Читать книгу Die Schwelle - Jo Danieli - Страница 9

Frau Suzzi und Gerhard haben einen Streit.

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Alle haben wieder andere Positionen, beobachten einander.

Gerhard, seine schwarze Wollmütze mit den Zähnen haltend, schlägt mit einer zusammengerollten Broschüre im Rhythmus gegen sein Knie. Rosalind lehnt genervt am Fenster und schaut Gerhard tadelnd an: “Das kann nicht helfen.”

Gerhard spuckt seine Mütze aus und fängt sie auf: “Oh, haben Sie eine Ahnung! Sonst wär’ ich nämlich schon längst da drinnen und hätte jemanden –“ Er macht ein hasserfülltes Gesicht und ballt eine Faust. Dann springt er auf und patrouilliert gereizt an den Türen vorbei, mit seiner Wollmütze die Schilder schlagend.

Werner weicht ihm aus und setzt sich schüchtern wieder hin.

Gerhard: “Verdammte Tyrannen.”

Die Marschmusik im Hintergrund hört auf einmal auf.

Gerhard: “Mir reicht’s. Das war’s!” Er wendet sich zur Tür von Frau Suzzis Büro und klopft an. Alle Anwesenden reagieren erschrocken. Nur Mariella macht eine Geste der “Zeitungs-Überschrift”, flüstert: “Volksheld beginnt illegalen Feldzug!”

Als keine Antwort auf sein Klopfen erfolgt, klopft Gerhard noch einmal. Er schaut sich zustimmungsheischend nach den Anderen um (die sich nicht rühren) und legt die Hand auf die Türklinke ...

... und er fährt erschrocken zurück, weil die Bürotür aufgerissen wird und Frau Suzzi plötzlich heraustritt, ein LapPad und einen Stift in der Hand. Ihr Mund steht offen vor Empörung als sie Gerhard anstarrt, der einen Schritt zurück macht und schluckt. Frau Suzzi deutet mit dem Stift auf Gerhard.

Mariella (murmelt): “Oder auch nicht.”

Gerhard und Frau Suzzi starren einander Momente lang an, dann schiebt Frau Suzzi ihren Kopf aggressiv fragend nach vorne und glotzt Gerhard mit geweiteten Augen an. Gerhard öffnet den Mund und starrt Frau Suzzi fasziniert abgestoßen an. Sie legt den Kopf schief und deutet auf die vielen Schilder.

Frau Suzzi: “Analphabet?” (grinst kalt) “Vier Stockwerke höher. Abteilung 104, DMA, Divers minderbemittelte ApplikantInnen.” Sie wendet sich kopfschüttelnd ab und seufzt bitter. “Wann werden gewisse Individuen endlich kapieren –“

Gerhard gewinnt plötzlich die Fassung wieder und tritt ihr in den Weg, faucht drohend: “Gewisse? Individuen?”

Frau Suzzi schaut arrogant-amüsiert zu ihm auf und mustert ihn provokant: “Aus dem Weg.”

Gerhard hebt auffordernd den Kopf: “Ich bin jetzt dran.”

Frau Suzzi (erhebt die Stimme): “Immer das gleiche mit denen, die es nicht zustande bringen, ihre Vernetzung in Ordnung zu halten. Dafür gibt es Gründe, wie wir wissen, wenn Individuen sich so anstellen ...”

Gerhard: “Gewisse Individuen haben vielleicht keinen gewissen High-Tech-Scheißdreck daheim ... weil sie daheim überhaupt nicht nicht viel haben ...”

Frau Suzzi: “... und wozu werden die Regeln, die Schulungen, die Anleitungen und die Vernetzungen erstellt, ha ... wenn die Bürger zu faul zum Lesen sind?”

Im plötzlich eintretenden Schweigen schaut Frau Suzzi Gerhard direkt ins Gesicht: “Sie sind gar nicht dran.”

Gerhard: “Verdammt, doch.”

Frau Suzzi: “Aber nicht bei mir.” Sie weist mit dem Finger auf einen Sessel hinter Gerhard, als ob dieser ein Hund wäre, der sich dorthin begeben solle. Gerhard bleibt wie angewurzelt stehen.

Frau Suzzi schaut Fatme an und macht eine auffordernde Kopfbewegung zu ihr hin. Fatme schrickt auf und schüttelt unwillkürlich den Kopf und schaut zu den Anderen.

Gerhard sticht nun mit dem Finger knapp vor Frau Suzzis Gesicht in die Luft, schreit: “Wo steht, dass Sie mich beleidigen sollen? Ha? Wissen Sie was? Ich glaube, dass ihr schlaffer Arsch gar nicht auf den Sessel dort gehört!”

Frau Suzzi schaut ihn eiskalt an und hebt ihr LapPad: “Sogar Sie waren vermutlich in irgendeiner Art von Schule, und dort hat es wohl Regeln gegeben ...”

Im Hintergrund räuspert sich Franziskus, und seiner Stimme ist anzuhören, dass er sich nur mühsam beherrscht: “Wir waren alle pünktlich hier.”

Frau Suzzi ignoriert ihn und spricht weiter zu Gerhard: “Ordnungsregelungen gibt es aus gutem Grund.”

Mariella macht eine mühsam beherrschte “Headline”-Geste, knurrend: “Nutzamts-Beamtin hält Schweinerei für Ordnung!”

Gerhard: “Und irgendeine verdammte Regel schreibt sogar Ihnen Pünktlichkeit vor, Sie ...”

Frau Suzzi schaut noch einmal zu Fatme hinüber, aber als diese sich weiter umschaut (weil sie nicht dran ist), zuckt sie die Schultern und macht einen provokanten Schritt auf Gerhard zu, der ihr spontan ausweicht. Und sie geht in ihr Büro zurück.

