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SCHADENSBEGRENZUNG
Оглавление»Gehen Sie einfach rein, der Bürgermeister und der Polizeipräsident sind schon drin«, die Sekretärin des Bürgermeisters weist auf die Tür zum Konferenzraum und widmet sich wieder ihrem Computer.
Am Ende eines sehr langen, dunklen Holztisches mit unzähligen ledergepolsterten Stühlen daneben steht der Bürgermeister im Gespräch mit dem Polizeipräsidenten. Er erblickt Jürgens und wendet sich ihm zu.
»Und Sie müssen Hauptkommissar Jürgens sein, richtig?«
»Richtig, guten Tag, Herr Bürgermeister«, er ergreift die ausgestreckte Hand des Bürgermeisters und erwidert die höfliche Geste.
Auch der Polizeipräsident begrüßt ihn. »Schön, dass Sie so kurzfristig Zeit für uns haben.«
»Das ist doch selbstverständlich. Am Telefon haben Sie ja betont, wie ernst die Angelegenheit ist.«
Als Antwort schiebt ihm der Polizeipräsident die Tageszeitung zu, die aufgeschlagen auf dem Tisch liegt.
›Ein neues Opfer des Autobahn-Killers?‹ steht da in dicken Buchstaben als Überschrift über einem Bericht zum gestrigen Vorfall auf der Autobahnbrücke. Jürgens runzelt die Stirn. Na toll, hauptsache eine Sensation und schon geht die Auflage bei dem Blatt in die Höhe. Ob die Menschen auf einen derart überzogenen Titel womöglich panisch reagieren, ist diesen Zeitungsleuten offenbar vollkommen egal.
»Ich habe den Bericht gesehen.«
»Gut, außerdem gab es heute schon eine Reportage im Radio über die Geschichte.« Aha, das wird ja immer besser, schießt es Jürgens durch den Kopf, jetzt traut sich bald niemand mehr in die Nähe einer Autobahnbrücke.
Kaum hat der Polizeipräsident den Satz vollendet, tritt ein weiterer Herr zur Gruppe.
Seine düstere Mine lässt nichts Gutes erahnen. »Das ist ernst, jetzt besteht die Gefahr einer Panik oder zumindest Hysterie in der Bevölkerung, das müssen wir unbedingt vermeiden!« »Hallo, Herr Landrat«, der Polizeipräsident schüttelt dem soeben Erschienenen die Hand, ebenso der Bürgermeister und Jürgens, den der Bürgermeister kurz vorstellt.
»Jetzt sind wir vollzählig – Frau Pitz?« Einen Moment später erscheint der Kopf der Sekretärin in der halbgeöffneten Tür. »Frau Pitz, bitte bringen Sie uns Kaffee und Mineralwasser – oder mag einer der Herren lieber Tee?« Allgemeines Kopfschütteln. »Gut, dann also Kaffee und etwas Gebäck!« »Kommt gleich«, damit verschwindet die Sekretärin wieder. »Tja, wie Sie bereits wissen, geht es um den Mordfall gestern auf der Autobahnbrücke und um die Berichterstattung darüber«, der Bürgermeister deutet auf die Zeitung, »die aufgrund des ähnlichen Vorfalles vor zwei Wochen auf einer Brücke bei Kronau einen sogenannten Autobahn-Killer ins Gespräch bringt, und damit Ängste in der Bevölkerung schürt.«
»Gibt es denn Zeugen oder Indizien, die den im Artikel erwähnten Schuss aus einem fahrenden Auto bestätigen?«, fragt der Landrat an den Polizeipräsidenten gerichtet. Der leitet die Frage mit einer Handbewegung an Jürgens weiter. »Nein, nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen könnte der Schuss sowohl von der Autobahn als auch von einer beliebigen anderen Stelle aus abgefeuert worden sein. Es gibt keine Patronenhülse und auch das Projektil selbst konnte nicht sichergestellt werden.«
»Wie kann dieser … Schreiberling dann gleich von einem ›Autobahn-Killer‹ sprechen?«, ereifert sich der Landrat.
»Weil eben vor ziemlich genau zwei Wochen auf einer anderen Autobahnbrücke in der Nähe ebenfalls ein junger Mann aus einem auf der Autobahn fahrenden Auto heraus erschossen wurde. Und in diesem Fall gab es Zeugen. Zwei Jugendliche, die eine Hand mit einer Schusswaffe im oder neben dem Autofenster gesehen haben wollen«, antwortet der Polizeipräsident leicht ungeduldig.
