wäre super“, gähnt er und dreht sich um. „Hast du mein Shirt gesehen?“
Ich deute zur Lampe, wo sein Shirt gestern Nacht gelandet ist, als er sich ausgezogen hat. Er wendet sich ab, um es zu holen.
Ich stehe auf, da mir bewusst wird, dass ich vermutlich mehr als das übergroße T-Shirt und winzigen Schlafshorts, die ich anhabe, anziehen sollte. Zum Glück fragt Jameson als Nächstes nach dem Badezimmer.
„Den Flur runter auf der rechten Seite“, sage ich. Ich lasse einen leisen erleichterten Seufzer entweichen. Ich möchte Jameson verführen, aber ich will mich nicht einfach nackt vor ihm ausziehen. Das wäre merkwürdig.
Ich schlüpfe schnell in einen frischen BH und Slip und ein hellblaues Blümchenkleid. Als Jameson zurückkommt, binde ich meine Haare gerade zu einem unordentlichen seitlichen Zopf und schlüpfe in ein Paar Heels.
„Kaffee?“, fragt er und spät in den Raum.
„Geh in die Küche“, erwidere ich und scheuche ihn dorthin. „Nach links.“
Ich schnappe mir meine schwere Tasche mit den Büchern sowie mein Handy und folge ihm anschließend in die Küche. Die Küche ist winzig, die ganzen Gerätschaften haben nur die halbe Größe. Jameson sieht in meiner Miniaturküche urkomisch aus, wie ein Riese, der sich verirrt hat.
„Setz dich“, befehle ich und deute auf den einsamen Stuhl. Ich lasse meine Tasche von der Schulter gleiten und sie trifft mit einem dumpfen Rumms auf den Boden.
„Meine Fresse, was hast du da drin?“, will er wissen, während er Platz nimmt.
„Runen, Beschwörungsformeln. Du weißt schon, alles, das ich brauche, um meinen Hexenzirkel am Laufen zu halten“, antworte ich. Er lächelt für den Bruchteil einer Sekunde darüber, bevor er eine finstere Miene aufsetzt. Ich setze das Wasser auf und hole die French Press aus dem hohen Küchenschrank runter.
Nach meinem Morgen voller Lust und Nervosität fühlt sich das Ritual des Kaffeemachens beruhigend an. Ich messe die Bohnen ab und mahle sie, dann schütte ich sie mit dem heißen Wasser in die French Press.
Meine Mitbewohnerin Evie kommt in die Küche und bleibt abrupt stehen, als sie Jameson entdeckt. Evie ist ein umwerfendes Treuhandfondsmädel mit milchkaffeefarbener Haut, das manchmal Schichten im Cure übernimmt. Sie trägt nach wie vor das petrolfarbene Cocktailkleid, in dem ich sie gestern Abend gesehen habe und ihre Haare sind ein einziges Chaos.
„Uhhh…“, sagt sie und schaut von Jameson zu mir.
„Hey Evie“, begrüße ich sie beiläufig. Ich ignoriere einfach die Tatsache, dass es etwas merkwürdig ist, dass Jameson hier ist… und die Tatsache, dass Evie eindeutig die ganze Nacht fort war. „Ich mache Jameson gerade einen Kaffee. Willst du auch welchen?“
Ich fülle eine Tasse und reiche sie Jameson. Der Duft ist wundervoll und füllt den winzigen Raum, in dem wir uns befinden. Evie scheint etwas länger zu brauchen, um meine Worte zu verarbeiten. Sie schüttelt den Kopf, während ihr Blick nach wie vor von mir zu Jameson huscht.
„Ne“, sagt sie und rümpft leicht die Nase. „Ich ähm… werde ins Bett gehen.“
„Okay“, erwidere ich und werfe ihr einen leicht besorgten Blick zu. „Ist bei dir alles in Ordnung?“
Evie läuft knallrot an. „Ja. Nur… ich rede später mit dir. Und Jameson, dich sehe ich später diese Woche.“
„Klar“, murmelt er, völlig in seine Kaffeetasse versunken. Es gelingt ihm fast die ganze Tasse in einem Zug auszutrinken, obwohl ich ihm noch keine Milch oder Zucker angeboten habe.
Evie schlüpft aus der Küche. Ich schenke mir selbst eine Tasse Kaffee ein. Gerade als ich den Duft dankbar einatme, erhebt sich Jameson und stellt seine Tasse ins Waschbecken.
„Ich sollte gehen“, sagt er. „Danke für… du weißt schon.“
„Ich halte mich für deine Retterin“, erwidere ich neckend. „Ohne mich, würdest du jetzt mit aaaallen möglichen körperlichen Schmerzen aufwachen.“
Einer von Jamesons Mundwinkeln hebt sich. „Wenn du doch nur etwas wegen Asher unternehmen könntest.“
„Das ist zu viel verlangt, sogar von mir.“ Ich scherze, aber nur teilweise.
