Читать книгу Immer wenn es regnet - Jessica Braun - Страница 17

Montag, 09. Mai 2016, 8:00 Uhr Kripo Karlsruhe, Hertzstraße

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Esther konnte diese Art von Aufgaben nicht einfach nur nicht leiden, sie hasste sie regelrecht. Ja natürlich, sie selbst war es gewesen, die Anna Henkes‘ Psychologenfreundin – Psychologenexfreundin – hatte befragen wollen, und die Frau war wirklich nett und hilfsbereit gewesen, aber das machte es weder besser noch einfacher. Sie musste sie um einen Gefallen bitten, was allein schon unangenehm genug war, aber die Art des Gefallens, um den sie sie bitten musste, machte die Sache wirklich richtig ätzend, fand zumindest Esther.

Boah Manfred …

Warum kann er nicht einfach Barbara bei ihr anrufen lassen?

Barbara war die Sekretärin der Mordkommission und wurde dafür bezahlt, Leute anzurufen und her zu bitten.

Aber nein, das muss jemand von uns machen. In so einem scheißwichtigen … Scheißfall …

Im Geiste ahmte Esther die Tonlage ihres Chefs nach, während sie weg von dem Konferenzraum, in dem eben die morgendliche Teambesprechung geendet hatte, und durch den Flur in Richtung ihres Büros rauschte. Dort angekommen ließ sie sich in ihren Drehstuhl fallen und warf einen Blick auf die Uhr. Sie hoffte inständig, Sandra Decker möge bereits wach sein und nicht erst durch ihren Anruf aus dem Schlaf gerissen werden. Esther konnte gut darauf verzichten, dass die Decker auch noch sauer auf sie wurde, weil sie sie aus dem Bett schmiss. Doch es war egal, wie intensiv sie die Zeiger der Wanduhr anstarrte, es war erst kurz vor 8 Uhr und sie hatten definitiv keine Zeit zu verlieren.

Als sie gegen 5 Uhr heute Morgen vom Klingeln ihres Telefons aus dem Schlaf gerissen worden war, und Manfred ihr mitgeteilt hatte, dass er sie in 20 Minuten abholen würde, war Esther noch hundemüde gewesen, denn nach der Festnahme von Anna Henkes‘ derzeitigem Freund, die sie mitten in der Nacht vorgenommen hatten, war sie viel zu aufgekratzt gewesen, um nach Hause zu gehen und sich schlafen zu legen. Abgesehen davon hatte es einfach noch zu viele Ungereimtheiten gegeben, und sie war alles andere als zufrieden gewesen. So hatte sie bis nach 2 Uhr zunächst über dem Obduktionsbericht und dann über den Schriftstücken, die sie in der Wohnung der Toten sichergestellt hatten, gesessen. Schließlich hatte sie aber doch Feierabend gemacht, wenn auch nur, weil sie gewusst hatte, dass sie es nur durchhalten würde, diesen Fall gemeinsam mit Manfred als dessen rechte Hand zu bearbeiten, wenn sie sich ihre Kräfte einteilte. Mit Sicherheit würde sie ihren neu gewonnenen Status noch bitter mit Freizeit und Nachtschlaf bezahlen müssen.

„Jan Liebig“, sagte Manfred nur, als Esther zu ihm in den Wagen stieg.

„Will der jetzt etwa doch reden?“

Esther musste ein Gähnen unterdrücken. Sie wunderte sich zwar nicht wirklich über den Sinneswandel des Verdächtigen, denn eine Nacht in Haft konnte immer wieder Wunder bewirken, wohl aber darüber, dass Manfred gewillt war, den Wünschen Jan Liebigs so früh am Morgen nachzugeben.

„Ja. Aber nicht mit uns. Er brüllt schon seit über einer Stunde rum, er wolle Sandra Decker sprechen. Und bevor ich hier irgendetwas entscheide, will ich wissen, was da los ist.“

Esther war völlig verwirrt. Jan Liebig wollte mit Sandra Decker sprechen.

Aber die beiden kannten sich nicht, das hatten sowohl er als auch die Decker bestätigt.

Es war kurz nach 6 Uhr, als sich Esther, Manfred und Jan Liebig schließlich gegenüber saßen. Der Verdächtige wirkte völlig überdreht. Vermutlich hatte er die ganze Nacht kein Auge zugemacht.