»Ah, okay, verstehe.« Der Landrat wendet sich jetzt an Jürgens »Gibt es denn sonst noch Fakten zu diesem älteren Mord?«
»Der Fall wird von den Kollegen in Heidelberg bearbeitet, aber ich habe mich heute Morgen schlau gemacht und mit dem zuständigen Ermittler telefoniert.«
Jürgens berichtet in kurzen Worten, dass weder die Automarke noch das Kennzeichen des Wagens bekannt sind, und dass auffälliger Weise etwa 15 Minuten vor dem Mord im Radio vor Steinewerfern auf dieser Brücke gewarnt worden ist.
Die dazu befragten Jugendlichen, die sich zusammen mit dem Mordopfer auf der Brücke befunden hatten, stritten zwar ab, Steine oder Gegenstände von der Brücke geworfen zu haben, allerdings konnten die Kollegen auf dem Mittelstreifen der Autobahn wenige Meter von der Brücke entfernt einen fußballgroßen Steinbrocken sicherstellen.
»Dann läuft jetzt jeder Mensch Gefahr, erschossen zu werden, wenn er zu Fuß auf einer Brücke die Autobahn überquert?«, sinniert der Landrat.
»Sofern er von der Autobahn aus zu sehen ist«, vollendet der Polizeipräsident und schaut leicht ungeduldig zum Bürgermeister. »Was können wir dagegen tun?«
Nach kurzem gemeinschaftlichem Schweigen meint der Bürgermeister: »Es gibt ein paar Dinge, die mir dazu einfallen. Aber die sind entweder mit erheblichen Kosten verbunden oder kaum durchsetzbar.«
»Und was wären das für Dinge?« Jetzt sieht der Landrat leicht gereizt aus.
Gerade als der Bürgermeister sich dazu äußern will, geht die Tür auf und die Sekretärin betritt den Raum. Sie balanciert ein großes Tablett mit vier Kaffeetassen, ebenso vielen Gläsern, einer großen, silbernen Thermoskanne, Milch und Zucker und einem Schälchen mit Gebäck zum Konferenztisch und stellt es dort vorsichtig ab.
Der Bürgermeister nimmt den Gesprächsfaden wieder auf. »Okay, ich werfe das jetzt einfach mal in den Raum, bitte betrachten Sie es nicht als offizielle Vorschläge, eher als Ergebnis einer ersten Überlegung meinerseits.
Man könnte alle derartigen Brücken über die Autobahnen in unserem Bereich für Fußgänger bis auf weiteres sperren.« Auf den Vorschlag des Bürgermeisters hin murmelt der Landrat unzufrieden vor sich hin. Er ist nicht überzeugt.
»Oder wir könnten an allen Brücken Sichtschutzvorrichtungen anbringen, senkrecht oder schräg, oder schusssichere transparente Seitenwände, eventuell aus Panzerglas.« »Unbezahlbar!«, bricht es aus dem Landrat heraus, gleichzeitig lehnt er den Gedanken des Bürgermeisters mit einer abwertenden Geste ab.
»Um wie viele Brücken würde es sich denn in unserem Gebiet handeln? Zwanzig, dreißig oder mehr? Ohne genauere Informationen können wir überhaupt nicht abschätzen, wie teuer derartige Maßnahmen wären«, verteidigt sich der Bürgermeister. Seine Miene lässt erahnen, dass er den Landrat in dieser Angelegenheit für ziemlich inkompetent hält.
Der schüttelt den Kopf. »Das spielt keine Rolle. Panzerglas wäre die wohl teuerste Variante.«
Nach einem Moment des Nachdenkens widerspricht der Bürgermeister. »Das kommt ganz darauf an: bei Bauarbeiten an oder auf Brücken ist häufig eine Sperrung der darunter verlaufenden Fahrbahn notwendig, Vollsperrung, Teilsperrung, Umleitung oder was auch immer. Jedenfalls verteuert und kompliziert so etwas eine geplante Schutzmaßnahme erheblich.«
Inzwischen hat die Sekretärin alle vier Tassen mit Kaffee gefüllt und noch rasch eine große Flasche Mineralwasser auf den Tisch gestellt, die auf dem Tablett keinen Platz gefunden hatte.
