Читать книгу Immer ist alles schön - Júlia Wéber - Страница 7
ОглавлениеIch stehe im Hof unter der großen Linde und sehe bei Frau Wendeburg Licht. Ich stehe hier und sehe sie in der Küche sitzen, unter dem tiefen Lampenschirm, vom Küchenlicht beleuchtet. Der Wind kommt in Schüben in den Hof, dreht seine Runden, geht, und der Donner klingt leise, als brächen Felsen innerhalb des Himmels, in einem Himmel außerhalb der Stadt.
Ich denke an Frau Wendeburgs Fassadenblick.
Ihre Wollmäntel sind weich, auf ihren Schultern liegen Schuppen wie Schneeflocken, das kann ich immer dann erkennen, wenn der Wollmantel dunkel ist, und ich weiß, dass an ihrem braunen Regenschirm eine Speiche verbogen ist.
Frau Wendeburgs Wollmäntel sind grün, rot, braun, orange, weiß. Frau Wendeburgs Haut ist hellbraun gefleckt, weißlich, billigpuderdosenorange, rosarot.
Und an ihrem Arm machte der leere Leinenbeutel einen Leinenbeuteltanz im Wind. Der Wind bewegte auch die Blättchen am Baum. Frau Wendeburg, die langsam davonging.
Und jetzt ihr Lächeln an der Scheibe. Ein Vorhangzurseiteschieben mit zwei Fingern, ihr rundes Gesicht. Sie schaut nach draußen. Ich stelle mich hinter den Baum.
Frau Wendeburg kennt unsere Wohnung von früher, sie kennt das Rauchen von Mutter auf dem Balkon. Sie kennt Brunos Schlaf und meinen. Sie hat Toast Hawaii für uns gemacht, das weiß ich noch, weil der Schinken salzig war und die Ananasscheiben süß. Wir mussten uns waschen vor dem Schlafengehen mit den Waschlappen, die kratzten, sie waren alt und steif, nicht weich wie Frau Wendeburgs Mäntel. Sie hatte die Tür unseres Schlafzimmers offen gelassen, weil sie dachte, wir könnten nicht schlafen ohne Licht. Der Fernseher war laut, wenn sie da war, das weiß ich noch, weil ich nicht schlafen konnte wegen Fernseher und Licht. Sie roch nach Kräutern, Frau Wendeburg, auch nach Rose, auch nach der Katze und nach Vergangenheit roch es da, wo Frau Wendeburg war. Sie kennt das durch die Wand fließende Wasser, wenn Mutter nach dem Bad den Stöpsel zieht.
Und Frau Wendeburg schaut nach draußen zu mir. Sie lächelt, ich sehe ihr kreisrundes Gesicht an der Scheibe, darin das Lächeln, das unheimlich ist, weil es nirgends hingeht, niemanden meint, der da ist.
Und sie steht auf, stößt mit dem Kopf gegen den Lampenschirm, das Licht geht hin und her, hin und her, Licht und Schatten liegen abwechselnd auf Frau Wendeburg, die zu tanzen beginnt. Ich sehe, wie sie die Arme hebt. Sie tanzt zu keiner Musik, und sie tanzt mit jemandem, langsam. Frau Wendeburg mit dem Kopf an eine Brust gelegt. Sie geht mit dem Licht der Lampe hin und her, tritt von einem Fuß auf den anderen. Hinter ihr glänzt die Küchenablage silbern. Hinter ihr dampft das Wasser im Teekocher. Der Dampf steigt hoch, es sammeln sich Tropfen am Kunstholz des Küchenschranks und fallen wieder. Neben ihr sind die Blumen auf dem klebrigen Plastiktischtuch grün und rot; auf dem Tischtuch steht die Pfeffermühle, und um die Mühle herum liegt Pfefferstaub. An der Wand ein Bild im Goldrahmen, ein Bild von Frau Wendeburg mit einer weißen Katze auf dem Sofa im Wohnzimmer, das Sofa ist braun.
Frau Wendeburg riecht nach Rose.
Der Lampenschirm steht jetzt still, das Licht, keine Tropfen mehr am Küchenschrank. Das Unwetter ist weitergezogen, an der Stadt vorbei. Noch zweimal weit weg ein leises Donnern. Als es draußen finster ist, löscht sie das Licht.
In unserer Wohnung sagt Mutter, dass sie froh sei, dass ich da bin. Sie habe sich Sorgen gemacht.
Aber warum?, frage ich.
Weil es regnet, sagt sie.
Aber es regnet nicht, sage ich.
Doch, bestimmt, sagt sie, und dass ich Bruno sagen soll, er solle sich endlich waschen.
Ich sage Bruno, dass er sich waschen soll.
Bruno sagt, Nein, er habe keine Lust, sich zu waschen.
Aber duschen kannst du dich, das ist angenehm, sage ich.
Aber duschen möge er nicht, sagt Bruno, das Wasser sei immer kalt oder heiß. Drehe man es kühler, werde es kalt, und drehe man es wärmer, werde es heiß, und so könne er sich niemals entspannen, und er möge es nicht, wenn ihm Wasser über das Gesicht laufe, dann hätte er das Gefühl, er müsse sich fortwährend das Gesicht trocknen.
Wasch dir wenigstens die Füße, sagt Mutter, wenigstens das könntest du für uns tun.
Bruno reibt sich die Füße mit Seife ein, ich betrachte mein Gesicht im Spiegel und sage ein paar Sätze, die ich zu Peter sagen könnte.
Gestern habe ich bei Regen unter der Linde gestanden, und es roch nach Schnecke, sage ich. Gestern habe ich unsere Nachbarin tanzen gesehen mit ihrem Mann, den es nicht gibt. Ich möchte nie so tanzen müssen wie sie. Und du?
Peter, sage ich zu mir im Spiegel, meine Mutter ist eine wunderbare Tänzerin, und ich mag es, wenn du von deinem Apfel so große Stücke abbeißt, dass man die Stücke an deiner Wangeninnenseite noch erkennen kann.
Bruno sagt nichts, aber ich spüre seinen Blick am Hinterkopf. Im Spiegel sehe ich seine eingeseiften Füße. Ich drehe mich nicht zu ihm um, sehe nur die Füße.