Er schüttelte den Kopf und blickt zu Boden. Grüblerisch, wie immer. Er sieht so verdammt gut aus, dass es wirklich anstrengend ist, ihn zu beobachten.
„Ich sehe dich dann später“, verabschiedet er sich. Und dann ist er fort und findet selbst den Weg aus meinem Apartment.
Ich nippe an meinem Kaffee, der ein wenig in meinem Mund brennt. Der bittere Geschmack veranlasst mich dazu, das Gesicht zu verziehen, und ich stelle meinen Kaffee auf die Arbeitsplatte. Ich ziehe gerade eine Tüte Milch aus dem Kühlschrank, als Evie zurückkommt.
Sie hat ihr petrolfarbenes Kleid ausgezogen, aber ihre Haare sehen immer noch wie ein Vogelnest aus. Ich werfe ihr einen Blick zu.
„Hast du deine Meinung wegen des Kaffees geändert?“, frage ich.
„Nope“, antwortet sie kopfschüttelnd. „Ich hab ihn gehen gehört. Jetzt will ich die Details! Was zur Hölle ist passiert?“
Ich war vielleicht ein paar Mal, seit wir zusammen wohnen, betrunken und habe ihr meine Liebe für Jameson gestanden.
„Mit Jameson?“, frage ich. Ich seufze dramatisch. „Nichts. Er war betrunken. Er konnte nicht nach Hause gehen. Ich habe ihn davor bewahrt, eine Nacht auf einer der Bänke in der Bar zu schlafen, das ist alles.“
Sie zieht ihre Brauen hoch, ein Bild purer Ungläubigkeit. An der Miene koketter Skepsis erkenne ich, dass sie in eine reiche Familie geboren wurde. Meine Mutter und ihre Freundinnen haben dieses Gesicht früher die ganze Zeit gemacht.
„Das ist alles?“, hakt Evie nach.
„Das ist alles“, bestätige ich. Ich halte meine rechte Hand hoch, wobei ich zwei Finger nach oben halte. „Pfadfinderehrenwort.“
„Mmmhmm.“ Sie sieht alles andere als überzeugt aus. Evie öffnet den Kühlschrank und zieht eine Packung Babykarotten heraus.
„Soll ich überhaupt fragen, wo du warst?“
Sie errötet. „Ich? Ich war eigentlich nirgendwo.“
„Das ist aber nicht das, was mir deine Sex-Haare im Moment erzählen“, erwidere ich und deute auf die Haare, die sie erfolglos nach oben zu stecken versucht hat.
Evie knabbert an einer Karotte. „Ich verweigere die Aussage. Wie auch immer, ich muss pennen. Ich brauche unbedingt Schlaf.“
„Mmhmmm“, sage ich zu ihrem Rücken. Sie winkt mit ihrer Karotte durch die Luft, während sie aus der Küche verschwindet.
Ich schaue auf meinem Handy nach der Uhrzeit und trinke dann eilig meinen Kaffee. Ich muss bald zu einer Verfassungsrecht-Lerngruppe.
Ich eile zur Jurabücherei zehn Blöcke von meiner Wohnung entfernt, aber muss feststellen, dass es mir unmöglich ist, mich zu konzentrieren. Ich gebe, ehrlich gesagt, dem Stoff die Schuld dafür.
Warum soll ich lernen, was John Locke über das Gesetz gesagt hat, wenn ich mich doch auf viel spannendere Dinge konzentrieren könnte? Wie beispielsweise Jamesons nackte Vorderseite gestern Abend in meinem Schlafzimmer.
Ich mag zwar nicht gerade viel über Penisse wissen, aber seiner war… definitiv faszinierend, um es mal vorsichtig auszudrücken. Lang und dick, aber auch zart rosa.
Wie mit dem Mann selbst würde ich nicht einmal wissen, was ich damit tun sollte, sollte ich ihn jemals in die Finger kriegen. Das hält mich aber nicht davon ab, Tagträumen darüber nachzuhängen, nicht wahr?
Der Tag vergeht auf diese Weise recht schnell und ehe ich mich versehe, ist es schon Nachmittag. Als ich schließlich mit dem nicht-richtigen-Lernen in der Jurabücherei fertig bin, packe ich meine Bücher wieder ein und gehe zum Cure.
Ich komme dort an, als Jameson gerade die Türen aufschließt. Er sieht so umwerfend aus wie eh und je in seinem dunkelblauen Shirt mit V-Ausschnitt, einem Paar dunkler Jeans und seinen schwarzen Converse. Er hat auch einen schwarzen Rucksack auf dem Rücken, was mich innehalten lässt. Ich glaube nicht, dass ich ihn jemals mit einem gesehen habe, seit wir Kinder waren.
