Читать книгу Als noch (fast ) alles möglich war - Joachim Schmierflink - Страница 9
Miss Denmark
ОглавлениеWenig später, Joe hatte sich langsam an den Unibetrieb gewöhnt, waren er und sein Freund Oliver auf der Suche nach einer neuen Kneipe, in der man eventuell neue Frauen kennen lernen könnte. Sie landeten im „Carrousel“ in der Dahlmannstraße. Da war nichts los. Zudem war dies offenbar keine Kneipe, sondern eher eine Bar. Eine Bedienung, Ellen, fragte unaufdringlich und sehr charmant nach den Wünschen der beiden Gäste. Als sie sah, dass diese sich mit einem kleinen Bier begnügten, blieb sie weiterhin sehr freundlich, was nicht die Regel in diesem Gewerbe war. Joe und Oliver zogen weiter, wurden aber nicht fündig. So strandeten sie letztendlich wieder im „Carrousel“, wo, inzwischen war es nach Mitternacht, auf einer herabgelassenen Leinwand ein Pornofilm lief. Das gab es zu dieser Zeit auch in den Bars am Stuttgarter Platz oder in der Potsdamer Str., aber Sex mit einem Schwein oder Pferd, das hatten die beiden jungen Männer noch nie gesehen. Ellen, man kannte sich ja nun schon, war weiterhin höchst freundlich, obwohl die beiden Kerle wieder nur ein kleines Bier (gewünscht war natürlich die Einladung zu einer Piccolo für den mindestens fünffachen Preis) bestellten. Als Joe einmal auf die Toilette musste, folgte ihm Ellen, die bereits sichtbar angetrunken war. Sie fiel dem jungen Mann um den Hals, griff in seinen Schritt und küsste ihn so wild, wie er es noch nie erlebt hatte.
Joe machte mit dieser Frau eine ganz spezielle Erfahrung. Als Ellen (sie nannte sich „Miss Denmark“ und war mit ihren hohen Wangenknochen und ihrer- vom Alkohol geprägten- tiefen Stimme ein eher rassiger Typ ) mit ihm im Bett war und Joe während des Vorspiels nicht nur ihre Innenschenkel und Waden leckte, sondern auch ihre Füße, fing sie heftig an zu stöhnen und bekam einen Orgasmus. Boah ! Das war echt neu.
Wie die Justiz mit Alkoholikerinnen aus diesem Milieu (sie schaffte in diesem Laden auch an) umging erlebte Joe, ohne etwas tun zu können, bei einer Gerichtsverhandlung. Ellen hatte als Barfrau einen Gast, der sich sein Bier selbst zapfen wollte, in seine Schranken verwiesen, woraufhin dieser ihr eine Bierflasche durch das Gebiss zog, was für vier Zähne das Ende ihres Bleiberechts bedeutete. Der Winkeladvokat des Täters versuchte, erfolgreich, die Schuld seines Mandanten zu mindern, da Ellens Zähne ja eh schon schadhaft gewesen seien. Das hätte mal einer bei einem Graf August von und zu versuchen sollen. Ellen, ohne Anwalt, erhielt nicht einmal Schmerzensgeld.
Als Joe sah, dass sie aufgrund ihres Alkoholismus nicht in der Lage war, vernünftig mit ihrem nachts Verdienten umzugehen, bot er ihr an, ihr Geld zu verwalten, so dass sie zumindest immer in der Lage sein würde, ihre zehnjährige Tochter in Kopenhagen zu besuchen. Das war aufgrund seiner Flexibilität als Student möglich, führte aber dazu, dass Joe sich wie ein Zuhälter fühlte, der seinem Mädchen nach getaner Arbeit das Geld abnimmt. Ellen hatte wohl nie wirklich begriffen, weshalb er ihr über das eingenommene Geld immer eine Quittung ausstellte. Einmal war Joe zu früh vor dem „Athener Grill“ am Ku’ -Damm und lehnte sich an einen der gläsernen Schaukästen. Plötzlich fühlte er einen Rippenstoß und eine der (damals noch geduldeten) Prostituierten schnauzte ihn an: „Eh, was willst du denn hier? Das ist mein Platz oder biste schwul oder wat?“
Ellen ist mit Mitte dreißig an den Folgen ihrer Alkoholkrankheit gestorben. Joe wird nie vergessen, wie sie ihm von ihrer eigenen Pubertät und ihrer alkoholabhängigen Mutter erzählt hatte. Als diese nachts, betrunken mit einem Mann nach Hause kam und ohne anzuklopfen das Zimmer der damals 10-Jährigen betrat, versuchte diese, gerade nackt, sich mit einem Handtuch zu bedecken. Dieses fetzte ihr ihre Mutter weg mit der Aufforderung, doch einmal zu zeigen, was sie zu bieten hätte. Man muss kein Psychologe sein, um zu vermuten, dass ein derartiges Erlebnis Spuren hinterlassen haben muss.