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TOD AUF DER BRÜCKE

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Schlecht gelaunt steuert Jürgens den Dienstwagen scharf nach rechts und biegt von der Landstraße auf den steinigen Feldweg ein.

Warum musste sich dieser Typ ausgerechnet auf einer abgelegenen Fußgängerbrücke erschießen lassen und warum ausgerechnet an einem Sonntagmorgen, nein, warum ausgerechnet an diesem Sonntagmorgen und warum überhaupt!?

Ulrich Jürgens, Jahrgang 1960, Kriminalhauptkommissar und Dezernatsleiter in Karlsruhe, hat sich seinen heutigen Geburtstag anders vorgestellt: lange ausschlafen, ausgiebig duschen, Frühstück, oder besser noch, Brunch mit seiner Frau auf der Terrasse, dabei vermutlich ein Geschenk auspacken. Der restliche Tag war offen, aber keinesfalls für eine Mordermittlung vorgesehen.

Und jetzt das! Spaziergänger haben die Leiche eines Mannes auf einer Fußgängerbrücke über der A5 zwischen Karlsruhe und Bruchsal entdeckt. Der aufgescheuchte Polizeiposten im nahegelegenen Weingarten hat dann das Dezernat informiert und blöderweise ist er, Jürgens, der einzige erreichbare Hauptkommissar gewesen. Wieso ist er überhaupt ans Telefon gegangen? Zu spät, schließlich gibt es ja auch nicht alle Tage einen Mord in Karlsruhe.

Nachdem er einige Minuten über den holperigen Weg gefahren und mehrfach heftig an wildwucherndem Gestrüpp entlanggeschrammt ist, taucht vor ihm ein rot-weißes Absperrband auf. Dahinter stehen zwei Streifenwagen rechts und links des Weges auf der Wiese. Die dazugehörigen Uniformierten sieht er etwa 100 Meter weiter mitten auf einer Brücke, die auf die andere Seite der darunterliegenden Autobahn führt. Vor ihnen am Boden kniet eine in weiß gekleidete Gestalt: der Gerichtsmediziner. Er ist auch gerade erst angekommen und jetzt in seinem hellen Overall dabei, den leblosen Körper am Boden zu untersuchen.

»Und Sie sind dann wohl der Glückspilz, dem, genau wie mir, der Sonntag versaut wurde«, begrüßt der Doktor den Kommissar, ohne den Kopf zu heben.

»So ist es«, Jürgens streckt ihm die Hand entgegen, aber der Mediziner schüttelt nur kurz den Kopf und hält seine behandschuhte Rechte in die Luft.

»Geht jetzt nicht. Ich heiße Neumann und habe die Ehre, den forensischen Teil dieser Angelegenheit zu übernehmen.« »Jürgens, Hauptkommissar, und ich habe die Freude, den Rest der Ermittlungen übernehmen zu dürfen.« Dann stutzt er. »Gab es nicht erst kürzlich einen ganz ähnlichen Fall?«

»Der tote Jugendliche bei Kronau, der ebenfalls auf einer Brücke über der Autobahn gefunden wurde?«, vollendet Doktor Neumann die Frage des Kommissars. »Ja, richtig, kaum 20 Kilometer nördlich von hier.«

»Den Fall haben die Kollegen aus Heidelberg übernommen.« Jetzt sehen sich die beiden an. »Das kann ja wohl kein Zufall sein. Zwei ähnliche Todesfälle innerhalb von zwei Wochen.«

»Der Junge war aus einem fahrenden Auto heraus erschossen worden, also von der Fahrbahn unterhalb der Brücke aus. Das jedenfalls haben die anderen Jugendlichen in der Gruppe alle übereinstimmend ausgesagt.«

Jürgens legt seine Stirn in Falten und blickt den Gerichtsmediziner unverwandt an. »Könnte sich das hier ähnlich abgespielt haben, können Sie schon etwas dazu sagen?«

Doktor Neumann blickt jetzt wieder nach unten auf den leblosen Körper. Der Tote liegt auf dem Rücken, die Lider über den blicklosen Augen halb geschlossen, mitten auf der Stirn ist ein münzgroßes, blutverschmiertes Loch. Unter dem Kopf hat sich das Blut aus der großen Wunde am Hinterkopf in einer breiten Lache gesammelt.

»Glatter Durchschuss mit einer großkalibrigen Waffe«, erklärt der Rechtsmediziner professionell. »Kein Projektil auffindbar, deshalb kann ich mich nicht auf das genaue Kaliber festlegen.«

»Können Sie einschätzen, ob der Schuss aus der Nähe oder eher von weiter entfernt abgegeben wurde?«

»Ein Schuss aus nächster Nähe war das sicher nicht, dafür fehlen die Schmauchspuren an der Leiche.« Neumann deutete mit seinem behandschuhten Finger auf die Wunde. »Ansonsten kann ich aber nichts weiter über die Entfernung oder die Richtung, aus der der Schuss kam, sagen. Wie Sie sehen, liegt der Mann auf dem Rücken. Es ist unmöglich genau zu wissen, ob er zum Zeitpunkt des Schusses den Kopf gesenkt gehalten, oder nach rechts oder links oder geradeaus geschaut hat.«