Obwohl ich ihn buchstäblich erst vor Stunden gesehen habe, sabbere ich ein bisschen und mein Puls schnellt in die Höhe. Er dreht sich um und entdeckt mich, als er mit der Schulter die Tür aufstößt.
„Hey“, grüßt er. Ich erschaudere und laufe rot an, als ich seine Augen auf meiner Brust, meinen nackten Beinen spüre. „Lange nicht gesehen.“
„Ha“, sage ich. Ich wünschte, mir würde noch etwas anderes einfallen, aber das tut es nicht.
Zu meiner Überraschung hält er mir die Tür auf. Ich trete hinein in die dunkle Bar und an ihm vorbei.
„Hilfst du mir bitte, die Jalousien hochzuziehen?“
Jameson ist jetzt ganz geschäftig, sein Kopf stellt offenbar gerade eine Liste an Dingen zusammen, die erledigt werden müssen. Ich bin per se keine Eigentümerin, aber als Ashers Schwester bekomme ich Getränke und Essen im Austausch für gelegentliche Hilfe umsonst.
Ich stelle meine schwere Tasche auf die Bar und mache mich dann daran, die Jalousien hochzuziehen und das Nachmittagslicht hereinzulassen. Jameson verschwindet nach hinten, vermutlich um Geld zu zählen oder so was. Als ich fertig bin, gehe ich zu dem iPad, das sie als Kasse benutzen, und lasse Sade über die Stereoanlage spielen.
Als die aufreizende Musik durch die Bar zu schweben beginnt, lasse ich mich vor der Bar auf einen Hocker sinken. Jamesons Rucksack liegt genau dort und ist leicht geöffnet. Auf meine Lippe beißend schaue ich hoch und vergewissere mich, dass er nicht gleich zurückkommt.
Dann hake ich einen Finger in den aufstehenden Reißverschluss und werfe einen Blick hinein. Oben auf allem liegt ein Buch. Das letzte Buch, das ich jemals in Jamesons Rucksack zu finden erwartet hätte, um ehrlich zu sein.
Es ist ein GED-Mathebuch. Ich schiebe es mit einem Finger zur Seite und entdeckte, dass er auch Bücher über Naturwissenschaften und Gemeinschaftskunde mit sich herumschleppt.
Ich weiß, dass Jameson die Schule jung abgebrochen hat. Als seine Oma starb, ist er in der neunten Klasse abgegangen, um Arbeiten zu gehen und sich um seine jüngeren Brüder zu kümmern. Mir war nicht bewusst, dass es ihn stört, keinen Abschluss zu haben, oder dass er für den GED lernt, dem Diplom für die allgemeine Hochschulreife.
„Hey, hast du –“
Ich schaue auf, erschrocken und schuldbewusst, als Jameson aus dem Hinterzimmer kommt. Ich reiße meine Hand zurück, aber es ist zu spät, um jetzt plötzlich einen auf heimlich zu machen. Er sieht, was ich mir anschaue, und wird leicht rot.
Oh mein Gott, das könnte sehr gut das erste Mal sein, dass ich ihn erröten sehe. Ich wusste bis jetzt nicht einmal, dass es überhaupt etwas gibt, das ihm peinlich ist. Er ist immer so selbstsicher und selbstbewusst.
Manchmal sogar geradezu arrogant. Herauszufinden, dass meine Wahrnehmung von ihm verzerrt ist… ist ein Schock.
„Sorry!“, platzt es aus mir heraus. „Ich bin nur… unglaublich neugierig.“
Er läuft zur Bar und greift sich seinen Rucksack. „Es ist nichts. Nur etwas, worüber ich nachdenke.“
„Es ist nicht nichts“, widerspreche ich.
Ich weiß sofort, dass ich das Falsche gesagt habe, denn seine Miene verschließt sich.
„Nicht jeder hat eine reiche Familie, die einem das Jurastudium finanzieren kann“, knurrt Jameson, der zurück ins Hinterzimmer läuft.
„Oh, Jameson –“, sage ich, doch er verschwindet aus meinem Blickfeld. Ich springe auf meine Füße und eile um die Bar. Als ich das Büro betrete, finde ich ihn, wie er das Geld in der Kasse zählt.
Ich warte, bis er fertig ist, und lehne mich an die Wand. Er wirft mir immer wieder Blicke zu, ist sich meiner Anwesenheit bewusst, aber unterbricht nicht, was er gerade macht.
Als er auch den letzten Geldschein gezählt hat, hole ich tief Luft.
„Das kam falsch raus“, erkläre ich. „Was ich meinte, war, dass ich denke, dass du den GED machen solltest, wenn du daran interessiert bist.“
„Danke für deine Erlaubnis“, sagt er emotionslos. Aber immerhin knurrt er mich nicht mehr an. Er schiebt sich an mir vorbei, geht wieder nach vorne zur Bar und ich folge ihm.