„Guten Morgen, Herr Liebig. Wie ich höre, wollten Sie uns sprechen?“, begann Manfred höflich.

„Nee, wollte ich eigentlich gar nicht“, war die patzige Antwort.

„Nun gut, dann lassen Sie es mich anders formulieren. Wie ich höre, haben Sie einen Wunsch. Also bin ich mit meiner Kollegin hierhergekommen, um von Ihnen persönlich zu erfahren, was es damit auf sich hat?“ Manfred lächelte geduldig.

„Ja schon. Sie wollen jetzt also von mir hören, was ich will?“

Manfreds höfliche Art irritierte Jan Liebig sichtlich. Er schien für einen Moment nicht zu wissen, wohin mit seiner aggressiven Energie, die ihn zunächst hatte vorwärts preschen lassen.

„Ich will mit der Sunny sprechen. Mit der Sunny Decker. Mit der Psychologin. Mit der Psychosunny.“

Manfred nickte.

„Okay, Herr Liebig. Sie verstehen sicher, dass ich mit diesem Wunsch meine Schwierigkeiten habe.“

Er hob beschwichtigend beide Hände, denn Jan Liebig hatte schon wieder begonnen ihm vernichtende Blicke zuzuwerfen und sichtlich empört nach Luft zu schnappen.

„Nein, verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich finde Ihr Anliegen durchaus legitim. Warum sollten Sie nicht mit Frau Decker sprechen? Natürlich dürfen Sie grundsätzlich mit ihr sprechen. Das Problem dabei ist nur, dass es letztlich Frau Deckers Entscheidung ist, ob sie mit Ihnen sprechen will. Ich kann da höchstens als Mittelsmann fungieren. Und das kann ich eben nur dann vernünftig, wenn Sie mir sagen, was Sie von der Dame wollen.“

Jan Liebigs Züge hatten sich zunächst entspannt, jetzt blickte er aber wieder finster drein.

„Sagen Sie mal, halten Sie mich eigentlich für völlig bekloppt? Das glaubt Ihnen ja kein Mensch. Natürlich können Sie der einfach sagen, dass ich mit ihr sprechen will, und die entscheidet dann selber. Da brauchen Sie doch gar nix zu wissen.“

„Aber vielleicht würde Frau Decker sich ja eher zu einem Gespräch bereit erklären, wenn sie wüsste, was auf sie zukäme“, argumentierte Manfred gleichbleibend freundlich. „Und ja, natürlich haben Sie recht damit, dass ich nicht wissen muss, was Sie von ihr wollen. Aber Sie können doch nicht allen Ernstes glauben, dass ich die Frau einfach so hierher hole und dann dafür gerade stehe, wenn Sie ihr irgendeinen Blödsinn erzählen?“ Manfred lächelte noch immer. „Ich müsste mich da ja sowieso auf Ihr Wort verlassen, und das würde ich auch tun. Aber einen Fingerzeig bräuchte ich schon.“

„Boah“, stöhnte Jan Liebig genervt, „also gut. Ich versprech‘, dass ich nicht gemein zu eurer Frau Decker bin.“ Er zog den Namen provokativ in die Länge. „Ich will bloß mit der sprechen, über die Anna und wie das am Schluss alles war.“

Manfred war hellhörig geworden und sah Jan Liebig forschend an, was diesem nicht entging.

„Ja, wenn ihr mir die Sunny herbringt, die ist ja immerhin Psychologin, mit der würd‘ ich sprechen. Der würd‘ ich erzählen, was da gestern passiert ist. Was ich da gemacht hab‘ und so.“

Seufzend griff Esther nun zum Telefonhörer und wählte Sunnys Nummer.

„Decker“, die Stimme am anderen Ende der Leitung klang zwar verwundert, aber Gott sei Dank nicht schläfrig. Sunny Decker war es ganz offensichtlich nicht gewohnt so früh am Morgen gestört zu werden, aber zumindest war sie schon wach gewesen.

„Guten Morgen Frau Decker, hier ist Esther Marquart. Bitte verzeihen Sie die frühe Störung. Ich rufe Sie an, weil ich eine Bitte an Sie habe, die keinen Aufschub duldet.“


Immer wenn es regnet

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