Читать книгу Die Schwelle - Jo Danieli - Страница 4

Eine Gruppe Klienten mit Terminen wartet darauf, im Nutzamt aufgerufen zu werden.

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Es ist Spätherbst. Drei Frauen und vier Männer befinden sich in einem kahlen, mit abwaschbarer Farbe beige gestrichenen Warteraum, der künstlich erleuchtet ist, obwohl Tageslicht herrscht. Das Fenster hat keine Jalousien und keine Vorhänge wie auch kein Kreuz und keine Griffe. Ein schwerer Plastiktisch steht in der Mitte des Raumes, und ein alter, großer Computerbildschirm befindet darauf, auf dem ein kleiner gelber Zettel klebt, auf dem “DENKMAL” geschrieben steht. Lose liegende Kabel führen in eine Ecke unter einen weiteren Plastiktisch. Dort stehen auch ein so gut wie leerer Wasserspender mit etwas brackig aussehender Flüssigkeit und einige leere Broschüren-Spender sowie ein Kleiderständer. Ein Spinnennetz hängt in der Raumecke. Der Boden besteht aus grau-beige gemustertem Linoleum, und schutzig-weiße verbiegbare Plastiksessel sind die Wand entlang aufgereiht. Einige Sessel stehen neben dem Tisch in der Raummitte. Auf einem Garderobe-Ständer hängen Jacken, Schals und Mäntel.

Zwei Schilder hängen an den Wänden.


NUTZAMT, PROVENIENZ DISTRIKTE 44-52

TELEFONIE STRIKT UNTERSAGT


Zwei geschlossene beschilderte Türen, “Dist. Ref. A. Suzzi” und “Prom. Dist. Ref. O. Braun” führen in zwei anschließende Räume. Links und rechts führen Schwingglastüren zu Ausgängen und Stiegenfluchten.


Es ist ganz leise im Warteraum des Nutzamtes. Straßenlärm ist zu hören. Zuweilen erklingen Schritte und gedämpfte Bürogeräusche. Die Anwesenden geben vor, einander zu ignorieren, beobachten einander aber heimlich. Fatme (35), eine bildhübsche arabisch-stämmige Frau mit grell orange, schwarz und grün gemustertem Kopftuch und langem Wickelrock, sitzt kerzengerade in Werners (48) Blickrichtung, ein behäbiger Mann im Anzug, der sie immerzu beobachtet. Sobald Fatme ihren Kopf bewegt, schaut Werner weg. Fatme wirft nur kurze Blicke in die Umgebung, schaut geradeaus, Kaugummi kauend. An die Wand lehnt steht Franziskus (55) mit grau meliertem Haar, in Jeans und Leder gekleidet, mit befransten Stiefeln.

Nahe dem Computerbildschirmtisch sitzen der dunkelhäutige, sehr sportlich-muskulöse Milo (27, großgewachsener Schwarzafrikaner) und der blasse, mollig Blonde Gerhard (33) nebeneinander. Gerhard trägt eine schwarze Strickmütze und reißt sie sich vom Kopf, fährt sich durch die Haare. Milo hält die Augen geschlossen und summt manchmal leise, als ob er meditieren würde. Gerhard beobachtet ihn, hält die Arme verschränkt und löst sie wieder, verändert öfter seine Position, offenbar genervt. Immer wieder schaut er auf seine Armbanduhr und schüttelt den Kopf. Zuweilen macht er wie im Selbstgespräch Gesten zu den geschlossenen Türen hin, fährt sich durch die Haare. Niemand erwidert seinen Blick.

An der Wand sitzen die langhaarige, etwas vulgär und sehr bunt gekleidete Mariella (26) mit langen, künstlichen pinkfarbenen Nägeln und die verhärmt wirkende Brünette Rosalind (42), die ein altmodisches graues Wollleid mit Plisseefalten und einen Schal trägt.

Der schüchtern wirkende, korpulente Werner öffnet immer wieder seinen Aktenkoffer, ordnet etwas darin, schließt den Koffer wieder. Ansonsten sitzt er starr. Auf dem Tisch liegt eine Zeitung mit einem alten, weißbärtigen Männergesicht, das Werner anstarrt und manchmal, in seiner Wahrnehmung, Grimassen schneidet. Werner ist darüber irritiert, beherrscht sich aber.

Die Anwesenden nehmen immer wieder ihre Nutzamts-Terminkarten in die Hände und spielen damit. Sie warten und lauschen, schauen auf ihre Uhren und aus dem Fenster.

Alle Anwesenden haben Manierismen, die sie unaufhörlich ausüben:

Mariella arrangiert ständig ihre Haare und spielt mit ihrem Armband. Rosalind beißt auf ihren Lippen herum, streift immer wieder ihr Kleid glatt und wischt sich die schweißigen Handflächen. Sie geht oft herum. Fatme bemüht sich um eine aufrechte Haltung, korrigiert sich selbst und kaut Kaugummi. Die gekauten Kaugummis wickelt sie in Papier und steckt sie in ihre Jackentasche. Gerhard ist in Eile, rollt ständig Broschüren und seine Terminkarte zusammen und macht “Fecht”-Bewegungen damit oder klopft auf sein Knie damit. Er spielt mit seiner schwarzen Strickmütze, bohrt Löcher hinein und starrt die anderen an.

Milo summt, gähnt, streckt und reckt sich, als absolviere er ein Stretching-Programm. Oft hält er die Augen geschlossen, meditiert oder nimmt Yoga-Positionen ein. Werner starrt betrübt vor sich hin, knetet seine Finger, öffnet und schließt seinen Aktenkoffer. Er beobachtet das Gesicht auf der Zeitung, fasziniert und verlegen. Franziskus seufzt oft laut, als ob er leiden würde. Er gibt sich betont lässig, greift sich in den Schritt, schaut herausfordernd umher, hält Blicken aber nicht lange stand.

Die Wartenden verändern ihre Positionen, während die Zeit vergeht, etwa fünfundvierzig Minuten. An der Wand hängen viele kleine Papieranschläge, die von den Wartenden gemustert werden.


Kein Betreten der Offizien durch Private.

Niemals anklopfen!

Eintreten durch Unbefugte wird bestraft.

Gesprächskontakt nur nach Aufforderung.

Ruhe und Ordnung per Gesetz!

Sitzen Sie still, und stören Sie niemanden.

Namensnennung ist abzuwarten!

KEIN Ansprechen der Distriktreferenten!

Antragsteller benutzen das WC im 5. Stock.

Telefonie striktest untersagt!


Plötzlich ertönt irgendwo gedämpft Geigenmusik. Die Wartenden reagieren darauf, schauen sich um, runzeln, die Stirn, seufzen. Sie vermeiden, einander direkt anzuschauen, beobachten einander aber heimlich. Irgendwem knurrt der Magen. Ein Gurgeln ist zu hören. Jemand bewegt sich, und Schuhe quietschen auf dem glatten Boden. Gerhard schleudert seine schwarze Strickmütze in die Höhe und fängt sie wieder auf.


Die Schwelle

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