„Mir war nur nie klar, dass du Interesse daran hast. Ehrlich, wegen dem Surfen und deiner Arbeit hier hatte ich irgendwie angenommen, dass du das hinter dir gelassen hast.“
Jameson antwortet nicht. Ich mache mir Sorgen, dass ich mir ein immer tieferes Grab schaufle. Was kann ich sagen, was das hier besser macht? Er beginnt, Obst aus den Kühltruhen zu holen, Zitronen und Limetten und Orangen.
„Hey“, sage ich, greife nach Strohhalmen. „Wie viel weißt du über Algebra?“
Er blickt zu mir hoch, während er sich ein Schneidebrett greift. „Nicht gerade viel, wie du dir vorstellen kannst.“
„Aber ich wette, du weißt so ziemlich alles übers Surfen, stimmt’s?“
Irgendwo hinter der Bar kramt er ein Messer hervor und fängt an, die Zitronen und Limetten in Scheiben und Spalten zu schneiden. „Ich denke schon.“
„Wie wäre es dann mit einem Handel? Ich bereite dich auf den GED vor, denn ich habe eine Wagenladung Zusatzwissen. Und du bringst mir das Surfen bei, denn ich habe nie auch nur ein Board angefasst.“
Er hält inne, sein Messer schwebt in der Luft. „Nie?“
„Nicht ein einziges Mal. Mutter meinte, das schickt sich nicht.“ Ich rolle mit den Augen.
„Ich weiß nicht“, sagt er stirnrunzelnd. Er macht sich wieder daran, Zitronen und Limetten zu schneiden. „Ich glaube nicht, dass das Asher gefallen würde.“
„Komm schon. Asher redet doch nicht einmal mehr mit dir!“ Ich verschränke die Arme. „Und ich meine es ernst! Ich möchte lernen, wie man surft.“
Und vielleicht möchte ich auch etwas mehr Zeit mit dir verbringen, in weniger Klamotten, denke ich.
Er schüttelt nur minimal den Kopf. „Unh uh.“
„Was ist der Winkel einer Geraden?“, frage ich. „Wie lautet die Quadratformel? Oder der Satz des Pythagoras?“
Seine Ohrenspitzen färben sich rot. „Ich weiß es nicht.“
„Deswegen ist mein Vorschlag perfekt!“, verkünde ich. „Im Ernst, du könntest wahrscheinlich in einem Monat bereit sein. Und ich könnte das Vitamin D gebrauchen, das ich am Strand bekommen würde. Das hebt die Stimmung. Es wird für uns beide gut sein!“
Ich halte den Atem an, warte. Jameson zögert.
„Dein Bruder darf nichts davon wissen“, sagt er. „Er hält mich bereits für einen Versager. Selbst als ich noch nicht seine Hochzeit ruiniert habe, wofür er mir definitiv die Schuld gibt.“
Ich kann mein Grinsen nicht unterdrücken. „Ja! Du wirst das nicht bereuen. Ich verspreche es.“
Als hätten wir ihn heraufbeschworen, zieht Asher in diesem Moment die Tür auf. Er macht nicht dieses Ich-habe-gerade-in-eine-Zitrone-gebissen Gesicht, das ich von ihm erwartet habe, aber er sieht auch nicht glücklich aus.
Um ehrlich zu sein, bin ich schockiert, ihn so bald schon wieder zu sehen. Ich hatte angenommen, dass er sich eine Woche lang einigeln und seine Wunden lecken würde.
„Was?“, schnauzt er mich an. „Such dir einen anderen Ort zum Lernen. Es ist Samstag. Wir werden heute Abend viel zu tun haben.“
Er stürmt an Jameson vorbei, mit dem er nicht einmal Blickkontakt herstellt. Ich schaue zu Jameson, aber er nickt nur sanft.
„Er hat recht“, sagt Jameson.
Ich verdrehe die Augen, dann halte ich mein Handy hoch. Ich forme mit dem Mund die Worte, ich schreibe dir.
Er wirft einen Blick zum hinteren Teil des Ladens, wohin Asher verschwunden ist. Er sagt nichts weiter, weshalb ich meine Tasche schnappe und zur Tür laufe.
Ich gehe den Block hinunter zum Strand, wobei ich mir die Hand über die Augen halte, um sie vor der Helligkeit der Nachmittagssonne zu schützen. Der Ozean ist dort, die Wellen rollen an den Strand. Ich werde Jameson unterrichten. Und er wird mich unterrichten.
Hoffentlich, wenn es nach mir geht, wird er mir viel mehr beibringen, als wie man eine Welle reitet. Vor mich hinlächelnd schlendere ich den Strand hinab.