»Danke Frau Pitz, den Rest schaffen wir alleine.« Damit schiebt der Bürgermeister jedem eine Tasse zu und fordert die Gruppe auf, sich beim Gebäck zu bedienen.
Nachdem die Sekretärin den Raum wieder verlassen hat und jeder der Teilnehmer mit Kaffee, Gebäck und Wasser versorgt ist, nimmt der Bürgermeister einen Schluck aus seiner Kaffeetasse und fährt dann fort. »Panzerglas könnte sicherlich ohne größere bauliche Maßnahmen senkrecht auf den Brücken aufgestellt und befestigt werden, ohne die Sicht und das allgemeine Erscheinungsbild der Brücke wesentlich zu beeinflussen. Eine Straßensperrung wäre gar nicht nötig.«
Auch das überzeugt den Landrat nicht. »Warum kein Sichtschutz aus Holz?«
»Weil Holz relativ schnell verwittert und somit der notwendige Erhaltungsaufwand hoch wäre. Außerdem besteht bei Holz die Gefahr, dass Stücke abbrechen und auf die Autobahn darunter stürzen.«
Nach einer Denkpause und einem weiteren Schluck aus seiner Kaffeetasse fährt der Bürgermeister fort: »Brückensperrungen für Fußgänger wären zwar zunächst relativ einfach zu bewerkstelligen, aber schwer zu überwachen. Außerdem würde dadurch meines Erachtens eine allgemeine Hysterie zusätzlich angeheizt.«
Jürgens, der die Diskussion aufmerksam verfolgt, runzelt besorgt die Stirn.
»In den letzten Monaten habe ich selbst mehrfach Radiomeldungen mit entsprechenden Warnungen vor Steinewerfern auf Autobahnbrücken gehört.
‚Steinewerfer‘ ist inzwischen zu einem allgemein bekannten Begriff für derartige Personen geworden. Das ist erschreckend, finde ich!«
»Warum tun die so etwas?« Der Landrat zieht die Schultern hoch und macht eine ratlose Geste, ehe er fortfährt.
»Ich habe selbst jedes Mal ein unsicheres Gefühl, wenn ich unter einer Brücke durchfahre und oben Menschen stehen und herunterschauen – da können einem schon alle möglichen Gedanken in den Sinn kommen.«
Es entsteht eine kurze Pause, während der Polizeipräsident an seinem Wasserglas nippt und der Landrat eingehend das Gebäck inspiziert.
»Ich kann mir nur Frust oder Übermut als Motiv vorstellen«, meint der Bürgermeister schließlich.
»… oder Geisteskrankheit!«, vollendet der Landrat bitter und beißt in einen Schokoladenkeks.
»Soviel ich weiß gab es nicht nur Verletzte, sondern auch bereits Todesfälle durch Gegenstände, die von Autobahnbrücken geworfen wurden. Vielleicht sollten wir da mal nachhaken. Bundesweit.« Jürgens sieht fragend in die Runde, um zu sehen, was von seinem Vorschlag gehalten wird. »Gute Idee, Jürgens«, der Polizeipräsident wirft ihm einen anerkennenden Blick zu. »Hier könnte ich mir ein Motiv, beispielsweise bei einem betroffenen Angehörigen, vorstellen. Sehen Sie zu, was Sie diesbezüglich in Erfahrung bringen können, so rasch wie möglich!«
»Vielleicht können Sie bei dieser Gelegenheit auch erfahren, was andere betroffene Regionen gegen Steinewerfer unternehmen.« Damit verschwindet der nächste Keks im Mund des Landrates.
Jürgens nickt und hält kurz seinen Daumen als Zeichen für ›okay‹ nach oben.
»Dann schauen wir mal was dabei herauskommt, ehe wir über die anderen Maßnahmen weiterreden. Einverstanden, Herr Landrat?« Der Bürgermeister sieht den Landrat fragend an.
Nach einer kleinen Pause ohne Reaktion vom Landrat, weder ablehnend noch bestätigend, nickt der Bürgermeister allen freundlich zu.
»Ich denke, an dieser Stelle ziehen wir für heute einen Schlussstrich. Wir bleiben in Verbindung und ich würde mich freuen, wenn es bald Fortschritte bei den polizeilichen Ermittlungen zu berichten gäbe«. Dabei sieht er in Richtung des Polizeipräsidenten, der sich daraufhin intensiv mit seinem Handy beschäftigt, um keine Reaktion auf die letzten Worte des Bürgermeisters zeigen zu müssen.