»Somit kann der Schuss also von überall gekommen sein.« Jürgens verzieht frustriert das Gesicht. »Können Sie wenigstens abschätzen, wann der Schuss gefallen ist?«

Doktor Neumann wiegt den Kopf hin und her. »Die Totenstarre ist noch nicht vollständig eingetreten. Unter Berücksichtigung der Körpertemperatur und der Umgebungstemperatur ergibt sich, dass der Mann zwischen acht und zehn Uhr heute früh erschossen wurde. Für eine genauere Uhrzeit müssen Sie die Obduktion abwarten.«

»Da er offensichtlich zum Joggen unterwegs war, wird er wohl keine Brieftasche bei sich haben. Gibt es denn schon irgendeinen Hinweis auf seine Identität?«, fragt Jürgens skeptisch.

»Ja, gibt es. Er hatte einen Autoschlüssel bei sich und ich glaube, die Kollegen haben bereits den dazu passenden Wagen dahinten entdeckt.« Während er spricht, deutet der Gerichtsmediziner mit einem Kopfnicken zuerst in Richtung der beiden Polizisten und dann zum Waldrand auf der anderen Seite der Brücke.

Ein Uniformierter nähert sich Jürgens zögernd. »Beim Streifenwagen steht das Ehepaar Schulz. Wollen Sie mit ihnen sprechen?«

»Wer ist das Ehepaar Schulz?«, fragt Jürgens genervt zurück. Der Polizeikollege wirkt eingeschüchtert von Jürgens‘ Reaktion. »Sie haben den Toten entdeckt.«

»Ah, gut, danke, ich werde mich gleich um die beiden kümmern.« Jürgens bedauert, seinen Kollegen angeblafft zu haben, schließlich tut auch der nur seine Arbeit und hätte sich sicherlich ein schöneres Wochenende vorstellen können.

Bedächtig schreitet er über die Wiese auf das Ehepaar zu. Die beiden sind im Rentenalter und haben auf ihrem Sonntagmorgenspaziergang die Leiche auf der Brücke entdeckt. Ansonsten können sie keine weiteren Auskünfte geben, sie haben keinen Schuss gehört und auch nichts Ungewöhnliches beobachtet.

»Sie haben das Auto des Toten gefunden?«, wendet sich der Kommissar nach der Befragung des Ehepaares an die beiden Kollegen in Uniform.

»Ja, ein schwarzer Einser-BMW, steht dort hinten auf dem Wanderparkplatz. Ist momentan das einzige Auto dort, deshalb konnten wir ihn leicht finden und mit der Fernbedienung öffnen.«

»Gut, haben Sie im Wagen nachgesehen?«

»Klar, dort haben wir eine Geldbörse und ein Handy im Handschuhfach gefunden. Anhand des Personalausweises im Geldbeutel konnten wir den Toten als Doktor Paul Retzig, geboren am 04.05.1981 in Leimen, identifizieren.«

Ein Name, das ist ein Anfang. »Sehr gut, danke.«

»Außerdem ist da ein Arztausweis, ausgestellt auf Doktor Retzig und an der Windschutzscheibe klebt eine Arztplakette.« Nachdem er sich den Namen, die Anschrift und die Handynummer des toten Doktor Retzig notiert hat, weist Jürgens seine uniformierten Kollegen an, das Handy und den BMW samt Inhalt zur kriminaltechnischen Untersuchung zu überstellen und ihn im Falle von Neuigkeiten sofort zu informieren. Dann nimmt er den Tatort nochmals in Augenschein.

Die Brücke spannt sich in etwa sechs Metern Höhe über die Autobahn. Auf beiden Seiten fällt das Gelände zur Fahrbahn hin steil ab. Der Schuss kann sowohl von unten abgefeuert worden sein, beispielsweise aus einem fahrenden Auto heraus, als auch von rechts oder links der Autobahn, entweder aus einer Böschung oder von oberhalb aus dem Wald, der sich zu beiden Seiten der Autobahn erstreckt.

Inzwischen ist ein Bereitschaftsbus der Polizei angekommen und auf Jürgens‘ Anweisung hin durchstreifen acht Beamte und ein Suchhund das Gelände rund um den Tatort, um mögliche Indizien, beispielsweise eine Geschosshülse oder ein Projektil, sicherzustellen. Aufgrund der üppigen Vegetation und des relativ großen Suchradius ist die Aussicht, etwas Brauchbares zu finden, jedoch sehr klein.

Der Gerichtsmediziner hat seine Arbeit beendet und kommt auf Jürgens zu.

»Für heute bin ich hier fertig. Die Obduktion werde ich morgen Vormittag vornehmen.«

»Gut, wann kann ich mit dem –«

»– mit dem Bericht können Sie frühestens am späten Nachmittag rechnen«, unterbricht ihn Doktor Neumann und grinst Jürgens schief an. Dieser erwidert die Mimik.

»Okay, vielen Dank, dann bis morgen.«

Steiniger Tod

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