Читать книгу Als noch (fast ) alles möglich war - Joachim Schmierflink - Страница 4
Voßberg
ОглавлениеLange bevor Joe sich entschied, über seine erotischen Erlebnisse in den 70ern und 80ern zu berichten, hatte er natürlich, wie wohl jeder Junge auch, mehr oder weniger sexuelle Erfahrungen oder besser: Begegnungen verschiedenster Art.
Da gab es durchaus homoerotische Phantasien, die mit 14 den einen oder anderen (nicht unbedingt hochliterarischstilistischen) Erguss hervorriefen. Die böse Drohung, dass Onanie Gehirnerweichung und Dämlichkeit hervorrufen könnte, verführte Joe erstmalig, sich in eine Zockersituation zu begeben: „Na das wollen wir doch mal sehen“. Es hat einfach viel zu viel Spaß bereitet, das konnte doch nicht falsch sein.
Es gab da einen Lehrer, der diese zeitweilige sexuelle Orientierungsschwäche seiner Schüler ausnützte, um seine eigenen homosexuellen Neigungen zu befriedigen.
Voßberg war klein, gemütlich, freundlich und als Lehrer eher eine Katastrophe. Die meiste Zeit der Mathestunden wurden (zu Joe’s Freude) verquatscht. Es genügte vollkommen, wenn jemand kicherte, weil dies den Lehrer veranlasste, nach dem Grund dieser Ablenkung zu fragen. Handelte es sich hierbei um einen Witz, möglichst noch – altersgemäß - um einen unanständigen, so legte Voßberg für den Rest der Stunde mit eigenen, ebenfalls zweideutigen Witzen nach. 1 Einmal gab er Joe privat bei sich zu Hause eine Nachhilfestunde, weil der Vierzehnjährige den Dreisatz einfach nicht kapieren wollte. Im Nachhinein verstand Joe die Nervosität des Lehrers, als dessen Frau, die ja schon längst beim Einkaufen hätte sein sollen, sich partout nicht verabschieden wollte. So entschwand Joe (aus Sicht des Lehrers) unverrichteter Dinge, was sich auch auf Joe’s Verständnis des Dreisatzes bezog.
Wenig später erzählte Joe ein Mitschüler und Freund, wie ihn der Mathelehrer zum gemeinsamen Onanieren verführen wollte. Unter einem Vorwand lockte er ihn in seine Wohnung, dann verließ er für einen Moment sein Arbeitszimmer, nicht ohne dem Jungen einige handschriftliche Texte pornographischen Inhalts zur Ansicht überlassen zu haben, die er angeblich Schülern während des Unterrichts abgenommen hatte. Voßberg ließ dem Jungen etwas Zeit, um den Text in Ruhe lesen zu können. Dann betrat er wieder den Raum und hoffte auf eine erregte Reaktion (oder reaktive Erektion ?) des Knaben auf den versauten Text. Um den Pubertierenden für seine Zwecke bereit zu machen, zeigte er ihm noch ein paar Pornohefte, die er natürlich ebenfalls unter Schülerbänken gefunden haben wollte. Damit das Ganze dann in die richtige Richtung gesteuert wurde, präsentierte er auch noch eine japanische Radierung mit einem überdimensionalen Penis. Da Voßberg auch Biologielehrer war, fragte er nun, aus rein wissenschaftlichem Interesse heraus, nach den Onaniergewohnheiten des Schülers. Dieser war dann triebmäßig schon so weich (hart ?) gekocht, dass es bis zum letzten Schritt nicht mehr weit gewesen wäre. Verwirrt verließ dieser Freund die Stätte der Versuchung. Joe hat dann später ein anderer Mitschüler von genau dem gleichen Ablauf erzählt, als Voßberg es auch bei ihm, diesmal erfolgreich, mit seiner Methode versucht hatte.
In früheren Zeiten, vor den ausgetüftelten Informatikprogrammen, die heutzutage zu erwerben sind, mussten die Schulleiter zum Schuljahresbeginn eine Tafel der Unterrichtsverteilung vorweisen. Das war ein recht großes Brett mit vielen bunten Markierungen, welche die Lehrkräfte und ihre Einsatzorte repräsentierten. Diese komplizierte Verteilung zu ordnen war i. Allg. Aufgabe eines Mathelehrers, bei Joe war es Voßberg, dem man diese Verpflichtung aufgegeben hatte. Joe, damals Fünfzehn, erhielt an einem der letzten Ferientage einen Anruf von Voßberg. Ob er nicht einmal vorbeikommen könnte, ihm beim Transport der schweren Stundentafel zu helfen.
Amüsiert und neugierig sagte Joe seine Unterstützung zu und radelte zu dem eher schwächlichen Mathelehrer. Dieser war allein zu Hause und bat den gut durchtrainierten Jungen in sein Arbeitszimmer. Er kramte ein paar handgeschriebene Texte von seinem Schreibtisch und erklärte dem Knaben, dass er diese Schülern der siebenten Klasse abgenommen hätte. Er müsse kurz was erledigen und Joe könne sich ja die Wartezeit mit Lektüre der Lektüre vertreiben.
Als er nach ca. 10 Minuten erwartungsvoll sein Arbeitszimmer wieder betrat, fand er einen gelangweilten Schüler vor.
„Aber, Herr Lehrer, das ist doch wohl primitiv. Bruder mit Schwester, Vater mit Tochter, Mutter mit Sohn. Und dann diese einfallslosen Formulierungen nach jeder neuen Situationsbeschreibung: “Und wieder ging die Fickerei los.“ Also ich weiß nicht, was das soll. Nun kamen die Pornohefte zum Zuge.
„Och nö, so eine miese Qualität, die sind ja im Wortsinne unscharf. Da habe ich aber schon viel bessere gesehen. Kennen Sie „Weekend Sex“ oder „Private ?“
Voßberg sah zusehends trauriger aus. Jetzt der verzweifelte Versuch, mit der japanischen Radierung, das Blatt zu wenden. Aber Joe gähnte nur müde vor sich hin. „Das ist doch völlig übertrieben. Mit so einem Schwanz müsste der doch vorne über kippen.“
Von ungeahnten Kräften plötzlich beseelt, trug Voßberg dann die Stundentafel ohne Joe’s Hilfe in sein Auto. Gab dem Jungen zwei Mark für ein Eis und entschwand.
Dass dieser Lehrer über viele Jahre so agieren konnte lag wohl neben seiner wirklich gewinnenden Art am Zeitgeist des liberalen Aufbruchs, man wollte ja nicht spießig sein, der zunehmenden Gesellschaftsfähigkeit von Homosexualität (Im „Why not“ in der Fasanenstraße verkehrten neugierige Homo- und Heterosexuelle in einmütiger Toleranz).
Kurz vor seiner Pensionierung hatte es ihn dann doch erwischt und er wurde an eine andere Schule versetzt.