Rosalind ruft, erregt: “Wirklich, Madame! Wir waren alle pünktlich!” Sie schaut Frau Suzzi flehend nach, aber Frau Suzzi dreht ihr den Rücken zu und geht über ihre Türschwelle. Gerhard stemmt sich gegen die Tür, die Frau Suzzi gerade schließen will: “Ich will wissen, warum das so lange dauert!”

Frau Suzzi (über ihre Schulter): “Treten Sie zurück!”

Gerhard schlägt mit der flachen Hand gegen die Tür und schreit: “Antworten Sie!”

Frau Suzzi: “Hier wird namentlich aufgerufen ...” (zornig) “... soll ich’s Ihnen buchstabieren?”

Sie drückt die Tür heftig zu, und Gerhard muss zurückweichen, weil er nicht eingeklemmt werden will. Er wendet sich mit einem hysterischen Kichern und ausgebreiteten Armen zu seinen Kollegen: “Seht ihr das? Habt ihr das gesehen? Sie hat keinen Respekt! Sie denkt, ich bin ein ...” (dreht sich um, schreit) “... verdammter Idiot!” Er drischt mit der Faust gegen die Tür. Die Anderen murmeln. Werner seufzt, erregt.

Mariella: “Nur keinen Infarkt! Hab’ ich mal gesehen. Grausig.” (winkt) “Denken Sie an Ihre vielen Kinder. Wasser?” Sie deutet auf den Wasserspender, indem das verbliebene Wasser grünlich trüb aussieht.

Gerhard marschiert in die Raummitte und schaut den Computerbildschirm zornerfüllt an, und er schlägt mit seiner Wollmütze dagegen, und Rosalind gesellt sich eilig zu ihm und schüttelt den Kopf. Gerhard schaut sie geradezu verwirrt an: “Aber es ist das Nutzamt!” Er hebt die Faust gegen den Computerbildschirm. Rosalind nimmt Gerhard sanft am Arm, was er sich verblüfft gefallen lässt und führt ihn zu seinem Sessel. Er setzt sich gehorsam hin.

Rosalind: “Niemand weiß, was genau macht diese Amt, alors ...” Sie nimmt Gerhard die schwarze Wollmütze aus der Hand und setzt sie ihm sorgfältig auf.

Gerhard (seufzt): “Die arbeiten für uns. Damit wir arbeiten können, digital.”

Die anderen Anwesenden machen zustimmende Geräusche.

Gerhard: “Zahlen wir Nutzgenussabgaben oder nicht?”

Franziskus: “Nein. Wir zahlen nicht! Sie werden einfach einbehalten. Mich hat noch nie jemand gefragt.”

Gerhard: “Die Schlampe hat kein Recht, mich so zu behandeln!”

Franziskus seufzt laut und macht eine abwehrende Bewegung: “Man kann die Bürokraten nicht ändern. Hat Ihnen Ihr Vater oder Großvater das nicht erklärt?”

Gerhard: “Aber wir haben nicht mehr 1975!”

Milo (zu Gerhard): “Diese Beamten haben zwei taube Ohren. Von Berufs wegen. Ist nichts Persönliches.”

Gerhard starrt ihn an, als höre er ihn gar nicht. Er schaut auf seine Armbanduhr, nimmt dann eilig seine Jacke, springt auf und wendet sich zum Gehen.

Fatme richtet sich auf, winkt und spricht in österreichischem “Slang” (kaugummikauend): “Aber die Kohle können Sie dann vergessen. Und das Abo.”

Gerhard schaut sie glasig an, zuckt die Schultern.

Mariella: “Und den Bonus.”

Fatme: “Und die Nachfolge-Lizenzen.”

Franziskus kichert: “Überhaupt die Erledigung.”

Gerhard: “Ich muss mein Kind abholen!”

Franziskus: “Und ein Bier trinken? Wer nicht?”

Mariella: “Nächster Termin? Wer weiß. Vielleicht nie!”

Gerhard schaut unsicher zwischen den Anderen hin und her und zieht sich zornig die Mütze vom Kopf, drückt sie in den Händen.

Milo: “Durchatmen!” Er tritt zu Gerhard und legt ihm eine Hand auf die Brust und eine auf den Rücken. Gerhard schaut ihn warnend an, und Milo tritt zurück: “Sorry. Bei Kindern wirkt das beruhigend.”

Rosalind sucht das Fenster nach einer Möglichkeit, es aufzumachen ab. Aber da ist keine. Rosalind geht zu einer der Glastüren, um sie zu öffnen, aber Franziskus schüttelt warnend den Kopf: “Da gibt's sicher irgendeine Regel. Und wir kriegen alle Probleme, falls es verboten ist.”

Rosalind greift sich an die Gurgel (murmelt): “Ich ersticke.”

Gerhard lässt sich erschöpft auf seinen Sitz fallen. Für Momente kehrt Ruhe ein.

Mariella wendet sich an Fatme: “Aber Sie hätten drankommen können!”

Nun wenden sich alle Fatme fragend zu. Sie macht nervös eine große Kaugummiblase, zerstört sie sie mit der Hand, sodass der Kaugummi überall klebt (und Fatme kämpft nun darum, ihn von den Händen zu klauben): “Ich war nicht dran. Ich bin Dritte, oder Vierte.”

Werner schaut betreten weg, und seufzt unabsichtlich so tief, dass ihn alle erstaunt anschauen. Das weißbärtige Zeitungsgesicht schaut ihn auch vorwurfsvoll an, und öffnet verlegen seine Aktentasche und kramt darin herum.

Mariella macht wieder die Geste der “Zeitungs-Überschrift”, aber Fatme wirft ihr einen warnenden Blick zu, und Mariella lässt es bleiben.


Die Schwelle

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